Am 14. Mai 1970 wurde Andreas Baader in Berlin auf einem Freigang von einer bewaffneten Gruppe um seine Lebensgefährtin Gudrun Ensslin befreit. Die Aktion bedeutete den Startschuss für die Rote Armee Fraktion. Das ist fast genau 40 Jahre her und der Anlass für Michael Sontheimer, nun eine kurze Geschichte der RAF vorzulegen. Gerade zum Jubiläum ihrer Gründung liegt es nahe, sich intensiv mit den Ursachen ihres Entstehens zu befassen. Sontheimer beginnt dabei beim 2. Juni 1967.
Der Schuss auf Benno Ohnesorg war ein Schuss in viele Köpfe. Er war die Initialzündung für die Studentenbewegung, die das Ende des besinnungslosen Aufbaus der westdeutschen Republik aus den Trümmern Nazideutschlands markierte. Gleichzeitig begann am 2. Juni 1967 die Eskalation zwischen Studenten und der Staatsgewalt, die den Albtraum des Terrorismus hervorbrachte.
Die Demonstrationen der Jahre 1967 und 1968 radikalisierten auch deshalb Proteste wie Protestierende, weil die Polizei oft genug brutal gegen sie vorging.
Erst viel später fanden Wissenschaftler heraus, dass die meisten, die sich der RAF anschlossen, zuvor bei Demonstrationen von Polizisten zusammen geschlagen worden waren.
Spiegel-Redakteur Sontheimer versucht sich seinem Gegenstand nüchtern zu nähern, was ihn von vielen anderen Autoren unterscheidet. Ohne die oft herrschende Hysterie, aber auch ohne Akzeptanz oder auch nur Sympathie für die Aktionen der RAF, die 33 Menschen tötete und in ihrem erbitterten Kampf gegen den verhassten Staat 21 eigene Mitglieder verlor. Sontheimer bemüht sich, die dahinter stehenden Motive zu verstehen und geht deswegen nach dem Rückgriff auf die Studentenbewegung knapp auf ihre Konzepte ein. Darauf folgt die Beschreibung der frühen Anschläge insbesondere auf die US-Streitkräfte in Deutschland im Mai 1972, mit denen die erste Generation um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin auf den Vietnamkrieg reagieren wollte. Neben reportagehaften Schilderungen im Spiegel-Stil finden sich auf den knapp 200 Textseiten immer wieder analytische Abschnitte. Den Autor treibt die Frage um, warum die Geschichte der RAF weiter ging, obwohl doch eigentlich schon 1972 fast alle Mitglieder im Gefängnis saßen. Sontheimer verweist auf die Haftbedingungen und insbesondere die teilweise komplette Isolation der Inhaftierten:
Die RAF-Führung verwertete die harten Haftbedingungen für ihre Propaganda. Mit Schlagworten wie "Isolationsfolter" oder "Vernichtungshaft" ließ sich das Zerrbild vom "Neuen Faschismus" in der Bundesrepublik belegen. Mit Hilfe von Anwälten entstanden in 23 Städten "Komitees" gegen die Folter von politischen Gefangenen. Alle, die die Nachfolge von Baader und Meinhof antraten und dafür sorgten, dass die RAF 23 Jahre lang schießen und bomben würde, kamen aus diesen Gruppen.
Aber auch bei den Inhaftierten verfestigte die Sonderbehandlung der Gefangenen die Frontlinien.
Neue Ideen und selbstkritisches Denken entstanden nicht hinter den Gefängnismauern, bei den lange isolierten Gefangenen, die immer wieder gegen Selbstmordgedanken ankämpften.
Während sich die bisherigen Darstellungen zur Geschichte der RAF in weiten Teilen auf Polizeiakten und Gerichtsprotokolle stützten, hat Sontheimer darüber hinaus Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Gruppe geführt. Gerade bei neuen Aussagen, mit denen er unter anderem das Kräfteverhältnis in der Gruppe darstellen will, fehlen allerdings oft die Belege. Das ist schon deshalb ärgerlich, weil bei einigen der Akteure ein sehr selektives Verhältnis zur Wahrheit und zur Selbstkritik zutage tritt, sodass Sontheimers Fortschreibung scheinbar feststehender Gewissheiten problematisch ist. So weist er zwar darauf hin, dass es um die Nacht von Stammheim im Oktober 1977 noch viele Ungereimtheiten gibt, wischt sie gleich darauf aber wieder weg. Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe starben damals den Ermittlungsergebnissen zufolge aufgrund von Selbstmord, Irmgard Möller überlebte und hält bis heute daran fest, keinen Suizidversuch unternommen zu haben. Klarheit, was damals wirklich passierte, gibt es nicht. Haben die staatlichen Stellen einen Selbstmord stillschweigend akzeptiert? Das legt Sontheimer nahe. Aber um zu beschreiben, was wirklich geschah, fehlt weiterhin die Einsicht in wichtige Akten.
Die Wahrheit über die RAF interessiert dabei nicht nur die Historiker, so Sontheimer und kommt auf eine oft übergangene Gruppe zu sprechen.
Sie interessiert auch die überlebenden RAF-Opfer sowie die Angehörigen und Freunde der RAF-Opfer. Doch können sie sich Hoffnungen machen, dass ihre Fragen jemals beantwortet werden? Wohl die einzige Chance, ehemalige Mitglieder der RAF zum Sprechen zu bekommen, wäre ein Deal: Wahrheit gegen Freiheit. Aussagen gegen Amnestie.
Das aber wäre das endgültige Eingeständnis, dass die RAF nicht nur ein Kriminalfall, sondern auch ein politisches Projekt war. Sontheimer stellt immer wieder heraus, dass die Bundesregierung die RAF über Jahre als ihren Hauptfeind im Inneren betrachtete, ohne sich dies jedoch einzugestehen. Im letzten Kapitel, in dem seine eigene Handschrift am deutlichsten wird , verweist Sontheimer am Beispiel der immer noch laufenden Diskussionen auf die Aktualität der RAF. Seine These lautet:
Solange die Wahrheit über wichtige Anschläge im Dunkeln bleibt, wird die RAF weiter in der kollektiven Erinnerung herumspuken. Solange das Schweigen dominiert, können die Betroffenen den Terror der Gruppe nicht verarbeiten.
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl zeigt diese abschließende Bewertung, dass Sontheimer im Laufe seiner Darstellung die kriminologische Sichtweise in den Mittelpunkt stellt. Das ist logisch und auch mit der Geschichte der RAF und ihren Aktionen zu erklären. War deren politische Motivation zumindest am Anfang noch erkennbar, rückte sie ab Mitte der 1970er-Jahre in den Hintergrund. Dennoch ist auch eine politische Diskussion über die RAF nötig. "Gewalt gebiert Gewalt" überschreibt Sontheimer sein Vorwort. Das gilt in der Geschichte der RAF für beide Seiten. Sontheimers Buch hilft, diesen Zusammenhang besser zu verstehen.
Helge Buttkereit war das über Michael Sontheimers Buch: "Natürlich kann geschossen werden – Eine kurze Geschichte der Rote Armee Fraktion". Ein Spiegel-Buch aus der Deutschen Verlags-Anstalt. 224 Seiten kosten 19 Euro 95, ISBN: 978-3-421-04470-9.
Der Schuss auf Benno Ohnesorg war ein Schuss in viele Köpfe. Er war die Initialzündung für die Studentenbewegung, die das Ende des besinnungslosen Aufbaus der westdeutschen Republik aus den Trümmern Nazideutschlands markierte. Gleichzeitig begann am 2. Juni 1967 die Eskalation zwischen Studenten und der Staatsgewalt, die den Albtraum des Terrorismus hervorbrachte.
Die Demonstrationen der Jahre 1967 und 1968 radikalisierten auch deshalb Proteste wie Protestierende, weil die Polizei oft genug brutal gegen sie vorging.
Erst viel später fanden Wissenschaftler heraus, dass die meisten, die sich der RAF anschlossen, zuvor bei Demonstrationen von Polizisten zusammen geschlagen worden waren.
Spiegel-Redakteur Sontheimer versucht sich seinem Gegenstand nüchtern zu nähern, was ihn von vielen anderen Autoren unterscheidet. Ohne die oft herrschende Hysterie, aber auch ohne Akzeptanz oder auch nur Sympathie für die Aktionen der RAF, die 33 Menschen tötete und in ihrem erbitterten Kampf gegen den verhassten Staat 21 eigene Mitglieder verlor. Sontheimer bemüht sich, die dahinter stehenden Motive zu verstehen und geht deswegen nach dem Rückgriff auf die Studentenbewegung knapp auf ihre Konzepte ein. Darauf folgt die Beschreibung der frühen Anschläge insbesondere auf die US-Streitkräfte in Deutschland im Mai 1972, mit denen die erste Generation um Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin auf den Vietnamkrieg reagieren wollte. Neben reportagehaften Schilderungen im Spiegel-Stil finden sich auf den knapp 200 Textseiten immer wieder analytische Abschnitte. Den Autor treibt die Frage um, warum die Geschichte der RAF weiter ging, obwohl doch eigentlich schon 1972 fast alle Mitglieder im Gefängnis saßen. Sontheimer verweist auf die Haftbedingungen und insbesondere die teilweise komplette Isolation der Inhaftierten:
Die RAF-Führung verwertete die harten Haftbedingungen für ihre Propaganda. Mit Schlagworten wie "Isolationsfolter" oder "Vernichtungshaft" ließ sich das Zerrbild vom "Neuen Faschismus" in der Bundesrepublik belegen. Mit Hilfe von Anwälten entstanden in 23 Städten "Komitees" gegen die Folter von politischen Gefangenen. Alle, die die Nachfolge von Baader und Meinhof antraten und dafür sorgten, dass die RAF 23 Jahre lang schießen und bomben würde, kamen aus diesen Gruppen.
Aber auch bei den Inhaftierten verfestigte die Sonderbehandlung der Gefangenen die Frontlinien.
Neue Ideen und selbstkritisches Denken entstanden nicht hinter den Gefängnismauern, bei den lange isolierten Gefangenen, die immer wieder gegen Selbstmordgedanken ankämpften.
Während sich die bisherigen Darstellungen zur Geschichte der RAF in weiten Teilen auf Polizeiakten und Gerichtsprotokolle stützten, hat Sontheimer darüber hinaus Gespräche mit ehemaligen Mitgliedern der Gruppe geführt. Gerade bei neuen Aussagen, mit denen er unter anderem das Kräfteverhältnis in der Gruppe darstellen will, fehlen allerdings oft die Belege. Das ist schon deshalb ärgerlich, weil bei einigen der Akteure ein sehr selektives Verhältnis zur Wahrheit und zur Selbstkritik zutage tritt, sodass Sontheimers Fortschreibung scheinbar feststehender Gewissheiten problematisch ist. So weist er zwar darauf hin, dass es um die Nacht von Stammheim im Oktober 1977 noch viele Ungereimtheiten gibt, wischt sie gleich darauf aber wieder weg. Baader, Ensslin und Jan-Carl Raspe starben damals den Ermittlungsergebnissen zufolge aufgrund von Selbstmord, Irmgard Möller überlebte und hält bis heute daran fest, keinen Suizidversuch unternommen zu haben. Klarheit, was damals wirklich passierte, gibt es nicht. Haben die staatlichen Stellen einen Selbstmord stillschweigend akzeptiert? Das legt Sontheimer nahe. Aber um zu beschreiben, was wirklich geschah, fehlt weiterhin die Einsicht in wichtige Akten.
Die Wahrheit über die RAF interessiert dabei nicht nur die Historiker, so Sontheimer und kommt auf eine oft übergangene Gruppe zu sprechen.
Sie interessiert auch die überlebenden RAF-Opfer sowie die Angehörigen und Freunde der RAF-Opfer. Doch können sie sich Hoffnungen machen, dass ihre Fragen jemals beantwortet werden? Wohl die einzige Chance, ehemalige Mitglieder der RAF zum Sprechen zu bekommen, wäre ein Deal: Wahrheit gegen Freiheit. Aussagen gegen Amnestie.
Das aber wäre das endgültige Eingeständnis, dass die RAF nicht nur ein Kriminalfall, sondern auch ein politisches Projekt war. Sontheimer stellt immer wieder heraus, dass die Bundesregierung die RAF über Jahre als ihren Hauptfeind im Inneren betrachtete, ohne sich dies jedoch einzugestehen. Im letzten Kapitel, in dem seine eigene Handschrift am deutlichsten wird , verweist Sontheimer am Beispiel der immer noch laufenden Diskussionen auf die Aktualität der RAF. Seine These lautet:
Solange die Wahrheit über wichtige Anschläge im Dunkeln bleibt, wird die RAF weiter in der kollektiven Erinnerung herumspuken. Solange das Schweigen dominiert, können die Betroffenen den Terror der Gruppe nicht verarbeiten.
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichwohl zeigt diese abschließende Bewertung, dass Sontheimer im Laufe seiner Darstellung die kriminologische Sichtweise in den Mittelpunkt stellt. Das ist logisch und auch mit der Geschichte der RAF und ihren Aktionen zu erklären. War deren politische Motivation zumindest am Anfang noch erkennbar, rückte sie ab Mitte der 1970er-Jahre in den Hintergrund. Dennoch ist auch eine politische Diskussion über die RAF nötig. "Gewalt gebiert Gewalt" überschreibt Sontheimer sein Vorwort. Das gilt in der Geschichte der RAF für beide Seiten. Sontheimers Buch hilft, diesen Zusammenhang besser zu verstehen.
Helge Buttkereit war das über Michael Sontheimers Buch: "Natürlich kann geschossen werden – Eine kurze Geschichte der Rote Armee Fraktion". Ein Spiegel-Buch aus der Deutschen Verlags-Anstalt. 224 Seiten kosten 19 Euro 95, ISBN: 978-3-421-04470-9.