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Warschaus gesprengte Stadtgeschichte
Vieles hätte man retten können

Nach Kriegsende haben polnische Architekten, Denkmalschützer und Ingenieure die Warschauer Altstadt in den 50er-Jahren nach alten Plänen neu errichtet, nicht aber die repräsentativen Wohnviertel aus dem späten 19. und 20. Jahrhundert. Eine Ausstellung im Technik-Museum thematisiert nun diese lange Geschichte des Wiederaufbaus.

Von Martin Sander |
    "Ganze Nachkriegsgenerationen konnten nur Bilder der völligen Verwüstung betrachten, die meistens das Gebiet des ehemaligen Ghettos zeigten. Das hatten die Nazis dem Erdboden gleich gemacht", sagt der Warschauer Politologe Janusz Sujecki. Mit seiner Ausstellung "Gesprengte Geschichte" polemisiert er mit den herrschenden Vorstellungen, nach denen sich das von den Nazis zerstörte Warschau nicht wieder nach alten Mustern aufbauen ließ.
    "Aber es gibt auch Hunderte von Bildern aus dem Staatsarchiv, von deren Existenz bis vor kurzem niemand Kenntnis nehmen wollte. Als sie ans Tageslicht kamen, lösten sie einen Schock und heftige Diskussionen aus."
    Diese Bilder zeigen viele repräsentative Mietshäuser und ganz Straßenzeilen, die nach Kriegsende noch im Zentrum von Warschau standen, wenn auch mehr oder weniger beschädigt. Der Ort der Ausstellung - Warschaus Kulturpalast - könnte zum Thema nicht besser passen.
    "Das ist die Złota-Strasse, die einmal hier vor dem Kulturpalast verlief. Diese Häuser hat man lange vor dem Bau des Palastes, 1946, abgerissen, nur deshalb, weil sie Brandschäden aufwiesen. Unsere Ausstellung zeigt, wie die Ermordung der Stadt durch die Nazis nahtlos in die Nachkriegsplanung überging."
    Ermordung der Stadt geht nahtlos in die Nachkriegsplanung über
    Vieles hätte man retten können und sollen, das ist die Botschaft der Ausstellung. Verantwortlich für die Stadtplanung in den Jahren 1945 bis 1949 war das von der neuen kommunistischen Führung eingesetzte Büro für den Wiederaufbau, kurz BOS. Die polnische Bevölkerung, besonders die Warschaus, bete die aus der Vergangenheit bewahrten Teile der Bausubstanz geradezu an, diagnostizierte 1946 der BOS-Leiter und spätere Bauminister Roman Piotrowski in einem internen Schreiben.
    Intakte Reste als Planungsproblem
    Piotrowski warnte davor, sich dieser traditionalistischen Stimmung zu beugen. Einer von Piotrowskis Planern fand sogar bedauernde Worte für den Umstand, dass es den Nazis nicht gelungen sei, Warschau ganz in Schutt und Asche zu legen. Die intakten Reste seien jedenfalls ein Planungsproblem. Die Stadtplaner des BOS standen unter dem Einfluss von Le Corbusier und anderen Vorreitern der architektonischen Moderne. Zugleich sahen sie ihre Arbeit als Dienst am Aufbau des Sozialismus, träumten von Hochhäusern in Parklandschaften:
    "Es hieß, wir hatten es mit einer bourgoisen Stadt zu tun, jetzt bauen wir eine Stadt für die ganze Gesellschaft. Das machen wir, indem wir die erhaltene Substanz sprengen, die Stadt von ihrem historischen Selbstverständnis befreien. Na, und dann bauen wir sogenannte "Gemeinschaftssiedlungen". Dort ziehen Menschen ein, die man in den Gemeinschaftsräumen und andernorts indoktrinieren kann. Wir schaffen den neuen Menschen ohne Beziehung zu seiner Geschichte."
    Widerstand sogar im eigenen Haus
    Allerdings trafen die BOS-Stadtplaner auf Widerstand sogar im eigenen Haus. Dort arbeitete auch der Architekt Jan Zachwatowicz, der den weltweit als vorbildlich geltenden Wiederaufbau der Warschauer Altstadt durchsetzte. Am Ende stand auch das zerstörte Königsschloss wieder an seinem Platz. Viele BOS-Pläne blieben Papier - wohl zum Glück. So zeigt die Ausstellung den Plan einer Schnellstrasse quer durch den im Zweiten Weltkrieg unverwüsteten jüdischen Friedhofs mitten in der Stadt. Einen solchen Plan hatten bereits die deutschen Besatzer ausgearbeitet.
    Auf dem Bild sind Hochhäuser im Zentrum der polnischen Hauptstadt Warschau zu sehen, aufgenommen am 13.10.2010. 
    Hochhäuser im Zentrum von Warschau (picture-alliance / PAP / Pawe³ Brzeziñski)
    Anfang der 50er Jahre wurden die Ideen der BOS-Planer durch die soziallrealistischornamentale Bauweise der Stalinära abgelöst. Heute sind diese Stalinbauten bei ihren Bewohnern recht populär. Doch der Kulturpalast, in dem die Ausstellung stattfindet, ist immer noch ein Zankapfel. Zu sehr symbolisiert dieses Geschenk Stalins an Polen die sowjetische Fremdherrschaft. Janusz Sujecki, dessen Ausstellung auch gegen den Bau des Palastes polemisiert, will ihn dennoch nicht missen.
    "Ich bin ein Anhänger des Kulturpalastes, denn ich glaube, man sollte politische Emotionen nicht auf die Architektur übertragen."