In Saudi-Arabien studierte der im November 1974 geborene Taleb A. Psychologie. Nachdem er sich vom Islam abwandte, sah er sich als verfolgt an. Er reiste daraufhin bereits 2006 aus seinem Heimatland aus und kam nach Deutschland, wo er seine Ausbildung beendete. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur stellte er zehn Jahre nach seiner Einreise, im Februar 2016, einen Asylantrag. Er erhielt damals Asyl als politisch Verfolgter. Zur Begründung für seinen Antrag sagte er vor fünf Jahren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er habe öffentlich gegen den Islam geschrieben. Man habe ihm gesagt, man werde ihn 'schlachten', wenn er nach Saudi-Arabien zurückkehren würde. Zuletzt lebte er in Bernburg, einer kleinen Stadt knapp 50 Kilometer entfernt von Magdeburg. Er arbeitete dort in einer Klinik mit suchtkranken Straftätern. Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst, teilte sein Arbeitgeber mit.
Tatverdächtiger war polizeibekannt
Der mutmaßliche Angreifer war der Polizei bereits bekannt. Wegen des Missbrauchs des Notrufs sollte er Medienberichten zufolge am Tag vor der Tat vor dem Amtsgericht in Berlin-Tiergarten erscheinen, war dort aber nicht aufgetaucht. Vor einem Jahr sei zudem versucht worden, eine Gefährderansprache durchzuführen, sagte der Direktor der Polizei Magdeburg, Langhans. Warum diese Ansprache scheiterte, ist nicht bekannt.
Im Internet war der 50-Jährige immer wieder durch Gewaltandrohungen aufgefallen. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel verurteilte ihn das Amtsgericht Rostock schon 2013 zu einer Strafe von 90 Tagessätzen. Grund war demnach die "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten". In sozialen Netzwerken schrieb er, er wolle an Deutschen Rache üben und wünschte etwa der ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel den Tod. Er hielt Behörden unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Innenministerin Faeser erklärte, der Täter habe eine "offensichtlich islamophobe" Einstellung.
Wie das Innenministerium in Schwerin mitteilte, informierten Vertreter des Landes Mecklenburg-Vorpommern im von Bund und Ländern getragenen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum das Bundeskriminalamt am 6. Februar 2015 über mögliche Anschlagsabsichten des Mannes.
Anlass für die Meldung seien dessen Drohungen gegenüber der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern im April 2013 und ein Jahr später auch gegen eine Kommunalbehörde in Stralsund gewesen, Handlungen vorzunehmen, die internationale Beachtung fänden.
Nach Angaben von Landes-Innenminister Pegel hatte es mit der Landesärztekammer Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen gegeben. Gegenüber der Sozialbehörde in Stralsund habe Taleb A. versucht, mit Drohungen die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt durchzusetzen.
Saudi-Arabien warnte Deutschland offenbar mehrfach
Saudi-Arabien soll deutsche Sicherheitsbehörden mehrfach vor dem mutmaßlichen Täter von Magdeburg gewarnt haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur gab es vor rund einem Jahr den letzten Warnhinweis aus Riad. Saudi-Arabien habe zudem die Auslieferung des Mannes beantragt. Deutschland habe darauf nicht reagiert.
Sicherheitskreisen zufolge stammte der mutmaßliche Täter aus der Stadt Al-Hofuf im Osten Saudi-Arabiens und war Schiit. Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte von Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land.
Talib A. verbreitete Verschwörungserzählungen im Internet
Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform "RAIR", die sich selbst als antimuslimische Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin wirft er unter anderem der deutschen Polizei vor, "geheime Operationen" durchzuführen und das Leben von saudischen Asylsuchenden, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem äußerte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die nach seiner Aussage die gleichen Ziele wie er verfolge. Die AfD betonte, der mutmaßliche Angreifer sei kein Parteimitglied gewesen.
Jahre zuvor zeigte er sich in der Öffentlichkeit gemäßigter. In sozialen Netzwerken erklärte der Arzt, er sei Aktivist für die Belange vor allem von Frauen aus Saudi-Arabien. Im sozialen Netzwerk X folgten Zehntausende dem Account, der ihm zugeordnet wird. Außerdem gab er zahlreichen deutschen und internationalen Medien Interviews über seine Arbeit als Oppositioneller zum saudischen Königreich.
Tatverdächtiger war unzufrieden über Umgang mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien
Der Tatverdächtige habe sich im Polizeigewahrsam zum Tatmotiv geäußert, hieß es von der Staatsanwaltschaft Magdeburg. Er sei unzufrieden damit gewesen, wie in Deutschland mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien umgegangen werde. Zum Ende der Terrorfahrt - noch aus dem Tatauto heraus - hatte Talib A. ein Video voller wirr erscheinender Anschuldigungen veröffentlicht. Nach den darin getroffenen Aussagen fühlte er sich auch selbst verfolgt. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, für die genauen Ermittlungen zum Motiv brauche es noch Zeit.
Der Spiegel berichtet, 2019 habe ein Redakteur des damaligen Spiegel-Jugendportals Bento mit dem Tatverdächtigen gechattet. Er habe angegeben, dass sich viele junge Frauen aus Saudi-Arabien an ihn gewandt hätten, weil sie nach Deutschland fliehen wollten. Er behauptete damals, Schutzsuchende würden aber von den deutschen Behörden "irreführend" beraten und nicht an der Rückkehr in ihr Heimatland gehindert.
Der Attentäter soll zudem in den vergangenen Jahren Konflikte mit dem Zentralrat der Ex-Muslime gehabt haben. Die Vorsitzende der Organisation, Ahadi, erklärte, der Mann habe den Zentralrat und die angeschlossene Säkulare Flüchtlingshilfe seit Jahren "terrorisiert". Er habe die Ausrichtung kritisiert und einzelne Aktive öffentlich diffamiert. Nach ihrer Einschätzung hasse er nicht nur Muslime, "sondern alle, die seinen Hass nicht teilen".
Weiterführende Informationen
Nach dem Anschlag in Magdeburg: neue Diskussion über die Sicherheitspolitik
Diese Nachricht wurde am 23.12.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.