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Frühwarnsystem Twitter
Elon Musk und die Gefahren für die Pressefreiheit

Große mediale Empörung über den neuen Twitter-Eigentümer Elon Musk gab es erst, als er die Kanäle kritischer Journalisten sperrte, beobachtet unsere Kolumnistin Marina Weisband. Redaktionen reagierten auf die Bedrohung von Freiheit oft zu spät.

Von Marina Weisband |
Twitter und sein Besitzer Elon Musk als Illustration
Der US-Unternehmer Elon Musk hat mit Twitter im Oktober eine der wichtigsten Meinungsplattformen weltweit übernommen (picture alliance / NurPhoto / Jonathan Raa)
Wir leben in schwierigen Zeiten. In Zeiten neuer, antiaufklärerischer Bestrebungen. "Fake News" und Verschwörungsmythen verbreiten sich nicht nur rapide, sondern auch ganz gezielt. Wir beobachten internationale Allianzen von Diktatoren, autoritären und rechtsradikalen Bewegungen, die sich vernetzen und Ressourcen teilen. Ihr Ziel ist es, den Minimalkonsens in demokratischen Staaten zu untergraben. Die Zeit der Fakten, der Erklärungen und der Beweisführung scheint vorbei. Die Feinde der Demokratie setzen auf Emotionalisierung und den Kampf mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln.
Eines der jüngeren Beispiele ist sicher der Kauf von Twitter durch Elon Musk. Der Unternehmer umgibt sich inzwischen ziemlich offen mit internationalen autokratischen Regimen, der amerikanischen Rechtsextremen rund um Ex-Präsident Trump und Faschisten auf Twitter. Seine Entscheidungen zielen darauf ab, Menschen mit bestimmten Positionen auf Twitter verstummen zu lassen.
Er hat Twitterkanäle entsperrt, die wegen Rassismus, Antisemitismus oder der Verbreitung von Verschwörungsmythen geschlossen worden waren. Und er hat das Bezahlmodell "Twitter Blue" propagiert, das hauptsächlich seine Fans nutzen, und das es zahlungswilligen Twitter-Nutzern ermöglicht, andere Nutzer mundtot zu machen.

Starke Auswirkung auf öffentlichen Diskurs

Seit Jahren warnen marginalisierte Menschen, zum Beispiel People of Color oder queere Menschen, vor genau dieser Entwicklung: dass Twitter als öffentlicher Raum verzerrt wird. Auf der Plattform sind in Deutschland zwar prozentual nicht so viele Menschen vertreten, aber Journalisten sind überrepräsentiert. Deshalb hat Twitter eine so starke Auswirkung auf den öffentlichen Diskurs.
Trotzdem las ich immer wieder gerade von Journalisten relativ naive Darstellungen dieser Entwicklung. Darstellungen, die zwar die Fakten bearbeiteten, aber keine Einordnung der Stoßrichtung gaben. Generell herrschte in der deutschen Mehrheitsgesellschaft das Credo vor: „Naja, mal schauen.“ Die erste große Empörungswelle gab es erst, als Musk Journalisten sperrte, die kritisch über ihn berichtet haben.
Porträtfoto von Marina Weisband
Marina Weisband - seit 2019 auf Twitter unterwegs, seit 2017 Kolumnistin im Deutschlandfunk (Lars Borges)
Das ist kein Zufall. Natürlich bekommen Medien vor allem das mit, was Medien betrifft. Das Problem ist: Wenn es Einschnitte in der Pressefreiheit gibt, gab es vorher schon viele andere gesellschaftliche Schritte. Redaktionen reagieren auf die Bedrohung von Freiheit oft zu spät. Und zwar weil in Redaktionen 2022 immer noch Menschen sitzen, die relativ weiß, ziemlich gut gebildet und aus studiertem Hause sind. Kurz, weil sie nicht die gleichen Alarmanlagen haben wie Menschen, die als allererstes von solchen Bewegungen getroffen werden.

Besseres Frühwarnsystem für Entwicklungen

Wer mehr trans und queere Menschen, mehr People of Color, mehr Juden und mehr Menschen aus Armut einstellt, hat ein sehr viel besseres Frühwarnsystem für Entwicklungen, die später immer auch Pressefreiheit gefährden. Diversität ist nicht dafür da, auf Unternehmensfotos hübsch auszusehen. Sie ist dafür da, die Reichhaltigkeit verschiedenster Erfahrungen zu nutzen.
Mit großer Freude beobachte ich, dass mehrere Redaktionen jetzt auch auf dezentrale Netzwerke wie Mastodon kommen. Solche dezentralen Plattformen hängen niemals vom Gutdünken einer einzigen Person ab. Sie können nicht gekauft werden und bieten damit die viel bessere Antwort auf die aktuelle Situation, als einfach einen neuen Eigentümer von Twitter zu fordern.
Mein Wunsch: Wenn Ihr schon auf so einem sozialen Netzwerk seid, folgt dort auch gezielt marginalisierten Menschen und nehmt ihre Beobachtungen ernst. Wenn es die Mehrheitsgesellschaft betrifft, wird es zu spät sein.