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"Was ansteht ist ein umfassender Mentalitätswandel"

Eine kulturelle Basis für den griechischen Staatsbankrott sieht der Leiter des Goethe-Instituts in Athen, Rüdiger Bolz, in einem ausgeprägten Staatsskeptizismus. Der Staat genieße kein hohes Ansehen, die Familie stehe an erster Stelle und müsse nach Vorstellung der Griechen auch versorgt werden - eine Grundlage für den Nepotismus.

Rüdiger Bolz im Gespräch mit Karin Fischer | 16.02.2010
    Karin Fischer: Das Land der Griechen mit der Seele suchen war nicht nur das Projekt von Romantikern und Klassizisten vergangener Jahrhunderte. In den 60er- und 70er-Jahren erlebte Griechenland eine Renaissance: Für Kulturtouristen und Kurzzeitaussteiger waren nicht die Akropolis, nicht das Land als Wiege europäischer Zivilisation das Ziel – das Land war Symbol für ein Lebensgefühl, zu dem auch gehörte, dass die Uhren etwas langsamer tickten. Wer heute das Land der Griechen mit der Seele sucht, findet alle Pfade dorthin mit Geld aus der Europäischen Union asphaltiert und die Finanzkrise hat das Ausmaß von Korruption und Steuerhinterziehung deutlich gemacht, unter dem Griechenland leidet. Der griechische Schriftsteller Petros Markaris sagt, man habe mit dem EU-Beitritt die jahrhundertelang erprobte Kultur der Armut abgelegt.

    Petros Markaris: Sie konnten gut mit Geld umgehen bis 1981, muss ich Ihnen sagen. Ja, also, Griechenland war ein armes Volk, aber mit seiner Armut konnte es gut und auch fröhlich, würde ich sagen, leben, hatte wenig, aber es hatte auch, sagen wir, eine anständige, sagen wir, Beziehung zum Geld.

    Fischer: Reden wir also von der kulturellen Grundlage der derzeitigen politischen Auseinandersetzung. Die Frage geht an Rüdiger Bolz, den Leiter des Goethe-Instituts in Athen: Was ist die kulturelle Basis für den Staatsbankrott? Das habe ich ihn gefragt.

    Rüdiger Bolz: Eine kulturelle Basis ist sicherlich ein ausgeprägter Staatsskeptizismus, das heißt, man sagt: Der Staat gibt uns nichts, also geben wir ihm auch nichts. Das ist so eine sehr weit verbreitete Haltung, und die führt eben dazu, dass im Grunde der Staat als solcher kein hohes Ansehen hat, die Nation als solche natürlich ja. Also, es gibt einen ausgeprägten Patriotismus und auch Nationalismus, aber keine wirkliche Identifikation mit dem Staat und seinen Institutionen als solchen.

    Fischer: In Island hat die Bevölkerung, aber auch die Literatur sehr schnell auf den drohenden Staatsbankrott reagiert. Was sagen griechische Intellektuelle, Künstler oder Schriftsteller zur jetzigen Situation?

    Bolz: Die halten sich, ehrlich gesagt, auffallend zurück, denn hier geht es jetzt schon um eine sehr existenzielle Krise, die viele Menschen – zunächst mal vor allem die Angestellten und Beamten – treffen wird, weil man am ehesten hier sozusagen zur Refinanzierung sich was holen kann. Ansonsten kann man nicht sagen, dass hier eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Staatsfinanzen stattfinden würde. Die Einzelphänomene von Nepotismus bis Korruption, die sind ja seit Jahren und Jahrzehnten bekannt, und damit hat sich die Literatur und hat sich auch das Theater immer auseinandergesetzt. Aber jetzt, ganz aktuell, könnte man es nicht sagen. Was man beobachten kann, ist, dass in den letzten Monaten wieder eine neue Brecht-Renaissance in Griechenland ausgebrochen ist, also, es wird sehr viel Brecht gespielt auf den Theatern. Das war übrigens immer in Griechenland so zu Zeiten von Krisen, unter anderem auch während der Zeit der Militärjunta.

    Fischer: Sie haben anfangs gesagt, dass der Kampf gegen die Staatspleite das Gesicht Griechenlands jetzt noch mal verändern wird. Darüber sind sich auch alle einig. Die EU hat ein hartes Sparprogramm verordnet, gegen das im griechischen Karneval in Patras, der am Sonntag zu Ende gegangen ist, mithilfe von Pappkameraden auch schwer demonstriert worden ist. In welcher Form wird sich das Gesicht dieses Landes verändern oder verändern müssen?

    Bolz: Verändern müssen. Ich glaube, der zentrale Satz, den predigt der Regierungschef so oft und so weit er nur kann, und der heißt: Wenn wir uns nicht verändern, dann werden wir untergehen. Und das ist tatsächlich … Was ansteht, ist ein umfassender Mentalitätswandel, dass man in vielen Bereichen Privilegien und Subventionen abbauen wird, unter anderem bei der Rentenversicherung. Ich meine, das Rentenniveau in Griechenland ist bei Angestellten deutlich höher als in Deutschland zum Beispiel, dazu kommen noch die Abfindungsleistungen des Arbeitgebers. Der ganze Nachmittag war eine der Hauptverkehrsstraßen – ich sehe das von meinem Büro aus – blockiert mit einer Demonstration der ehemaligen Olympic-Angestellten, die eben dagegen protestieren, dass ihre Versorgungsleistungen gekürzt werden sollen. Und morgen streiken die Finanz- und Steuerbeamten – Sie sehen, da steht noch viel an. Es wird auch noch ziemlich heftig hier zugehen, bis Reformen überhaupt greifen werden.

    Fischer: Na ja, wir haben auch gehört, dass die Staatsbeamten in Griechenland die einzigen sind, die überhaupt irgendeine Art von Steuern zahlen, weshalb es der Staat noch am ehesten von ihnen jetzt zurückholen kann. Sie haben gesagt, Mentalitätswandel, und haben vorher einen tief sitzenden Staatsskeptizismus erwähnt. Wo kommt der her?

    Bolz: Es gibt da zwei Begriffe eigentlich, die zentral dafür sind. Das eine ist ein ausgeprägtes Freiheitsbewusstsein, und das heißt eben auch Freiheit von jeglicher Bevormundung, also auch vom Staat. Das ist etwas, womit jeder Grieche eigentlich aufwächst und erst recht, wenn er auf Inseln lebt oder außerhalb der beiden Metropolen Athen und Thessaloniki. Und das andere ist, dass wir schon einen anderen Begriff hier haben als in Mitteleuropa von Nepotismus, also das Verständnis: Zuerst kommt die Familie, und dann kommt ganz lange nichts, und ein Amt ist eigentlich dazu da, auch die Familie zu versorgen. Das ist ein automatischer Gedanke, also, es ist nicht die öffentliche Verpflichtung, die man eingeht oder gar die Verpflichtung gegenüber Staat und Gesellschaft, sondern man nimmt das öffentliche Amt, um etwas für sich und seine Familie und den engsten Freundeskreis, ich sage mal, bewirken zu können. Und dann kommt erst die Aufgabe an sich.

    Fischer: Rüdiger Bolz, der Leiter des Goethe-Instituts in Athen, zur historisch-kulturellen Gemengelage in Griechenland.