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"Was besser würde, wären zum einen die Leistungen"

Am Sonntag stimmt Hamburg in einem Volksentscheid über die Schulreform ab, die die Einführung einer sechsjährigen Primarschule vorsieht. Mit Walter Scheuerl, Initiator der Bürgerinitiative "Wir wollen lernen", und Stefanie von Berg, Sprecherin von "Die Schulverbesserer", diskutieren ein Gegner und eine Befürworterin der Reform miteinander.

Walter Scheuerl und Stefanie von Berg im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Eigentlich, politisch gesehen, könnte die Sache klar sein. Alle Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft sind dafür, die neue Primarschule einzuführen. Auch die CDU unter Bürgermeister Ole von Beust. Die Hamburger Kinder sollen künftig sechs Jahre zusammen lernen und nicht mehr nur vier wie bislang. Das bedeutet, dass das Gymnasium damit faktisch erst mit Klasse 7 beginnen würde. Aber die Politik hat unterschätzt, welchen Widerstand die sogenannte Primarschule in Hamburg auslösen würde. Auch Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der leidenschaftlich für die Primarschule kämpft, obwohl sie eigentlich ursprünglich eher eine Idee der Grünen ist, und in Hamburg gibt es ja eine schwarz-grüne Koalition. Übermorgen also Volksabstimmung in der zweitgrößten Stadt Deutschlands, und die schwarz-grüne Stadtregierung hat schon gesagt, das Ergebnis dieser Abstimmung wird bindend sein.
    Ich begrüße Stefanie von Berg von der Initiative "Die Schulverbesserer". Sie ist für die Reform, also für sechs Jahre Primarschule. Guten Morgen, Frau von Berg.

    Stefanie von Berg: Ja! Einen wunderschönen guten Morgen!

    Meurer: Und ebenfalls in der Hansestadt begrüße ich Walter Scheuerl, Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen". Er hat den Volksentscheid gegen die Reform erzwungen. Guten Morgen, Herr Scheuerl.

    Walter Scheuerl: Guten Morgen!

    Meurer: Frau von Berg, an Sie die erste Frage (von den Schulverbesserern). Was würde besser mit langer Primarschule?

    von Berg: Wir müssen anfangen da, wo die Probleme in dieser Stadt liegen, in der Hansestadt Hamburg, und das sind erst mal schlechte Leistungen, die mehrfach durch Studien belegt wurden, und auch ein extremes Maß an sozialer Ungerechtigkeit. Und was besser würde, wären zum einen die Leistungen. Es wird ja immer gesagt, die Leistungen würden schlechter werden durch die Primarschule. Das sehen wir genau anders, weil der fachliche Unterricht durch auch Lehrkräfte der weiterführenden Schulen schon ab Klasse 4 beginnen soll. Das heißt, da wird den Gymnasien faktisch nichts weggenommen und dem gymnasialen Lehrplan. Zugleich wird ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit realisiert werden können durch die Einführung eines modernen Unterrichtes, der sogenannten neuen Lernkultur, die faktisch aber aus der Reformpädagogik abgeleitet ist, also schon fast 100 Jahre alt ist. Und wir sind ganz sicher, dass das den Kindern mit einer schlechteren Lernausgangslage auch ermöglichen wird, nach und nach aufzuholen diese teilweise zweieinhalb Jahre Unterschied, obwohl sie nicht dümmer sind als die anderen Kinder.

    Meurer: Argumente für die Reform?

    von Berg: Genau!

    Meurer: Herr Scheuerl, warum haben Sie den Volksentscheid dagegen angezettelt?

    Scheuerl: Weil die Verlängerung der Grundschulzeit schlicht die schlechtere Schulform ist. Wir sehen in Bundesländern, die das versucht haben in den zurückliegenden Jahren, Berlin und Brandenburg - die haben eine sechsjährige Grundschule -, dass dort die Leistungen am unteren Ende im Ländervergleich der deutschen Bundesländer liegen. Und Berlin zum Beispiel, wo auch alle diese Elemente dieser sogenannten neuen Lernkultur versucht werden, jahrgangsübergreifendes Lernen und all diese Dinge, gerade in Berlin sind die Kinder mit Migrationshintergrund besonders benachteiligt. Die liegen in der 9. Klasse deutlich im Vergleich zu allen anderen Bundesländern hinter den anderen Schülern zurück. Das heißt, diese Fördereffekte, die aus ideologischen Gründen mit dieser sechsjährigen Grundschule verbunden werden, die treten nicht ein. Das zeigt die Praxis und wir denken uns, Hamburg sollte sich lieber an erfolgreichen Bundesländern wie Sachsen oder Bayern orientieren, die vier Jahre Grundschule haben, und Sachsen zum Beispiel hat eine Stadtteilschule und Gymnasien nebeneinander. Das ist das Modell, was wir in Hamburg auch haben werden, nach den Sommerferien, so dass jeder Schüler, auch wenn er sich langsamer entwickelt, dann in der Stadtteilschule zum Beispiel das Abitur nach Klasse 13 machen kann, im Gymnasium nach Klasse 12.

    Meurer: Die Stadtteilschule, ganz kurz gesagt: in Hamburg wird zusammengelegt Hauptschule, Realschule und Gesamtschule.

    Scheuerl: Genau.

    Meurer: Es gibt also zwei Formen, Gymnasium und Stadtteilschule. – Frau von Berg, ignorieren Sie die Erkenntnisse aus anderen Ländern?

    von Berg: Nein, wir ignorieren die auf gar keinen Fall. Wir können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir haben einen Stadtstaat hier und wenn der Vergleich mit Berlin herangezogen wird, so ist das einfach nicht richtig, dass die Berliner ganz schlecht abschneiden, oder schlechter abschneiden als Hamburg aufgrund der längeren Schulzeit. Erst mal ist es nicht richtig, dass in Berlin flächendeckend neue Lernkultur eingeführt wurde. Das ist einfach nicht richtig. Einzelne Schulen machen das, das hat aber nichts mit einer flächendeckenden Einführung zu tun, so wie es jetzt geplant ist und auch schon durchgeführt wird an vielen erfolgreichen Grund- und zukünftigen Primarschulen. Es ist keine flächendeckende Fortbildungsoffensive dem vorangegangen, so wie es im Moment der Fall ist. Es läuft diese Fortbildungsoffensive schon lange und hat wirklich ganz viele Lehrerinnen und Lehrer erreicht bis jetzt. Zusätzlich zu Berlin möchte ich mal sagen: Es gibt ja die sogenannte Elementstudie. Da hat man bei einer Reanalyse von Herrn Baumert festgestellt, dass man, wenn man statistische Zwillinge bildet von Kindern, die zur sechsjährigen Grundschule gegangen sind – das ist wirklich eine Grundschule in Berlin und keine Primarschule; das ist eine ganz neue Schulform in Hamburg -, verglichen mit den gymnasialen Kindern dort (sieben Prozent dürfen jetzt in die grundständigen Gymnasien gehen), dass dort nicht nur nicht schlechtere Leistungen waren, sondern teilweise sogar etwas bessere Leistungen.

    Meurer: Aber der Bildungsforscher Jürgen Baumert, auf den Sie sich berufen, sagt nicht, dass er sechs Jahre Grundschule empfiehlt.

    von Berg: Nein, er sagt etwas anderes. Er sagt, es gibt keine Evidenz dafür, dass das längere gemeinsame Lernen in einer verlängerten Grundschule besser sein wird. Das ist auch tatsächlich richtig, weil es diese Schulform noch gar nicht gibt. Wir führen eine komplett neue Schulform in Hamburg ein, mit diesen Veränderungen, die ich vorhin schon auch angedeutet habe: also fachlicher Unterricht ab Klasse 4, kleinere Klassen, Englisch-Unterricht ab Klasse 1, spezielle Förderprogramme, ein eigenes Profil für jede Primarschule. Das ist nicht das, was im Moment in Berlin durchgeführt wird. Da ist es eine verlängerte Grundschule.

    Scheuerl: Aber, Frau von Berg, Sie wissen, die eigenen Profile von den Grundschulen würden dazu führen, wenn wir das in den Grundschulen machen, dass die Eltern sich schon vor der ersten Klasse entscheiden müssten. Das ist absurd, weil die Kinder dann noch gar nicht in der Schule waren und keiner dann weiß, in welche Richtung und welches Profil wirklich gut ist für das eigene Kind. Also das ist Augenwischerei. Und wenn Sie sagen, es ist eine ganz neue Schule; alle Elemente dieser sogenannten neuen Lernkultur gibt es in verschiedener Form bisher in den letzten Jahrzehnten schon längst in ganz verschiedenen Schulformen, ohne großen Erfolg. Dieses jahrgangsübergreifende Lernen und individualisierte Lernen ist letztlich das, was sie früher in den Dorfschulen, in den Zwergenschulen hatten, wo letztlich nur ein Klassenraum zur Verfügung stand. Das führt nicht zu besserer Schule.

    von Berg: Nein, Herr Scheuerl, wir reden einfach aneinander vorbei. Ich glaube – das habe ich in den letzten Monaten und Jahren verfolgt -, dass Sie von neuer Lernkultur einfach nicht viel verstehen. Ich bin erstens Mutter eines Kindes, der an einer Schule unterrichtet wird, und ich habe da viel hospitiert, bin außerdem selber Lehrerin und in der Lehrerausbildung tätig. Also es ist einfach so, dass ich da einfach mehr von verstehe. Herr Scheuerl, Sie reden von der neuen Lernkultur wie ein Blinder von den Farben. Das hat nichts mit einer Volksschule zu tun!

    Scheuerl: Frau von Berg, an Ihrer Grundschule hat die Hälfte der Kinder gerade mal die Gymnasialempfehlung bekommen, während in allen Nachbarschulen ein höherer Anteil die Gymnasialempfehlung bekommen hat. Die neue Lernkultur kann funktionieren in der Grundschule, wo es um Grundfertigkeiten geht, Lesen, Schreiben, Rechnen, ein bisschen Sachkunde, Musik und Kunst. Für die Grundschule ist das völlig in Ordnung. Aber ab Klasse 5 ist es wichtig, dass wir das System bekommen, was noch in der letzten Legislaturperiode von allen Parteien sinnvollerweise nach zwei Jahren Arbeit in der Enquete-Kommission empfohlen wurde, nämlich Grundschule bis Klasse 4, freies Elternwahlrecht und dann die Stadtteilschulen mit der Möglichkeit, jeden Schulabschluss dort zu machen, auch für die Spätentwickler, und daneben die Gymnasien mit Abitur nach Klasse 12.

    von Berg: Erst noch mal zu der Grundschule Rellinger Straße, über die wir uns unterhalten. Diese Grundschule liegt im Keff-3-Gebiet und hat das zweitbeste Gymnasialempfehlungsergebnis, wenn man das überhaupt als Output-Kriterium oder Qualitätskriterium nennen will. Zweitens ist es mit der Enquete-Kommission so, dass es dort deutliche Minderheitenvoten gab. Das ist keine Empfehlung gewesen, die von allen unterstützt wurde.

    Scheuerl: Die GAL wollte die Gesamtschule bis Klasse 9 als Zwangsmodell. Das ist richtig.

    von Berg: Das ist richtig, genau. Es wurde sich nämlich für längeres gemeinsames Lernen eingesetzt. Und noch mal zur neuen Lernkultur, dass es nur in Deutsch oder sonst irgendwas funktionieren kann. Es gibt hervorragende Stadtteilschulen, die bereits beweisen, dass es sehr gut im weiterführenden Bereich geeignet ist. Die haben sehr gute Ergebnisse, die liegen teilweise ein Jahr den anderen Schulen voraus im Lernerfolg, und das zeigt, dass es sehr gut geht mit neuer Lernkultur auch im weiterführenden Bereich.

    Scheuerl: Das hat aber nichts mit der Verlängerung der Grundschule um zwei Jahre zu tun, und allein darum geht der Volksentscheid.

    von Berg: Aber Sie haben gerade gesagt, es geht nur in Sachkunde. Doch, es hat sehr wohl was damit zu tun, weil es ganz deutlich zeigt, dass man das auch in Klasse 5/6 und übrigens auch noch weiterhin durchführen kann, und es kann nicht sein, dass man nur sagt, na ja, neue Lernkultur ein bisschen hier und da. Es ist einfach nicht richtig. Man kann es flächendeckend einführen, es wird auch schon eingeführt und es ist sehr erfolgreich im System.

    Scheuerl: Ja, aber Sie brauchen doch da für – das ist doch kein Argument – die Klassen 5/6 von den weiterführenden Schulen für Hunderte von Millionen, die Hamburg nicht hat nebenbei - wir haben ein Haushaltsloch von 500 Millionen Euro im nächsten Haushaltsjahr – Hunderte von Millionen Kredit aufzunehmen, um organisatorisch die Klassen 5/6 von den weiterführenden Schulen, die gute Stadtteilschulen und gute Gymnasien sein könnten, umzubauen und an den Grundschulen anzugliedern.

    Meurer: Die unterschiedlichen Ansätze sind klar geworden. Entschuldigung, wenn ich mal ganz kurz dazwischen gehe. Ich würde mal gerne von Herrn Scheuerl wissen: "Die Zeit" hat Ihnen mal vorgeworfen und Ihrer Initiative mit dem Volksentscheid, das ist ein Gutschi-Aufstand.

    Scheuerl: Ja, klar. Wenn gute Argumente kommen, dann versucht die Gegenseite, irgendetwas zum Angreifen zu finden. Wir sind eine Volksinitiative aus allen Stadtteilen und die 184.500 Unterschriften, die wir im Volksbegehren gesammelt haben, zeigen schon, dass es überhaupt nichts Elitäres ist, oder nicht von irgendeiner kleinen Klicke, sondern von der ganzen Stadt getragen wird. Es ist ja auch gerade so, dass wir vor allem auch von Familien mit Migrationshintergrund unterstützt werden, weil gerade die sagen, es ist so toll, dass wir in Deutschland ein System haben, wo wir kostenlos, also ohne Schulgeld zahlen zu müssen, die Möglichkeit haben, unsere Kinder im Alter von elf Jahren dann auf Gymnasien zu schicken, und künftig haben wir dann sogar noch Stadtteilschulen.

    Meurer: Also, Frau von Berg, doch kein Gutschi-Aufstand, nicht nur die Besserverdienenden, die mit den Schmuddelkindern nichts zu tun haben wollen?

    von Berg: Ich meine, am Anfang haben Sie O-Töne eingespielt und ich habe jetzt wochenlang Flyer verteilt und bin viel mit Menschen ins Gespräch gekommen. Was mich wirklich erschüttert, sind immer wieder diese Aussagen, dass sie sagen, sie möchten so früh wie möglich ihre Kinder ins Gymnasium stecken, damit sie einfach mit Deutschen zusammengehen. Das habe ich einfach ganz viel gehört.

    Scheuerl: Aber das ist ein unsinniges Argument, Frau von Berg. Das wissen Sie! Die Hälfte der Hamburger Kinder quer durch die Stadt geht auf die Gymnasien.

    von Berg: Herr Scheuerl, lassen Sie mich bitte jetzt mal ausreden. Herr Scheuerl!

    Scheuerl: Die Hälfte – das sind nicht irgendwelche Eliten, das ist die Hälfte aller Kinder.

    Meurer: So! – Ganz kurz noch die Antwort von Frau von Berg.

    von Berg: Ja. Zum zweiten Teil, dass ganz viele Eltern mit Migrationshintergrund die Initiative stützen; das erschüttert mich jetzt noch mehr und verwundert mich auch sehr, weil alle, ausnahmslos alle migrantischen Elternvereine, interkulturelle Elterninitiativen, die türkische Gemeinde und so weiter und so fort die Primarschule unterstützen. Das kann nicht sein, das sind vielleicht Einzelfälle. Aber die ganz große Mehrheit der Migrantinnen und Migranten unterstützen die Primarschule.

    Scheuerl: Frau von Berg, ...

    Meurer: Wir sind gespannt, die Diskussion geht weiter. Wir sind gespannt, Entschuldigung, wie der Volksentscheid am Sonntag in Hamburg über die Verlängerung der Grundschule von 4 auf 6 Jahre ausgehen wird. Ich sprach mit Stefanie von Berg von der Initiative "Die Schulverbesserer" und mit Walter Scheuerl, Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen". Danke für die lebhafte Debatte, Frau von Berg und Herr Scheuerl. Auf Wiederhören!