Wasserstoffstrategie der Bundesregierung
Import im großen Stil und Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes

Der Bedarf an Wasserstoff wird in den nächsten Jahren enorm steigen. Der Aufbau des Kernnetzes hat bereits begonnen. Deutschland wird dennoch einen Großteil aus dem Ausland importieren müssen.

    Auf einer Baustelle werden Rohre verlegt.
    Das Kernnetz für Wasserstoff wird bereits ausgebaut, hier eine Baustelle der EnBW in Baden-Württemberg. (picture alliance / dpa / Bernd Weißbrod)
    Wasserstoff. Das Wort steht in EU, Bund und Ländern schon seit Jahren in Strategiepapieren und Regierungserklärungen. Manchmal klingt es in Reden wie ein Allheilmittel gegen die Klima- und Energiekrise. Denn Wasserstoff gilt als Baustein für eine klimafreundliche Industrie. Es soll Deutschland helfen, bis 2045 klimaneutral zu werden.
    Seit dem Krieg in der Ukraine gilt Wasserstoff außerdem als wichtige Alternative, um die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden.
    Doch ein Großteil des benötigten Wasserstoffs - bis zu 70 Prozent - muss Deutschland importieren. Wie das passieren soll, steht in der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung.

    Inhaltsverzeichnis

    Was steht in der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung?

    Ziel sei eine „nachhaltige, stabile, sichere und diversifizierte“ Versorgung mit ausreichend Wasserstoff und Wasserstoffderivaten, heißt es in der Strategie. Dies soll auch ein „Signal“ sein an die deutsche Wirtschaft für eine verlässliche Versorgung mit ausreichenden Mengen an Wasserstoff.
    Im Vergleich zur ersten Wasserstoffstrategie, die 2020 von der Regierung Angela Merkel vorgelegt worden war, wurden in der jetzigen Wasserstoffstrategie viele Zahlen nach oben korrigiert. Das betrifft etwa den Bedarf: 95 bis 130 Terawattstunden Wasserstoff wird Deutschland demnach 2030 benötigen. Die Wasserstoffnachfrage soll dann bis zum Jahr 2045 auf etwa 360 bis 500 Terawattstunden steigen - sowie 200 Terawattstunden für Wasserstoffderivate. Bedarf gebe es vor allem in der Stahlindustrie, der Grundstoff- und Petrochemie, in der Mobilität und Logistik sowie bei Kraftwerken.
    Wasserstoff soll Gas oder Öl ersetzen. Der Energieträger soll in Deutschland vor allem durch Elektrolyse hergestellt werden. Elektrolyse bedeutet, dass mithilfe von Strom Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Wenn der dabei eingesetzte Strom aus Erneuerbaren stammt, wird von grünem Wasserstoff gesprochen.
    Bund und Länder wollen in 23 Projekte – etwa zur Erzeugung von grünem Wasserstoff sowie zur Speicherung und zum Transport – gemeinsam 4,6 Milliarden Euro investieren.
    Die Produktionskapazität von grünem Wasserstoff in Deutschland soll bis 2030 von fünf auf zehn Gigawatt steigen.
    Daneben setzt die Bundesregierung auf Importe und sogenannten blauen Wasserstoff, der vor allem mit Erdgas hergestellt wird. Bei der Herstellung von blauem Wasserstoff wird CO2 freigesetzt, das klimasicher eingelagert oder verwertet werden soll. Durch das Auffangen des dabei entstehenden CO2s soll die Klimabilanz dieses Prozesses verbessert werden. Doch sei blauer Wasserstoff „kein tragfähiger und nachhaltiger Energieträger für den Weg in eine treibhausgasneutrale Energieversorgung“, schreibt das Umweltbundesamt.

    Wie soll Wasserstoff bei der Energiewende helfen?

    Wasserstoff soll im großen Stil fossile Grundstoffe ersetzen. Auf dem Weg zu einem fossilfreien Wirtschaftssystem gilt Wasserstoff als einer der wichtigsten Faktoren. Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein und muss dazu seine Energieversorgung umstellen. Mit Wasserstoff sollten nicht elektrisch zu erschließende Bereiche im Industriesektor, im Verkehrssektor und teilweise auch im Energiebereich dekarbonisiert werden.
    Nach Thyssen Krupp in Essen betreibt die Salzgitter AG Deutschlands zweitgrößten Stahlkonzern. Derzeit stammt ein Prozent des deutschen Kohlendioxid-Ausstoßes allein aus Salzgitter. Ab 2026 will das Unternehmen am Standort Salzgitter, an dem 10.000 Arbeitsplätze hängen, auf Basis von Strom und Wasserstoff grünen Stahl produzieren. Aber schon jetzt ist klar, dass der Wasserstoff aus eigener Produktion nicht ausreichen wird. Salzgitter erzeugt mit der geplanten neuen Anlage rund 9.000 Tonnen pro Jahr. Für die grüne Stahlerzeugung werden in der letzten Ausbaustufe aber 300.000 Tonnen gebraucht.

    Woher soll der Wasserstoff kommen?

    In Deutschland sollen zahlreiche Elektrolyseanlagen gebaut werden, die vor allem grünen Wasserstoff produzieren. Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck soll ungefähr ein Drittel des benötigten Wasserstoffs in Deutschland erzeugt werden.
    50 bis 70 Prozent des Wasserstoff-Bedarfs soll durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden. Dabei will die Bundesregierung auf soziale und ökologische Standards im Herkunftsland achten. Zudem setzt die Bundesregierung auf unterschiedliche Partner. Sie will die Fehler vermeiden, die sie beim Erdgas gemacht hat, als man sich von Russland abhängig machte.
    Länder mit der größten Elektrolysekapazität für Wasserstoff in Europa im Jahr 2022 (in Megawatt)
    Aus Dänemark und Norwegen sowie aus sonnenreichen Staaten der Arabischen Halbinsel soll Wasserstoff über Pipelines nach Deutschland kommen. Aus Afrika, Kanada oder Südamerika wiederum per Schiff, wahrscheinlich in Form von Derivaten, die sich deutlich leichter transportieren lassen. Dafür müssen mehr Terminals gebaut werden.
    Für den Import kommen auch Länder wie Namibia oder Marokko infrage, die selbst ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien haben. Dem Klima wäre nämlich nicht geholfen, wenn andere Länder Wasserstoff nach Europa exportieren, aber selbst fossile Brennstoffe einsetzen.
    Der Energiekonzern Shell, der mit fossilen Brennstoffen groß geworden ist, will im Hafen Rotterdams in den kommenden zwei Jahren Europas größte Anlage für grünen Wasserstoff errichten. Ab 2025 soll sie bis zu 60.000 Kilogramm pro Tag liefern.
    Experten nennen auch Portugal, Spanien und Griechenland als mögliche Lieferländer. Allerdings werde es im globalen Wasserstoff-Markt Konkurrenten geben, so Manfred Fischedick, Chef des Wuppertal-Instituts. Nicht nur Deutschland habe Interesse an Wasserstoff.

    Kritik an der Strategie der Bundesregierung

    Die Umweltorganisation Greenpeace warnt vor "überdimensionierten Importzielen", wodurch Deutschland drohe, erneut von autokratischen Regierungen abhängig zu werden. Verena Graichen vom Umweltverband BUND forderte deshalb einen Fokus auf Effizienz und Reduktion der Energienachfrage.
    Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Bundesregierung "auf unbestimmte Zeit auch auf fossil-blauen Wasserstoff" setzt. Damit werde die Gaswirtschaft befähigt, "weiteres fossiles Erdgas zu fördern".
    Und der CDU-Energieexperte Andreas Jung sieht in der Regierungsstrategie viele Absichtserklärungen und fordert stattdessen konkretere Planungen.

    Wie wird Wasserstoff transportiert?

    "Es ist ein großer Vorteil von Wasserstoff, dass er in sehr unterschiedlicher Form transportiert werden kann", sagt der Chef des Wuppertal-Instituts, Manfred Fischedick. Auf kürzeren Distanzen per Binnenschiff, Zug oder Lkw, auf größeren Distanzen per Pipeline. Beim Schiffstransport muss Wasserstoff laut Fischedick verflüssigt werden. Das führe zu sehr niedrigen Temperaturen und entsprechenden Wirkungsgradverlusten.
    Deshalb dürften auf der Langstrecke sogenannte Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol oder synthetische Kraftstoffe, die für den Transport per Schiff genutzt werden können, eine wichtige Rolle spielen. Eine Pipeline ist von Norwegen nach Deutschland geplant, über die laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zunächst "blauer" Wasserstoff transportiert werden soll. Die Terminals zum Import von Flüssiggas (LNG), die derzeit an den deutschen Küsten entstehen, sollen später für Wasserstoff nutzbar gemacht werden.

    Was bedeutet der Aufbau eines Kernnetzes?

    In Deutschland soll bis zum Jahr 2032 ein Kernnetz - eine Art Autobahn für Wasserstoffleitungen - entstehen. Rund 9.700 Kilometer sollen Häfen, Speicher, Kraftwerke und wichtige Industriezentren in allen Bundesländern miteinander verbinden. 19,8 Milliarden Euro soll das Projekt kosten, der Bund geht in Vorleistung.
    Das Netz muss nicht ganz neu aufgebaut werden: Zu 60 Prozent soll es aus umgestellten Erdgasleitungen bestehen. 2024 soll der Bau beginnen, 2025 soll der erste Wasserstoff fließen.
    Das Kernnetz soll durch zusätzliche Verbindungen erweitert werden und in ein europäisches System eingebunden sein. Unter anderem soll es eine zentrale Leitung für grünen Wasserstoff über Portugal, Spanien und Frankreich geben.

    Wo und wie genau soll Wasserstoff eingesetzt werden?

    In Kraftwerken soll mit Wasserstoff Strom erzeugt werden. Auch in der Stahlherstellung soll er zum Einsatz kommen. Wo bei der Herstellung von Roheisen bislang Kohle dem Eisenerz den Sauerstoff entzieht, soll künftig Wasserstoff ran. In chemischen Prozessen soll er Kohlenstoffverbindungen ersetzen.
    Doch der Umstieg auf Wasserstoff ist extrem komplex. In energieintensiven Industrien wie Stahl, Glas oder Aluminium müssen die Betriebe erst an ein Wasserstoffnetz angebunden werden. Daneben muss es einen Anschluss an Speicher- und Verteilerzentren geben.
    Der Strategie zufolge soll Wasserstoff im Verkehrssektor etwa für "schwere Nutzfahrzeuge" verwendet werden. Für die Wärmeversorgung spiele der Einsatz von Wasserstoff eine "eher nachgeordnete Rolle". Beim Heizen gebe es bessere Alternativen wie etwa die Wärmepumpe, sagt der Energieexperte Volker Quaschning.
    Auch Elektroautos seien im Stromverbrauch billiger als die Wasserstoffherstellung für Fahrzeuge mit E-Fuels. Quaschning kritisiert zudem, blauer Wasserstoff helfe dem Klima nicht.
    Bislang werden in Deutschland jährlich rund 55 Terawattstunden Wasserstoff verbraucht, vor allem in der Chemieindustrie. Gewonnen wird er bislang meist aus Methan, dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas.

    pj, tei, dpa, Reuters, AFP