Archiv


Warum Christian Wulff die Presse suchte und Angela Merkel nicht

Politiker hätten die Wahl, wie viel Privates sie von sich preisgeben, sagt der Kommunikationsfachmann Andreas Dörner mit Blick auf die Trennung des Ehepaars Wulff. Der Ex-Bundespräsident habe die Nähe zu den Medien gesucht - und sei dabei in eine "Öffentlichkeitsfalle" geraten.

Das Gespräch führte Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Nachricht, die gestern in Deutschland vermutlich am allermeisten diskutiert worden ist, sie lautet: Ex-Bundespräsident Christian Wulff und seine Ehefrau Bettina haben ihre Trennung bekannt gegeben. Das wäre eigentlich nichts allzu besonderes, in Deutschland werden jedes Jahr fast 200.000 Ehen geschieden. Aber immerhin: Christian Wulff war Bundespräsident, seine Frau die First Lady, und man stellt sich schon die Frage, ist heutzutage der politische und vor allen Dingen auch der mediale Druck in der Politik zu groß geworden. Frau Wulff hat monatelang gleich mit im medialen Feuer ihres Ehemanns gestanden, vielleicht wie noch keine andere Gattin eines deutschen Politikers zuvor. Dagegen, auch dagegen ist sie zuletzt mit einem eigenen Buch vorgegangen. – Andreas Dörner ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg, er forscht über Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Guten Morgen, Herr Dörner.

    Andreas Dörner: Guten Morgen!

    Meurer: Sind der Bundespräsident und seine Ehefrau Teil der medialen Erlebnisgesellschaft?

    Dörner: Ich glaube, die Frage lässt sich ganz eindeutig bejahen. Politische Akteure sind in der heutigen Situation immer auch politische öffentliche Figuren. Ich glaube, wir haben das zuletzt sehr, sehr deutlich in den amerikanischen Präsidentschaftswahlen beobachten können, wo ja die Präsidentengattinnen eine ganz herausragende Rolle gespielt haben, die nicht nur Personen an der Seite ihrer Ehemänner waren, sondern die gleichzeitig auch ganz wichtige biografische Symbole für bestimmte politische Inhalte ihrer Ehemänner und politischen Kandidaten geworden sind. Beispielsweise Michel Obama, die die moderne, eigenständige, beruflich erfolgreiche Frau symbolisieren konnte, und auf der anderen Seite Ann Romney, die sozusagen das konservative Bild der Partnerin, die auf die eigene Karriere verzichtet, dargestellt hat und damit jeweils viele eigene Wählergruppen mobilisiert werden konnten, aktiviert werden konnten, um für ein bestimmtes Politikbild letztendlich die Stimme zu geben.

    Meurer: Hat der Politiker, hat ein Politiker nicht die Entscheidung darüber, Herr Dörner, um zu sagen, ja, da mache ich jetzt mit, meine Frau soll ein biografisches Symbol werden? Kann er auch sagen, nein, mache ich nicht, das Private bleibt privat?

    Dörner: Grundsätzlich kann man, glaube ich, sagen, dass in der heutigen Mediengesellschaft, die ja nicht nur eine Gesellschaft von Fernsehen, von Printmedien geworden ist, sondern auch eine Gesellschaft der neuen Medien, der sozialen Netzwerke, grundsätzlich muss jeder Politiker sich klar darüber sein, dass ein ganz großer Druck der Öffentlichkeit besteht, Privates zum öffentlichen Thema zu machen. Gleichwohl würde ich sagen, jeder einzelne Akteur hat auch die Wahl, in welchem Maße er sich diesem Druck letztendlich fügt oder nicht fügt. Wir sehen ja beispielsweise die Bundeskanzlerin, die hier sehr zurückhaltend und dezent auftritt. Gleichwohl war auch Frau Merkel immer wieder genötigt, in gewissen Dosen Teile ihres Privatlebens selektiv öffentlich zu machen, beispielsweise darüber zu berichten, wann sie wo in die Kaufhalle geht, wie sie das noch nennt, sozusagen in Pflege des alten DDR-Jargons, oder welche Gäste sie mit welchen Rouladen bewirtet. Gleichwohl ist sie eher zurückhaltend, andere politische Akteure sind hier sehr viel offensiver. Christian Wulff war ja einer derjenigen, die aus wahltaktischen Gründen, aus Gründen der politischen Karriereplanung die Nähe zur Boulevard-Presse gesucht haben, und wenn man diese Nähe sucht, dann muss man sich eigentlich auch darüber klar sein, dass die Wucht dieser Medien, die einen auf die Welle der Popularität tragen kann, sich in bestimmten Konstellationen auch gegen die eigene Person richten kann.

    Meurer: Warum machen das Politiker dann trotzdem und ignorieren warnende Beispiele, dass der Absturz ziemlich tief sein kann? Ein anderer Fall wäre ja zum Beispiel Rudolf Scharping, der nach dem Foto im Swimmingpool mit seiner Freundin dann den politischen Abstieg erleben musste.

    Dörner: Ich denke, politische Akteure suchen die Nähe, weil es natürlich enorme Vorteile in der Gewinnung öffentlicher Sympathien bieten kann, wenn man es versteht, auf der Klaviatur der populären Medien zu spielen. Es gibt ja durchaus positive Beispiele. Wir haben lange Zeit beobachten können, wie Gerhard Schröder beispielsweise, der ja als Medienkanzler tituliert wurde, sehr bewusst die eigene Person und auch das eigene Umfeld so inszeniert hat, dass ihm die Sympathien entgegenschlugen. Er hat das lange, lange Zeit sehr erfolgreich betreiben können und kann im Grunde genommen tatsächlich auf eine gelungene öffentliche Biografie zurückschauen. Ich denke, die Vermutung der Akteure ist die, dass man dieses öffentliche Auftreten auch professionell planen kann, professionell begleiten lassen kann, und was dann übersehen wird, ist, dass teilweise der Druck so stark wird, dass man sich unprofessionell verhält, dass man in gewisse Öffentlichkeitsfallen hinein gerät, wie das bei Wulff passiert ist, und dann ist aber die Einsicht zu spät.

    Meurer: Wir haben jetzt über die Politiker und ihre Interessen, sich zu inszenieren, gesprochen. Reden wir mal über den Otto Normalverbraucher. Muss man festhalten, die Deutschen sind unpolitischer geworden?

    Dörner: Ich glaube, man muss zunächst feststellen, dass die gesamte Medienkultur in Deutschland sich doch stark in Richtung Unterhaltung, in Richtung Entertainisierung, in Richtung Boulevardisierung bewegt hat. Im Grunde genommen ist der Sündenfall, wenn man ihn denn so bezeichnen will, spätestens Mitte der 80er-Jahre mit der Einführung des privaten beziehungsweise des dualen Rundfunksystems passiert. Das hat dazu geführt, dass im Grunde genommen alle öffentlichen Dinge fast nur noch im Unterhaltungsmodus dargeboten werden können. Die Leute interessieren sich für das, was auch eine Unterhaltungsdimension hat, und das ist auch an der Politik nicht vorbei gegangen und deshalb erwarten die Leute, wenn sie sich überhaupt mit Politik beschäftigen, dann soll das auch einen Unterhaltungsaspekt haben. Das ist beispielsweise am Boom der Talkshows abzulesen. Wenn eine Auseinandersetzung über Politik geführt wird, dann soll sie auch sportiven Charakter haben, dann achtet man darauf, wer die besseren Pointen hat, wer wen letztendlich ausknocken kann.

    Meurer: Warum ticken wir so? Warum interessiert uns das, und nicht die Inhalte?

    Dörner: ... , weil die Beschäftigung mit trockenen Inhalten und vielleicht sogar mit abstrakten Dingen – in der Politik geht es ja teilweise auch um sehr komplexe und abstrakte Dinge – anstrengend ist, und ich habe den Eindruck, die Leute sind zunehmend nur dann noch dazu bereit, sich mit solchen anstrengenden Dingen zu beschäftigen, wenn es auch Spaß macht. Das muss ja im Grunde genommen auch nicht schlecht sein, wenn es nicht dazu führt, dass die Inhalte letztendlich durch die Spaßkomponente völlig verdrängt werden.

    Meurer: Professor Andreas Dörner, Politikwissenschaftler an der Universität Marburg, über das Private und das Politische, hier am Fall des Ehepaares Wulff. Herr Dörner, danke nach Marburg, auf Wiederhören.

    Dörner: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.