Archiv

Vor 75 Jahren gesendet
Axel Eggebrechts Utopie "Was wäre, wenn..."

Auch 1947 blickte die Welt nach Moskau. Hier verhandelten die Außenminister der Siegermächte über die Zukunft Deutschlands. Die Konferenz war Hintergrund des Hörspiels "Was wäre, wenn...", das Axel Eggebrecht im gleichen Jahr schrieb. In seiner politischen Utopie entwarf er ein Europa , das den Krieg nicht mehr kennt.

Von Almut Finck |
Der Schriftsteller Siegfried Lenz (rechts ) und der Journalist und Autor Axel Eggebrecht am 19. Dezember 1979 im Congress Centrum Hamburg bei einer Solidaritätskundgebung des DGB zur Erhaltung des NDR.
Axel Eggebrecht (links) hier 1979 mit dem Schriftsteller Siegfried Lenz auf einer DGB-Kundgebung in Hamburg (picture alliance / Cornelia Bisagno)
"Was wäre, wenn …“ - so nannte der Journalist und Pionier des deutschen Nachkriegsradios Axel Eggebrecht ein Hörspiel, das er 1947 schrieb. Produziert und urgesendet vom Nordwestdeutscher Rundfunk, Sender Hamburg. Es ist Science-Fiction, politische Utopie und Spiegel der Zeitgeschichte in einem. Nationalhymnen kennen die Menschen nicht, in Eggebrechts Gedankenspiel. Weil es Nationen nicht mehr gibt.
"Uns im 21. Jahrhundert fällt es nicht ganz leicht, die Bedeutung dieser Musik zu verstehen. Aber den Menschen von 1947 war sie vertraut und heilig. Jede dieser Melodien hatte ihre Geschichte, eine Geschichte von Fürsten und Feldherrn, Kriegen und Siegen, an die sie erinnerten. So waren sie eines der wirksamsten Mittel, um jede Nation mit der heftigen Überzeugung zu erfüllen, sie sei besser als andere."

Ein radikaler Aufklärer und Optimist

Axel Eggebrecht, geboren 1899 in Leipzig. Autor der legendären Wochenzeitschrift "Die Weltbühne". Filmdramaturg, Radiomoderator, Feature-Autor und -Regisseur. In den Sechzigerjahren Berichterstatter der Frankfurter Auschwitzprozesse. Vor allem aber: Friedensmahner, Aufklärer und erstaunlicherweise: Optimist. Bis ans Ende seines langen Lebens 1991 glaubte er an die Vernunft und den historischen Fortschritt.
"Was wäre, wenn..." ist Eggebrechts Entwurf einer besseren, einer Welt ohne Krieg und Nationalismen, kapitalistische und sozialistische Gesellschaft miteinander versöhnt. Uraufgeführt wird das Hörspiel am 9. März 1947, dem Vorabend der so genannten Moskauer Konferenz. Die Themen, die die Außenminister der Siegermächte dort verhandeln, sind auch die des Hörspiels: der Status der vier Besatzungszonen, die Oder-Neiße-Linie, der Marshallplan, die Fronten eines sich abzeichnenden neuen, des Kalten Kriegs.

Blick ins Jahr 2047

Eggebrechts Hörstück spielt in der Zukunft. Mittels einer spektakulären neuen, sogenannten Geschichtstechnik können die Zeitgenossen von 2047 wie durch ein rückwärtsgewandtes Fernrohr einhundert Jahre zurückschauen. Menschen, die ihre Groß- oder Urgroßeltern sein könnten, treten auf, als seien sie lebendig. Daneben: historische Gestalten. Stalin, ein Sohn Franklin D. Roosevelts, Hannah Arendt. Geradezu seismografisch spürt der Autor Themen auf, die zu den großen Fragen der Zeit erst noch werden sollten. Zum Beispiel die nach der deutschen Schuld.
"KZ-Lager, ein deutscher Begriff. Verschleppung, Sippenhaft. Geisel-System, Ausrottung, Gaskammern. Das alles, zuerst von Deutschen gegen Deutsche erprobt, war nachher millionenfach gegen andere angewendet worden. Die Welt wusste das. Und die Deutschen wussten es. Aber sie wollten es nicht wissen.“

Ein realitätsverweigerndes Werk?

1987 wurde Eggebrechts fiktive Retrospektive in Hamburg noch einmal öffentlich aufgeführt. Dem anwesenden Autor warf das Publikum anschließend die Flucht in eine wirklichkeitsferne Utopie vor. Eggebrecht platzte der Kragen.
"Zum Donnerwetter. Ich möchte wieder ein bisschen mehr Elan für die Dinge und nicht lauter praktisch-politische Themen. Mein Thema ist: eine Wohlstandsgesellschaft, von der ich 47 noch gar nichts ahnen konnte, außerdem noch zu erfüllen mit dem Willen, an der Gesamt-Entwicklung der Historie dieses großen alten Erdteils, der begonnen hat mit Griechenland, und aufhören wird irgendwo in der Zukunft, hoffentlich mal mit einem wirklich einigen Europa, wieder zu erfüllen mit diesem Elan. Alle diese momentanen, zeitbedingten Probleme, seid mir nicht böse, interessieren mich nicht!“
Ein einiges Europa, eine friedliche Welt? Die Zukunft, nach der sich Eggebrecht sehnte, erscheint angesichts des Kriegs mit der Ukraine, den Wladimir Putin vom Zaun brach, auf einmal wieder so weit entfernt wie vor 75 Jahren.

"Sie hörten: Was wäre, wenn … Ein Rückblick auf die Zukunft der Welt."