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Was bleibt nach sieben Jahren?

Gerhard Schröder, der siebte Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik und das harte Brot der Reformpolitik. Heute der Abschied vom Bundeskanzleramt, nach einer Amtszeit von 7 Jahren, 26 Tagen und einem wohl inszenierten Abgang, Großer Zapfenstreich mit dem symbolträchtigen Kanzler-Motiv inklusive.

Von Karl-Heinz Gehm |
    " Wir sind in den letzten Jahren einen guten Weg gegangen. Für unsere Partei, für unser Land. Und ich möchte diesen Weg mit meiner SPD weitergehen. Solidarisch aber frei."

    Er agierte auf seine Weise, und der Weg, den Schröder gehen musste, war steinig, selbst als er ganz oben stand, als Kanzler. Und so hängen mit dem Abgang Schröders die Pulverschwaden noch dicht über dem politischen Schlachtfeld, derweil die Erben bereits munter darüber streiten, was da eigentlich hinterlassen wurde. Und nicht wissen, ob ihre Politik erfolgreicher sein wird als die des scheidenden Kanzlers.

    Schröder und die Seinen aber, das war beileibe nicht immer so, sind derweil längst mit sich im reinen:

    Schröder:
    " Es waren sieben gute Jahre, für unser Land, für die Menschen in unserem Land, letztlich, dass wird sich erweisen, trotz schmerzlicher Niederlagen auch für unsere Sache."

    Müntefering:
    "Zwei Dinge vor allen werden bleiben: Der Mut zur Erneuerung und aus diesem Land eine friedliche, selbstbewusste Macht zu machen, die im internationalen Konzert sagt, wir entscheiden selbst über das, was wir international tun. "

    Schröder, auf dem Kanzlerpostament großzügigst mit der Gloriole des Friedens- und des Reformkanzlers versehen.

    Die Realität aber, die Haben-Seite des Kanzlers Schröder, modifiziert manches.

    Die Ära Schröder ist die Geschichte eines Aufsteigers, eines Kämpfers, der seine Erfolge erringt dank herausragender Fähigkeiten. Etwa im Umgang mit Menschen, dem kleinen Mann auf der Straße, den er begeistern und mitnehmen kann wie dem Konkurrenten, den er ohne sonderliche Skrupel aus dem Weg räumt oder dem politischen Gegner, den er, je nach Bedarf, öffentlich vorführen, einbinden oder austricksen kann.

    Schröder, der wie kein anderer Stimmungen vorausahnen und für sich nutzen kann, wenn es sein muss auch nach kühnen Wendemanövern. Schröder, der Medienkanzler, hochprofessionell, begabt wie kaum einer seiner Vorgänger im Umgang mit Presse und Fernsehen. Der geborene Wahlkämpfer also.

    Nach elend langen Jahren der SPD in der Opposition, nach dem Verschleiß von vier Kanzlerkandidaten, gelingt es endlich dem fünften. Jenem, der schon in seiner Spätjusozeit nächtens mit dem legendären Ruf "Ich will da rein!" an den Gittern des Kanzleramts gerüttelt hatte. 1998 wird Schröder der Triumphator:

    Thierse:
    " Mit Ja haben gestimmt, 351 (Beifall). Damit hat der Abgeordnete Gerhard Schröder die erforderliche Mehrheit erhalten und ist zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt."

    Schröder, der Mann der "neuen Mitte." Jener aus der SPD-Doppelspitze mit Lafontaine, die nach 16 zuletzt bleiernen Jahren der Ära Kohl die SPD erfolgreich auf Regierungskurs getrimmt hat. Schröder, der angetreten war mit dem Versprechen, die überfällige Erneuerung des Landes voranzutreiben.

    Ein Modernisierer, Seit an Seit mit dem Traditionalisten Lafontaine eindringlich die Solidarität beschwörend: :

    Schröder:
    " Dieses Zusammenstehen in schwierigen Zeiten, dass ist keine Eintagsfliege, das wird dauern, das war die Basis unseres Wahlerfolges und das wird die Basis des Erfolges unserer Regierung sein."

    Lafontaine:
    " Unzertrennlich, Zwillinge, na ja."

    Genau so ist es. Nach nur vier Monaten Regierungszeit zerbricht die SPD-Doppelspitze. Der ehrgeizige Lafontaine wird vom Machtmenschen Schröder herausgemobbt. Im Schatten des Kanzlers wirft Lafontaine, der Finanzminister und Parteivorsitzende, die Brocken hin. Eine politische Selbstentleibung, einmaliger Vorgang in der langen SPD-Geschichte.

    Gefordert ist jetzt Schröder, dessen Regierung bisher einigermaßen ziellos dahinschlingert. Er übernimmt den SPD-Vorsitz:

    Schröder:
    " Da wird viel darüber geschrieben, die Partei liebe mich nicht. Ich finde, dass was da geschrieben wird auch schon ein Stückchen Richtigkeit hat. Was ich möchte ist was ganz anderes. Ich möchte, durch meine Arbeit Euren Respekt, Eure Unterstützung, und ich möchte, liebe Genossinnen und Genossen, irgendwann mal sagen können, nachdem ich bewiesen habe, dass ich für die Ziele der SPD arbeiten kann, habe ich sogar Zuneigung verdient."

    Ein, damals, kühner Wunsch Schröders, der bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden in einer Krisensituation und ohne Konkurrenten gerade einmal bescheidene 75 Prozent der Delegiertenstimmen erhält.

    Schröder aber, unbeeindruckt, macht eine anspruchsvolle Vorgabe:

    Schröder:
    "Ich habe das Amt, das mir angetragen worden ist, angenommen, weil ich mit dafür sorgen will, dass dort, wo es notwendig ist, die programmatischen Grundlagen in einer offenen Diskussion fortentwickelt werden. "

    Tatsächlich versucht Schröder, die programmatischen Grundlagen ohne die Partei weiterzuentwickeln. Denn schon zwei Monate nach seiner Wahl präsentiert er in London gemeinsam mit Tony Blair ein Papier mit dem sperrigen Titel "Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten." Das Schröder-Blair-Papier - ein Fiasko.

    Einen Wettbewerb um die besten Ideen unter den sozialdemokratischen Parteien Europas wollten beide anstoßen, Entstanden war ein Papier, das zum falschen Zeitpunkt auf eine völlig unvorbereitete Öffentlichkeit traf mit entsprechend kontraproduktivem Ergebnis.

    Wo Schröder eine neue Balance zwischen wirtschaftlicher Dynamik auf der einen und sozialer Gerechtigkeit auf der anderen Seite herstellen wollte, wo der Sozialstaat nicht als Hängematte, sondern als Trampolin begriffen werden sollte,
    wo ein neues Verhältnis zwischen Eigenverantwortung und staatlicher Hilfeleistung gefordert wurde, da brach in einer unvorbereiteten SPD ein chaotisches Sommertheater los, mit fatalen Folgen beim Wahlvolk: der Genosse Trend begab sich auf die Flucht.

    Parteienforscher Peter Lösche zum Schröder-Blair-Papier:

    "Guckt man auf den Inhalt, dann findet man recht wenig außer einigen geschickten Formulierungen, die von Werbefachleuten stammen, nämlich von Bodo Hombach und Peter Mendelsson. Im Übrigen aber ist das Signal, dass von dem Papier ausgegangen ist, dass, wir betreiben jetzt eine neoliberale Politik. "

    In jenem Sommer legt der neue Finanzminister Eichel sein Sparpaket vor, das von wahlkämpfenden SPD-Granden konterkariert wird. Das Thema Gerechtigkeitslücke macht Furore. Die sozialdemokratische Seele schmerzt, die Serie der Wahlniederlagen reißt nicht ab und die Londoner Times äußert, die Frage sei jetzt, wie schnell Schröder fallen werde.

    Keine Begeisterung für die Politik des Kanzlers. Permanentes Nachbessern ist angesagt, Flexibilität auf der Regierungsbank wird groß geschrieben, acht Minister treten in der ersten Legislaturperiode zurück. Im Bundesrat geht die Mehrheit verloren, trotz spektakulärer Akzente, die von Rot-Grün gesetzt werden: Atomausstieg, Steuerreform, Green-Card-Initiative, das neue Staatsbürgerschaftsgesetz und die Rentenreform mit Einführung der privaten Altersvorsorge. Um
    die durchzusetzen, muss der Kanzler auch gegenüber den Gewerkschaften äußerst massiv auftreten. Je nach Bedarf setzt Schröder auf Konsens- oder Konfliktstrategie:

    " Unsere Konzeption ist also, dass Rentensystem für die Älteren so sicher wie in dieser Welt möglich zu machen, es aber zugleich für die Jüngeren bezahlbar zu halten, also eine zweite Säule hinstellen, damit das gesamte System auch in Zukunft tragfähig bleibt. Es ist notwendig und wir werden es machen, Basta."

    Die Politik der Machtworte beginnt. Die lahmende Wirtschaft pulverisiert die ökonomischen Zieldaten, der Druck nimmt zu. Der Wahlkampf wird einmal mehr zur großen Herausforderung für Schröder.

    Elbeflut und die im Zuge der Terroranschläge heraufziehende Irak-Krise nutzt Schröder als seine Wahlkampfthemen, und die Außenpolitik wirkt wieder einmal Wahl entscheidend.

    Schon sehr bald nach Beginn seiner Amtszeit muss Schröder außenpolitisches Profil entwickeln. Seine Regierung hat im Rahmen des Kosovo-Konflikts den ersten deutschen Militäreinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten.
    Eine Pflicht, so Schröder, aus der sich auch Rechte ableiten:

    Schröder:
    " Die Einheit hat nicht nur die Einheit unseres Landes, Gott sei dank vollzogen, sondern uns auch die volle Souveränität gegeben. Volle Souveränität heißt, auch volle Pflichten im Bündnis. Das war doch der Grund, warum wir uns im Kosovo beteiligt haben, um Menschen zu schützen, in Mazedonien, im Rahmen von "Enduring Freedom" und in Afghanistan. Jetzt kommt das Entscheidende. Wer in dieser Weise seine Verpflichtungen erfüllt, der wird sich damit das Recht, dem Partner zu sagen, hier seid ihr auf dem Weg, den wir nicht für richtig finden."

    Die Situation kommt schneller als erwartet. Im Irak. Schröder, der nach den Terroranschlägen vom 11.September dem amerikanischen Präsidenten die "uneingeschränkten Solidarität Deutschlands" versichert hatte, der eine Beteiligung der Bundeswehr an einer internationalen Militäroperation in Afghanistan sicherstellt und dies mit einer Vertrauensfrage im Bundestag verbindet, er stellt sich im Fall Irak gegen die Politik Bushs. Seine Argumentationslinie ist mutig und sie ist durchgängig. Trotz vieler Widerstände und heftiger Kritik, bei der Opposition wie beim amerikanischen Bündnispartner, Schröder hält Kurs:

    " Spielerei mit Krieg und militärischer Intervention, davor kann ich nur warnen, dass ist mit uns nicht zu machen, meine Damen und Herren."

    Ein Kanzler, der sich allen Verdächtigungen widersetzt, er betreibe eine anti-amerikanische Politik, Schröder, der Steher. Aber auch ein Kanzler, der sich bei der Elbeflut in der heißen Phase des Wahlkampfes in der für ihn typischen Macher-Manier präsentiert. Schröder nutzt diese Themen wie kein anderer. Konkurrent Stoiber bleibt auf der Strecke, die SPD hat am Wahlabend im Fotofinish die Nase vorn, und Schröder zieht seine Bilanz:

    " Wir hatten diese Wahl auf der Ebene der Parteienkonkurrenz faktisch verloren. Und wir haben sie dann auf der Ebene der Personenkonkurrenz gewonnen."

    Was Helmut Schmidt und selbst Willy Brandt nie gelungen war - Schröder schafft es. Seine Wahlsiege machen zweimal in Folge die SPD zur stärksten Fraktion im Deutschen Bundestag. Rot-Grün erhält mit Schröder und Fischer eine neue Chance:

    Schröder:
    " Mehrheit ist Mehrheit, und wenn wir sie haben, werden wir sie nutzten, liebe Freundinnen und Freunde, das ist eindeutig."

    Fischer:
    " Wir wollen vier energische Neuerungsjahre anpacken für Wachstum, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit."

    Leicht gesagt. In Berlin nämlich bahnt sich nach dem Wahlsieg der Rot-Grünen eine Zitterpartie an. Die Koalition hat im Bundesrat eine Mehrheit gegen sich und verfügt im Bundestag gerade einmal über eine Mehrheit von vier Mandaten. Enger war es nie in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

    Die Koalition aber, ein Deja-vu-Erlebnis, geht wieder einmal unvorbereitet und mit gewohnter Nonchalance ans Werk. Dabei werden die Konjunkturaussichten trüb und trüber, die Sozialsysteme ächzen, die Finanzen geraten ins Schlingern. Der Kanzler, neue Erfahrung, wird zum Objekt öffentlichen Spotts und gibt sich indigniert:

    "Ich erhöh' Euch die Steuern, gewählt ist gewählt, ihr könnt mich jetzt nicht mehr feuern, das ist ja das Geile an 'ner Demokratie."

    Schröder:
    "... weiß ich, dass es Trittbrettfahrer gibt, die parasitär Geld verdienen wollen, und das auch tun. Aber bitteschön, was soll ich mich drüber aufregen."

    Einzig die Außenpolitik stabilisiert die ins Schlingern geratene Regierung. Schröder geht von seinem strikten Antikriegskurs in der Irak-Politik nicht ab, sehr zum Ärger Washingtons:

    Schröder:
    " Rechnet nicht damit, dass Deutschland eine den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt. "

    Und so steht das "alte Europa", angeführt von Schröder und Jacques Chirac, gegen die Politik der Bush-Administration, überzeugt, wenn auch auf verlorenem Posten:

    Schröder:
    " Ich habe für Deutschland deutlich gemacht, dass wir einer Legitimierung von Krieg nicht zustimmen können."

    Chirac:
    " Das ist die gemeinsame Außenpolitik, was gerade gesagt worden ist."

    Während Schröder in seiner Außenpolitik die übergroße Mehrheit des Wahlvolks hinter sich weiß, wirkt er in der Innenpolitik wie gelähmt. Ein halbes Jahr nach dem Wahlsieg gibt er endlich mit der Agenda 2010 die Reformrichtung vor:

    Schröder:
    " Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen. Alle Kräfte der Gesellschaft, werden Ihren Beitrag leisten müssen, Unternehmer und Arbeitnehmer, freiberuflich Tätige und auch Rentner. Wir werden eine gewaltige gemeinsame Anstrengung unternehmen müssen, um unser Ziel zu erreichen, aber ich bin sicher, wir werden es erreichen."

    Innerparteilich gerät die SPD unter Hochspannung. Die Parteilinke spricht von Erpressung, und Schröder droht mit Rücktritt:

    Schröder:
    " Mein politisches Schicksal will ich ganz bewusst verbinden mit der Durchsetzung dieser Reformforderung."

    Stimmen aus der Partei:
    " Ich will damit sagen, dass wir den Eindruck haben und wir, dass ist die Partei in dem Fall, dass diese Regierung konzeptlos, perspektivlos, instinktlos ist."

    " Ich finde das ein bisschen feige und kleinkariert, dass manche sich hier so vom Acker machen. "

    Schröder muss schließlich der Erinnerung der Agenda-Gegner auf die Sprünge helfen:

    " Guckt mal genau hin, wie das 1982 gelaufen ist. Guckt noch genauer hin, wie lange es gedauert hat, bis man wieder dran war."

    Die Agenda 2010, Hartz IV die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe inklusive, passiert schließlich den Bundestag. Im Bundesrat setzt die Union, um die Reformgesetze zustimmungsfähig werden zu lassen, eigene Vorstellungen durch - und an den Wahlurnen wird die SPD weiter abgestraft.
    Schröder zieht die Notbremse, und Angela Merkel zieht den richtigen Schluss:

    " Es ist der Anfang vom Ende dieses Bundeskanzlers."

    Schröder tritt als SPD-Vorsitzender zurück - und gibt sich kämpferisch:

    " Dieser Wechsel im Amt ändert nichts daran, dass unsere Politik notwendig ist und richtig. Wir halten Kurs, was beschlossen ist wird nicht verändert."

    Dafür steht auch Franz Müntefering ein, der neue Parteivorsitzende:

    " Es ist das schönste Amt neben Papst, Vorsitzender der SPD zu sein."

    Die Freude aber legt sich bald. Zum Jahresbeginn springt die Arbeitslosenzahl über 5 Millionen, dann bringt die Visa-Affäre den Außenminister und grünen Spitzenmann Joschka Fischer ins Schleudern:

    " Die Verantwortung liegt bei mir. Schreiben sie rein, Fischer is' schuld."

    Dann geht die Wahl in Schleswig-Holstein verloren. Desaströs schließlich das Fiasko der SPD im Stammland Nordrhein-Westfalen, und kühn der Rettungsversuch, verfassungsrechtlich wie politisch. Das rot-grüne Projekt, das nie eines war, wird versenkt. Jetzt stehen Neuwahlen an, Marke Schröder, mit einem Hauch von Harakiri:

    " Für die aus meiner Sicht notwendige Fortsetzung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen für unabdingbar."

    Schröders versucht, sich eine neue Mehrheit zu verschaffen, nachdem die eigenen Reihen diese Mehrheit in Frage stellen und die Union im Bundesrat die Politik des Kanzlers je nach bedarf blockieren kann.

    Der Wahlkampf. Die SPD, nach endlosen Kontroversen über die Reformpolitik und fast einem Dutzend aufeinander folgender Wahlniederlagen kraftlos, programmatisch am Ende, Anhängsel einer Regierungspolitik, der Erfolge im entscheidenden Wirtschafts- und Sozialbereich bislang ausgeblieben sind.

    Die SPD, im Wahlkampf eigentlich chancenlos. Allein Schröder bläut seiner Partei immer und immer wieder Zuversicht ein:

    " Hinten sind die Enden fett."

    Ein Kanzler, der plötzlich den Schulterschluss mit seiner Partei vollzieht und alles auf eine Karte setzt. Ein Wahlkampfgigant, der um ganze vier Mandate ein Wahlziel zwar verfehlt, ein anderes aber erreicht: das Wahlvolk erteilt neoliberaler Politik eine Absage.

    Die SPD, die schon in den Abgrund geblickt hat, verdankt es allein Schröder, dass sie als Partner in einer Großen Koalition eine neue Perspektive finden kann.

    Der aber zieht am Wahlabend im Fernsehen vom Leder mit einem Schröderschen Machoauftritt, der tagelang geradezu als ABM-Maßnahme für Kommentatoren wirkt:

    Schröder:
    " Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden. Ich meine, wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen. Wenn Frau Merkel eine Koalition hinkriegt mit der FDP und den Grünen, dann kann ich dagegen nichts sagen, aber sie wird keine Koalition unter ihrer Führung mit meiner sozialdemokratischen Partei hinkriegen, das ist eindeutig."

    Schröder irrt, aber er treibt mit seinem Auftritt die Preise hoch, gleiche Augenhöhe der Koalitionspartner. Die SPD jubelt, und Schröder zieht mit seinem Abgang aus der Politik nicht ohne Larmoyanz auch emotional die Register:

    " Ich möchte gerne unter Euch bleiben. Ich weiß, wo ich herkomme und deswegen weiß ich auch, wo ich hingehöre." (Beifall)

    Schröder, der Weichensteller für eine Reformpolitik. Der Richtungsgeber, gescheitert auch an seiner Partei. Der aber hat er mit dem Wahlergebnis einmal mehr demonstriert, zu welchen Leistungen er fähig ist. Gerd Schröder, Bundeskanzler a. D. von morgen an und Rilke-Kenner seit langem:

    " Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird lesen, lange Briefe schreiben und durch die Alleen hin und her langsam wandern wenn die Blätter treiben."