Uli Blumenthal: Piotr Heller, das war ja ein exotischer Wettkampf, wie haben denn die Zuschauer reagiert?
Piotr Heller: Ja, es war etwas Exotisches, etwas Neues. Aber es hat sich angefühlt wie jede andere Sportveranstaltung. Der Wettkampf fand in einem Eishockeystadion nahe Zürich statt. 4500 Plätze: Ausverkauft. Und die Leute haben die gut 70 Piloten – so werden die Teilnehmer genannt – angefeuert wie bei jeder anderen Sportveranstaltung.
Blumenthal: Gab es denn auch dramatische Szenen?
Heller: Mir ist das Finale beim Rennen mit motorisierten Rollstühlen noch in Erinnerung. Vier querschnittsgelähmte Piloten auf vier Bahnen. Sie müssen auf den Rollstühlen Hindernisse überwinden: Treppen, Rampen, Slalom, Türen. Und von Anfang an liegt eine Pilotin aus Hongkong vorne. Sie kommt an das letzte Hindernis, muss vier Treppenstufen herabfahren, braucht aber relativ lange, ihr Rollstuhl macht das auf einer speziellen Raupe. Da holt ein Schweizer Pilot immer mehr auf, kommt an die Treppe. Die Leute jubeln natürlich für ihren jeweiligen Favoriten. Und wirklich auf der letzten Treppenstufe überholt der Schweizer Pilot und gewinnt vor heimischer Kulisse mit fünf Sekunden Vorsprung.
Blumenthal: Das war eine spektakuläre Szene. Was war denn für Sie das interessanteste Ergebnis?
Heller: Das war das Finale beim Armprothesen-Parcours. Bei den Armprothesen gab es wirklich aufwendige Maschinen. Ein Pilot aus Schweden hatte eine Prothese mit Druck-Sensoren an den Fingern, die an seine Nerven angeschlossen waren. Er konnte also mit der mechanischen Hand fühlen. Ein anderer hatte eine spezielle weiche Hand. Und gewonnen hat keiner von den beiden, gewonnen hat Bob Radocy aus den USA. Seine Prothese hatte keine Motoren, er hat sie über einen Seilzug mit den Schultermuskeln gesteuert. Einfachste Technik, aber zur Perfektion entwickelt.
Blumenthal: Manchmal ist die einfachste Technik die Beste, hat sich bei diesem Wettkampf also gezeigt. Aber das Ganze war natürlich mehr als "nur" ein sportlicher Wettstreit.
Heller: Die Idee hinter diesem ganzen Cybathlon ist, die Entwicklung dieser Assistenzsysteme voranzubringen. Robert Riener von der ETH Zürich – das ist der geistige Vater des Cybathlon – er wollte Menschen mit Behinderungen, Forscher und Firmen zusammenbringen. Und er hat die Piloten vor ganz alltägliche Aufgaben gestellt: Es ging also nicht um höher, schneller, weiter. Gewonnen hat, wer besser über eine Rampe kam, wer besser einen Frühstückstisch decken konnte oder wer besser Treppensteigen konnte. Das sollte zeigen, was möglich ist, aber auch, wo es bei der Technik noch hapert: Für viele Exoskelette waren Treppen zum Beispiel ein Riesenproblem. Und durch diese Konkurrenz sollen die Entwickler und Firmen motiviert werden, noch bessere Maschinen zu entwickeln. Und das dürfte den Menschen mit Behinderungen wiederum im ganz normalen Alltag zugutekommen.
Blumenthal: Wird das wirklich passieren? Was ist ihre Einschätzung?
Heller: Es könnte wirklich sein, dass hier etwas Großes begonnen hat. In zwei oder vier Jahren soll es den nächsten Cybathlon geben. Und wenn man sich anschaut, wie positiv die Zuschauer auf den jetzigen reagiert haben, könnte es sein, dass sich die Unternehmen, Forscher und Piloten für das nächste Mal noch mehr anstrengen, um ihre Technologie ins rechte Licht zu rücken und zu zeigen, wie gut sie sind. Das ist ja auch eine gute Werbung. Also: Ja, der Cybathlon hat das Zeug die Technologie bei Prothesen und anderen Hilfsmitteln richtig voranzubringen. Fragt sich nur, ob das Interesse tatsächlich so groß bleibt.
Blumenthal: Was weiß man denn noch über den nächsten – geplanten – Cybathlon?
Heller: Er soll, wenn das kappt, etwas größer werden. Eventuell mehrere Tage dauern und auf jeden Fall mehr Disziplinen umfassen. Etwa für Menschen mit Sehbehinderungen und sogar für Senioren.