Es gibt eine Sache in der finnischen Lebensart, die sich immer wiederholt: Die Finnen treiben gern ihren Blutdruck in die Höhe, ohne etwas dafür tun zu müssen: Sie sind Weltmeister im Kaffeetrinken. Sie verbringen ihre Sonntage mit Formel eins. Und sie gehen in die Sauna.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Was ist finnisch?" in der Sendung "Gesichter Europas.
Nachdem sie Asylbewerbern aus dem Irak am Abend zuvor beigebracht hat, eine Holzsauna anzuheizen, sitzt die Designerin Päivi Tahkokallio zusammen mit Workshop-Teilnehmerinnen morgens schon wieder in der Sauna. Die Frauen bedauern, dass sie nicht an Birkenzweige gedacht haben.
Besser als teure Massage: sich mit Birkenästen peitschen!
"Das sieht natürlich krass aus – wie kann man sich nur mit Birkenästen auspeitschen! Aber das ist so eine tolle Tradition. Und effektiv! Viel besser als eine teure Massage. Außerdem ist der Geruch von Birke unvergleichlich."
Rund fünf Millionen Menschen gibt es in Finnland – und 3,2 Millionen Saunen. Es gibt sie an der Uni, im Rathaus, als Briefmarkenmotiv. In der Parlamentssauna saunieren Abgeordnete parteiübergreifend. Bei Manövern der Armee ist eine Zeltsauna mit im Gepäck, und Saunabesuche von Geschäftspartnern gehören zur Businessetikette.
Im Agrarstaat, der Finnland bis vor 40 Jahren noch war, war die Sauna Lebensraum für Mensch und Tier, Geburten in der Sauna waren üblich. Ein Freund von Päivi nimmt sein Schwein noch heute mit in die Sauna: Er wuchtet dann die 70 Kilo auf die Bretter, und der Letzte nimmt das Schwein mit raus.
Saunieren als weltpolitisches Verhandlungsmittel
Zum Finnischsein gehört auch: In der Sauna gibt es nur eine Regel: keine Regel. Selbst Weltpolitik ist in der Sauna gemacht worden. Bei weit über 100 Grad saunierte Langzeitpräsident Urho Kekkonen seine Gesprächspartner regelmäßig in Grund und Boden. 1960 traf es Nikita Chruschtschow: Der Sowjetführer war zu Besuch, um ein "Nein" zum Beitritt Finnlands in die Europäische Freihandelsassoziation durchzusetzen. Als Kekkonen ihn im Morgengrauen aus der Sauna entließ, war aus dem "Nein" ein "Ja" geworden.
"In der Sauna sind eben alle gleich, da sitzt kein Politiker wie Kekkonen oben und die anderen unten ... Alle sind nackt. Da ist man, was man ist. Wenn man aus einer hierarchischen Kultur kommt, findet man das bestimmt nicht so toll. Vielleicht ist die finnische Gesellschaft so gleichwertig, weil immer alle zusammen in der Sauna waren?"
Tatsächlich siezt man sich in Finnland nur in Ausnahmefällen, auch die Oberärztin oder der Anwalt werden mit Vornamen angesprochen. Lernt man neue Leute kennen, fragt man nicht als erstes: Was machst du so? Sondern: Wo kommst du her?
Schuhe aus, Wollsocken an
In Posio drängt Karoliina zur Eile. Finnische Pünktlichkeit! Die Frauen wollen mittags bei ihrer Freundin Irja sein. Die Seniorin wohnt abgelegen in einer alten Dorfschule, wo sie eine Handarbeits-Ausstellung aufgebaut hat.
Nach einer Stunde Fahrt parkt Päivi vor einem windschiefen Holzhaus mit gelben Türen. Ein paar Hühner laufen über den Rasen.
Irja bittet die Frauen herein, die Schuhe lassen sie, wie in Finnland selbst in Büros oder Schulen üblich, am Eingang stehen. Irja verteilt selbst gestrickte Wollsocken.
Irja hat gebacken, Heidelbeerkuchen – das ist Standard im finnischen Herbst. Karoliina hält ein 100 Jahre altes, besticktes Küchentuch in der Hand, mit einem funktionalen Knick im Aufhänger.
"Unsere Handarbeitstradition hat mit dem Landleben zu tun"
"Unsere Handarbeitstradition hat mit dem Landleben zu tun. Im Winter muss alles funktional sein. Es ist ja nicht lange her, da haben die Finnen in Wäldern gelebt, Ästhetik spielte kaum eine Rolle."
Später dann aber schon, wirft Designerin Päivi ein. Finnland sei ästhetisch: Im Osten eher verspielt, ornamental, auf der westlichen schwedischen Seite schlicht. Und noch minimalistischer in Lappland, in der Eismeerregion – Dekorationsmaterial war hier naturgemäß schwer zu organisieren.
"In jedem Haushalt gab es einen Webstuhl und eine Tret-Nähmaschine, und alle Kinder konnten nähen."
Das Museum ist nur Sonntagnachmittags geöffnet. Trotzdem hatte Irja im letzten Sommer 200 Besucher. Handarbeit gehört einfach zur Kultur, sagt Päivi.
Handarbeit ist in Finnland Pflichtschulfach
Zu verdanken habe Finnland das auch Cygnaeus, dem "Vater der finnischen Volksschule": Er fand, die Schulen sollten die Armen unterstützen und führte 1860 den Werkunterricht ein – schließlich musste man auf dem Land auch Alltagsgegenstände selbst herstellen. Seither ist Handarbeit in Finnland Pflichtschulfach.
Päivi glaubt, dass diese Handarbeitstradition den Boden dafür bereitet hat, dass das finnische Design sogar international Karriere machen konnte. Päivi trägt ein Oberteil von Marimekko, große weiße Kreise auf schwarzem Grund, den Kuchen essen wir von Arabia-Tellern. Typisch: Es sind vor allem alt etablierte Marken aus der Goldenen Zeit des Finnischen Designs in den 50ern und 60ern.
Nostalgie-Boom: "Was es in der Kindheit gab, ist sicher und gut"
Jungdesigner hätten es schwer, sagt Päivi. Sie müssen nicht nur außerordentlich gut sein, um den Durchbruch zu schaffen. Ohne hartnäckiges Marketing und Kommunikation geht nicht viel. Und Selbstvermarktung ist nicht gerade eine Stärke der Finnen.
"Dazu kommt: Wir leben in unruhigen Zeiten, es verändert sich so viel. Das bedeutet Unsicherheit und Angst. In so einer Zeit ist Nostalgie tröstlich: Was es in meiner Kindheit gab, ist sicher und gut: Es gibt wieder einen Lappland-Boom, die Leute fahren dorthin in den Urlaub, wie als Kind. Oder eben: Diese Vase, die will ich haben, die hatten wir früher, als die Welt noch in Ordnung war."