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Was die Energiewende bremst (1/6)
Erneuerbare auf Kurs, aber Kohle verhagelt Klimabilanz

Erneuerbare Energien entwickeln sich gut, aber nicht schnell genug, meinen Experten. Ein Grund dafür sei, dass die Bundesregierung den jährlichen Ausbau gedeckelt habe, um die Verbraucher nicht zu überlasten. Um die Klimaziele einzuhalten, müsste die Energiewende noch entschiedener betrieben werden.

Von Volker Mrasek |
    Mehrere Windräder wurden mit einer Drohne von oben aufgenommen und sind im Abendlicht zu sehen.
    Windräder und andere Erzeuger erneuerbarer Energien erobern Deutschland. Aber zu langsam, meinen manche Experten (Imago/Chromorange)
    "Ich würde sagen, das wird die interessanteste Fahrstuhlfahrt ihres Lebens", sagt der Enercon-Mitarbeiter. "Wir stehen zur Zeit noch im Bereich der Steuerelektronik der Windenergieanlage. So, schließen wir die Sicherheitstür. Und der Fahrstuhl kann gestartet werden. Man kann über diesen Fahrstuhl hier hochfahren auf die Anlage oder über die zwei Leitersysteme, so dass man wahlweise – das überlasse ich also ganz Ihrem sportlichen Ehrgeiz – auch zur Not zu Fuß hinterher runtergehen kann."
    Sportlich ehrgeizig! Das sind auch die Pläne für die Energiewende in Deutschland – für den Ausbau von Windturbinen und Solaranlagen. Sie sollen ihren Anteil an der Stromerzeugung kontinuierlich steigern, um so den Kohlendioxid-Ausstoß der Energiewirtschaft zu verringern:
    "Das ist tatsächlich die – ich würde sagen – die einzige richtige Erfolgsstory, die wir bisher haben." – Der Berliner Ökonom Hans-Joachim Ziesing. Er zählt zum Kreis der Fachgutachter, die regelmäßig überprüfen, welche Fortschritte die Energiewende in Deutschland macht.
    Erneuerbare seien ein Erfolg, aber ...
    Bis zum Jahr 2020 gibt es ein durchaus ambitioniertes Zwischenziel für den Anteil der Erneuerbaren am Strommix:
    "Das sollten 35 Prozent werden. Das werden wir ohne Zweifel schaffen. Mittlerweile sind wir bei einem Anteil von knapp einem Drittel."
    Ein Erfolg des EEG, des "Erneuerbare-Energien-Gesetzes", das im Jahr 2000 in Kraft trat. Wer Wind- und Solarstrom ins Netz einspeist, bekommt seither festgelegte Vergütungen. Alle Verbraucher zahlen zudem eine EEG-Umlage zusätzlich zum Strompreis. Das gab regenerativen Energieträgern immensen Auftrieb.
    Und es führte auch dazu, "dass wir seit zwei, drei Jahren gigantische Kostenreduktionen weltweit gesehen haben im Bereich der erneuerbaren Energien, die einfach dazu führen, dass in vielen Anwendungsbereichen die erneuerbaren Energien eben heute schon wirtschaftlich sind. Und da hat Deutschland tatsächlich einen großen Beitrag geleistet", sagt Manfred Fischedick, Vize-Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Verkehr.
    Experte: Es bräuchte mindestens die doppelte Ausbaurate
    "Aber, und jetzt kommt das große Aber:" Die Bundesregierung hat den Ausbau der Erneuerbaren mittlerweile gedeckelt. Um die Belastung der Verbraucher durch die EEG-Umlage zu begrenzen. Fischedick:
    "Also, die Bundesregierung hat gesagt, sie will im Bereich Windenergie und Solarenergie 2.500 Megawatt pro Jahr an zusätzlicher Installation haben, die nicht ausreichen, um die mittel- bis langfristigen Kllimaschutzziele zu erreichen. Wenn wir in Richtung einer Energiewirtschaft wollen, die spätestens 2050 klimaneutral ist, dann bräuchten wir eigentlich mindestens doppelt so hohe Ausbauraten."
    Die Politik müsste also eigentlich noch stärkere Anreize zu Gunsten von Wind- und Solarstrom setzen. Doch in der Praxis geschieht das Gegenteil.
    Der nicht abgenommene Kohlestrom wird exportiert
    Eon-Mitarbeiter: "Wir gucken jetzt in den Kessel. Ein rotes Höllenfeuer!" – Es gibt noch einen anderen Trend, der die Klimaschutzziele durchkreuzt ... "Direkt neben uns wird die Kohle verbrannt. Da wird dann heißer Dampf daraus gemacht und in der Turbine in Strom umgewandelt."
    Das Problem sind die besonders klimaschädlichen Kohlekraftwerke. Manfred Fischedick:
    "Was ist passiert? Wir haben die Erneuerbaren dynamisch ausgebaut. Und das hat dann nicht dazu geführt, dass Kohlekraftwerke weniger Strom produzieren, sondern sie produzieren genauso viel. Und der Strom wird einfach ins Ausland verkauft, wo er kostengünstig angeboten werden kann."
    Verschmutzungsrechte billig – ein paar Euro pro Tonne
    Die Energiekonzerne nehmen zwar am europäischen Emissionshandel teil. Sie benötigen Zertifikate für jede ausgestoßene Tonne CO2. Doch die Verschmutzungsrechte sind noch immer zu billig, erklärt Fischedick:
    "Wir haben das Problem, dass bei fünf, sechs, sieben Euro pro Tonne – das ist der aktuelle CO2-Preis – es keinen Anreiz gibt, auf Erneuerbare umzusteigen. Das ist sicherlich etwas, was in den nächsten Jahren ganz, ganz oben auf der Agenda stehen muss, über die marktwirtschaftlichen Instrumente, die wir haben wie den Emissionshandel, eben die richtigen Anreize zu setzen, dass dann die richtigen Kraftwerke mit möglichst wenig Emissionen betrieben werden."
    Der hohe CO2-Ausstoß der Kohlemeiler ist auch ein Hauptgrund dafür, dass Deutschland sein übergreifendes Klimaschutzziel verpassen wird. Im Jahr 2020 sollen die Emissionen aller Treibhausgase 40 Prozent niedriger sein, als sie es 1990 waren. Erreicht sind aber erst um die 28 Prozent.
    Abschalten müsse eigentlich heute Abend beginnen
    Hans-Joachim Ziesing mahnt deshalb zur Eile:
    "Es fehlt ein Kohle-Ausstiegsplan, den wir aus Gründen der Treibhausgas-Minderungsziele dringend brauchen. Wir schleppen ja einen Sockel mit uns herum, der schon bald nicht mehr akzeptabel sein kann. Wenn man das 2020er-Ziel erreichen will, dann muss man noch heute Abend anfangen abzuschalten."
    So prekär ist die Lage also schon. Die Neuinstallation von Solaranlagen und Windrädern läuft zwar bisher ganz nach Wunsch. Deutschland kann deshalb wie geplant aus der Atomenergie aussteigen. Doch schmutzige Kohle-Kraftwerke belasten immer noch in viel zu starkem Ausmaß unser Treibhausgas-Budget. Wenn die neue Bundesregierung Klimaschutz ernst nimmt, muss sie dieses Problem in Angriff nehmen. Fischedick:
    "Wie organisiert man eigentlich einen Kohleausstieg?"
    Das ist die Kernfrage, auf die die Politik Antworten finden muss - zusammen mit der Energiewirtschaft und den betroffenen Regionen.