Die Frühwarnstufe ist die erste von drei sogenannten Krisenstufen, die im Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland verankert sind. Das Papier wurde erstmals 2012 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erstellt und zuletzt 2019 aktualisiert. Alle EU-Staaten sind laut einer Verordnung zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung verpflichtet, solch ein Papier in der Schublade zu haben.
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat die Frühwarnstufe am 30. März 2022 ausgerufen. Der Grünen-Politiker betonte, die Versorgung mit Gas sei "aktuell gewährleistet". Doch es gibt Ungewissheiten, was die Zukunft betrifft.
Denn die russische Regierung verlangt von "unfreundlichen Staaten", Gaslieferungen aus Russland künftig nur noch in Rubel zu bezahlen. Deutschland und die anderen westlichen Staaten lehnen dies ab, weil es die wegen des Ukraine-Krieges verhängten Sanktionen gegen Russland unterlaufen würde. Sie verweisen darauf, dass in den Verträgen eine Bezahlung in Euro oder Dollar vereinbart wurde.
Rubel oder Euro - Wie wir jetzt Putins Gas bezahlen
Unklar ist jedoch, was passiert, wenn sich die Energieversorger in Deutschland und den anderen westlichen Staaten der russischen Forderung verweigern. Dreht Russlands Präsident Putin dann den Gashahn zu? Vor diesem Hintergrund ist die Aktivierung der Frühwarnstufe zu sehen.
1. Schritt: Frühwarnstufe - noch kein Eingriff des Staates
In der europäischen Verordnung zur Gewährleistung der Energiesicherheit sind die Kriterien für die Ausrufung der einzelnen Krisenstufen formuliert. Zur Frühwarnstufe kommt es demnach in folgendem Fall:
Es liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- bzw. der Notfallstufe führt.
Nach Ausrufung der Frühwarnstufe trat ein Krisenstab zusammen, der aus Vertreterinnen und Vertretern der Behörden sowie der Energieversorgungsunternehmen besteht.
Versorger und Betreiber der Gasleitungen informieren das Bundeswirtschaftsministerium seither täglich über die Lage. Der Staat greift in dieser Phase noch nicht in den Gasmarkt ein.
Vielmehr sollen die Marktteilnehmer dafür sorgen, dass die Gasversorgung gesichert bleibt - etwa indem sie auf den Inhalt der Gasspeicher zurückgreifen.
2. Schritt: Alarmstufe - der Markt soll die Störung alleine bewältigen
Die Alarmstufe wird in Kraft gesetzt, wenn sich die Gasversorgungslage erheblich verschlechtert hat - etwa durch eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas. Der Markt ist aber noch in der Lage, die Störung alleine zu bewältigen, heißt es in der Verordnung.
Die Bedeutung von Gas für die deutsche Energieversorgung
Die Bundesregierung will die Abhängigkeit von russischem Gas verringern und den Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigen. Kann die Versorgungssicherheit gewährleistet werden?
Die Bundesregierung will die Abhängigkeit von russischem Gas verringern und den Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigen. Kann die Versorgungssicherheit gewährleistet werden?
In dieser Phase sind Energieversorger gesetzlich "berechtigt und verpflichtet, sämtliche Gaseinspeisungen, Gastransporte und Gasausspeisungen den Erfordernissen eines sicheren und zuverlässigen Betriebs der Netze anzupassen". Das heißt: Nicht systemrelevanten Kunden dürfen Gaslieferungen vorübergehend gekürzt werden. In den Verträgen der Gasversorger mit Industriekunden sei dies durch spezielle Klauseln geregelt, erklärte auf Anfrage der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Der Staat greift in dieser zweiten Phase noch nicht ein.
3. Schritt: Notfallstufe - Gas wird durch die Bundesnetzagentur verteilt
Letzte Stufe ist die Notfallstufe: Sie wird aktiviert, wenn es eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas gibt oder die Gasversorgung gestört ist oder sich die Versorgungslage durch andere Faktoren erheblich verschlechtert hat. Alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen sind nicht mehr geeignet, die Nachfrage nach Gas zu decken.
In dieser Phase müssen laut dem europäischen Regelwerk "nicht-marktbasierte Maßnahmen" ergriffen werden, um die Gasversorgung sicherzustellen. Der Staat tritt also in Aktion - im Fall Deutschlands in Form der Bundesnetzagentur. Sie wird nun zum "Bundeslastverteiler". Das bedeutet: Sie regelt in Abstimmung mit den Netzbetreibern, wie das noch vorhandene Gas verteilt wird.
Dabei sind bestimmte Verbrauchergruppen besonders geschützt und müssen nach Möglichkeit bis zuletzt mit Gas versorgt werden. Zu ihnen gehören Haushalte, soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, aber auch Gaskraftwerke, weil sie in vielen Haushalten die Wärmeversorgung sicherstellen.
Was Deutschland ein Importstopp kosten würde
Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gibt es Forderungen, russische Energielieferungen sofort zu stoppen. Doch nicht nur die Bundesregierung warnt. Sie befürchtet schwere Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gibt es Forderungen, russische Energielieferungen sofort zu stoppen. Doch nicht nur die Bundesregierung warnt. Sie befürchtet schwere Folgen für die deutsche Wirtschaft.
Die Industrie zählt nicht zu den besonders geschützten Verbrauchergruppen. Betriebe müssen also, wenn die Notfallstufe aktiviert wird, damit rechnen, dass ihnen das Gas abgedreht wird. E.ON-Chef Birnbaum sprach im ARD-Fernsehen von einem "Szenario, das massive Schäden für die deutsche Volkswirtschaft zur Folge hätte".
Die Bundesnetzagentur erklärte, bei ihr liefen alle erforderlichen Vorbereitungen, um auf eine Ausrufung der Notfallstufe vorbereitet zu sein. Schäden seien in einer Notfallstufe kaum zu vermeiden. Es gelte dann, Schäden zu begrenzen.
Reaktionen auf die Ausrufung der Frühwarnstufe
Das Energieunternehmen Uniper, Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas, begrüßte die Ausrufung der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas. Die Maßnahme sei "sinnvoll, um auf eine Eskalation vorbereitet zu sein, die niemand derzeit ausschließen kann", erklärte Uniper am Firmensitz in Düsseldorf. Aktuell bestehe aber kein Engpass bei der Gasversorgung, betonte Uniper.
Bundeswirtschaftsminister Habeck rief Wirtschaft und Verbraucher auf, den Verbrauch von Gas und Energie nach Möglichkeit zu reduzieren. "Jede eingesparte Kilowattstunde Energie hilft", erklärte der Grünen-Politiker.
Kerstin Andreae (BDEW): "Es geht auch um Wechsel auf andere Energieträger als Gas"
Der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW) forderte, sich schon jetzt auf eine mögliche Aktivierung der Notfallstufe und einen Lieferstopp vorzubereiten. Hauptgeschäftsführerin Andreae sagte im Deutschlandfunk, es müssten nun Kriterien aufgestellt werden, nach denen beurteilt werde, wer im Krisenfall weiter mit Gas versorgt werde.