
„Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten.“
Ein niederschmetternder Satz. Antonio Muñoz Molina weiß um die Kraft eines starken Romananfangs. Und so geht es weiter:
„In Sibirien herrschen derzeit Temperaturen von vierzig Grad Celsius. In Schweden zerstört das von ungewöhnlicher Hitze begünstigte Feuer ganze Wälder noch jenseits des nördlichen Polarkreises. Seit Monaten brennen in Kalifornien Hunderttausende Hektar Wald. Die Brände bekommen eigene Namen, wie die Hurrikans der Karibik.“
Als hätte der Autor die Wetter-Rekorde dieses Jahres vorhergesehen. Dabei wurde das vorliegende Buch bereits 2019 im spanischen Original veröffentlicht.
Radikal subjektiv aus Figurenperspektive erzählt
Antonio Muñoz Molina ist ein Schriftsteller, der globale und gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift, mitunter vorausnimmt. Er tritt dabei nie mit dem Gestus eines Warners auf, sondern erzählt konsequent aus der persönlichen, radikal subjektiven Wahrnehmung seiner Protagonisten. Das war in seinem skizzenhaft-tagebuchartigen Text „Gehen allein unter Menschen“ so, dem feinsinnigen Lob des Flanierens durch ein hypermodernes Madrid der Gegenwart. Und das zeigt er in diesem neuen Roman, der vor allem im Kopf des Erzählers, aber auch in der Altstadt von Lissabon angesiedelt ist.
„Von jetzt an haben wir keine großen Ausgaben mehr. Der unablässigen Beeinträchtigung, die das Leben in New York darstellt, sind wir entronnen.“
Der Ich-Erzähler hofft in Portugal auf ein beschauliches, von der schnellen Aktualität der Nachrichten befreites und ausschließlich der Lektüre gewidmetes Leben als „Frührentner“ - ein Euphemismus dafür, dass er von seinem langjährigen amerikanischen Arbeitgeber rüde entlassen wurde. Seine erfolgreiche Frau experimentiert an den Nervenbahnen von Ratten und reist ständig durch die Welt, von einem Hirnforscher-Kongress zum nächsten.
„Cecilias Labor verfügt über Mittel vom Pentagon zur Erforschung von Möglichkeiten, schlimme Erinnerungen bei Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung zu unterdrücken.“
Lissabon als rettender Ort
Cecilia ist die aktive, deutlich jüngere Hälfte dieses sehr ungleichen Paars - stets abwesend und herbeigesehnt vom Erzähler. Der alternde Mann verschanzt sich in der günstig gekauften Wohnung mit der Hündin Luria, deren ungeheure Sensibilität für Geräusche und Gerüche er bewundert. Und er ist froh ist, die unmittelbare Umgebung nur selten verlassen zu müssen.
Lissabon ist der Rettungsort, nach Jahrzehnten aufreibender Enge und Hysterie in Manhattan: Trump, die Aids-Panik der 80er-Jahre - vor allem aber der 11. September 2001 tauchen in den Reflexionen des einsamen Müßiggängers immer wieder als Schreckensvisionen auf:
„Weit von uns entfernt stieg am südlichen Ende der Insel noch immer die große schwarze Wolke mit dem Flammenrot in ihrem Innern genau an der Stelle des Horizonts auf, an der vor ein paar Tagen, und später dann vor Wochen, die beiden Türme gestanden hatten. In Cecilias Träumen näherten sich die Flugzeuge im Tiefflug und rasten in einen Turm und danach in den anderen inmitten eines Feuerballs, immer wieder, so wie man es im Fernsehen sah. Wir erlebten das Ende der Welt direkt am Bildschirm des Fernsehers.“
Mit den Medien in die Krisenextase
Muñoz Molina nimmt die Innenperspektive seines sich von der Umwelt abschottenden Helden ein, der sich nächtelang von den flirrenden Bildern der Nachrichtensender berieseln lässt. Dadurch dringt das Zeitgeschehen in die Altbauidylle ein: Dürren in Afrika, der Ansturm verelendeter Migranten auf die Festung Europa, die Klimakrise. Auch Immobilienspekulation und Gentrifizierung im einst so beschaulichen Lissabon kann der Erzähler nicht ausblenden - er und seine Frau sind schließlich Teil davon.
„Er habe geglaubt“,
so ein alter Freund des Paars aus New York bei einem Kurzbesuch,
„Cecilia und ich seien nach Lissabon gezogen, um uns von der Welt zurückzuziehen, doch jetzt sei ihm klar geworden, dass wir in eine Hauptstadt des Immobilienhandels gezogen sind: ,a real estate boom town´.“
Willi Zurbrüggen hat Muñoz Molinas sanft dahingleitende Sätze in ein klares, ruhiges Deutsch gebracht. Der Schriftsteller ist ein Meister im Beschreiben von Zuständen, Atmosphären und in der Beobachtung von Personen. So wie Cecilia ihre Versuchsratten und deren Stressresistenz analysiert, so observiert der in Gesellschaft ungelenke Einsiedler die wenigen Menschen, mit denen er in Kontakt kommt, den drahtigen jungen Handwerker, der mühelos sein Internet anschließt oder die Partygesellschaft bei einem Immobilien-Verkaufs-Event.
„Tage ohne Cecilia“ ist ein ungeheuer fein gewebter Text, die intensive Selbstbespiegelung eines leicht kauzigen, alternden Typen, den die Katastrophen-Welt da draußen kaum tangiert. Ein Roman, so melancholisch wie witzig, am Puls der Gegenwart und doch ganz zeitlos, existenziell und berührend.
Antonio Muñoz Molina: „Tage ohne Cecilia“
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
Penguin-Verlag, München 2022
272 Seiten, 25 Euro
Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen
Penguin-Verlag, München 2022
272 Seiten, 25 Euro