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Krieg in der Ukraine
Was bedeutet die russische Teilmobilmachung?

Russland mobilisiert im Krieg gegen die Ukraine hunderttausende Reservisten. Beobachter sehen darin eine weitere Eskalation. Doch was steckt hinter der ersten russischen Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg?

    Russische Soldaten springen von einem Panzer bei einer Übung in der Nähe zur ukrainischen Grenze
    Russisches Militär bei einer Übung in der Nähe zur ukrainischen Grenze (picture alliance / Associated Press)

    Wie wird die Teilmobilmachung von russischer Seite offiziell begründet?

    Russlands Präsident Putin gab der Ukraine und seinen Verbündeten die Schuld an der Eskalation. Russland müsse den Bedrohungen, denen es ausgesetzt sei, voll und ganz gerecht werden, sagte er. "Um unser Mutterland, seine Souveränität und territoriale Integrität zu schützen und die Sicherheit unseres Volkes und der Menschen in den befreiten Gebieten zu gewährleisten, halte ich es für notwendig, den Vorschlag des Verteidigungsministeriums und des Generalstabs zu unterstützen", betonte Putin bei einer im Fernsehen übertragenen Rede.
    Als sicher gilt, dass Russland mit der Teilmobilmachung und der Entsendung weiterer Soldaten aus der Defensive kommen will, in die es im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive im Süden und Osten der Ukraine gekommen war.

    Wer ist von der Teilmobilmachung betroffen?

    Bei einer allgemeinen Mobilmachung werden Männer aus der Bevölkerung für die Armee eingezogen. Die Teilmobilmachung betrifft dagegen nur einen bestimmten Teil. Nach Angaben von Putin werden Reservisten mobilisiert, die bereits gedient haben und über "einschlägige Erfahrungen" verfügen. Verteidigungsminister Schoigu wurde etwas konkreter und sprach von Reservisten mit Kampferfahrung. Wehrpflichtige und Studenten seien nicht betroffen, sondern ausschließlich Reservisten mit Kampf- und Diensterfahrung.
    Nach Angaben von Schoigu sollen 300.000 Reservisten betroffen sein. Potenziell könnten bis zu 25 Millionen Russen mobilisiert werden, sagte er. Zuvor hatte es Gerüchte über eine bevorstehende Generalmobilmachung gegeben.

    Wie sicher ist die Zahl 300.000?

    Die genaue Zahl sei tatsächlich unklar, berichtete Deutschlandfunk-Korrespondentin Gesine Dornblüth (Audio-Link). Denn die in Putins Erlass genannte Zahl sei geheim gehalten worden. Laut dem russischen Menschenrechtsanwalt Pawel Tschikow habe es auch erste Einberufungen von Ärzten in Moskau gegeben.

    Welche Konsequenzen hat die Teilmobilmachung noch?

    Nach Angaben von Dornblüth gibt es unbestätigte Berichte, wonach Männer an der Ausreise aus Russland gehindert werden sollen. Das deckt sich mit dem Gesetz „Über die Mobilmachung in Russland“. Demnach müssen sich Russen im wehrpflichtigen Alter an ihrem Wohnort aufhalten. "Bürgern, die (als Reservisten) im Militärregister erfasst sind, ist ab dem Moment der Mobilisierung das Verlassen des Wohnorts ohne Genehmigung der Militärkommissariate und der für Reserven zuständigen Exekutivorgane verboten", heißt es darin.
    Laut dem Leiter des Verteidigungsausschusses in der Duma, Kartapolow, betrifft die Einschränkung der Reisefreiheit vor allem Auslandsurlaube. Flugbuchungen etwa in die Türkei waren nach dem Erlass auf einschlägigen Portalen im Internet nicht mehr möglich. Die ARD-Korrespondentin Martha Wilczynski berichtete von einer Unruhe in der russischen Bevölkerung. Internationale Beobachter gehen davon aus, dass Putins Entscheidung den Wunsch von qualifizierten Arbeitskräften zur Auswanderung aus Russland weiter vergrößern dürfte.

    Wo sollen die Reservisten dienen?

    Die Reservisten sollen laut Schoigu die russischen und separatistischen Kräfte im Süden und Osten der Ukraine verstärken. Sie sollen entlang und hinter der "über 1.000 Kilometer langen Frontlinie" eingesetzt werden. Konkretere Angaben machte er nicht.

    Wann sind die Reservisten einsatzfähig und was bringt die Teilmobilmachung?

    Der Erlass trat sofort in Kraft. Die Teilmobilmachung sollte bereits heute beginnen. Fraglich ist jedoch, welchen militärischen Nutzen die Teilmobilmachung hat. Ein Teil der Rekruten dürfte kurzfristig mit schlechter Ausbildung, wenig Erfahrung und niedriger Moral in die Schlacht ziehen müssen. Also mit Problemen, die mitverantwortlich für das bisherige militärische Scheitern Russlands sind. Sollten die Reservisten zuvor noch eine umfangreiche Ausbildung erhalten, dann wäre die Teilmobilmachung nur langfristig von Vorteil für Moskau und nicht schon kurzfristig.

    Weiterführende Informationen

    In unserem Newsblog zum Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen finden Sie einen Überblick über die jüngsten Entwicklungen, den wir laufend aktualisieren.
    Diese Nachricht wurde am 21.09.2022 im Programm Deutschlandfunk gesendet.