Archiv


Was geschah im Kuiper-Gürtel?

Planetologie. – Heute geht in Berlin die Konferenz „Asteroiden, Kometen, Meteore“ zu Ende. Eine Woche lang haben 450 Wissenschaftler aus aller Welt über die kleinen Körper im Sonnensystem diskutiert – also nicht über die großen bekannten Planeten wie Jupiter oder die Venus. Zahlenmäßig stechen die kleinen Körper die großen Planeten locker aus – und diese kleinen Trümmer, die bei der Entstehung des Sonnensystems übrig geblieben sind, verraten viel über unsere kosmische Vergangenheit.

    Von Dirk Lorenzen

    Am Rand des Sonnensystems ist was los! Der US-Astronom Gerard Kuiper hatte in den 60er Jahren eine Ansammlung eisiger Brocken jenseits der Bahn des fernen Planeten Neptun vorhergesagt – ähnlich dem Asteroiden-Gürtel zwischen Mars und Jupiter. Vor genau zehn Jahren hat Dave Jewitt von der Universität von Hawaii das erste Objekt im so genannten Kuiper-Gürtel entdeckt und damit einen wahren Boom ausgelöst. Mittlerweile sind über 600 Objekte bekannt – die Forscher rechnen mit mehr als 70.000 Objekten, die mindestens 100 Kilometer Durchmesser haben. Das erscheint nur auf den ersten Blick als viel, erklärt Dave Jewitt:

    Die Gesamtmasse der Objekte im Kuiper-Gürtel beträgt wohl nur ein paar Zehntel der Erdmasse – da ist also recht wenig Material. Kollegen haben diese Masse in Modellen berücksichtigt, die beschreiben, wie größere Körper durch Zusammenstöße kleinerer Eisbrocken entstehen. Es zeigt, dass es praktisch ewig dauern würde, die Objekte im Kuiper-Gürtel zu bilden. Weil es da so wenig Masse gibt, sind Stöße entsprechend selten. Offenbar sind das da draußen nur noch die Reste eines viel dichteren Kuiper-Gürtels, der vielleicht 100mal mehr Masse hatte, als wir heute sehen.

    Gas- und Staubmassen, die bei der Entstehung des Sonnensystems übrig geblieben sind, haben sich im Laufe der Zeit zu immer größeren Objekten verklumpt und so die Kuiper-Objekte gebildet. Dafür musste aber genügend Material zum Zusammenstoßen und Verkleben vorhanden sein! Dass am Rand des Sonnensystem früher mal regelrechtes Gedrängel geherrscht haben muss, deuten jetzt auch weitere Beobachtungen an: Jewitt:

    Wir sehen im Kuiper-Gürtel extrem längliche Objekte – die Objekte da draußen sind keine Kugeln, sondern mehr so geformt wie ein American Football. Viele Objekte drehen sich so schnell, dass sie fast auseinanderreißen. Durch das schnelle Drehen geraten die Objekte in so auffällige Formen. Damit können sie aber nicht sehr massiv aufgebaut sein. Wir glauben, dass das mehr so lose Trümmerhaufen sind, die durch ihre eigene Schwerkraft zusammengehalten werden.

    Kuiper-Objekte sind offenbar locker zusammengedrückte Ansammlungen von sehr dunklem, staubigem Eis. Dave Jewitt und seine Kollegen sind zudem überrascht, dass offenbar sehr viele Kuiper-Objekte „Doppel-Objekte“ sind oder gleichsam einen Mond haben. Von gut 25 untersuchten Objekten stellten sich acht als doppelt heraus – auch das spricht dafür, dass sich früher die Objekte oft begegnet sind. Der Kuiper-Gürtel muss also früher viel mehr Material enthalten haben. Jewitt:

    Das Sonnensystem hat in seinen ersten paar hundert Millionen Jahren offenbar ganz anders ausgesehen als heute. Das passt zu Beobachtungen naher junger Sterne, die von dichten Staubscheiben umgeben sind. Vermutlich war auch das Sonnensystem kurz nach seiner Entstehung von einem hellen breiten Ring umgeben. Dieser Ring bestand aus viel Staub, der bei Zusammenstößen der Objekte im Kuiper-Gürtel frei wurde und mittlerweile verflogen ist. So verbindet der Kuiper-Gürtel auf sehr schöne Weise die Erforschung des Sonnensystems mit der anderer Sternsysteme.

    Vor zehn Jahren noch reine Hypothese, ist die Erforschung des „alten Eises“ im Kuiper-Gürtel heute geradezu interdisziplinär. Denn was die Astronomen als helle Staubscheiben bei nahen Sternen sehen, entspricht in etwa dem Aussehen unseres Kuiper-Gürtels vor gut vier Milliarden Jahren.