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Warschauer Beethoven-Osterfestival
Unbekannte Operneinakter britischer Komponisten

Opern von Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams sind außerhalb der britischen Inseln eher selten auf den Bühnen des europäischen Kontinents anzutreffen. Das Warschauer Beethoven-Osterfestival hatte im letzten Jahr gleich zwei unbekannte Einakter der britischen Komponisten auf dem Programm - die es jetzt auf CD gibt.

Von Klaus Gehrke |
    Der britische Komponist Ralph Vaughan Williams im Jahr 1957
    Ralph Vaughan Williams (picture alliance / dpa)
    Musik 1: Vaughan Williams, Riders
    Schon der düstere Beginn verheißt nichts Gutes: und am Ende von Ralph Vaughan Williams einaktiger Oper ‘Riders to the sea‘ wird die Protagonistin Maurya, deren Schwiegervater, Ehemann und vier ihrer Söhne auf dem Meer geblieben sind, auch noch die letzten beiden Jungen an das nasse Element verlieren.
    Ähnlich wie sein französischer Kollege Claude Debussy hatte auch Ralph Vaughan Williams eine Schwäche für das Meer; 1910 sorgte sein erstes großes Werk für Soli Chor und Orchester, die so genannte ‚Sea Symphony‘, für Aufsehen über Großbritanniens Landesgrenzen hinaus. Gut zehn Jahre später stieß Vaughan Williams, der am Royal College in London Komposition unterrichtete, auf die Werke des irischen Dramatikers John Milington Synge; dieser hatte einige Jahre auf den westirischen Aran-Inseln verbracht und wurde durch die von der Zivilisation noch wenig berührten Lebensgewohnheiten der Bewohner zu mehreren Romanen und Erzählungen inspiriert.
    In dieser Zeit ereignete sich auch die tragische Geschichte, die Synge 1903 im Drama "Riders to the sea" verarbeitete und mit symbolistischen Elementen anreicherte. Maurya will ihren jüngsten Sohn Bartley, der auf dem Festland zwei Pferde verkaufen will, nicht gehen lassen; als sie ihm schließlich für die Reise Proviant und ihren Segen geben will, sieht die entsetzte Mutter, dass auf dem zweiten Pferd der Geist des vermissten zweitjüngsten Bruders Michael sitzt. Maurya ahnt, dass sie Bartley nicht mehr lebend wiedersehen wird und klagt den Töchtern ihr Schicksal.
    Musik 2: Vaughan Williams, Riders Take 8
    Begleitet vom Orchester der Warschauer Kammeroper unter der Leitung von Lukasz Borowicz sang die Mezzosopranistin Kathleen Reveille die Szene der Maurya aus Ralph Vaughan Williams Oper "Riders to the sea". Sie gestaltet die Partie mit tief berührender Intensität ohne plakative emotionale Ausbrüche. Ihre wunderbar weiche Stimme erinnert übrigens sehr an die der legendären Marian Anderson. "Riders to the sea" endet mit dem bewegenden Schlussgesang Mauryas, die die Hoffnung auf Seelenfrieden mit einschließt – jetzt, wo die See alle männlichen Mitglieder der Familie geholt hat.
    Musik 3: Vaughan Williams, Riders, Take 10
    Ein Ausschnitt aus dem Finale von Ralph Vaughan Williams Operneinakter "Riders to the sea" mit Kathleen Reveille und dem Warschauer Kammeropernorchester, aufgezeichnet im März des vergangenen Jahres beim 20. Ludwig van Beethoven Osterfestival der polnischen Hauptstadt. 1997 in Krakau gegründet, hat das Festival sich unter der Leitung von Elzbieta Penderecka, der Ehefrau des Komponisten Krzystof Penderecki, zu einem der bedeutendsten Musikfeste des Landes mit internationalem Renommee entwickelt. Zum runden Jubiläum 2016 standen sowohl bedeutende Werke wie auch absolute Raritäten auf dem Programm. Vaughan Williams "Riders to the sea" etwa wurde als polnische Erstaufführung gegeben. Auch Gustav Holsts Operneinakter "At the boar’s head" dürfte nicht nur in Polen, sondern auch im restlichen Europa nur eingefleischten Fans des Komponisten bekannt sein. Der Name des Werkes, den man mit ‚Zum Eberkopf‘ übersetzen kann, bezieht sich auf ein gleichnamiges Wirtshaus in William Shakespeares Königsdrama "Heinrich IV." Hierhin kommt der verprügelte Sir John Falstaff nach einer fehlgeschlagenen nächtlichen Aktion, die der großspurige Ritter den dort Anwesenden allerdings ganz anders schildert.
    Musik 4: Holst, At the boar’s head, Take 3
    Im Vergleich zu anderen Werken über den Ritter Falstaff, beispielsweise Giuseppe Verdis berühmter Oper, hielt Gustav Holst sich strikt an das Vorbild: Shakespeares Originaltext. Da ihm seine britischen Kritiker immer wieder vorhielten, er könne keine Opernlibretti verfassen, griff der Komponist 1924 einfach auf Passagen vor allem aus dem zweiten und dritten Akt von ‚Heinrich IV.‘ zurück. Falstaff wurde von seinen Freunden, unter denen auch der Sohn des Königs ist, zu einem nächtlichen Raubzug überredet und dann von ihnen selbst überfallen. Alle treffen sich im Wirtshaus ‚Zum Eberkopf‘ wieder und zerpflücken genüsslich Sir Johns Erklärungsversuche. Amouröse Abenteuer kommen nicht vor, dafür Soldaten und Gauner, die die Wirtin nicht einlassen will und wegen denen es beinahe neuen Streit gibt.
    Musik 5: Holst, At the boar’s head Take 11
    War Vaughan Williams ‚Riders to the sea‘ überwiegend ein Werk für Frauenstimmen, so dominieren in Holsts‘ ‚At the boar’s head‘ vor allem die Männer. Jonathan Lemalu als Falstaff, Eric Barry als Prinz, Gary Griffiths als Pistol sowie auch die anderen Solisten agieren überaus lebendig und arbeiten die Charaktere sensibel und differenziert heraus. Lukasz Borowicz und das Orchester der Warschauer Kammeroper begleiten ebenfalls sehr farbenreich und nuanciert. Auch wenn beide Werke wohl weiterhin nur selten auf den internationalen Bühnen zu sehen sein werden: Es ist schön, dass es sie jetzt immerhin auf CD gibt.
    Musik 6: Holst, at the boar’s head, Finale
    Das war ein Ausschnitt aus dem Finale der Oper ‚At the boar’s head‘ von Gustav Holst mit Jonathan Lemalu, Krzystof Szumanski und Nicole Percifield sowie dem Orchester der Warschauer Kammeroper unter Lukasz Borowicz. Beide Operneinakter wurden beim Warschauer Beethoven Osterfestival im März 2016 aufgezeichnet und sind nun beim polnischen Label Dux im Vertrieb von Note 1 erschienen. Damit ging die heutige Neue Platte zu Ende; am Mikrofon verabschiedet sich Klaus Gehrke und wünscht Ihnen noch einen schönen Sonntag.
    Musikliste:
    Ralph Vaughan Williams
    Aus: Riders to the sea
    - Beginn
    Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 2‘17
    Ralph Vaughan Williams
    Aus: Riders to the sea
    - Szene der Maurya
    Kathleen Reveille, Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 2‘29

    Ralph Vaughan Williams
    Aus: Riders to the sea
    - Finale
    Kathleen Reveille, Frauenstimmen des Philharmonischen Kammerchores Warschau, Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 2‘42
    Gustav Holst
    Aus: At the boar’s head
    - Erzählung des Falstaff
    Jonathan Lemalu, Eric Barry, Mateusz Stachura, Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 3‘01
    Gustav Holst
    Aus: At the boar’s head
    - Szene
    Jonathan Lemalu, Krzystof Szumanski, Gary Griffiths, Kathleen Reveille, Nicole Percifield, Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 2‘42
    Gustav Holst
    Aus: At the boar’s head
    - Finale
    Jonathan Lemalu, Krzystof Szumanski, Kathleen Reveille, Nicole Percifield, Orchester der Warschauer Kammeroper
    Leitung: Lukasz Borowicz
    Länge: 3‘04