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Wartburg und Lutherhaus in Eisenach
Wie Luther unsere Sprache geprägt hat

Das Lutherhaus und die Wartburg in Eisenach widmen sich dem Thema Luther und die deutsche Sprache. Er hat dort im Exil das Neue Testament übersetzt, aber auch Äsops Fabeln. Das war nicht leicht: Damals bestanden in Deutschland 20 Dialekte nebeneinander - Luther rang immer mit den richtigen Worten. Und er prägte zudem auch eigene: "Kauderwelsch" stammt zum Beispiel von ihm.

Von Blanka Weber |
    Die Wartburg ist eine Burg in Thüringen. Sie liegt über der Stadt Eisenach am nordwestlichen Ende des Thüringer Waldes.
    Die Wartburg ist eine Burg in Thüringen. Sie liegt über der Stadt Eisenach am nordwestlichen Ende des Thüringer Waldes. (dpa/picture alliance/Klaus Nowottnick)
    Wie mag es wohl ausgesehen haben, als Luther diesen Weg ging? Ein schmaler Holzgang führt hinauf zur heutigen Lutherstube. Darin stehen ein schlichter Holztisch, ein Hocker und ein großer grüner, einfacher Kachelofen. Dahinter - an der grob verputzen Wand - soll ein Tintenfleck gewesen sein. Oder doch nicht? Jutta Krauss ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Ausstellungskuratorin. Sie schmunzelt bei dem Gedanken.
    "Und hier die Fehlstelle im Putz. Da fragen die Leute mich heute nach dem Tintenfleck. Und manche wollen ihn noch gesehen haben. Das letzte Mal wurde er erneuert, vor 1900."
    Heute ist nichts zu sehen, nicht einmal zu ahnen. Jutta Krauss' Blick schweift zu dem kleinen Fenster mit den runden Butzenscheiben, die das fahle Tageslicht hinein lassen. Die Legende von dem Tintenfleck habe schon Dutzende Kuratoren und Wissenschaftler beschäftigt. Vielleicht hat wirklich jemand nachgeholfen – im Sinne eines frühen Marketings:
    "Das war ein Publikumsrenner, wie man ihn nicht besser hätte erschaffen können. Die Legende von Tintenfleck geht übrigens weit zurück, das heften sich auch andere Lutherstätten wie die Coburg oder die Wittenberger, das schwarze Kloster, an ihre Brust. Hier auf der Wartburg war es im Grund ein Zitat, dass er den Teufel mit Tinte bekämpft hat. Und eine rosige Ofenecke."
    Die rosige Ofenecke mag man glauben, die brauchte er auch, denn in der ehemaligen Vogtei hoch oben auf dem Burgberg ist es unwirtlich und kalt, der Wind pfeift. Luther traf Anfang Mai 1521 dort ein - direkt nach dem Wormser Reichstag belegt mit der Reichsacht.
    Bei Nacht und Nebel entführt, wird er damals kaum die Stadt gesehen haben, die er als kleiner Junge doch lieb gewonnen hatte. Damals, als ihn seine Eltern nach Eisenach zur Schule schickten mit Kost und Logis bei der angesehenen Familie Cotta.
    Ihr Haus, zumindest ein Teil davon, ist heute als altes Fachwerk noch erhalten. Umrahmt von einem Neubau ist es zum "Lutherhaus" geworden – einem modernen Museum, fast barrierefrei, das 2017 mehr als 100.000 Besucher erwartet. Eine Gruppe afrikanischer Frauen in langen bunten Gewändern studiert die Souvenirs. Luthersocken mit der Schrift: "Hier stehe ich und kann nicht anders." Lutherbücher. Lutherhefte. Nichts, was es nicht gibt.
    "Jetzt sind wir im Empfangsbereich, wir haben einen Sonderausstellungsbereich. Und da geht es zur Ausstellung."
    Jochen Birkenmeier leitet das Museum und ist stolz auf den Neubau und die Ausstellung. Alles sei so konzipiert, dass sich Menschen vor allem dem Thema Sprache widmen können und Luther im Kontext seiner Zeit verstehen. Dass jener die Bibelübersetzung anpackte, war übrigens nicht seine Idee, sondern Melanchthons Wunsch. Und – wie wir heute wissen – war es mit einem Mal übersetzen auch nicht getan.
    "Er hat bis an sein Lebensende übersetzt, immer wieder neu interpretiert, auf der Grundlage neuer theologischer Erkenntnisse und manchmal auch, weil er das Gefühl hatte, das es von ihm noch nicht sprachlich sauber genug ausgedrückt worden ist."
    Mehr als 100 Änderungen bereits kurz nach der ersten Übersetzung
    Mehr als 100 Änderungen gab es bereits kurz nach der ersten Übersetzung, immer wieder wurde gefeilscht, verbessert und nach den passenden Ausdrücken gesucht in einem Land, in dem 20 Dialekte kreuz und quer gesprochen wurden.
    Jutta Krauss, Kuratorin der Ausstellung auf der Wartung, erklärt an einer Karte: Was es gab?
    "Es sind große Sprachräume, die sich in sich auch noch mal untergliedern. Und wir sehen das hier im Süden das Alemannische, das Südbayrische, Oberbayrische, Ostfränkische. Im Norden fällt das Ganze auch noch mal in Holsteinisch oder Pommersch oder Westfälisch. Es war sehr bunt."
    Luther verfasst einen "Sendbrief vom Dolmetschen" - Darin legt er gewissermaßen Rechenschaft ab, wie und warum er übersetzt und weshalb er "frei" übersetzt, was ihm damals einige seiner Mitmenschen übel nahmen. Doch das Kauderwelsch war so groß, dass er gar keine andere Wahl hatte, als nach jenen Begriffen zu suchen, die die meisten Menschen auch verstanden, selbst, wenn es nur um Tiernamen ging:
    "Nehmen sie ganz einfach "die Elster". Ein hessisches Wort. Die hieß woanders "Aclaster" und ganz woanders wieder "Hetzen". Und da gab es sicherlich noch viele, viele andere Ausdrücke. Und wenn man dann davon redete, aus unterschiedlichen Regionen stammt, hat man ganz einfach nicht kapiert, worum es ging."
    Wie ratlos Luther gewesen sein mag, wie er gerungen hat um das gute Deutsch - all das, können wir nur vermuten. Sein Credo: die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, der gemeine Mann auf dem Markt - all diese Menschen solle man fragen, ihnen "aufs Maul" schauen, wie es Luther deftig formulierte – auch in seinem "Sendbrief vom Dolmetschen", übrigens heute im Lutherhaus zu finden, erklärt Jochen Birkenmeier:
    "Also, wir haben ein Original, der Sendbrief vom Dolmetschen ist in mehrfachen Auflagen erschienen. Wir zeigen ihn in einer Gesamtausgabe der Schriften Luthers, die schon im 16. Jahrhundert erschienen ist, in Jena."
    Welche Dialekte prägten Luther?
    Luther schuf – hoch oben auf der Wartburg - die einheitliche Basis für alles, was danach als Schriftsprache entstehen konnte. Heute fragen sich Wissenschaftler, welche Dialekte ihn eigentlich geprägt hatten?
    "Die Eltern stammten aus hiesigem Gebiet, Mutter aus Eisenach, Vater aus Möhra, das liegt gleich hier um die Ecke. Also man hat dieses Thüringische mit nach Mansfeld genommen und dort gesprochen."
    Luther hatte zudem viele Berater und Mitstreiter, war ein guter Zuhörer und hatte Menschen um sich, die aus den unterschiedlichsten Regionen kamen. Was heute völlig normal und vielleicht ein bisschen antiquiert klingt, war damals aus Luthers Feder geflossen: Lückenbüßer, friedfertig, Denkzettel, Lästermaul, Selbstverleugnung, Schandfleck, Winkelprediger, Gewissensbisse, Perlen vor die Säue werfen, ein Buch mit sieben Siegeln, Fallstricke, wie Sand am Meer, für immer und ewig, ein Herz und eine Seele.
    Wenn etwas keine gute Basis hatte, war es "auf Sand gebaut" – so schrieb Luther in der Bibel und das viel zitierte "Krethi und Plethi" – stammt auch von ihm, erläutert der Direktor des Lutherhauses in seiner Ausstellung:
    "Krethi und Plethi ist sicherlich das Auffallendste, weil man das gar nicht mit der Bibel in Verbindung bringt, aber "die Krethi" sind natürlich die Kreter und die Plethi die Philister. Und Luther hat sich da ein kleines Wortspiel erlaubt, indem er das zusammen gefasst hat. Krethi ist der lateinische Plural davon. Und die Plethi wurden dann eben entsprechend sprachlich angepasst, damit schafft Luther dann eben genau das, was uns heute noch begeistert: Sachen, die sehr eingängig sind, sprachlich so gut, dass andere Übersetzungen nicht rankommen an die Sprachgewalt."
    Auch wenn es in dem Fall sachlich etwas eng werden dürfte beim ganz genauen Blick der Wissenschaft. Im Lutherhaus stehen Vitrinen mit Dokumenten, Bildern und Büchern. Hörstationen und Landkarten zeigen, welche Regionen es mit welcher Sprache gab. Es ist ein Rundgang durch die deutsche Sprachlandschaft und es wird klar: Luther hat viel geleistet.
    "Ja, ich habe manchmal gestaunt, dass das dann tatsächlich Luthersprache ist. Und da wird dann deutlich, dass man eigentlich gar nicht Deutsch sprechen kann, denken oder singen kann, ohne Luthers Sprache zu benutzen. Viele dieser Begriffe sind uns so in Fleisch und Blut übergegangen, das wir diese biblische Herkunft auch gar nicht mehr kennen."
    Wer heute durch die Ausstellungen auf der Wartburg oder im Lutherhaus schlendert, bemerkt, dass selbst Bertold Brecht auf die Frage, welches Buch ihn im Leben am meisten beeindruckte, die Antwort gab: "Sie werden lachen: die Bibel."
    "Und da zeigen wir in dieser Ausstellung, dass durchaus auch Leute, die mit dem Glauben gar nichts zu tun haben, durchaus sehr stark von der Luthersprache, der Lutherbibel profitieren."
    Luther und Sprache bedeutet auch eine hohe Zahl an Streitschriften, Abhandlungen, Flugblättern, Liedtexten. Eine große Menge an Briefen, auch jener an seinen Sohn Johannes ist erhalten. Und: Luther hat die Fabeln des Äsop übersetzt. Dem Werk nahm er sich ab 1530 an, ebenfalls im Schutze eines Kurfürsten auf der Veste Coburg.