In seiner vor gut zehn Jahren erschienenen Studie Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie hat der englische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton die Tradition der europäischen Ästhetik als Einübung weniger ins Denken denn ins Empfinden beschrieben. Denn der Mensch denkt nicht nur - er fühlt auch; im Zweifel folgt er eher dem Ruf des Herzens als dem des Verstandes. Eine Herausforderung für jeden Politiker: Denn will er den Menschen gewinnen, sollte er zuerst und vor allem dessen Seele in Beschlag nehmen. Dass man auf die Kraft des vernunftgeleiteten Wortes erst anschließend hoffen darf: Niemand erkannte das gründlicher als ausgerechnet die kühlen Köpfe der europäischen Aufklärung.
In seinem Buch zeigte Eagleton, welche Bedeutung die Entwicklung der Ästhetik als philosophischer Disziplin für die Herausbildung des europäischen Bürgertums hatte. Das Bürgertum, so seine These, setzte sich als historische Klasse nicht zuletzt deshalb durch, weil seine Mitglieder nicht nur im Verstand, sondern auch und vor allem im Herzen einig waren.
Durch ein aufwendiges Repertoire von Sitten, Normen und Empfindungen sicherte sich die neu entstandene Klasse die Gewissheit ihrer Identität, über Kunst und Kultur bildete sie ein tief im Herzen verankertes Bewusstsein ihrer selbst, verinnerlichte ein Selbstverständnis, um in Zukunft nie mehr davon abzugehen.
Man sieht die Ironie des Vorgangs: Der Selbstermächtigung folgt die Selbstunterwerfung auf dem Fuß. Ästhetik hat demnach ein befreiendes, aber auch ein bindendes Element. Sie hilft, eine bestehende Ordnung gedanklich zu überwinden - um die folgende dann als unumstößlich, ja heilig erscheinen zu lassen. Ästhetik ist darum alles andere als eine unschuldige Disziplin. Wer ästhetisch denkt, denkt immer auch politisch.
Was ist Kultur fragt Eagleton nun in seinem neuen Buch, und dieses setzt da ein, wo das über die Ästhetik aufgehört hatte: im Zeitalter der Postmoderne. Dass er von ihr wenig hält, hatte Eagleton zwischenzeitlich schon in einem weiteren Buch mit dem Titel Illusionen der Postmoderne deutlich zu erkennen gegeben. Aber nie hat er seine Gründe so detailliert, vor allem aber überzeugend dargelegt wie in seinem jüngsten.
Manchen Leser mag Eagletons erneute Attacke erstaunen, denn die Postmoderne gilt seit Jahren als erledigt - aber eben nur theoretisch. Als Phänomen der Alltagskultur scheint sie aktueller denn je - aber auch bedenklicher als je zuvor.
Denn die guten Gründe, aus denen heraus Lyotard & Company vor zwei, drei Jahrzehnten das europäische Selbstverständnis als Hort der Aufklärung und Emanzipation in Frage stellten, haben während ihrer Verwandlung zum kulturellen Allgemeingut an Überzeugungskraft deutlich verloren. Mehr noch: Je gründlicher die postmoderne Skepsis den Abschied von den alten Ideologien vollzog, desto deutlicher gab sie ihre eigene ideologische Blindheit zu erkennen.
Bestand nämlich die große Leistung der Moderne darin, ein Bewusstsein von der Relativität der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu schaffen, so hat sich diese Erkenntnis in der Postmoderne zum Dogma verhärtet - mit der Folge, dass alle konsequent durchgehaltenen Überzeugungen unter dem Generalverdacht des Fundamentalismus stehen.
Engagiert sein, fasst Eagleton den Geist der Zeit zusammen, heißt unkultiviert sein, die Postmoderne verwechsele das Entschiedene mit dem Dogmatischen und preise statt dessen die Vielfalt der Lebensformen als Wert an sich.
In ihren besten Momenten, so Eagleton in seiner 'Ästhetik'-Studie, stelle Kultur eine ungewöhnlich starke Herausforderung der herrschenden ideologischen Formen moderner Klassengesellschaften und eine Alternative zu ihnen dar.
Genau dieses Potential scheint ihm in der Kultur der Postmoderne nun als verloren. Trug die Ästhetik der Aufklärung dazu bei, das europäische Bürgertum und in dessen Folge auch den modernen Nationalstaat zu begründen, so Eagleton, so wirke die Kultur der Postmoderne spaltend und sektiererisch.
Zurückzuführen sei dies paradoxerweise auf den durchschlagenden Erfolg des Bürgertums und seiner ökonomischen Basis: des Kapitalismus. Dem, so scheint es, ist bis auf weiteres ernsthaft nichts entgegenzusetzen. Alternatives Denken befinde sich darum auf dem Rückzug und richte sich ein in kulturellen Biotopen - als Beispiele nennt Eagleton
Nationalismus, Nativismus, Identitätspolitik, Neofaschismus, religiöse(n) Fundamentalismus, Familienwerte, kommunitarische Traditionen, die Welt der Öko-Krieger und New-Age-Adepten.
Diese spendeten keine ernsthaften gesamtgesellschaftlichen Impulse mehr. Die Folge: Alternative Politik verkomme tatsächlich zum Fundamentalismus, löse sich auf in existentiell aufgeladene Dogmatik. Angekommen sind wir so in einer Welt, die, zwischen leerem Universalismus und blindem Partikularismus hin- und hergerissen ist, zwischen der Anarchie globaler Kräfte des Marktes und der Kultivierung einer lokalen Differenz, die sich dagegen zur Wehr setzen. Je räuberischer die Kräfte sind, die diese lokalen Identitäten bestürmen, desto pathologischer und eigensinniger werden letztere.
Kultur, wir sahen es, ist niemals unschuldig. Die kulturelle Diagnose weckt bei Eagleton darum ernsthafte politische Sorgen. Denn der leere Universalismus der westlichen Kultur hat kaum mehr zu bieten als einen ausgereiften Skeptizismus und Relativismus, der in exzessiven Konsumismus und Hedonismus einerseits und fundamentalistisches Sektierertum andererseits münde - beides nicht gerade Lebensweisen, die weltweit sonderlich überzeugend wirkten.
Genau darum wird es nach Eagleton aber gehen. Denn der westliche Lebensstil breitet sich aus entlang einer, Zitat, 'geopolitischen Achse', entwickelt sich zu einer Identitäts- und Machtfrage 'zwischen dem Norden und dem Süden'.
Leise klingt zwischen solchen Zeilen Samuel Huntingtons Warnung vor dem 'Clash of Civilizations' an. Man hat sich verlesen, möchte man meinen, denn dergleichen würde man bei Eagleton nicht vermuten. Aber man hat sich nicht getäuscht. Der Westen, schrieb Eagleton in seinem im englischen Original vor knapp zwei Jahren erschienenen Buch, stehe vor einem Kulturkrieg; und für den sei er denkbar schlecht gewappnet:
Global betrachtet, sieht es nicht so aus, als sei der Westen besonders gut positioniert, um die Kulturkriege zu gewinnen. Zu diesem Schluss könnte man gelangen, spräche nicht der Umstand dagegen, dass Kultur als Zivilisiertheit eine enorme bewaffnete Macht hinter sich hat. Ist hohe Kultur zu vergeistigt, um eine wirksame politische Kraft sein zu können, so ist postmoderne Kultur dafür weithin zu spröde, zu wurzellos und zu entpolitisiert. Keine von beiden schneidet besonders gut ab, wenn man sie mit dem Islam vergleicht, der Kultur als geschichtlich verwurzelt und unvermeidlich politisch begreift. Auch ist der Islam eine Lebensform, für die unzählige Menschen zu sterben bereit sind. Das mag ein unkluges Verhalten sein, aber es ist mehr, als man von Mozart oder Madonna sagen könnte. Neben einem heiligen Text nehmen sich die Wunder der Satellitenkommunikation nicht beeindruckend aus. Und je fleißiger eine zweidimensionale postmoderne Kultur in die postkoloniale Welt exportiert wird, desto mehr kann sie dort auf Gegenwehr stoßen und die Flammen des Partikularismus schüren.
Welch düstere Bedeutung das Wort von den 'Flammen des Partikularismus' inzwischen angenommen hat, konnte Eagleton bei Abfassung seines Buchs kaum ahnen. Ob aber fundamentalistische Selbstmordattentäter den Westen wirklich in seinen ideologischen Fundamenten erschüttern können, scheint denn doch zweifelhaft. Der Westen mag sich in seinem 'leeren Universalismus' zwar skeptizistisch und hedonistisch geben. Doch im Zweifelsfall kennt er eben doch ideologische Regungen jenseits von Jeans und Coca Cola. Zumindest einen kurzen, identitätspolitisch aber unendlich kostbaren Moment lang.
In seinem Buch zeigte Eagleton, welche Bedeutung die Entwicklung der Ästhetik als philosophischer Disziplin für die Herausbildung des europäischen Bürgertums hatte. Das Bürgertum, so seine These, setzte sich als historische Klasse nicht zuletzt deshalb durch, weil seine Mitglieder nicht nur im Verstand, sondern auch und vor allem im Herzen einig waren.
Durch ein aufwendiges Repertoire von Sitten, Normen und Empfindungen sicherte sich die neu entstandene Klasse die Gewissheit ihrer Identität, über Kunst und Kultur bildete sie ein tief im Herzen verankertes Bewusstsein ihrer selbst, verinnerlichte ein Selbstverständnis, um in Zukunft nie mehr davon abzugehen.
Man sieht die Ironie des Vorgangs: Der Selbstermächtigung folgt die Selbstunterwerfung auf dem Fuß. Ästhetik hat demnach ein befreiendes, aber auch ein bindendes Element. Sie hilft, eine bestehende Ordnung gedanklich zu überwinden - um die folgende dann als unumstößlich, ja heilig erscheinen zu lassen. Ästhetik ist darum alles andere als eine unschuldige Disziplin. Wer ästhetisch denkt, denkt immer auch politisch.
Was ist Kultur fragt Eagleton nun in seinem neuen Buch, und dieses setzt da ein, wo das über die Ästhetik aufgehört hatte: im Zeitalter der Postmoderne. Dass er von ihr wenig hält, hatte Eagleton zwischenzeitlich schon in einem weiteren Buch mit dem Titel Illusionen der Postmoderne deutlich zu erkennen gegeben. Aber nie hat er seine Gründe so detailliert, vor allem aber überzeugend dargelegt wie in seinem jüngsten.
Manchen Leser mag Eagletons erneute Attacke erstaunen, denn die Postmoderne gilt seit Jahren als erledigt - aber eben nur theoretisch. Als Phänomen der Alltagskultur scheint sie aktueller denn je - aber auch bedenklicher als je zuvor.
Denn die guten Gründe, aus denen heraus Lyotard & Company vor zwei, drei Jahrzehnten das europäische Selbstverständnis als Hort der Aufklärung und Emanzipation in Frage stellten, haben während ihrer Verwandlung zum kulturellen Allgemeingut an Überzeugungskraft deutlich verloren. Mehr noch: Je gründlicher die postmoderne Skepsis den Abschied von den alten Ideologien vollzog, desto deutlicher gab sie ihre eigene ideologische Blindheit zu erkennen.
Bestand nämlich die große Leistung der Moderne darin, ein Bewusstsein von der Relativität der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu schaffen, so hat sich diese Erkenntnis in der Postmoderne zum Dogma verhärtet - mit der Folge, dass alle konsequent durchgehaltenen Überzeugungen unter dem Generalverdacht des Fundamentalismus stehen.
Engagiert sein, fasst Eagleton den Geist der Zeit zusammen, heißt unkultiviert sein, die Postmoderne verwechsele das Entschiedene mit dem Dogmatischen und preise statt dessen die Vielfalt der Lebensformen als Wert an sich.
In ihren besten Momenten, so Eagleton in seiner 'Ästhetik'-Studie, stelle Kultur eine ungewöhnlich starke Herausforderung der herrschenden ideologischen Formen moderner Klassengesellschaften und eine Alternative zu ihnen dar.
Genau dieses Potential scheint ihm in der Kultur der Postmoderne nun als verloren. Trug die Ästhetik der Aufklärung dazu bei, das europäische Bürgertum und in dessen Folge auch den modernen Nationalstaat zu begründen, so Eagleton, so wirke die Kultur der Postmoderne spaltend und sektiererisch.
Zurückzuführen sei dies paradoxerweise auf den durchschlagenden Erfolg des Bürgertums und seiner ökonomischen Basis: des Kapitalismus. Dem, so scheint es, ist bis auf weiteres ernsthaft nichts entgegenzusetzen. Alternatives Denken befinde sich darum auf dem Rückzug und richte sich ein in kulturellen Biotopen - als Beispiele nennt Eagleton
Nationalismus, Nativismus, Identitätspolitik, Neofaschismus, religiöse(n) Fundamentalismus, Familienwerte, kommunitarische Traditionen, die Welt der Öko-Krieger und New-Age-Adepten.
Diese spendeten keine ernsthaften gesamtgesellschaftlichen Impulse mehr. Die Folge: Alternative Politik verkomme tatsächlich zum Fundamentalismus, löse sich auf in existentiell aufgeladene Dogmatik. Angekommen sind wir so in einer Welt, die, zwischen leerem Universalismus und blindem Partikularismus hin- und hergerissen ist, zwischen der Anarchie globaler Kräfte des Marktes und der Kultivierung einer lokalen Differenz, die sich dagegen zur Wehr setzen. Je räuberischer die Kräfte sind, die diese lokalen Identitäten bestürmen, desto pathologischer und eigensinniger werden letztere.
Kultur, wir sahen es, ist niemals unschuldig. Die kulturelle Diagnose weckt bei Eagleton darum ernsthafte politische Sorgen. Denn der leere Universalismus der westlichen Kultur hat kaum mehr zu bieten als einen ausgereiften Skeptizismus und Relativismus, der in exzessiven Konsumismus und Hedonismus einerseits und fundamentalistisches Sektierertum andererseits münde - beides nicht gerade Lebensweisen, die weltweit sonderlich überzeugend wirkten.
Genau darum wird es nach Eagleton aber gehen. Denn der westliche Lebensstil breitet sich aus entlang einer, Zitat, 'geopolitischen Achse', entwickelt sich zu einer Identitäts- und Machtfrage 'zwischen dem Norden und dem Süden'.
Leise klingt zwischen solchen Zeilen Samuel Huntingtons Warnung vor dem 'Clash of Civilizations' an. Man hat sich verlesen, möchte man meinen, denn dergleichen würde man bei Eagleton nicht vermuten. Aber man hat sich nicht getäuscht. Der Westen, schrieb Eagleton in seinem im englischen Original vor knapp zwei Jahren erschienenen Buch, stehe vor einem Kulturkrieg; und für den sei er denkbar schlecht gewappnet:
Global betrachtet, sieht es nicht so aus, als sei der Westen besonders gut positioniert, um die Kulturkriege zu gewinnen. Zu diesem Schluss könnte man gelangen, spräche nicht der Umstand dagegen, dass Kultur als Zivilisiertheit eine enorme bewaffnete Macht hinter sich hat. Ist hohe Kultur zu vergeistigt, um eine wirksame politische Kraft sein zu können, so ist postmoderne Kultur dafür weithin zu spröde, zu wurzellos und zu entpolitisiert. Keine von beiden schneidet besonders gut ab, wenn man sie mit dem Islam vergleicht, der Kultur als geschichtlich verwurzelt und unvermeidlich politisch begreift. Auch ist der Islam eine Lebensform, für die unzählige Menschen zu sterben bereit sind. Das mag ein unkluges Verhalten sein, aber es ist mehr, als man von Mozart oder Madonna sagen könnte. Neben einem heiligen Text nehmen sich die Wunder der Satellitenkommunikation nicht beeindruckend aus. Und je fleißiger eine zweidimensionale postmoderne Kultur in die postkoloniale Welt exportiert wird, desto mehr kann sie dort auf Gegenwehr stoßen und die Flammen des Partikularismus schüren.
Welch düstere Bedeutung das Wort von den 'Flammen des Partikularismus' inzwischen angenommen hat, konnte Eagleton bei Abfassung seines Buchs kaum ahnen. Ob aber fundamentalistische Selbstmordattentäter den Westen wirklich in seinen ideologischen Fundamenten erschüttern können, scheint denn doch zweifelhaft. Der Westen mag sich in seinem 'leeren Universalismus' zwar skeptizistisch und hedonistisch geben. Doch im Zweifelsfall kennt er eben doch ideologische Regungen jenseits von Jeans und Coca Cola. Zumindest einen kurzen, identitätspolitisch aber unendlich kostbaren Moment lang.