Kulturell äußerst fruchtbar war es, das Jahrtausend deutsch-polnischer Nachbarschaft, wovon die Berliner Millenniums-Ausstellung ein eindrucksvolles Zeugnis ablegt: Da sind im Veit Stoß gewidmeten Raum Zeichnungen und Kupferstiche von der Hand des fränkischen, in Krakau wirkenden Künstlers zu bewundern, aber auch eine kostbare Marienstatue lieh das Londoner Victoria & Albert Museum nach Berlin aus. Nicht minder prächtig die von niederländischen Einflüssen kündenden Porträts Danziger Patrizier, die die Kulturblüte im Goldenen Zeitalter der Hansestadt bezeugen. Und ehrfürchtig steht man vor den Büchern des Astronomen Nikolaus Kopernikus, die aus seiner heute in Schweden verwahrten Privatbibliothek stammen.
Dennoch: Das Zusammenleben der Polen und Deutschen war vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten sehr konfliktreich, ja tragisch. So findet sich denn auch nicht ohne Grund der Besucher, wenn er die Ausstellung betritt, zunächst im vergitterten Lichthof des Gropiusbaus. Der beherbergt gleichsam als "Archiv der Geschichte" viele der bildgewordenen Stereotypen und Mythen vom deutschen Nachbarn, die im kollektiven Gedächtnis der Polen über Generationen bis heute weitergegeben werden. Wann aber begann eine solche Polarisierung im jahrhundertelang doch gutnachbarlichen Verhältnis von Deutschen und Polen' Die Kuratorin Anda Rottenberg:
"Ich wollte zeigen, dass beide Länder, Polen und Deutschland das Produkt des im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalismus sind. Und erst im 19. Jahrhundert begann man über die Nationalität von Nikolaus Kopernikus zu streiten. Ihn selbst kümmerte das nicht, er war ein gehorsamer Untertan des polnischen Königs, seine Mutter war eine deutsche Bürgerin, sein Onkel der Bischof von Ermland und Ermland gehörte zum polnischen Königreich. Er studierte in Krakau und Bologna, er schrieb in Latein und hatte Freunde überall in Europa. Was also soll die Frage nach seiner Nationalität'"
Auch die Frage nach der Nationalität der Kulturgüter hatte Polen und Deutsche lange Zeit entzweit. Der Mediävist und Kunsthistoriker Professor Andrzej Tomaszewski, einige Jahre Generalkonservator von Polen und Beförderer der Marienburg, der schlesischen Friedenskirchen und anderer deutsch-polnischer Stätten auf die Welterbeliste der UNESCO. Tomaszewski hatte gegen jegliche nationale Vereinnahmung den Begriff des "gemeinsamen Kulturerbes" gesetzt und hatte von "Baudenkmälern doppelter oder gar mehrfacher Nationalität" gesprochen. Das hinderte ihn als Romanikforscher aber nicht daran, offenkundige Importe von West nach Ost auch so zu benennen, seien es Architekturmodelle, Baumeister, Künstler, Kolonisten:
"Die Polen und die Deutschen koexistierten in ihrer Geschichte als Nachbarn in Mitteleuropa mindestens seit dem 12. Jahrhundert, seit der Zeit der großen deutschen Ostkolonisation. Und wir wissen, dass viele Städte in Polen eine deutsche Bevölkerung hatten, dass deutsche Kolonisten sich gerade in den Städten angesiedelt und mit der Zeit polonisiert haben. Diese ethnische Diffusion hat auch gemacht, dass viele deutsche Künstler auf polnischem Territorium tätig waren."
Der bereits genannte Veit Stoß zum Beispiel, der von Nürnberg kommend die Krakauer Bürgerschaft mit seiner Bildhauerkunst beschenkte, der aber auch seinerseits in der polnischen Königsstadt, geprägt von Humanismus und italienischer Renaissance, wichtige Anregungen empfing. Auch der Danziger Andreas Schlüter reifte erst im internationalen Künstlermilieu des Warschauer Hofes von Jan III. Sobieski zu der Meisterschaft heran, die er dann beim Bau des Berliner Schlosses beweisen konnte. Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus:
"Man muss natürlich sich von den chauvinistischen Betrachtungen des 19.Jahrhunderts lösen, da gab's auf beiden Seiten Versuche, etwas als nur polnisch oder nur deutsch zu bezeichnen. Aber wenn man genau hinschaut, dann war das ein Geben und Nehmen."
Diese Einsicht hatte sich aber auch im 20.Jahrhundert noch nicht durchgesetzt, vielmehr verstärkte sich da noch die deutsch-polnische Polarisierung, wenn es zum Beispiel um die historischen deutschen Ostgebiete ging, die in Polen nach 1945 als "wiedergewonnene Gebiete" galten. Dazu der Historiker Christian Lübke, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung:
"Es hat eine Zeit gegeben in der Geschichte – auch das wird in der Ausstellung und dem Katalog thematisiert – nämlich die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als man versucht hat, die historische Vergangenheit dieser Gebiete sehr stark politisch zu instrumentalisieren. Da gab es in Deutschland die sogenannte 'Ostforschung' und in Polen gab es ein Instytut Zachodny, das 'Westinstitut' in Posen, das genau entgegengesetzt argumentiert hat. So wie die Deutschen damals gesagt haben, Deutsche und Germanen haben weit nach Osten hin gesiedelt und deswegen sind unsere Gebiete historisch in unserem Eigentum begründet, so haben die Polen versucht zu argumentieren, die Slawen seien im Verlauf ihrer Wanderungen sehr weit nach Westen vorgedrungen - nämlich sogar bis an die Nordsee heran und deswegen hätte man von polnischer Seite den Anspruch darauf, die Grenzen weit nach Westen zu verschieben, also in deutsche Wohngebiete hinein."
Derlei Extrempositionen in West und Ost gehören inzwischen wohl eher der Vergangenheit an. Der polnische Historiker Robert Traba, wie sein Kollege Lübke im Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung, sieht allerdings heute ein anderes Problem:
"Da gibt es einen großen Unterschied zwischen Deutschland und Polen in der gegenseitigen Wahrnehmung. Deutschland gehört zu den wichtigen Identitätsfaktoren der Polen, egal ob positiv oder negativ – früher eher negativ, heute ist das anders. In Deutschland dagegen hat das Wort ‚Pole' keine Kraft, Identität zu stiften. Die Polen liegen weit, weit hinten. Und das ist ein wichtiges Problem, das wir haben, und deshalb brauchen wir solche Ausstellungen, die wegführen von den politischen Kontexten und Vergangenheit erzählen durch die Kunst."
So wird denn der aufmerksame Besucher, wenn er dem Ausstellungsparcours und der darin aufgerufenen deutsch-polnischen Geschichte folgt, nicht nur jede Menge Wissenslücken auffüllen – eher unterschwellig aber umso nachhaltiger werden ihn die ebenso originellen wie tiefgründigen Kommentare beschäftigen, die polnische aber auch einige deutsche Gegenwartskünstler mit ihren Werken zu den 22 sehr unterschiedlichen Kapiteln der Ausstellung beisteuern. Den Nachbarn kennenzulernen über seine Kunst – ist das nicht "mentale Osterweiterung par excellence"?
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Dennoch: Das Zusammenleben der Polen und Deutschen war vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten sehr konfliktreich, ja tragisch. So findet sich denn auch nicht ohne Grund der Besucher, wenn er die Ausstellung betritt, zunächst im vergitterten Lichthof des Gropiusbaus. Der beherbergt gleichsam als "Archiv der Geschichte" viele der bildgewordenen Stereotypen und Mythen vom deutschen Nachbarn, die im kollektiven Gedächtnis der Polen über Generationen bis heute weitergegeben werden. Wann aber begann eine solche Polarisierung im jahrhundertelang doch gutnachbarlichen Verhältnis von Deutschen und Polen' Die Kuratorin Anda Rottenberg:
"Ich wollte zeigen, dass beide Länder, Polen und Deutschland das Produkt des im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalismus sind. Und erst im 19. Jahrhundert begann man über die Nationalität von Nikolaus Kopernikus zu streiten. Ihn selbst kümmerte das nicht, er war ein gehorsamer Untertan des polnischen Königs, seine Mutter war eine deutsche Bürgerin, sein Onkel der Bischof von Ermland und Ermland gehörte zum polnischen Königreich. Er studierte in Krakau und Bologna, er schrieb in Latein und hatte Freunde überall in Europa. Was also soll die Frage nach seiner Nationalität'"
Auch die Frage nach der Nationalität der Kulturgüter hatte Polen und Deutsche lange Zeit entzweit. Der Mediävist und Kunsthistoriker Professor Andrzej Tomaszewski, einige Jahre Generalkonservator von Polen und Beförderer der Marienburg, der schlesischen Friedenskirchen und anderer deutsch-polnischer Stätten auf die Welterbeliste der UNESCO. Tomaszewski hatte gegen jegliche nationale Vereinnahmung den Begriff des "gemeinsamen Kulturerbes" gesetzt und hatte von "Baudenkmälern doppelter oder gar mehrfacher Nationalität" gesprochen. Das hinderte ihn als Romanikforscher aber nicht daran, offenkundige Importe von West nach Ost auch so zu benennen, seien es Architekturmodelle, Baumeister, Künstler, Kolonisten:
"Die Polen und die Deutschen koexistierten in ihrer Geschichte als Nachbarn in Mitteleuropa mindestens seit dem 12. Jahrhundert, seit der Zeit der großen deutschen Ostkolonisation. Und wir wissen, dass viele Städte in Polen eine deutsche Bevölkerung hatten, dass deutsche Kolonisten sich gerade in den Städten angesiedelt und mit der Zeit polonisiert haben. Diese ethnische Diffusion hat auch gemacht, dass viele deutsche Künstler auf polnischem Territorium tätig waren."
Der bereits genannte Veit Stoß zum Beispiel, der von Nürnberg kommend die Krakauer Bürgerschaft mit seiner Bildhauerkunst beschenkte, der aber auch seinerseits in der polnischen Königsstadt, geprägt von Humanismus und italienischer Renaissance, wichtige Anregungen empfing. Auch der Danziger Andreas Schlüter reifte erst im internationalen Künstlermilieu des Warschauer Hofes von Jan III. Sobieski zu der Meisterschaft heran, die er dann beim Bau des Berliner Schlosses beweisen konnte. Gereon Sievernich, Direktor des Martin-Gropius-Baus:
"Man muss natürlich sich von den chauvinistischen Betrachtungen des 19.Jahrhunderts lösen, da gab's auf beiden Seiten Versuche, etwas als nur polnisch oder nur deutsch zu bezeichnen. Aber wenn man genau hinschaut, dann war das ein Geben und Nehmen."
Diese Einsicht hatte sich aber auch im 20.Jahrhundert noch nicht durchgesetzt, vielmehr verstärkte sich da noch die deutsch-polnische Polarisierung, wenn es zum Beispiel um die historischen deutschen Ostgebiete ging, die in Polen nach 1945 als "wiedergewonnene Gebiete" galten. Dazu der Historiker Christian Lübke, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung:
"Es hat eine Zeit gegeben in der Geschichte – auch das wird in der Ausstellung und dem Katalog thematisiert – nämlich die Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als man versucht hat, die historische Vergangenheit dieser Gebiete sehr stark politisch zu instrumentalisieren. Da gab es in Deutschland die sogenannte 'Ostforschung' und in Polen gab es ein Instytut Zachodny, das 'Westinstitut' in Posen, das genau entgegengesetzt argumentiert hat. So wie die Deutschen damals gesagt haben, Deutsche und Germanen haben weit nach Osten hin gesiedelt und deswegen sind unsere Gebiete historisch in unserem Eigentum begründet, so haben die Polen versucht zu argumentieren, die Slawen seien im Verlauf ihrer Wanderungen sehr weit nach Westen vorgedrungen - nämlich sogar bis an die Nordsee heran und deswegen hätte man von polnischer Seite den Anspruch darauf, die Grenzen weit nach Westen zu verschieben, also in deutsche Wohngebiete hinein."
Derlei Extrempositionen in West und Ost gehören inzwischen wohl eher der Vergangenheit an. Der polnische Historiker Robert Traba, wie sein Kollege Lübke im Wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung, sieht allerdings heute ein anderes Problem:
"Da gibt es einen großen Unterschied zwischen Deutschland und Polen in der gegenseitigen Wahrnehmung. Deutschland gehört zu den wichtigen Identitätsfaktoren der Polen, egal ob positiv oder negativ – früher eher negativ, heute ist das anders. In Deutschland dagegen hat das Wort ‚Pole' keine Kraft, Identität zu stiften. Die Polen liegen weit, weit hinten. Und das ist ein wichtiges Problem, das wir haben, und deshalb brauchen wir solche Ausstellungen, die wegführen von den politischen Kontexten und Vergangenheit erzählen durch die Kunst."
So wird denn der aufmerksame Besucher, wenn er dem Ausstellungsparcours und der darin aufgerufenen deutsch-polnischen Geschichte folgt, nicht nur jede Menge Wissenslücken auffüllen – eher unterschwellig aber umso nachhaltiger werden ihn die ebenso originellen wie tiefgründigen Kommentare beschäftigen, die polnische aber auch einige deutsche Gegenwartskünstler mit ihren Werken zu den 22 sehr unterschiedlichen Kapiteln der Ausstellung beisteuern. Den Nachbarn kennenzulernen über seine Kunst – ist das nicht "mentale Osterweiterung par excellence"?
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