Archiv


Warum der Harlekin ein buntes Kleid trägt

Wie wichtig Farben für die meisten Menschen sind, kann man auch daran ablesen, dass es heute fast keine Schwarz-Weiß-Fernseher mehr gibt. Farben ermöglichen Unterschiede zu erkennen, sei es bei Pflanzen, Uniformen oder den Roben der Würdenträger.

Von Carl-Josef Kutzbach | 26.08.2010
    Sie verraten also etwas über die Stellung von Menschen. Ihre Verfügbarkeit verrät aber auch etwas über den Stand der Technik und die Handelswege. Farben können deshalb als Schlüssel zur Geschichte genutzt werden.

    Der zu den Kohlgewächsen gehörende Färber-Waid, lateinisch "isatis tinctoria" mit seinen langen zungenförmigen Blättern, war die in Europa am weitesten verbreitete Pflanze zum Färben, denn sie enthält denselben Farbstoff Indoxyl, wie das ostindische Indigo. Beide wurden erst durch die 1856 entdeckten Anilinfarben verdrängt, berichtet Prof. Peter Herz, der an der Universität Regensburg Alte Geschichte lehrt:

    "Das ist eine Pflanze, die bis ins 19. Jahrhundert sehr viel angebaut wurde. Zum Beispiel ist Erfurt in Thüringen ein Zentrum der Waid-Produktion gewesen. Das ist eine zweijährige Pflanze, die im ersten Jahr Blätter ausbildet. Man kann bis zu vier Ernten im Laufe des Jahres machen. Man schneidet die Blätter ab, reinigt sie und legt sie dann einfach auf Haufen. Dann beginnt ein Gärprozess, der etwa fünf, sechs Wochen dauert mit sehr hoher Geruchsbelästigung. Es muss also selbst für antike Verhältnisse gestunken haben. Und das Endergebnis ist eine Masse, nach Gülle riechend, klebrig, und dann werden sogenannten Färberbälle, oder Färberkohle draus geformt. Das lässt man trocknen und dann hat man den Farbstoff."

    Der sieht aus wie Holzkohle, oder ein Stück Tusche. Es ist nur noch ein Zwanzigstel der ursprünglichen Menge und kann in Wasser gelöst zum Färben benutzt werden. Das wussten schon die alten Kelten. Bei den Römern musste die Steuer auf Färber-Waid in Form der lagerfähigen und sofort nutzbaren Färberkohle bezahlt werden.

    "Der römische Staat hatte - vor allem der Spätantike - eine ganze Reihe von Textilproduktionen reichsweit verstreut, die für staatliche Zwecke gearbeitet hat und die hat ganz einfach versucht, die Halbprodukte und die Farbstoffe geliefert zu bekommen. Er brauchte also blau, rot, gelb, er brauchte Wolle. Und er hat gewissermaßen die arbeitsaufwendigen Prozesse von seinen Steuerbürgern erledigen lassen. Das heißt, wenn er Waid wollte, wollte er die einsatzfähige Waidkohle und nicht die Waidblätter."

    Da über die Steuereinnahmen Buch geführt wurde, lässt sich so Wirtschaftsgeschichte rekonstruieren. Zurzeit untersucht Peter Herz:

    "Ob wir auf diese Art und Weise nachweisen können, wie gewisse Transportwege waren, beziehungsweise in welchen Gegenden des Imperium Romanum zum Beispiel besonders große Schafherden waren, die den Rohstoff geliefert haben."

    Es lässt sich aber auch berechnen, welche Flächen nötig waren und wie viele Arbeiter man dafür brauchte. Und diese Berechnungsverfahren gelten für gut 2000 Jahre:

    "Das Imperium Romanum ist vergangen, das mittelalterliche Reich ist gekommen und vergangen, die Technik ist gleich geblieben. Das heißt da bekommen wir auch so etwas, wie ein Kontinuum der menschlichen Gesellschaft. Und was man hier für das Waid machen kann, kann man für viele andere technische Prozesse feststellen: Der entscheidende Bruch ist erst im 19. Jahrhundert. Bis dort hat sich technologisch ganz wenig geändert. Mit anderen Worten: In den letzten 150 Jahren hat sich in allen technischen Bereichen mehr verändert, als vorher in mehreren Tausend Jahren."

    Das Indigoblau und der Anbau dieser Pflanze kam erst durch die Araber von Indien in den Mittelmeerraum. Auch viele andere Handwerkstechniken des europäischen Mittelalters stammen von ihnen, sei es auf dem Weg über Südspanien oder durch das Normannen- und das Stauferreich.

    "Die Juden scheinen in bestimmten Bereichen der Wirtschaft sehr wichtig gewesen zu sein. Dazu gehört Färberei, bestimmte Arten von Textilien und man kann sogar sagen, man hat sie teilweise als Kriegsbeute eingefangen. Von dem einen normannischen König Roger heißt es, er hat einen Angriff auf das byzantinisch beherrschte Griechenland unternommen und hat Spezialarbeiter für Seidentechnik und wahrscheinlich auch für Färberei eingefangen und als Kriegsbeute nach Palermo transferiert, damit sie in seinen eigenen Fabriken arbeiten. Das heißt also, das ist ne besondere Art von Wissensklau gewesen."

    Dass die Farben nicht nur Handelsgut waren und Steuern einbrachten, sondern auch dazu dienten, jedem in der Gesellschaft seinen Platz zuzuweisen, hat die in Albstadt-Ebingen lebende Kunsthistorikerin Veronika Mertens in ihrer Magisterarbeit über Mi Parti fest gestellt:

    "Das sogenannte Mi Parti - halb und halb geteilt heißt das wörtlich übersetzt - war im Bereich des Höfischen verbreitet. Und zwar war das eigentlich eine Art Wappenkleidung, die nicht von den höchsten Rängen getragen wurde, sondern der Dienerschaft. Das konnte ein Obergewand sein, das halb und halb geteilt ist, es gab später allerdings dann auch noch eine Strumpfmode, wo die jungen Leute sich darin gefielen, verschiedenartige Strümpfe zu tragen, das war dann mehr chic."

    Die Untergebenen bis hinauf zum Truchsess, dem Obersten der Untergebenen, zeigten - wie heute durch Arbeitskleidung mit Firmenzeichen - an, wem sie dienten. Trug man zunächst nur die Farbe des Herren, kam durch Heirat eine zweite Farbe, eben die der Frau hinzu. Was im elften Jahrhundert als einfache Zweiteilung begann, entwickelte sich weiter:

    "Grade wenn zwei Herrschaftsgebiete zusammengelegt wurden, auch durch Heirat, drückt natürlich das Geteilte - und das ist dann oft nicht nur einmal geteilt, sondern vielmals geteilt - eben auch die verschiedenen Gebiete, die über die Familienzugehörigkeiten zusammen gekommen sind, aus."

    Man trug mit den verschiedenen Farben sozusagen den Stammbaum seines Hauses zur Schau. Neben dieser Wappenkleidung, die bei Tournieren zeigte, zu wem man gehörte, gab es aber auch eine Art von Fankleidung, nämlich wenn Minnesänger die Farben ihrer Angebeteten trugen.

    Was jede Farbe bedeutete, wussten und bewahrten vor allem die Herolde. Heute ist das für Historiker ein Schlüssel zur Geschichte.

    Da Farben teuer waren, konnten sich zunächst nur der Adel und die Kirche Buntes leisten:

    "Natürlich wollten alle gerne schöne farbige Kleidung tragen, aber dem Bauernstand zum Beispiel ziemte das nicht. Der Bauernstand ist braun und grau gewesen, weil der sich seine Wolle nicht färben durfte. Und das hat man durch Kleiderordnungen eingeschränkt, wer welche Farben tragen durfte."

    Diese Kleiderordnungen galten teilweise bis zur Französischen Revolution und verraten Historikern heute viel über die Stellung von damaligen Personen auf Bildern oder in Beschreibungen. Grau stand für Silber, gelb für Gold, also für adlig, oder zumindest für hohe Ehren. Damit nun nicht jeder gelb trug, wurde die Farbe entwertet:

    "Gelb wurde den Juden zugeordnet, dem gelben Judenring, den sie tragen mussten und den öffentlichen Dirnen wurde zum Beispiel der gelbe Schleier verordnet. Und dann war das auf einmal nicht nur ehrenhaft, diese Luxusfarbe gelb zu tragen."

    Farbe diente also auch zur sozialen Ausgrenzung. Nur wer keinem ehrenhaften Stand angehörte, hatte weitgehend freie Farbenwahl:

    "Zum Beispiel die Spielleute. Die hatten keine 'Ehre' in dem Sinn - es geht ja immer auch um Ehre - und so finden wir zum Beispiel im Sachsenspiegel, das ist dann schon im frühen 13. Jahrhundert, beispielsweise den Spielmann in einem fantastischen bunten Zottelkleid, auf der einen Seite grün, und auf der anderen Seite rot-weiß gestreift, eine fantastische wunderschöne Tracht, die sich aber kein ehrenhafter Bürger anziehen würde."

    Manch buntes Adelsgewand dürften da wieder verwendet worden sein, oder Teile, die aus der Mode kamen, die sich aber ab dem 15. Jahrhundert auch bei einer besonderen Figur fanden, dem Narren.

    Für Narren war - und ist auch heute noch - die Vielfarbigkeit zugleich ein Ausweis oder eine Schutzkleidung, die ihm Narren-Freiheit gibt. Veronika Mertens:

    "Der Narr ist ja eine sehr zwielichtige Gestalt, es gibt die Narren im Geiste, aber es gibt eben auch die Schalksnarren, die den Narren spielen, blitzgescheit sind, dabei oft, die natürlich auch gewisse Entertainerqualitäten haben mussten, geistreich, witzig, wortgewand sein mussten, deren besondere Rolle nach außen eben noch mal durch das Kleid angezeigt wurde, sonst hätte sich keiner so etwas erlauben dürfen."