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Was wird aus den Denkern?

Sind die Geisteswissenschaften vom Aussterben bedroht? Welche Chance haben Geisteswissenschaften im Uni-Betrieb? Werden sie nicht immer mehr von den Naturwissenschaften verdrängt? Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat darüber gestern in der Bucerius Law School in Hamburg mit Fachleuten diskutiert.

Von Daniel Kaiser | 21.11.2006
    Die Geisteswissenschaften stecken in der Krise. Da ist sich der Hamburger Kunstgeschichtler Wolfgang Kemp sicher. Die Auswahl der Exzellenz- Universitäten vor einem Monat sind für ihn der Beweis. Seiner Meinung nach war die ein Schlag ins Gesicht der Geisteswissenschaften.

    " Dass in dem Land Baden-Württemberg Universitäten wie Tübingen, Heidelberg, Freiburg und Konstanz nicht zum Zuge kommen, sondern eine technische Universität Karlsruhe ... ich BITTE Sie ... also, was ist da vorgefallen? (Gelächter) Das ist eines der vielen Probleme, das wir haben, was die Rahmenbedingungen anbelangt."

    Annette Schavan wehrt sich gegen solchen Dünkel. Die Bildungsministerin bemängelt, dass Naturwissenschaften noch immer keinen festen Platz in der Allgemeinbildung gefunden haben. Für sie ist das eines der Hauptprobleme.

    " Man kann auch in Deutschland locker behaupten, dass man Mathematik nie begriffen hat in der Schule. Auch dann wird einem die Bildung nicht so schnell infrage gestellt."

    Der Hochmut der Geisteswissenschaft falle jetzt auf sie selbst zurück, räumt auch der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, der Kirchengeschichtler Christoph Markschies, ein.

    " Den kenne ich aus meiner eigenen Familienbiographie: "Interessiert doch gar nicht! Fürs Rechnen gibt's einen Taschenrechner." Und nun kann man sich natürlich auch nicht verwundern, wenn als Erbe dieser geisteswissenschaftlichen Verachtung es dann gelegentlich Naturwissenschaftler gibt, die sagen: " Pah, was nützt uns denn die Edition von Konzilsakten des 5. und 6. Jahrhunderts?""

    Die Geisteswissenschaften müssten sich neu aufstellen, fordert Bildungsministerin Schavan; gerade was internationale Standards und Vergleichbarkeit angeht.

    " Wenn Sie fünf Geisteswissenschaftler zusammen haben, die etwas begutachten sollen, dann werden Sie eine völlig andere Atmosphäre finden als bei fünf Physikern, die ganz schnell sich klar darüber sind, was in welche Kategorie gehört. Während bei den fünf Geisteswissenschaftlerin die meiste Zeit darin besteht, doch festzustellen, dass das, was der Kollege da gerade vorgelegt hat, eigentlich durchaus noch einmal kritisch befragt werden kann."

    Einige strukturelle Probleme müssten aber von der Politik angepackt werden, meint Schavan. Vor allem die Regionalwissenschaften dürften nicht unter die Räder kommen, wenn Universitäten ihr Profil suchen und dabei kleinere Fakultäten kaputt sparen.

    " Das ist nun wirklich absurd! In Zeiten, wo alle über Globalisierung sprechen und nach dem 11.September brauchen wir mehr Wissen. Wir brauchen diese Institute mehr denn je. Und da muss man jetzt mit den Ländern reden, wo wir ganz gezielt auch Zentrenbildung betreiben und sie auch ein bisschen aus der Isolierung herausnehmen."

    Archäologie, Rechtsphilosohie, Theologie - deutsche Geisteswissenschaft ist oft immer noch Weltspitze. Die Experten beklagen aber, dass zu wenige Ausländer an deutschen Universitäten forschen und lehren. Das würde ihrer Meinung nach den ganzen geisteswissenschaftlichen Betrieb regelrecht aufmischen. Der Hamburger Kunstgeschichtler Wolfgang Kemp sieht da nur ein großes Problem.

    " Zu der Frage "Ausländer an deutsche Universitäten": Ja, sofort. Das fänd' ich auch sehr schön. Dann müsste man ihnen aber mehr bezahlen. Wir haben jetzt ein Drittel Kürzungen hingenommen für Neueinstellungen. Dafür kriegen Sie sehr wenige aus dem Ausland."

    Doch die Finanzmittel bleiben begrenzt. Deshalb müssen Geisteswissenschaftler kreativ sein - so wie der Präsident der Berliner Humboldt-Universität. Christoph Markschies hat in Berlin nämlich gerade eine Ausstellung über 'Wunderheilung in der Antike' organisiert.

    " Das haben Kliniken gefördert, die ganz gewiss keine Wunderheilungen durchführen und sich für Antike eigentlich einen feuchten Kehricht interessieren. Man muss auch so mit einer gewissen Fröhlichkeit auftreten und mal gucken: Sind nicht die Soundso-Kliniken auch mal bereit, eine Ausstellung über Wunderheilung in der Antike zu fördern."

    Auch Bildungsministerin Schavan versprüht Optimismus. Zum "Jahr der Geisteswissenschaften" ruft sie auf, endlich mit dem Jammern aufzuhören.
    " Die Geisteswissenschaften sollten aufhören, sich selbst zu Opfern zu definieren. Wer sich selbst als Opfer definiert, wird als Opfer behandelt. So ist das im Leben."