Südamerika
Was hinter dem gescheiterten Putschversuch in Bolivien steckt

Der Putschversuch fällt für Bolivien in eine wirtschaftlich angespannte Zeit. Das Land gehört nach Einschätzung des Bundesentwicklungsministeriums zu den strukturschwächsten in Lateinamerika. Bolivien hat rund 12 Millionen Einwohner und ist etwa dreimal so groß wie Deutschland. Wir stellen wichtige Informationen zur Krise in dem südamerikanischen Land zusammen.

28.06.2024
    Soldaten stehen vor dem Präsidentenpalast von Bolivien.
    Soldaten vor dem Präsidentenpalast in La Paz (Archivbild). (AP / Juan Karita)

    Wer steckt hinter dem Putschversuch?

    Als führende Kraft wurde der Heereschef, General Zúñiga, in La Paz, dem Regierungssitz des Anden-Landes, festgesetzt. Zúñiga hatte Soldaten den zentralen Platz von La Paz besetzen und die Türen des Regierungspalastes mit Militärfahrzeugen rammen lassen. Präsident Arce enthob den Heereschef seines Amtes und tauschte die gesamte Führungsriege der Streitkräfte aus. Die neuen Chefs der Teilstreitkräfte ordneten daraufhin den Rückzug der Truppen aus der Innenstadt von La Paz an.
    Mittlerweile hat ein Richter gegen Zúñiga eine zunächst sechsmonatige Haft angeordnet. Er gab damit einem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, die dem inzwischen abgesetzten General und zwei weiteren hochrangigen Ex-Militärs Terrorismus und Beteiligung an einem bewaffneten Aufstand gegen den Staat vorwirft. Bei einer Verurteilung droht Zúñiga eine langjährige Haftstrafe.

    Anlass für Staatsstreich-Versuch möglicherweise erneute Kandidatur von Ex-Präsident Morales

    Der versuchte Staatsstreich richtete sich offenbar gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur des ehemaligen Staatschefs Morales, der 2019 zurückgetreten war. Zuvor hatten die Opposition und internationale Wahlbeobachter ihm Betrug bei der Wahl vorgeworfen.
    In einer Stellungnahme vor Medien legte Zúñiga nahe, dass der Putsch mit Präsident Arce abgestimmt gewesen sei. "Der Präsident hat mir gesagt, dass die Situation sehr schlecht ist. Es sei notwendig, etwas vorzubereiten, um seine Popularität zu steigern", sagte Zúñiga vor seiner Festnahme im Fernsehen. Arce wies die Vorwürfe zurück, er habe den Putschversuch selbst inszeniert. Er sagte in La Paz, die Putschisten hätten auf eigene Faust gehandelt.

    Morales und Arce kämpfen um die Macht

    Morales war Boliviens erster indigener Präsident. Nach einer Reihe von Gerichtsentscheidungen darf er eigentlich nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren. Der frühere Koka-Bauer will bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr trotzdem antreten. Die einstigen Verbündeten Morales und Arce haben sich inzwischen überworfen und kämpfen um die Führungsrolle in ihrer Partei, der sozialistischen MAS. 
    Der derzeitige Staatschef Arce gilt als traditioneller Linker, als Pragmatiker in Wirtschaftsfragen, sich selbst beschreibt er gerne als Gegner des Neoliberalismus. Er studierte Wirtschaftswissenschaften in London, war unter Ex-Präsident Morales Wirtschaftsminister und ist seit November 2020 Präsident des Landes. In seiner Zeit als Wirtschaftsminister war Arce für das sogenannte "Bolivianische Wunder" verantwortlich, als nach Verstaatlichungen üppige Einnahmen aus Gasexporten in die Staatskasse flossen. Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung ging es ab 2014 wieder bergab, die Einkommen wurden geringer. Spätestens mit der Wahl von 2019 vertieften sich die politischen Gräben im Land. Damals gewann Morales, doch die Opposition warf seinem Lager Wahlbetrug vor. Bei Unruhen kamen in der Folge 36 Menschen ums Leben. Morales trat auf Druck des Militärs schließlich zurück.

    Militärputsche in Lateinamerika keine Seltenheit

    Länder in Lateinamerika haben in der Vergangenheit viele Putschversuche oder militärische Umstürze erlebt. Vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren wurden zahlreiche Staaten der Region von Militärjuntas regiert. In Argentinien, Chile und Brasilien fielen ihrer Gewaltherrschaft Zehntausende Menschen zum Opfer.
    Die Vereinten Nationen zeigten sich besorgt über die aktuellen Ereignisse in Bolivien. "Wir rufen die bolivianische Gesellschaft, einschließlich der Streitkräfte, dazu auf, sich verantwortungsvoll zu verhalten und die demokratischen Werte hochzuhalten", hieß es in einer Mitteilung der UNO.

    Deutliche Kritik aus dem Ausland am Putschversuch

    Auch EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen kritisierte den Putschversuch in Bolivien scharf. "Ich verurteile entschieden die Versuche, die demokratisch gewählte Regierung Boliviens zu stürzen", schrieb von der Leyen auf der Plattform X. Die Europäische Union stehe an der Seite der Demokratien.
    Mehrere lateinamerikanische Präsidenten wiesen den Vorstoß des Militärs ebenfalls zurück. "Wir verurteilen jede Form des Staatsstreichs in Bolivien und bekräftigen unser Engagement für das Volk und die Demokratie in unserem Bruderland", erklärte Brasiliens Präsident Lula. Chiles Präsident Boric schrieb auf der Onlineplattform X: "Wir können keinen Verstoß gegen die rechtmäßige verfassungsmäßige Ordnung in Bolivien oder anderswo tolerieren."
    Diese Nachricht wurde am 27.06.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.