Feministische Außenpolitik ist ein Konzept, das schon im frühen 20. Jahrhundert entstanden ist. Auch unter dem Eindruck des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat es neue Aufmerksamkeit und Aktualität gewonnen. Die Regierungsparteien haben sich in ihrem Koalitionsvertrag auf eine feministische Ausrichtung der deutschen Außenpolitik verständigt. Anfang März 2023 legten das Bundesaußen- und das Entwicklungsministerium Strategiepapiere mit entsprechenden Leitlinien dazu vor.
Was ist feministische Außenpolitik?
Die Idee einer feministischen Außenpolitik wird bereits seit mehr als 100 Jahren diskutiert. Als wichtiger Meilenstein gilt der Internationale Frauenkongress in Den Haag 1915.
Ausgangspunkt des Konzepts einer feministischen Außenpolitik sind die weltweit vielerorts noch immer herrschenden strukturellen Benachteiligungen. Ziel einer feministischen Außenpolitik ist es, die Perspektiven aller Menschen – unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Identität, Hautfarbe, Religion, mit oder ohne Behinderung – zu berücksichtigen. Sie nimmt den Menschen als Individuum in den Fokus und sieht die Gerechtigkeit als zentralen Wert an.
Anspruch ist es daher auch, im Bezug auf die Wahrung von Frieden und Sicherheit immer Gesundheits- und Klimapolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit mitzudenken. Hintergrund dafür ist, dass Menschen von Krisen und Kriegen auf unterschiedliche Weisen betroffen sind. So sind es etwa in Ländern des globalen Südens häufig Frauen und Mädchen, die bei zunehmender Dürre als Folge der Klimaerwärmung einen weiteren und potenziell gefährlicheren Weg zum nächsten Brunnen zurücklegen müssen.
Was sind Forderungen feministischer Außenpolitik?
Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen - die drei "R" - haben sich als Kernforderungen feministischer Außenpolitik etabliert: Frauenrechte sollen weltweit gestärkt, entsprechende Maßnahmen und Initiativen mit finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Zudem soll die Repräsentanz von Frauen in außenpolitischen Entscheidungspositionen und auch in Verhandlungen erhöht werden.
Dabei geht es nicht nur um die Einbindung unterschiedlicher Sichtweisen und um die bloße Teilhabe von Frauen bei Verhandlungen. Es geht auch um die Nachhaltigkeit von Lösungen, die aufgrund dessen erarbeitet werden. So zeigt etwa eine Studie des „International Peace Institute“, bei der mehr als 180 Friedensprozesse analysiert wurden, dass die Wahrscheinlichkeit für einen mindestens zwei Jahre anhaltenden Frieden um 20 Prozent höher lag, wenn Frauen an den Verhandlungen beteiligt waren.
Neudenken des Sicherheitsbegriffs
Darüber hinaus denkt feministische Außenpolitik den Begriff der internationalen Sicherheit grundsätzlich anders als etwa der klassischen Realismus. Nach diesem wird Frieden vor allem durch ein Gleichgewicht der Kräfte gewahrt, mithin also durch Waffen, insbesondere durch das Abschreckungspotenzial von Atomwaffen. Ein solche Perspektive zementiert nach Ansicht feministischer Außenpolitik patriarchalische Strukturen.
Stattdessen setzt sie auf einen idealistischen Ansatz, der auf die strikte Einhaltung von Menschenrechten weltweit – und auf schärfere Konsequenzen gegen Staaten, die dagegen verstoßen. Angestrebt wird ein sogenannter positiver Frieden, in dem Armut, Hunger, strukturelle Gewalt und Ungleichheit überwunden werden sollen.
Baerbocks Leitlinien - Wie steht es um feministische Außenpolitik in der politischen Praxis?
In Deutschland hat sich die amtierende Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag zu einer feministischen Außenpolitik verpflichtet. Sie beruft sich dabei vor allem auf die UN-Resolution "Frauen, Frieden, Sicherheit" aus dem Jahr 2000. Ziel sei es, die Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit zu stärken.
"Gemeinsam stärker sein", so umschreibt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock feministische Außenpolitik. "Wenn wir Friedensabkommen verhandeln, dann sind diese stabiler und tragfähiger, wenn alle Menschen mit am Tisch sitzen. Und das gilt insbesondere für die Hälfte der Bevölkerung - und das sind Frauen."
Wie genau Frauen künftig stärker eingebunden werden sollen, hat die Grünen-Politikerin Anfang März 2023 vorgestellt. „Wir verfolgen eine feministische Außenpolitik, weil es bitternötig ist“, schreibt Baerbock im Vorwort zu den neuen Leitlinien des Auswärtigen Amts, weil Männer und Frauen weltweit noch nicht gleichgestellt sind und weil Frauen in Konflikten besonders verletzlich sind.
Drei Ziele beschreibt Baerbock darin: Die Rechte von Frauen und Mädchen sollen geachtet und gefördert werden, Frauen besser vertreten sein, auch im Auswärtigen Amt selbst, und es geht um gleichen Zugang, beispielsweise zu Bildung.
Das Entwicklungsministerium verfolgt dieselben Ziele. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat gemeinsam mit Baerbock die Strategie ihres Hauses vorgelegt. Schulze möchte den Anteil der Projekte, die auf Gleichstellung einzahlen, deutlich erhöhen. "Wir sind im Moment bei 65 Prozent, das ist deutlich unter dem, was andere Länder machen. Ich möchte das auf 93 Prozent erhöhen in den nächsten Jahren." Frauen als Teil der Lösung gegen Hunger, gegen die Folgen des Klimawandels, darauf kommt es der Ministerin besonders an.
Schweden galt lange Zeit als Vorbild
Schweden war 2014 das erste Land, das sich offiziell zu einer feministischen Außenpolitik bekannte. Es folgten andere Länder wie Kanada, Mexiko und Spanien. Lange Zeit galt Schweden als Vorbild, wurde aber teilweise auch für die binäre Ausrichtung der feministischen Außenpolitik kritisiert - also dafür, den Fokus nur auf Frauen und Mädchen und nicht auch auf non-binäre Personen zu setzen. Auch gab es den Vorwurf, das Konzept existiere nur auf dem Papier. Das Auswärtige Amt in Deutschland hat erklärt, dass es die drei „R“ um ein „D“ für Diversität in seinem Strategiepapier erweitern will - um die ganze Gesellschaft in der Außenpolitik mitzudenken.
Die aktuelle rechtsgerichtete Regierung Schwedens hat das Konzept der "feministischen Außenpolitik" inzwischen gekippt. "Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein grundlegender Wert in Schweden und auch ein grundlegender Wert für diese Regierung." Der Ausdruck "feministische Außenpolitik" werde aber gestrichen, "denn Etiketten haben die Tendenz, den Inhalt zu verschleiern", begründete Schwedens Außenminister Tobias Billström die Entscheidung.
Welche Kritik gibt es an der feministischen Außenpolitik Baerbocks?
Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Frage in den Fokus gerückt, wie praxistauglich der Ansatz der feministischen Außenpolitik ist, insbesondere die Forderung nach globaler Abrüstung. Besonders vor dem Hintergrund, wie auf einen Angriffskrieg reagiert werden solle, wenn nicht durch Unterstützung in Form von Waffenlieferungen. Rüstungsexporte widersprechen den Prinzipien der feministischen Außenpolitik und wurden in der Vergangenheit zum Beispiel mit Blick auf Lieferungen europäischer Staaten an Kriegsparteien im Jemen-Krieg stark kritisiert.
In der Kritik steht das Konzept der feministischen Außenpolitik auch mit Blick auf die Proteste im Iran. Seit dem Tod der jungen Frau Mahsa Amini, die in Gewahrsam der sogenannten Sittenpolizei gestorben ist, reißen die regimekritischen Proteste dort nicht ab. Die EU hat inzwischen Sanktionen erlassen, weitere sollen folgen.
Oppositionspolitikerinnen wie Serap Güler (CDU) werfen der Ampel-Koalition hier ein zu zögerliches Handeln vor, das nicht den Erwartungen an eine feministische Außenpolitik entspreche: "Auch ganz viele Aktivistinnen sind in Bezug auf den Iran enttäuscht, weil sie sagen, da haben wir einfach mehr erwartet", sagte Güler gegenüber dem Deutschlandfunk.
Feministische Außenpolitik sei ein elitäres, weißes und teilweise sogar kolonialistisch geprägtes Konzept, ist ein weiterer Vorwurf. In feministischen Kreisen wird teilweise zudem gefordert, dass feministische Außenpolitik noch stärker Intersektionalität, also sich überlappende Mehrfachdiskriminierung zum Beispiel schwarzer oder homosexueller Frauen, berücksichtigen müsse.
Die Verteidiger und Verteidigerinnen der feministischen Außenpolitik verweisen darauf, dass eine hunderprozentige Umsetzung des Konzepts eine Utopie sei, dass es als normativer Maßstab und Ziel durchaus tauge. "Die hundertprozentige Umsetzung der Menschenrechte ist genauso eine Utopie wie die hundertprozentige Umsetzung eines feministischen Ansatzes - und trotzdem geben wir das nicht auf", sagt etwa Claudia Zilla von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
(Quellen: Heinrich-Böll-Stiftung, unwomen.org, Katharina Peetz, Nina Amin, cwu, dpa)