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Iran
Was über die Vergiftung von Schülerinnen bekannt ist - und wer verantwortlich sein könnte

International wächst die Sorge wegen der anhaltenden Berichte über die Vergiftung von Schülerinnen im Iran. Die Zahl der Fälle steigt täglich, und die Ursache ist nach wie vor nicht geklärt. Die Behörden untersuchen die Vorfälle - aber viele Menschen im Iran halten das iranische Regime für mitverantwortlich.

    Das Foto zeigt verschleierte Schülerinnen in Ghom/Iran.
    Die Berichte über Vergiftungen iranischer Schülerinnen (Archivbild aus Ghom) haben auch im Ausland große Sorge ausgelöst. (picture alliance / dpa / Farshid Motahari)
    Bundesaußenministerin Baerbock forderte bei Twitter, alle Fälle müssten lückenlos aufgeklärt werden. Mädchen müssten ohne Angst zur Schule gehen können. Auch die US-Regierung bezeichnete die Berichte als zutiefst besorgniserregend und mahnte Aufklärung an. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch rief die iranische Regierung auf, unverzüglich und transparent Untersuchungen einzuleiten.

    Woran leiden die Schülerinnen?

    Augenzeugen berichten, dass die Schülerinnen in den Klassenzimmern giftige Dämpfe eingeatmet hätten und anschließend Kreislauf- und Atemprobleme bekamen. Videos in sozialen Medien zeigen überfüllte Krankenstationen. Zudem kursieren einzelne Berichte über Todesopfer, die sich aber derzeit nicht verifizieren lassen.

    Wo werden Vergiftungen gemeldet?

    Bereits Ende November gab es erste Berichte über Vergiftungsfälle an einigen Mädchenschulen in der Stadt Ghom, südlich der Hauptstadt Teheran. Inzwischen werden Fälle aus zehn Provinzen gemeldet, darunter auch aus Teheran selbst. Die iranische Zeitung "Shargh" sprach alleine von 400 neuen Fällen an elf Schulen in der nordiranischen Stadt Ardabil, über hundert Schülerinnen mussten demnach im Krankenhaus behandelt werden. Teilweise ist von insgesamt über tausend Betroffenen die Rede. Im Netz kursieren hunderte Videos, in denen Eltern ihre Sorge und ihre Wut zum Ausdruck bringen.

    Wer ist für die Vergiftungen verantwortlich?

    Am Mittwoch wies der iranische Präsident Raisi das Innenministerium an, die Fälle zu untersuchen. Das unabhängige Online-Magazin Iran Journal berichtete von Meldungen in sozialen Medien, wonach sich eine extremistische Gruppe zu den Vergiftungen bekannt habe, die ein Schulverbot für Mädchen im Iran fordere. Die Stadt Ghom, aus der die ersten Fälle gemeldet wurden, gilt als schiitisches Zentrum und erzkonservativ.
    Auch die Journalistin und frühere Iran-Korrespondentin Natalie Amiri schreibt von Anschlägen, die von religiösen Fundamentalisten verübt würden, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Journalist Omid Rezaee veröffentlichte auf Twitter einen Thread zu den Vergiftungen. Er schreibt, die "Hardcore-Anhänger des Regimes" hätten in den vergangenen Monaten häufig gewarnt: Wenn der Staat die Kopftuch-Pflicht nicht umsetzen könne, würden sie auf eigene Faust handeln. Zitat: "Es ist durchaus möglich, dass regimenahe Extremisten hinter den Attacken stecken."
    Laut der deutsch-iranischen Journalistin Gilda Sahebi machen auch Angehörige der betroffenen Schülerinnen das iranische Regime verantwortlich - nicht zuletzt, weil sich viele Mädchen und junge Frauen in den vergangenen Monaten an den Protesten gegen das Regime beteiligt hatten.

    Journalistin Sahebi: Ideologie hinter Vergiftungen ist die des Regimes

    Sahebi erläuterte in der Aktuellen Stunde des WDR, die Ideologie hinter den Vergiftungen sei, dass Mädchen nicht zur Schule gehen und lernen sollten. Genau das sei auch die Ideologie des Regimes. Und daher sagten nun viele im Iran, dass die Vergiftungen auf das Konto des Regimes gingen. Sahebi schrieb zugleich, Berichte über "Untersuchungen" der Vorfälle durch das Regime seien mit Vorsicht zu genießen - denn "verdeckte oder vom Regime geduldete Angriffe sind nicht neu.".
    Wegen der Vorwürfe hatte es auch neue Demonstrationen gegeben, beispielsweise vor der iranischen Botschaft in Washington.
    Diese Nachricht wurde am 03.03.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.