Sandra Schulz: Wie viel hat der Staat zu sagen bei öffentlich-rechtlichen Medien? Welchen Einfluss haben die politischen Parteien? Kriegen Sie bei ARD und ZDF und hier bei uns im Deutschlandfunk, beim Deutschlandradio zu hören, was die Regierenden wollen? Für erboste Pegida-Anhänger ist die Antwort ein klares Ja. Die Rede ist von Lügenpresse oder bei der AfD von Pinocchio-Presse. Aber noch bevor es Pegida und die AfD überhaupt gegeben hat, da hat vor Jahren der Fall um den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender eben diese Frage aufgeworfen: Wieviel Macht haben eigentlich die Parteien bei den öffentlich-rechtlichen Medien?
Brenders Vertrag war auf Betreiben des früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch nicht verlängert worden. Auch wenn der einen klaren Zusammenhang zur Parteipolitik immer bestritten hat, der lag doch sehr nahe, und vor knapp zwei Jahren urteilte dann das Bundesverfassungsgericht, der ZDF-Staatsvertrag, der sei verfassungswidrig. Die Parteien - das ist jetzt ganz stark verkürzt -, die hätten zu viel Macht in den ZDF-Gremien. Seit letztem Sommer hat das ZDF einen neuen Staatsvertrag und jetzt soll es auch beim Westdeutschen Rundfunk, beim WDR, Neuerungen geben. Der WDR soll bürgernäher und transparenter werden, so heißt es aus der rot-grünen Landesregierung, und die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, die haben dem Entwurf für ein neues WDR-Gesetz schon zugestimmt. Heute entscheidet der nordrhein-westfälische Landtag.
In den kommenden Minuten bleiben wir beim Thema. Zugeschaltet ist uns jetzt der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler, Journalismus-Professor an der Fachhochschule des Mittelstandes in Bielefeld. Guten Morgen.
Bernd Gäbler: Guten Morgen, Frau Schulz!
Schulz: Ist dies das Dilemma, dass die Politik die Regeln festlegt, nach denen die Öffentlich-rechtlichen, jetzt in diesem Fall der WDR, konstituiert sind?
Gäbler: Ja natürlich. Die Idee des Öffentlich-rechtlichen ist großartig. Die Unabhängigkeit der Medien soll es geben. Sie ist ein hohes Gut. Ja sie hat sogar Verfassungsrang. Und das heißt, die Medien sollen verpflichtet sein nicht dem Staat, erst recht nicht der Regierung, sondern der Pluralität der Gesellschaft, und die Gesellschaft mit all ihren Gruppen und Interessenvertretungen soll vertreten sein in den Gremien. Es gibt das Gesetz oder die Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass das bisher zu viel Politik war. Maximal ein Drittel Vertreter des Staates oder staatsnaher Organisationen dürfen in Zukunft in diesen Gremien tätig sein. So soll die Unabhängigkeit der Medien unter anderem gesichert werden. Aber es ist wie bei der Bestellung von Richtern oder so auch eben eine Entscheidung der Politik, und das WDR-Gesetz, von dem jetzt die Rede ist, trägt sicher rot-grüne Handschrift und wird auch mit diesen beiden Fraktionen durchgestimmt werden im Landtag Nordrhein-Westfalen.
"Der Rundfunk soll der Gesellschaft verpflichtet sein"
Schulz: Es gibt ja diese Skepsis - das haben Sie gerade angesprochen, ist ja auch immer wieder deutlich geworden - natürlich gegenüber dem Einfluss von politischen Parteien. Aber welche Legitimation haben eigentlich andere Interessensvertreter oder Lobbygruppen, die sie ja letzten Endes dann auch sind, die Geschicke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu lenken?
Gäbler: Wie gesagt, die Idee ist, der Rundfunk soll verpflichtet sein der Gesellschaft, und in der Gesellschaft gibt es Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Tierschützer, Sportverbände und so weiter. Das sollen die ausschlaggebenden Gruppen sein, die entscheiden. Hier im neuen WDR-Gesetz ist es so, dass der Rundfunkrat, das große Aufsichtsgremium, aufgestockt wird um bestimmte gesellschaftliche Gruppen, es dafür aber einen kleineren, nur neunköpfigen Verwaltungsrat geben wird. Das wird das eigentliche Machtorgan. Der wird auch in Zukunft richtig viel zu sagen haben, da er alles entscheiden kann, was über zweieinhalb Millionen Euro Investitionen sind. Das ist das sogenannte Lex Gottschalk, weil Herr Gottschalk bekam ja sehr viel Geld für Leistungen, die er dann gar nicht mehr erbringen musste. Das soll es in Zukunft nicht geben. Dieser Verwaltungsrat wird ein Machtorgan des Senders, und das ist die entscheidende Frage: Wie wird der besetzt? Welche neun Leute werden das? Wie sehr greift die Politik da ein? Da wünschte man sich große, starke, symbolische Handlungen, die die Unabhängigkeit manifestieren.
Journalistisch begleitete Wahlkämpfe haben parteipolitische staatliche Einflüsse
Schulz: Und das ist jetzt noch offen?
Gäbler: Das ist jetzt noch offen, weil die alten Gremien sind ja gewählt und existieren noch. Erst ab 2018 werden die neu besetzt. Da wünschte man sich ein Symbol der Unabhängigkeit. Ich sage mal, auch vom ZDF könnte ich mir solche Symbole vorstellen. Dort wird durchgesetzt, es gibt weniger Parteienvertreter, aber es gibt zum Beispiel im ZDF immer noch einen sogenannten Programmbeirat Chefredaktion. Der legt der Chefredaktion in einem Unterausschuss, wenn man so will, vor, wie er etwa die Wahlkämpfe journalistisch begleiten will, was für Veranstaltungen er da plant, und in diesem Programmbeirat sitzen alle Generalsekretäre der großen Parteien. Das ist eine typische Machtzusammenballung, wie wir sie eigentlich nicht wollen.
Oder sehen Sie: Jetzt hatten wir die Auseinandersetzung im Vorfeld der Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Der Sender plant ein bestimmtes Programm, sagt, das ist ein journalistisches Konzept, dann sagen die verschiedenen Eingeladenen, sie kommen nicht oder sie kommen nur, wenn der nicht kommt, und so weiter. Da sieht man natürlich parteipolitische staatliche Einflüsse. Darüber darf man nicht jammern in den Sendern. Wenn man wirklich unabhängig ist, muss man dann sagen, wir machen trotzdem die Sendung, und wenn einer nicht kommt, der eingeladen ist, nun gut, dann ist das sein Problem, wir werden das durchziehen. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre auch vonseiten der Sender nötig.
Oder sehen Sie: Jetzt hatten wir die Auseinandersetzung im Vorfeld der Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Der Sender plant ein bestimmtes Programm, sagt, das ist ein journalistisches Konzept, dann sagen die verschiedenen Eingeladenen, sie kommen nicht oder sie kommen nur, wenn der nicht kommt, und so weiter. Da sieht man natürlich parteipolitische staatliche Einflüsse. Darüber darf man nicht jammern in den Sendern. Wenn man wirklich unabhängig ist, muss man dann sagen, wir machen trotzdem die Sendung, und wenn einer nicht kommt, der eingeladen ist, nun gut, dann ist das sein Problem, wir werden das durchziehen. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre auch vonseiten der Sender nötig.
"Entautorisierung der klassischen Medien findet statt"
Schulz: Es gibt jetzt dieses Urteil aus Karlsruhe. Es gibt viele öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die sich daran machen, diese Vorgaben jetzt umzusetzen. Aber all das scheint ja nichts daran zu ändern, dass die Skepsis größer wird, dass offensichtlich auch die Auseinandersetzungen schroffer werden, wenn ich an Formulierungen denke wie Lügenpresse oder Pinocchio-Presse. Das betrifft zwar nicht nur die Öffentlich-rechtlichen, aber die auch. Was hilft denn dagegen?
Gäbler: Na ja. Es ist ein großer Vertrauensverlust, wenn man so will. Oder man könnte es positiv nennen: eine Entautorisierung der klassischen Medien. Sie müssen sich das vorstellen etwa wie beim Beginn der Alphabetisierung. Wir haben durch das Internet jetzt eine völlig neue Situation. Jeder Mensch kann publizieren, jeder ist sein eigener Publizist. Das ist etwa so wie in der Anfangsphase, als jeder lernte zu lesen und zu schreiben. Da war plötzlich die Autorität der Bibel, des Pfarrers dahin. Jetzt ist die Autorität der Tagesschau, der Medien dahin. Jeder kann sich - und das ist das große Problem - bewegen in einer filter bubble. Das heißt, er kann global wirksam sein, wenn man so will, maximal global wirksam sein, aber sich bewegen ausschließlich in der Gruppe der Meinungsgleichen, und man kann da nichts anderes gegenhalten als wirklich guten Journalismus. Der Journalismus steckt im Moment sowohl in einer ökonomischen Krise wie in einer Selbstbewusstseinskrise. Beides sind Aufgaben, die schwer zu lösen sind, die aber angegangen werden müssen. Die ökonomische Krise ist für die Leute, die durch Gebühr finanziert werden, eigentlich zu bewältigen, für die, die auf Werbefinanzierung angewiesen sind, etwas schwieriger, weil die Werbung abwandert. Das ist eine große Zukunftsfrage, wie ist Journalismus zu finanzieren. Und dieses, was ja im WDR-Gesetz auch steht, geradezu Kooperationsgebot - der WDR soll jetzt zusammenarbeiten mit Privaten und so weiter -, das ist natürlich ein großes systemisches Problem, scheint mir eine Art Notlösung der Antwort zu sein auf die Frage, wie ist in Zukunft Journalismus noch zu finanzieren.
Schulz: Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler heute Morgen hier im Deutschlandfunk bei uns. Ganz herzlichen Dank.
Gäbler: Ich danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.