Forderung nach 15 Euro
Warum die Mindestlohn-Kommission in der Kritik steht - und welche Alternative es gäbe

Am 1. Januar 2015 wurde in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn eingeführt. Seitdem entscheidet eine Kommission darüber, wie stark er steigt. Doch in der Politik sind manche mit dieser Regelung nicht mehr zufrieden, allen voran Bundeskanzler Scholz. Warum nicht? Und warum ist von "Tabubruch" die Rede? Ein paar Antworten.

24.05.2024
    Ein 10-Euro- und ein 5-Euro-Schein liegen übereinander.
    Bundeskanzler Scholz spricht sich dafür aus, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    "Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten Schritt auf 15 Euro anzuheben." Das sagte der Bundeskanzler Anfang der Woche dem Magazin "Stern" und hat damit eine Kontroverse erneut befeuert. Arbeitgeberpräsident Dulger beschuldigte Scholz, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohn-Kommission zu erhöhen. Das sei "brandgefährlich" für die Wirtschaft, für die Arbeitsplatzsicherheit und für die Tarifautonomie. Inwiefern?

    Wie arbeitet die Mindestlohnkommission?

    In Deutschland ist es Aufgabe der Mindestlohn-Kommission, über die Erhöhung des Mindestlohns zu entscheiden. Ihre Mitglieder prüfen, "welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen und Beschäftigung nicht zu gefährden". Alle zwei Jahre legt die Kommission der Bundesregierung einen Bericht vor. Ihr Vorschlag zur Anpassung des Mindestlohns wird anschließend per Rechtsverordnung umgesetzt.
    Im Oktober 2022 wurde der Mindestlohn - ohne Beteiligung der Kommission - in einem großen Schritt von 10,45 Euro auf 12 Euro erhöht. Damit setzte die SPD ein Versprechen aus dem Wahlkampf um.

    Wer ist Mitglied in der Mindestlohnkommission?

    Die Mindestlohn-Kommission wird alle fünf Jahre von der Bundesregierung neu berufen, arbeitet aber unabhängig und hat neun Mitglieder: eine oder einen Vorsitzenden, jeweils drei Vertreter oder Vertreterinnen aus dem Arbeitgeber- und aus dem Gewerkschaftslager sowie zwei Wissenschaftler, die das Gremium beraten. Die beratenden Mitglieder haben kein Stimmrecht.

    Warum kritisiert der Kanzler den jüngsten Beschluss?

    Die Mindestlohn-Kommission fasst ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit. Der oder die Vorsitzende enthält sich zunächst der Stimme. Kommt keine Stimmenmehrheit zustande, macht der oder die Vorsitzende einen Vermittlungsvorschlag. Kommt es dann immer noch zu einem Patt, entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
    So ist es am 26. Juni 2023 erstmals in der Geschichte der Mindestlohnkommission geschehen. Der Beschluss, den Mindestlohn in zwei Stufen auf 12,41 Euro (zum 1.1.2024) beziehungsweise 12,83 Euro (zum 1.1.2025) zu erhöhen, erging gegen den Willen der drei Arbeitnehmervertreter. Sie veröffentlichten deshalb eine Stellungnahme. Darin verwiesen sie auf die damals noch hohe Inflation und erklärten, dass der Mindestlohn aus ihrer Sicht mindestens auf 13,50 Euro steigen müsste. Einem solchen Beschluss hätten sich Arbeitgeber und die Vorsitzende Schönefeld jedoch "verweigert".
    Vor diesem Hintergrund hat der Kanzler den Arbeitgebern diese Woche einen "Tabubruch" vorgeworfen. Sie hätten mit der "Tradition" gebrochen, dass in der Mindestlohn-Kommission einvernehmlich entschieden werde, sagte Scholz dem "Stern".

    Warum kritisieren die Arbeitgeber den Kanzler?

    In Deutschland mischt sich die Politik in die Lohnfindung der Tarifparteien im Regelfall nicht ein. Arbeitgeber und Gewerkschaften handeln das untereinander aus. Diese Tarifautonomie sieht der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dulger, durch Scholz' Äußerungen zum Mindestlohn gefährdet. Scholz übe Druck auf die Kommission aus, kritisierte er.
    Der BDA-Präsident hat die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen im Blick, die sich durch eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro verschlechtern könnte. In der EU gibt es nur drei Staaten, in denen der Mindestlohn Anfang 2024 höher lag als in Deutschland: nämlich in Luxemburg (14,86 Euro), in den Niederlanden (13,27 Euro) und in Irland (12,70 Euro). Dort sind allerdings auch die Lebenshaltungskosten höher als in Deutschland.
    Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Adrian, warnte davor, den Mindestlohn zu schnell steigen zu lassen. Dann würden bestimmte Jobs wegfallen, weil die Unternehmen sie sich nicht mehr leisten könnten.

    Was spricht für eine Anhebung des Mindestlohns auf 14 oder 15 Euro?

    Befürworter führen an, dass durch einen höheren Mindestlohn der private Konsum angekurbelt werden könnte. In ihrem Frühjahrsgutachten nennen die sogenannten Wirtschaftsweisen den schwachen Konsum als einen Grund dafür, dass sie ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf 0,2 Prozent gesenkt haben. Durch eine Erhöhung des Mindestlohns würde der Anteil der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sinken. Deren Kaufkraft würde sich verbessern.
    Seit 2011 gibt es in Deutschland zwar kein gesetzlich geregeltes Lohnabstandsgebot mehr. Aber Arbeit soll sich lohnen, das ist weitgehend gesellschaftlicher Konsens. Dazu würde ein höherer Mindestlohn beitragen. Jede Erhöhung des Mindestlohns übt auch immer Druck auf die unteren Lohngruppen aus, so dass sich das allgemeine Lohnniveau steigert.

    Welche Alternative zur Mindestlohnkommission ist im Gespräch?

    Auch vom Arbeitnehmerflügel der CDU gibt es schon länger Kritik an der Mindestlohn-Kommission. Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Laumann plädiert seit Monaten dafür, die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht mehr durch die Kommission festlegen zu lassen. Schon im Juni vergangenen Jahres - kurz nach dem Beschluss, den Mindestlohn auf 12,41 Euro anzuheben - sagte der CDU-Politiker: "Eine Kommission, die Mindestlöhne festsetzt, die den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitäten nicht mehr entsprechen und keine Akzeptanz in der Bevölkerung finden, verfehlt ihren Auftrag."
    In dieser Woche bekräftigte Laumann seine Kritik und bezeichnete die Kommission als "Katastrophe", an der sich die Gewerkschaften am besten nicht mehr beteiligen sollten. Laumann schlug erneut vor, stattdessen einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2022 zu folgen. Sie sieht unter anderem vor, dass der Mindestlohn nicht unter 50 Prozent des Durchschnittslohns fallen soll. Das würde in Deutschland bis Ende 2024 voraussichtlich zu einem Mindestlohn von etwa 14 Euro führen.
    Laumann liegt damit auf einer Linie mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der SPD und der Linken, die seit langem eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 14 Euro fordern.
    Diese Nachricht wurde am 16.05.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.