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Bundeswirtschaftsministerium
Was die Ausrufung der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas bedeutet

Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges gibt es die Befürchtung, dass Deutschland nicht mehr mit ausreichend Gas beliefert werden könnte. Müssen wir uns nach der Ausrufung der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas konkrete Sorgen machen? Erst einmal nicht. Aber die Lage könnte sich verschlechtern.

04.04.2022
    Blick aus eine Druckanzeige vor Röhren aus Edelstahl zum Transport von Gas.
    Eine Druckanzeige auf dem Gelände des Untergrund-Gasspeichers der VNG AG mit Sitz in Leipzig. Wie lange halten die Vorräte in Deutschland, falls Russland seine Lieferungen einstellt? (picture alliance/dpa/Christian Modla)
    Die Frühwarnstufe ist die erste von drei sogenannten Krisenstufen, die im Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland verankert sind. Das Papier wurde erstmals 2012 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erstellt und zuletzt 2019 aktualisiert. Alle EU-Staaten sind laut einer Verordnung zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung verpflichtet, solch ein Papier in der Schublade zu haben.
    Bundeswirtschaftsminister Habeck hat die Frühwarnstufe am 30. März 2022 ausgerufen. Der Grünen-Politiker betonte, die Versorgung mit Gas sei "aktuell gewährleistet". Doch es gibt Ungewissheiten, was die Zukunft betrifft.
    Denn die russische Regierung verlangt von "unfreundlichen Staaten", Gaslieferungen aus Russland künftig nur noch in Rubel zu bezahlen. Deutschland und die anderen westlichen Staaten lehnen dies ab, weil es die wegen des Ukraine-Krieges verhängten Sanktionen gegen Russland unterlaufen würde. Sie verweisen darauf, dass in den Verträgen eine Bezahlung in Euro oder Dollar vereinbart wurde.
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    Unklar ist jedoch, was passiert, wenn sich die Energieversorger in Deutschland und den anderen westlichen Staaten der russischen Forderung verweigern. Dreht Russlands Präsident Putin dann den Gashahn zu? Vor diesem Hintergrund ist die Aktivierung der Frühwarnstufe zu sehen.

    1. Schritt: Frühwarnstufe - noch kein Eingriff des Staates

    In der europäischen Verordnung zur Gewährleistung der Energiesicherheit sind die Kriterien für die Ausrufung der einzelnen Krisenstufen formuliert. Zur Frühwarnstufe kommt es demnach in folgendem Fall:

    Es liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- bzw. der Notfallstufe führt.

    Nach Ausrufung der Frühwarnstufe trat ein Krisenstab zusammen, der aus Vertreterinnen und Vertretern der Behörden sowie der Energieversorgungsunternehmen besteht.
    In einem Organigramm sind die verschiedenen Mitglieder des Krisenstabs aufgelistet.
    Im Krisenstab, der nach Aktivierung der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas zusammengerufen wurde, sitzen Vertreterinnen und Vertreter von Behörden, Verbänden, Bundesländern und Marktteilnehmern. (BMWI.de)
    Versorger und Betreiber der Gasleitungen informieren das Bundeswirtschaftsministerium seither täglich über die Lage. Der Staat greift in dieser Phase noch nicht in den Gasmarkt ein.
    Vielmehr sollen die Marktteilnehmer dafür sorgen, dass die Gasversorgung gesichert bleibt - etwa indem sie auf den Inhalt der Gasspeicher zurückgreifen.

    2. Schritt: Alarmstufe - der Markt soll die Störung alleine bewältigen

    Die Alarmstufe wird in Kraft gesetzt, wenn sich die Gasversorgungslage erheblich verschlechtert hat - etwa durch eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas. Der Markt ist aber noch in der Lage, die Störung alleine zu bewältigen, heißt es in der Verordnung.
    Ein russischer Flüssiggastanker ist unterwegs
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    In dieser Phase sind Energieversorger gesetzlich "berechtigt und verpflichtet, sämtliche Gaseinspeisungen, Gastransporte und Gasausspeisungen den Erfordernissen eines sicheren und zuverlässigen Betriebs der Netze anzupassen". Das heißt: Nicht systemrelevanten Kunden dürfen Gaslieferungen vorübergehend gekürzt werden. In den Verträgen der Gasversorger mit Industriekunden sei dies durch spezielle Klauseln geregelt, erklärte auf Anfrage der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW).
    Der Staat greift in dieser zweiten Phase noch nicht ein.

    3. Schritt: Notfallstufe - Gas wird durch die Bundesnetzagentur verteilt

    Letzte Stufe ist die Notfallstufe: Sie wird aktiviert, wenn es eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas gibt oder die Gasversorgung gestört ist oder sich die Versorgungslage durch andere Faktoren erheblich verschlechtert hat. Alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen sind nicht mehr geeignet, die Nachfrage nach Gas zu decken.
    In dieser Phase müssen laut dem europäischen Regelwerk "nicht-marktbasierte Maßnahmen" ergriffen werden, um die Gasversorgung sicherzustellen. Der Staat tritt also in Aktion - im Fall Deutschlands in Form der Bundesnetzagentur. Sie wird nun zum "Bundeslastverteiler". Das bedeutet: Sie regelt in Abstimmung mit den Netzbetreibern, wie das noch vorhandene Gas verteilt wird.
    Dabei sind bestimmte Verbrauchergruppen besonders geschützt und müssen nach Möglichkeit bis zuletzt mit Gas versorgt werden. Zu ihnen gehören Haushalte, soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, aber auch Gaskraftwerke, weil sie in vielen Haushalten die Wärmeversorgung sicherstellen.
    Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1.
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    Die Industrie zählt nicht zu den besonders geschützten Verbrauchergruppen. Betriebe müssen also, wenn die Notfallstufe aktiviert wird, damit rechnen, dass ihnen das Gas abgedreht wird. E.ON-Chef Birnbaum sprach im ARD-Fernsehen von einem "Szenario, das massive Schäden für die deutsche Volkswirtschaft zur Folge hätte".
    Die Bundesnetzagentur erklärte, bei ihr liefen alle erforderlichen Vorbereitungen, um auf eine Ausrufung der Notfallstufe vorbereitet zu sein. Schäden seien in einer Notfallstufe kaum zu vermeiden. Es gelte dann, Schäden zu begrenzen.

    Reaktionen auf die Ausrufung der Frühwarnstufe

    Das Energieunternehmen Uniper, Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas, begrüßte die Ausrufung der Frühwarnstufe des Notfallplans Gas. Die Maßnahme sei "sinnvoll, um auf eine Eskalation vorbereitet zu sein, die niemand derzeit ausschließen kann", erklärte Uniper am Firmensitz in Düsseldorf. Aktuell bestehe aber kein Engpass bei der Gasversorgung, betonte Uniper.
    Bundeswirtschaftsminister Habeck rief Wirtschaft und Verbraucher auf, den Verbrauch von Gas und Energie nach Möglichkeit zu reduzieren. "Jede eingesparte Kilowattstunde Energie hilft", erklärte der Grünen-Politiker.
    Kerstin Andreae (BDEW): "Es geht auch um Wechsel auf andere Energieträger als Gas"
    Der Bundesverband der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft (BDEW) forderte, sich schon jetzt auf eine mögliche Aktivierung der Notfallstufe und einen Lieferstopp vorzubereiten. Hauptgeschäftsführerin Andreae sagte im Deutschlandfunk, es müssten nun Kriterien aufgestellt werden, nach denen beurteilt werde, wer im Krisenfall weiter mit Gas versorgt werde.