Die Musik wurde bewundert, das Libretto verspottet. Das ist der Fluch, den die Oper "Euryanthe" von Beginn an begleitet.
Schon in der Ouvertüre setzt Carl Maria von Weber musikalisch ganz neue Maßstäbe. Was mit den ersten Akkorden noch sehr lyrisch im Weber-Freischütz-Stil beginnt, entwickelt sich nach wenigen Momenten schon zu einer dramatischen, fast wagnerschen Großpanorama-Musik.
Und Roland Kluttig, der Dirigent dieser neuen Frankfurter Euryanthe-Produktion, bindet diese mal lyrische, mal dramatische, stets auf das große malerische Tableau angelegte Musik fantastisch zusammen. Selbst wenn das Libretto lyrischen Mai-Blumen-Wiesen-Heimat-Kitsch bereithält, behält Kluttig den besonderen Weber-Euryanthe-Ton im Auge.
Und dieser Ton war tatsächlich neu. Carl Maria von Weber hat für seine Rittergeschichte "Euryanthe" einen ganz eigenen Klang entwickelt. Er schreibt eine Art fantastischer Geistermusik, ganz im Sinne der Schwarzen Romantik - mit magischen Geigen, expressiven Rezitativen, dramatischen Arien, riesigen Chören. Alles das ist gespickt mit einer Leitmotivik, die das Personal - drei Liebespaare und einen König - sehr präzise charakterisiert. Weber hat diesen drei Paaren eine fast unsingbare Musik auf den Leib geschrieben. Die beiden Frauenpartien Euryanthe und Eglantine müssen sich in schwindelerregender Höhe mal Schmerz, mal Ektase abringen. Heidi Melton, die die Intrigantin Eglantine singt, derwischt in Frankfurt wie eine böse Hexe aus einem Walt-Disney-Film über die Bühne:
Heidi Melton ist der Star des Abends: Die große kräftige Sängerin hat eine Bühnenpräsenz, die schon im kleinsten Augenaufschlag Blitze schlägt. Wenn sie auf die Knie fällt, bebt die Bühne. Wenn sie Lysiart küsst, wackelt das Podium.
Meltons Stimme - lyrisch-dramatisch - ist wie gemacht für die Extreme dieser Partie. Eine grollende, drastische Bruststimme kombiniert sie mit einer durchdringenden, makellos durchgestalteten Höhe. Kein Ton, der ihr nicht wunderschön gelingt. Auch Erika Sunnegård, Euryanthe, findet im Laufe des Abends zu dieser Klasse. Sie ist der zarte, engelsgleiche Counterpart zu Melton.
Rittergeschichte wird zur Nachkriegs-Story
Webers Euryanthe ist eine romantisch heroische Oper im mittelalterlichen Kleid, also recht verwickelt: Lysiart wettet mit Adolar, dass Adolars Frau Euryanthe untreu werden möge. Durch eine Intrige von Eglantine kann aber allenfalls der Anschein von Euryanthes Untreue erweckt werden. Weil aber alle bis zum Schluss Eglantine auf den Leim gehen, gibt es doch Tote. Aber Euryanthe ist und bleibt die Säulenheilige: Natürlich hat sie ihren Gatten nie betrogen.
Der Regisseur Johannes Erath macht aus dieser Rittergeschichte eine Nachkriegs-Story. Er lässt sich von Heike Scheele eine mondäne Bar bauen: In Palisander-Täfelung, mit Bugholz-Stühlen und einem 400-Flaschen-Spirituosen-Arsenal, das diese feine grau-in-grau gekleidete Abendgesellschaft nicht lebenslustig, sondern dekadent erscheinen lässt. Der Boden der Bar - ein Schachbrettmuster - deutet an, wie Erath diese Geschichte verstanden wissen will: als ein Strategiespiel, das bereits nach wenigen Eröffnungszügen unweigerlich seinen tödlichen Lauf nimmt. Heike Scheeles Bühnenbild ist ein hochkomplexes Kunstwerk, es dominiert alles. Eine märchenhafte Ruine inmitten der Bar entpuppt sich als zweiter Spielort, kunstvolle Drehungen mit beiden Drehbühnen zeigen immer wieder neue Perspektiven einer Welt des magischen Realismus, in der sich Realität und Fantasie vermischen.
Eraths Personenführung fällt dagegen mächtig ab: Es wird viel gestanden, viel an der Rampe gesungen, viel rumposiert. Johannes Erath hat viele gute Ideen, zu viele sogar. Am Ende fehlt es gerade ihm an Magie, an Illusion, an Zauberkraft. Alles das bieten jedoch die Sänger, der Dirigent Roland Kluttig, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester und vor allem auch der Chor, der in dieser "Euryanthe" mitunter schon elegante Bayreuther Anmut zeigt.