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"Was tun wir, um Altersarmut zu verhindern?"

Eigentlich sollte das Bundeskabinett heute nicht nur über die Senkung der Rentenbeiträge verhandeln, sondern auch über Zuschussrenten für Geringverdiener. Die FDP stellte sich aber quer. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warnt ganz offen: Die Pläne seien nicht vom Tisch.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 29.08.2012
    Bettina Klein: Heute wird also im Bundeskabinett in Berlin die Rentenbeitragssenkung verhandelt. Es gibt dabei für die Bundesregierung noch einigen Widerstand zu überwinden. Einerseits sind das ja gute Nachrichten für die Beitragszahler, andererseits meinen die Kritiker, das Geld sollte lieber als
    Reserve für schlechtere Zeiten dienen und erheblicher Widerstand droht möglicherweise aus dem Bundesrat.
    Am Telefon begrüße ich Ursula von der Leyen (CDU), Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Guten Morgen!

    Ursula von der Leyen: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Frau von der Leyen, wir haben es gehört: Eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat gegen diese Pläne, die Beiträge zur Rentenversicherung zu senken, ist denkbar. Ist der Plan damit jetzt schon hinfällig?

    von der Leyen: Nein, keineswegs. Zunächst einmal haben ja alle auch in diesem Beitrag festgehalten, dass im Gesetz steht, dass, wenn die Rentenkasse sehr voll ist – und das ist sie danke der guten Konjunktur, weil der Arbeitsmarkt brummt -, wenn sie gewissermaßen überläuft, dann müssen wir die Beiträge senken, und dafür bringen wir heute das Gesetz auf den Weg. Auf 19,0 sollen die Beiträge in etwa sinken. Aber hinter dieser Debatte steht ja eigentlich die Diskussion oder das Problem, was machen wir in der Zukunft, wenn wir wissen, dass dadurch, dass wir mehr ältere Menschen haben, die in Rente gehen, und weniger junge, die Beiträge zahlen, was tun wir, um Altersarmut zu verhindern. Das ist eigentlich die Diskussion.

    Klein: Da sprechen wir gleich noch drüber, Frau Ministerin. Ich würde gerne noch bei diesem Punkt bleiben. Obwohl es ja gesetzlich vorgesehen ist, dass die Beiträge gesenkt werden müssen, gibt es nicht nur diese Debatte, sondern es gibt wirklich Länder, die sagen, wir überlegen uns, im Bundesrat dagegen zu stimmen. Was dann, wenn der Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit dagegen stimmt?

    von der Leyen: Ich glaube, davor steht das Gespräch mit den Ländern, was übrigens die Bundesregierung bereits mit den Ländern auch führt, nämlich argumentieren und miteinander diskutieren, liebe Leute, worum geht es uns denn. Wir haben im Augenblick konjunkturell, also, weil es gerade gut läuft, viel Geld in der Kasse. Das verändert aber nichts an den Strukturen der Rentenversicherung, und deshalb ist mein Plädoyer, jetzt wie es im Gesetz steht, auch für einen Schub der Wirtschaft, die Beiträge senken - das ist ein Automatismus, den Menschen das Geld zurückgeben, was ihnen zusteht -, aber nicht die Augen davor verschließen, dass wir mittelfristig Altersarmut bekämpfen müssen und deshalb jetzt auch die strukturellen Veränderungen einführen, die über die Dauer dann die Rente insbesondere für die Geringverdiener sicherer machen. Rente ist nicht so etwas, was man in halben Jahresschritten verändern kann. Rente ist etwas, was über 30, 40 Jahre langfristig angelegt werden muss, und da kann man nicht heute, weil die Kasse mal eben voll ist, sagen, ach wir legen einen größeren Berg an. Nur mal eine Zahl vielleicht, die interessant ist: Allein am Ende des nächsten Jahres, wenn der Beitragssatz gesenkt worden ist, ist die Kasse schon wieder mit 27 Milliarden Euro gefüllt. Mit anderen Worten: Was wollen wir denn da noch horten? Wir müssen die Strukturen verändern.

    Klein: Also wenn es gut läuft, so argumentieren die Kritiker, dann sorgt man vor und man braucht eben Rücklagen für Löcher, die sich demnächst in den kommenden Jahren auftun werden. Dieses Argument ist doch eigentlich weitsichtig?

    von der Leyen: Man braucht nicht heute - - Wir können heute nicht zwei-, drei-, vierstellige Milliardenbeträge horten, um im Jahr 2030 potenziell etwas zu verändern. Viel klüger ist es zu fragen, was sind die Wurzeln der kommenden Altersarmut, und da sage ich, die Anreize für Geringverdiener, wirklich dauerhaft in die Rentenkasse einzuzahlen, um am Ende eine eigene Rente zu haben, die stimmen heute nicht. Deshalb müssen wir da etwas verändern und nicht ganz kurzfristig, wenn die Konjunktur jetzt gut ist, das Geld horten, aber nichts verändern in den Strukturen. Dann gehen wir nicht an die Wurzel des Übels ran.

    Klein: Ihre Pläne für eine Zuschussrente bei Kleinverdienern sind ja zunächst mal vom Tisch, die FDP war dagegen. Viele Verbände haben auch ihre Zweifel angemeldet. Halten Sie es noch für möglich, dass wir noch mal eine neue Auflage dessen bekommen?

    von der Leyen: Ganz klare Ansage: Die Pläne sind keineswegs vom Tisch. Wir befinden uns in der sogenannten Ressortabstimmung, das heißt die Diskussion unter den verschiedenen Ressorts, wie wir diesen Gesetzentwurf ins Kabinett einbringen. Und da ist sehr deutlich auch mein Plädoyer: Wir haben heute noch kein Problem mit der Altersarmut. Wir haben 2,5 Prozent der Menschen, die in Grundsicherung sind. Das heißt, die ganz große Mehrheit hat eine auskömmliche Rente. Wir wissen aber, weil bis 2030 das Rentenniveau sinken wird - das ist gesetzlich festgelegt -, es wird sinken auf 43 Prozent dessen, was man als letztes Nettogehalt hatte, weil das Rentenniveau sinken wird, wissen wir, dass für Geringverdiener sich auf die Dauer abzeichnet, auch wenn sie 30, 35, 40 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, dass sie zum Schluss keine eigene auskömmliche Rente haben, sondern in die Grundsicherung müssen wie jemand, der ein Leben lang nichts dessen getan hat.

    Klein: So weit die Problembeschreibung, Frau von der Leyen. Wenn ich da noch mal kurz einhaken darf: Die Frage ist ja, wie wird das Problem gelöst werden können. Wie wollen Sie da einhaken und auch den Verbänden zum Beispiel entgegengehen, die sagen, Ihr ursprüngliches Konzept greift eben gar nicht für diejenigen, die wirklich bedürftig sind, weil die oftmals gar nicht 30, 35 Jahre Erwerbsbiografie vorweisen können, die eben in diesem Gesetzentwurf notwendig gewesen wären?

    von der Leyen: Doch, das zeigt die Vergangenheit, durchaus diese langen Erwerbszeiten, das ist conditio sine qua non, also dass man lange einzahlen muss, um später über übrigens oft 20, 30 oder 40 Jahre auch eine Rente zu haben. Diese Rechnung werden wir nicht aushebeln. Nur es muss klar sein für, ich nehme mal eine Floristin: Die hat einen Ausbildungsberuf und die arbeitet Vollzeit, die ist jung heute. Wenn die die nächsten 35 Jahre einzahlt, dann wissen wir heute, weil das Rentenniveau sinkt, dass sie keine eigene auskömmliche Rente mehr erreichen wird, sie muss in die Grundsicherung. Und hier möchte ich die Weichen neu stellen. Hier will ich diesen Geringverdienern sagen: Wenn man ihnen sagt, wenn ihr in Zukunft einzahlt wie bisher und wenn ihr privat vorsorgt – das war nämlich immer der Gedanke der Rentenreform der letzten Jahre -, mit fünf Euro sind sie dabei im Monat, dann werdet ihr, wenn es knapp wird am Ende, eine Zuschussrente bekommen. Das heißt das, was ihr erarbeitet habt, wird aufgewertet, damit ihr sicher eine eigene Rente habt über dem Grundsicherungsniveau und euch unterscheidet auch von denjenigen, die ihr Leben lang überhaupt nicht vorgesorgt haben und nicht eben fleißig gearbeitet haben. Und diese Diskussion, die wird übrigens von den Verbänden unterstützt. Die sagen nur, das ist zu wenig, während andere sagen, das ist uns zu viel. Mit anderen Worten: Wenn ich sehe, dass ich auf der einen Seite Kritik kriege von links, wir wollen mehr von dem, was sie machen, und Kritik eher aus der Wirtschaft kriege, oh, das ist uns aber zu teuer, das ist uns zu viel, dann ist das offensichtlich der goldene Mittelweg. Ich muss hier sehr kämpfen um dieses Thema, das ist mir völlig klar.

    Klein: Frau von der Leyen, wir können nicht alle Argumente durchgehen, dafür reicht unsere Zeit einfach nicht. Aber Sie müssen ja auf jeden Fall den Koalitionspartner, die FDP mit ins Boot bekommen. Und eine Variante, die so ein bisschen durch Berlin geistert, ist, dass man der FDP an der Stelle möglicherweise entgegenkommt, was die Abschaffung der Praxisgebühr angeht. Können oder wollen Sie ausschließen, dass das ein möglicher Kompromiss wäre innerhalb der Koalition?

    von der Leyen: Also ich werde jetzt nicht diskutieren über Themen meines Kollegen Daniel Bahr aus dem Gesundheitsressort. Ich finde, wir sollten sehr hart an der Sache und an den Sachargumenten auch argumentieren und diskutieren. Das tun wir auch. Also das eine möchte ich nicht bewerten und sozusagen gegen das andere stellen. Mir ist es wichtig, dass wir dieses wachsende Problem der Altersarmut heute ernst nehmen, Prävention machen, vorbeugen, damit wir nicht später eine Welle der Altersarmut haben, mit der wir nicht mehr umgehen können.

    Klein: Sie sind so verstanden worden, als würden Sie Ihre politische Zukunft mit diesem Projekt, mit diesem Vorhaben verknüpfen. Hat man Sie da richtig verstanden?

    von der Leyen: Mit jedem Projekt, was ich politisch durchgefochten habe in den letzten Jahren, bin ich mit Herzblut rangegangen und habe immer sehr deutlich gesagt, das ist mir sehr wichtig, und ich stehe auch gerade für solche Themen, ich stehe auf für diese Themen. Das ist jetzt bei dem Thema Bekämpfung der Altersarmut auch der Fall. Ich finde, die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre zuständige Ministerin – ich bin die Ministerin, die für die Rente zuständig ist – wirklich für diese Themen aufsteht, kämpft, sie durchsetzt, denn wer, wenn nicht ich, sollte dafür sich einsetzen, und dieses Versprechen habe ich auch sehr deutlich gegeben, dass ich nicht locker lassen werde, sondern dass ich hier für dieses Thema aufstehe.

    Klein: Heute Morgen im Deutschlandfunk Ursula von der Leyen (CDU), Bundesministerin für Arbeit und Soziales. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    von der Leyen: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.