"Wenn man es auf eine allerschlichtesten Formel bringen will, kann man sagen, ja, es gibt einen konsistenten Geschlechtsunterschied, egal in welchen Bereich man guckt. Aber, das kann man nicht unkommentiert stehen lassen, weil der Unterschied ist nicht so groß, wie man denken könnte. Die Männer liegen zwar über den Frauen, aber nicht in einem dramatisch höherem Sinne."
Barbara Krahé ist Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam und forscht vor allem über Aggression. Deutlich zeigen neuere Studien nicht nur aus Deutschland: Die Zahl der delinquenten Handlungen von Mädchen steigt rapide. Auch die Forschung über häusliche Gewalt berichtet wiederholt, dass Frauen als Täterinnen Männer attackieren. Das aber wird anders beurteilt, fand Ute Gabriel heraus, Professorin für Sozialpsychologie an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim.
"Da gibt es einen Befund, der immer wieder repliziert wird, dass nämlich weibliche Aggression als weniger unmoralisch, weniger schlimm bewertet wird, weniger schwerwiegend, als männliche Aggression. Also genau dieselbe Beschreibung von einer eskalierenden Episode. Einmal ist die Person, die zuschlägt, schmeißt, was wirft oder schupst eine Frau - und einmal der Mann. Und Versuchspersonen bewerten das Verhalten der Frau als weniger schwerwiegend, obwohl es objektiv genau dasselbe ist."
Ute Gabriel erklärt sich die unterschiedliche Wahrnehmung des gleichen Geschehens zum einen damit, dass männliches aggressives Verhalten zu schwerwiegenderen Konsequenzen führen kann, weil Männer stärker sind, Frauen verletzlicher. Eine andere Möglichkeit zieht stereotyp nur männliches aggressives Verhalten in Betracht und entschuldigt die Frau: Wer weißt, was er getan hat, dass sie sich wehrt.
"Wenn es so ist, dass wir weibliche Aggression als weniger schwerwiegend wahrnehmen, heißt es auch, dass sie sehr extrem sein muss, damit sie in unser Blickfeld gerät. Dass ist die Verbindung, um die Debatte, wie aggressiv sind Frauen eigentlich, und dem, wie weit unsere Stereotype, unsere Vorurteile schon die Wahrnehmung des tatsächlichen Geschehens beeinflussen. In gewisser Weise sage ich, dass bestimmte Erwartungen, die wir haben, dazu führen, dass wir genau dasselbe Verhalten unterschiedlich bewerten. Und das ist in gewisser Weise nicht fair. Der haut: das Schwein. Die haut: Die wird sicher einen guten Grund gehabt haben, dass sie das gemacht hat. Das ist irgendwo diskriminierend."
Diese Diskriminierung wird erst offenbar, wenn aus der Genderperspektive auf den Sachverhalt geschaut wird, wenn tatsächlich das Verhalten im Mittelpunkt steht. Wie sehr Menschen aber werten und ihr Urteil auch aggressives Verhalten mitbestimmt, zeigt sich auch, wenn es um sexuelle Gewalt gegen Frauen geht.
Die Rechtssprechung definiert eine Vergewaltigung eindeutig: Immer wenn das Stoppzeichen der Frau nicht respektiert wird, ist von einer Gewalttat auszugehen. Dennoch halten sich hartnäckig sogenannte Vergewaltigungsmythen. Männer wie Frauen geben dem Opfer wenigstens eine Mitschuld. Warum zieht sie sich so an? Warum geht sie an jenen Ort?
"Das ist ein Strang unserer Forschung. Wenn wir zum Beispiel Vergewaltigungsszenarien vorgeben, wo beschrieben ist, wie die Frau in einer Art Datingsituation irgendwann sagt, ich mag jetzt nicht weiter machen, und der Mann das dann trotzdem tut, also eine Vergewaltigung beschrieben wird, ohne es mit den Label "Vergewaltigung" zu belegen - und die Männer dann fragen, wie wahrscheinlich ist es denn, dass du dich ähnlich verhalten hättest in einer ähnlichen Situation. Dann finden wir, dass viele Männer aus einer allgemeinen Stichprobe sagen, ja, kann ich mir vorstellen, dass ich mich auch so verhalten hätte. Und das sind in der Regel auch die Männer, die an die Vergewaltigungsmythen glauben. Also hier werden eigene Gewalttendenzen gerechtfertigt, rationalisiert. Und wir haben durchaus auch Daten, die belegen, dass das auch kausal beitragen kann zur Gewaltbereitschaft. Wenn wir den Männern suggerieren, dass in ihrer Bezugsgruppe solche Normen vorherrschen, dann sind sie auch eher bereit, selbst sexuelle Gewalt auszuüben."
Professor Gerd Bohnen, Sozialpsychologe von der Universität Bielefeld. Bei sexueller Gewalt - so weisen mehre Studien nach - beeinflusst der Mythos über die Vergewaltigung auch die Strafverfolgung und die Verurteilung vor Gericht. Gemeinsam mit einer englischen Juristin überprüfte Barbara Krahé, was mit Anzeigen von sexuellen Übergriffen bei der Polizei passiert:
"In England ist es dramatisch. Da führen fünf Prozent zu einer Verurteilung des Täters. 95 Prozent werden aussortiert im Laufe des Verfahrens. In Deutschland ist es etwas besser. Da liegt es bei 20, 25 Prozent."
An der Universität Potsdam und der Universität Bielefeld untersuchten Wissenschaftler in einer Laborsituation, wodurch der Mythos wirken kann. Sie suggerierten den Probanden, sie hätten Informationen zu dem Fall bekommen. Das allein führte dazu, einen Täter eher frei zu sprechen.
"Wenn man sich überlegt, was unsere Rechtsphilosophie im weitesten Sinnen ist, sollte es so sein, dass jeder Fall auf Grund der Fakten beurteilt wird. Wenn wir jetzt zeigen können, dass ein und derselbe Sachverhalt ganz anders eingeschätzt wird, je nachdem was für Vorurteile über Vergewaltigung die Leute in Kopf haben, die da drauf gucken, dann ist das ein Problem. Dann ist klar: Der normative Grundsatz, auf Basis der Fakten, ist außer Kraft gesetzt."
Aggression, kulturelle Nom und Geschlecht - das ist ein Forschungsgegenstand, zu dem sich die europäischen Sozialwissenschaftler in Potsdam verständigten. Statt aus kriminologischer oder forensicher Perspektive zu schauen, rückten sie die soziale Aktion in den Mittelpunkt: Aggression als ein normenverletzendes Verhalten.
Wird darin eine neue Qualität erreicht, wenn heute üble Nachrede durch Cyberbulling im Internet erfolgt - oder bekommt das Mobben nur ein neues Medium? Noch sind sich die Wissenschaftler darüber nicht im Klaren. Doch genau darin sehen sie den Wert ihrer jährlichen Workshops: Die Forschungskonzepte der anderen kennenzulernen und möglicherweise für das eigene Herangehen zu nutzen. Denn noch sehen die Wissenschaftler die Aggressionsforschung in Deutschland im Vergleich zu anderen Themen und auch im Vergleich zu der Forschung in anderen Ländern nicht besonders gut verankert. Das betrifft auch das durch Mediennutzung ausgelöste, aggressive Verhalten. Barbara Krahé von der Universität Potsdam und Mario Gollwitzer, Psychologe und Juniorprofessor an der Universität Koblenz-Landau.
" Wir müssen erst mal viel genau noch verstehen, warum es Menschen so viel Spaß macht, in diesen virtuellen Realitäten gewalttätig zu handeln. Wir haben uns bisher vorrangig mit der Frage beschäftigt, gibt es den eine Wirkung. Das hat man uns auch aufgenötigt, weil gerade von denen, die mit den Gewaltmedien viel Geld verdienen, die Wirkung bestritten wird. Wo das einiger Maßen gut abgearbeitet ist, kommt die nächste Frage, was sind die Prozesse, die das so attraktiv machen. Da wissen wir noch verhältnismäßig wenig."
"Bisher hat man sich mit experimentellen Anordnungen begnügt, in dem man ein gewalthaltiges Spiel - gewalthaltig in Anführungszeichen - gegen ein nichtgewalthaltiges getestet hat. Die eine Gruppe hat "Dum" gespielt, die andere Gruppe "Super Mario" oder so was. Und jetzt beginnt man sich mit der Frage zu beschäftigen, was macht denn genau den Unterschied im Spielen aus. Was machen denn die Spieler im Spiel."
Dabei bauen die Sozialpsychologen auch auf neuere Ergebnisse der Hirnforschung. Bereits durch Tierexperimente ist bekannt, dass Aggression im Hirn belohnend erlebt werden kann, es auch bestimmte genetische Prädispositionen für aggressives Verhalten gibt. Thomas Münte, Professor für Neuropsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, untersucht deshalb in seinen Studien, welche reaktiven und impulsiven Signale in einem menschlichen Gehirn gemessen werden können.
"Das Schwierige, was wir schaffen müssen: eine Laborsituation, in der die Probanden glaubwürdig aggressiv werden. Und wir müssen es auch so schaffen, dass sie mehrfach hintereinander tun, dass wir im Kernspintomografen 20, 30 Versuche mitteln können, damit wir überhaupt etwas aussagen können. Das realisieren wir, indem wir einen Realisationszeitwettstreit simulieren. Der Proband spielt gegen einen Gegner, wobei jeweils der Gewinner den anderen bestrafen kann. Und das Besondere ist, dass zum Beginn des jeweiligen Versuches die Spieler die Strafe schon androhen, so dass ich schon weiß, ich spiele gegen einen sehr aggressiven Gegner und dann muss ich sozusagen Rache üben."
In diesem Moment ist der Mandelkern als die Region der moralischen Entrüstung im Hirn aktiv. Gewinnt der Proband den Wettstreit, schaltet sich sein Belohnungszentrum an. Und die ganze Zeit beschäftigt sich der mittlere frontale Kortex mit dem Konflikt: Wie bedrohe ich jetzt den Anderen?
Mit seinen Versuchen vollzieht der Wissenschaftler modellhaft nach, was das Gehirn tut, wenn ein Mensch aggressiv handelt. Dabei entdeckt er auch individuelle Unterschiede.
"Zum Beispiel gibt es Probanden, die an sich habituell hochaggressiv sind in der Selbstauskunft, die im Experiment nur gering aggressiv sind. Und dann sehen wir, dass bei denen das frontale Gehirn besonders stark arbeiten muss, weil die offensichtlich die aggressiven Impulse stärker unterdrücken müssen als Menschen, die habituell ganz wenig aggressiv sind."
Diese Ergebnisse können sich langfristig mit der Forschung zur Mediengewalt verbinden.
Neuere Langzeitstudien belegen, dass sich die Persönlichkeit und das Verhalten von Kindern und Jugendlichen verändern, wenn sie regelmäßig und lange Zeit gewaltgeprägte Computerspiele spielen. Die Sozialpsychologen fragen sich dabei, wodurch genau es passiert und welche psychologischen Prozesse dem zugrunde liegen. Mario Gollwitzer.
"Ob jemand dadurch frustriert wird, dass er die ganze Zeit ein Level nicht schafft, oder ob jemand dadurch frustriert wird, dass er einen Kampf gegen einen Enemy verliert, oder ob es so ist, dass die Effekte dadurch zustanden kommen, dass man oft und heftig auf seine Enemys drauf klopft. Was ist das genau, was die Leute machen. Das kann man letztendlich nicht gut kontrollieren. Das ist ja interaktiv. Die Spieler entscheiden, was sie machen. Aber das macht es auch so schwierig, experimentell zu testen, was macht genau den Effekt aus: die Frustration über den nicht erreichten Level oder wirklich das aggressive Verhalten. Was wir machen, wir gucken, ob man und wie stark man im Spiel ein Opfer ist - und zwar ein Opfer nicht unbedingt von Gewalt, sondern von ungerechter oder gemeiner Behandlung."
Was geschieht, wenn ich in einem Computerspiel einem Avatar oder einer anderen Figur vertraue und anschließend doch überlistet werde? Das muss starke psychische Effekte auslösen und auch im realen Leben dazu führen, anderen weniger zu vertrauen, vermutet Mario Gollwitzer. Denn anders als bei einem Brettspiel mit klaren Regeln, tauchen die Spieler vor dem Bildschirm ganz in eine andere Welt ein. Zwar ist ihnen bewusst, dass diese virtuell ist. Dennoch bleiben bestimmte Angst-Mechanismen aus der realen Welt erhalten. In einem 3-D-Spiel beispielsweise springen die Probanden nicht in einem Abgrund. In der Realität aber reagieren Menschen normalerweise auf Gewalt spontan mit Angst. Das allerdings verändert sich, wenn man oft und viel Brutalität und Grausamkeit konsumiert. Barbara Krahé.
"Das zeigt unsere Forschung ganz klar, je mehr Mediengewalt die Leute habituell konsumieren - und wenn wir ihnen dann eine Gewaltfilm zeigen und dann ihre Stressreaktion testen, desto weniger schlägt das aus."
Für ihre Studie luden die Wissenschaftler Studenten ins Labor ein. Sie befragten sie nach ihrem Mediennutzungsverhalten sowie wie ängstlich und aggressiv sie seien. Anschließend zeigten sie ihnen einen Gewaltfilm, kontrollierten deren Hautleitfähigkeit und Befindlichkeit, ehe sie ihnen verschiedene Aufgaben übertrugen.
"Die müssen zum Beispiel möglichst schnell sagen, ob bestimmte Buchstabenkombinationen ein sinnvolles Wort sind oder nicht. Und dann können wir eben zeigen, dass diejenigen, die gewöhnt sind an solche Gewaltdarstellungen und dann hinterher einen Gewaltfilm sehen, viel schneller Wörter als richtige Wörter sehen, als diejenigen, die dies weniger gewöhnt sind. Das klingt jetzt vielleicht sehr künstlich. Aber wir müssen ja herausfinden, wo genau die Effekte zu finden sind."
Dabei auch bei Studierenden Effekte zu finden, heißt: Niemand ist gegen die Wirkung von Mediengewalt immun. Deshalb entwickeln die Potsdamer Aggressionsforscher Interventionsprogramme, die sich auf ihre theoretischen Befunde stützen. Denn, so Barbara Krahé, es nützt nichts gegen Computerspiele allgemein vorzugehen.
Vielmehr gilt es, die Faktoren zu verändern, die wirklich aggressiv machen. Der erster Schritt in ihrem Interventionsprogramm ist es deshalb, zunächst in einem Tagebuch festzuhalten, wie oft und wie lange die Jugendlichen spielen - mit Ergebnissen, die sie erschrecken lassen. Weiter empfehlen die Wissenschaftler medienfreie Wochenenden und alternative Freizeitmöglichkeiten. Sie klären über Formen von Mediengewalt auf und konfrontieren sie mit deren Wirkungsmechanismen.
Wie sich diese Interventionen auf das Verhalten auswirken, wird jetzt in einer Längsschnittstudie untersucht. Die Ergebnisse werden im nächsten Jahr veröffentlicht und - so hofft Professor Krahé - damit werden die Sozialwissenschaftler der Aggressionsforschung ein weiteres Puzzleteil hinzufügen können.
"Allgemeiner gesprochen ist es wirklich die Frage, was bewirkt diese Aggressionsbereitschaft. Warum sind Leute unter welchen Bedingungen geneigt, ihre Interessen mit Gewalt zu verfolgen, statt mit anderen Mitteln: Das gilt natürlich auch für die Ebene der internationalen Konflikte. Das gilt auch für so ein Phänomen wie Terrorismus. Und das kommt erst allmählich auf die Agenda der Aggressionsforschung."
Barbara Krahé ist Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam und forscht vor allem über Aggression. Deutlich zeigen neuere Studien nicht nur aus Deutschland: Die Zahl der delinquenten Handlungen von Mädchen steigt rapide. Auch die Forschung über häusliche Gewalt berichtet wiederholt, dass Frauen als Täterinnen Männer attackieren. Das aber wird anders beurteilt, fand Ute Gabriel heraus, Professorin für Sozialpsychologie an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim.
"Da gibt es einen Befund, der immer wieder repliziert wird, dass nämlich weibliche Aggression als weniger unmoralisch, weniger schlimm bewertet wird, weniger schwerwiegend, als männliche Aggression. Also genau dieselbe Beschreibung von einer eskalierenden Episode. Einmal ist die Person, die zuschlägt, schmeißt, was wirft oder schupst eine Frau - und einmal der Mann. Und Versuchspersonen bewerten das Verhalten der Frau als weniger schwerwiegend, obwohl es objektiv genau dasselbe ist."
Ute Gabriel erklärt sich die unterschiedliche Wahrnehmung des gleichen Geschehens zum einen damit, dass männliches aggressives Verhalten zu schwerwiegenderen Konsequenzen führen kann, weil Männer stärker sind, Frauen verletzlicher. Eine andere Möglichkeit zieht stereotyp nur männliches aggressives Verhalten in Betracht und entschuldigt die Frau: Wer weißt, was er getan hat, dass sie sich wehrt.
"Wenn es so ist, dass wir weibliche Aggression als weniger schwerwiegend wahrnehmen, heißt es auch, dass sie sehr extrem sein muss, damit sie in unser Blickfeld gerät. Dass ist die Verbindung, um die Debatte, wie aggressiv sind Frauen eigentlich, und dem, wie weit unsere Stereotype, unsere Vorurteile schon die Wahrnehmung des tatsächlichen Geschehens beeinflussen. In gewisser Weise sage ich, dass bestimmte Erwartungen, die wir haben, dazu führen, dass wir genau dasselbe Verhalten unterschiedlich bewerten. Und das ist in gewisser Weise nicht fair. Der haut: das Schwein. Die haut: Die wird sicher einen guten Grund gehabt haben, dass sie das gemacht hat. Das ist irgendwo diskriminierend."
Diese Diskriminierung wird erst offenbar, wenn aus der Genderperspektive auf den Sachverhalt geschaut wird, wenn tatsächlich das Verhalten im Mittelpunkt steht. Wie sehr Menschen aber werten und ihr Urteil auch aggressives Verhalten mitbestimmt, zeigt sich auch, wenn es um sexuelle Gewalt gegen Frauen geht.
Die Rechtssprechung definiert eine Vergewaltigung eindeutig: Immer wenn das Stoppzeichen der Frau nicht respektiert wird, ist von einer Gewalttat auszugehen. Dennoch halten sich hartnäckig sogenannte Vergewaltigungsmythen. Männer wie Frauen geben dem Opfer wenigstens eine Mitschuld. Warum zieht sie sich so an? Warum geht sie an jenen Ort?
"Das ist ein Strang unserer Forschung. Wenn wir zum Beispiel Vergewaltigungsszenarien vorgeben, wo beschrieben ist, wie die Frau in einer Art Datingsituation irgendwann sagt, ich mag jetzt nicht weiter machen, und der Mann das dann trotzdem tut, also eine Vergewaltigung beschrieben wird, ohne es mit den Label "Vergewaltigung" zu belegen - und die Männer dann fragen, wie wahrscheinlich ist es denn, dass du dich ähnlich verhalten hättest in einer ähnlichen Situation. Dann finden wir, dass viele Männer aus einer allgemeinen Stichprobe sagen, ja, kann ich mir vorstellen, dass ich mich auch so verhalten hätte. Und das sind in der Regel auch die Männer, die an die Vergewaltigungsmythen glauben. Also hier werden eigene Gewalttendenzen gerechtfertigt, rationalisiert. Und wir haben durchaus auch Daten, die belegen, dass das auch kausal beitragen kann zur Gewaltbereitschaft. Wenn wir den Männern suggerieren, dass in ihrer Bezugsgruppe solche Normen vorherrschen, dann sind sie auch eher bereit, selbst sexuelle Gewalt auszuüben."
Professor Gerd Bohnen, Sozialpsychologe von der Universität Bielefeld. Bei sexueller Gewalt - so weisen mehre Studien nach - beeinflusst der Mythos über die Vergewaltigung auch die Strafverfolgung und die Verurteilung vor Gericht. Gemeinsam mit einer englischen Juristin überprüfte Barbara Krahé, was mit Anzeigen von sexuellen Übergriffen bei der Polizei passiert:
"In England ist es dramatisch. Da führen fünf Prozent zu einer Verurteilung des Täters. 95 Prozent werden aussortiert im Laufe des Verfahrens. In Deutschland ist es etwas besser. Da liegt es bei 20, 25 Prozent."
An der Universität Potsdam und der Universität Bielefeld untersuchten Wissenschaftler in einer Laborsituation, wodurch der Mythos wirken kann. Sie suggerierten den Probanden, sie hätten Informationen zu dem Fall bekommen. Das allein führte dazu, einen Täter eher frei zu sprechen.
"Wenn man sich überlegt, was unsere Rechtsphilosophie im weitesten Sinnen ist, sollte es so sein, dass jeder Fall auf Grund der Fakten beurteilt wird. Wenn wir jetzt zeigen können, dass ein und derselbe Sachverhalt ganz anders eingeschätzt wird, je nachdem was für Vorurteile über Vergewaltigung die Leute in Kopf haben, die da drauf gucken, dann ist das ein Problem. Dann ist klar: Der normative Grundsatz, auf Basis der Fakten, ist außer Kraft gesetzt."
Aggression, kulturelle Nom und Geschlecht - das ist ein Forschungsgegenstand, zu dem sich die europäischen Sozialwissenschaftler in Potsdam verständigten. Statt aus kriminologischer oder forensicher Perspektive zu schauen, rückten sie die soziale Aktion in den Mittelpunkt: Aggression als ein normenverletzendes Verhalten.
Wird darin eine neue Qualität erreicht, wenn heute üble Nachrede durch Cyberbulling im Internet erfolgt - oder bekommt das Mobben nur ein neues Medium? Noch sind sich die Wissenschaftler darüber nicht im Klaren. Doch genau darin sehen sie den Wert ihrer jährlichen Workshops: Die Forschungskonzepte der anderen kennenzulernen und möglicherweise für das eigene Herangehen zu nutzen. Denn noch sehen die Wissenschaftler die Aggressionsforschung in Deutschland im Vergleich zu anderen Themen und auch im Vergleich zu der Forschung in anderen Ländern nicht besonders gut verankert. Das betrifft auch das durch Mediennutzung ausgelöste, aggressive Verhalten. Barbara Krahé von der Universität Potsdam und Mario Gollwitzer, Psychologe und Juniorprofessor an der Universität Koblenz-Landau.
" Wir müssen erst mal viel genau noch verstehen, warum es Menschen so viel Spaß macht, in diesen virtuellen Realitäten gewalttätig zu handeln. Wir haben uns bisher vorrangig mit der Frage beschäftigt, gibt es den eine Wirkung. Das hat man uns auch aufgenötigt, weil gerade von denen, die mit den Gewaltmedien viel Geld verdienen, die Wirkung bestritten wird. Wo das einiger Maßen gut abgearbeitet ist, kommt die nächste Frage, was sind die Prozesse, die das so attraktiv machen. Da wissen wir noch verhältnismäßig wenig."
"Bisher hat man sich mit experimentellen Anordnungen begnügt, in dem man ein gewalthaltiges Spiel - gewalthaltig in Anführungszeichen - gegen ein nichtgewalthaltiges getestet hat. Die eine Gruppe hat "Dum" gespielt, die andere Gruppe "Super Mario" oder so was. Und jetzt beginnt man sich mit der Frage zu beschäftigen, was macht denn genau den Unterschied im Spielen aus. Was machen denn die Spieler im Spiel."
Dabei bauen die Sozialpsychologen auch auf neuere Ergebnisse der Hirnforschung. Bereits durch Tierexperimente ist bekannt, dass Aggression im Hirn belohnend erlebt werden kann, es auch bestimmte genetische Prädispositionen für aggressives Verhalten gibt. Thomas Münte, Professor für Neuropsychologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, untersucht deshalb in seinen Studien, welche reaktiven und impulsiven Signale in einem menschlichen Gehirn gemessen werden können.
"Das Schwierige, was wir schaffen müssen: eine Laborsituation, in der die Probanden glaubwürdig aggressiv werden. Und wir müssen es auch so schaffen, dass sie mehrfach hintereinander tun, dass wir im Kernspintomografen 20, 30 Versuche mitteln können, damit wir überhaupt etwas aussagen können. Das realisieren wir, indem wir einen Realisationszeitwettstreit simulieren. Der Proband spielt gegen einen Gegner, wobei jeweils der Gewinner den anderen bestrafen kann. Und das Besondere ist, dass zum Beginn des jeweiligen Versuches die Spieler die Strafe schon androhen, so dass ich schon weiß, ich spiele gegen einen sehr aggressiven Gegner und dann muss ich sozusagen Rache üben."
In diesem Moment ist der Mandelkern als die Region der moralischen Entrüstung im Hirn aktiv. Gewinnt der Proband den Wettstreit, schaltet sich sein Belohnungszentrum an. Und die ganze Zeit beschäftigt sich der mittlere frontale Kortex mit dem Konflikt: Wie bedrohe ich jetzt den Anderen?
Mit seinen Versuchen vollzieht der Wissenschaftler modellhaft nach, was das Gehirn tut, wenn ein Mensch aggressiv handelt. Dabei entdeckt er auch individuelle Unterschiede.
"Zum Beispiel gibt es Probanden, die an sich habituell hochaggressiv sind in der Selbstauskunft, die im Experiment nur gering aggressiv sind. Und dann sehen wir, dass bei denen das frontale Gehirn besonders stark arbeiten muss, weil die offensichtlich die aggressiven Impulse stärker unterdrücken müssen als Menschen, die habituell ganz wenig aggressiv sind."
Diese Ergebnisse können sich langfristig mit der Forschung zur Mediengewalt verbinden.
Neuere Langzeitstudien belegen, dass sich die Persönlichkeit und das Verhalten von Kindern und Jugendlichen verändern, wenn sie regelmäßig und lange Zeit gewaltgeprägte Computerspiele spielen. Die Sozialpsychologen fragen sich dabei, wodurch genau es passiert und welche psychologischen Prozesse dem zugrunde liegen. Mario Gollwitzer.
"Ob jemand dadurch frustriert wird, dass er die ganze Zeit ein Level nicht schafft, oder ob jemand dadurch frustriert wird, dass er einen Kampf gegen einen Enemy verliert, oder ob es so ist, dass die Effekte dadurch zustanden kommen, dass man oft und heftig auf seine Enemys drauf klopft. Was ist das genau, was die Leute machen. Das kann man letztendlich nicht gut kontrollieren. Das ist ja interaktiv. Die Spieler entscheiden, was sie machen. Aber das macht es auch so schwierig, experimentell zu testen, was macht genau den Effekt aus: die Frustration über den nicht erreichten Level oder wirklich das aggressive Verhalten. Was wir machen, wir gucken, ob man und wie stark man im Spiel ein Opfer ist - und zwar ein Opfer nicht unbedingt von Gewalt, sondern von ungerechter oder gemeiner Behandlung."
Was geschieht, wenn ich in einem Computerspiel einem Avatar oder einer anderen Figur vertraue und anschließend doch überlistet werde? Das muss starke psychische Effekte auslösen und auch im realen Leben dazu führen, anderen weniger zu vertrauen, vermutet Mario Gollwitzer. Denn anders als bei einem Brettspiel mit klaren Regeln, tauchen die Spieler vor dem Bildschirm ganz in eine andere Welt ein. Zwar ist ihnen bewusst, dass diese virtuell ist. Dennoch bleiben bestimmte Angst-Mechanismen aus der realen Welt erhalten. In einem 3-D-Spiel beispielsweise springen die Probanden nicht in einem Abgrund. In der Realität aber reagieren Menschen normalerweise auf Gewalt spontan mit Angst. Das allerdings verändert sich, wenn man oft und viel Brutalität und Grausamkeit konsumiert. Barbara Krahé.
"Das zeigt unsere Forschung ganz klar, je mehr Mediengewalt die Leute habituell konsumieren - und wenn wir ihnen dann eine Gewaltfilm zeigen und dann ihre Stressreaktion testen, desto weniger schlägt das aus."
Für ihre Studie luden die Wissenschaftler Studenten ins Labor ein. Sie befragten sie nach ihrem Mediennutzungsverhalten sowie wie ängstlich und aggressiv sie seien. Anschließend zeigten sie ihnen einen Gewaltfilm, kontrollierten deren Hautleitfähigkeit und Befindlichkeit, ehe sie ihnen verschiedene Aufgaben übertrugen.
"Die müssen zum Beispiel möglichst schnell sagen, ob bestimmte Buchstabenkombinationen ein sinnvolles Wort sind oder nicht. Und dann können wir eben zeigen, dass diejenigen, die gewöhnt sind an solche Gewaltdarstellungen und dann hinterher einen Gewaltfilm sehen, viel schneller Wörter als richtige Wörter sehen, als diejenigen, die dies weniger gewöhnt sind. Das klingt jetzt vielleicht sehr künstlich. Aber wir müssen ja herausfinden, wo genau die Effekte zu finden sind."
Dabei auch bei Studierenden Effekte zu finden, heißt: Niemand ist gegen die Wirkung von Mediengewalt immun. Deshalb entwickeln die Potsdamer Aggressionsforscher Interventionsprogramme, die sich auf ihre theoretischen Befunde stützen. Denn, so Barbara Krahé, es nützt nichts gegen Computerspiele allgemein vorzugehen.
Vielmehr gilt es, die Faktoren zu verändern, die wirklich aggressiv machen. Der erster Schritt in ihrem Interventionsprogramm ist es deshalb, zunächst in einem Tagebuch festzuhalten, wie oft und wie lange die Jugendlichen spielen - mit Ergebnissen, die sie erschrecken lassen. Weiter empfehlen die Wissenschaftler medienfreie Wochenenden und alternative Freizeitmöglichkeiten. Sie klären über Formen von Mediengewalt auf und konfrontieren sie mit deren Wirkungsmechanismen.
Wie sich diese Interventionen auf das Verhalten auswirken, wird jetzt in einer Längsschnittstudie untersucht. Die Ergebnisse werden im nächsten Jahr veröffentlicht und - so hofft Professor Krahé - damit werden die Sozialwissenschaftler der Aggressionsforschung ein weiteres Puzzleteil hinzufügen können.
"Allgemeiner gesprochen ist es wirklich die Frage, was bewirkt diese Aggressionsbereitschaft. Warum sind Leute unter welchen Bedingungen geneigt, ihre Interessen mit Gewalt zu verfolgen, statt mit anderen Mitteln: Das gilt natürlich auch für die Ebene der internationalen Konflikte. Das gilt auch für so ein Phänomen wie Terrorismus. Und das kommt erst allmählich auf die Agenda der Aggressionsforschung."