Musik: Carl Maria von Weber, Ouvertüre "Euryanthe"
Den meisten Klassikkennern sind diese Takte wohlbekannt: Die Ouvertüre zu Carl Maria von Webers "Euryanthe" zählt zu einem der beliebtesten Auftaktstücke in klassischen Konzertabenden. Doch wer kennt schon die ganze Oper? Obwohl dramaturgisch enorm innovativ und in der formalen Geschlossenheit auf Wagners Gesamtkunstwerke vorausweisend, fand Webers "große romantische Oper" noch immer nicht den Weg ins Repertoire. Helmina de Chézys umständlich erzählte Rittergeschichte aus dem mittelalterlichen Frankreich König Ludwigs VI. verhindert eine breite Rezeption des musikalisch überaus spannenden Stücks.
Nur leicht gekürzte Originalfassung
Nun wagte sich Regisseur Christof Loy am Theater an der Wien an Webers in der – nur leicht gekürzten – Originalfassung gespielte "Euryanthe" und konzentrierte sich auf das Protagonistenquartett und dessen psychische Verflechtungen. Und siehe da: Das Stück wurde mit einem Mal sehr gegenwärtig. Denn das Leid einer jungen Frau, deren Bräutigam verstört heimkehrt aus dem Krieg, ist auch heute noch nicht aus der Welt geschafft.
Sichtlich traumatisiert kehren die beiden Männer, Graf Adolar, der Bräutigam Euryanthes, und Graf Lysiart, aus dem Krieg gegen England zurück. Das erklärt sowohl die Spötteleien, mit denen Lysiart die Tugend Euryanthes infrage stellt, als auch Adolars unbeherrschte Reaktion darauf. Erst dadurch wird ein Mozarts "Così fan tutte" ähnelnder Wettstreit um die junge Frau in Gang gebracht. Bereits in der Ouvertüre werden die Motive für die Intrigen Eglantines, gleichsam einer älteren Schwester der Ortrud aus dem "Lohengrin", offengelegt: Schroff weist Adolar ihre Liebesbezeigungen zurück.
Intime Quartett-Situation
Um diese psychischen Verflechtungen deutlich zu machen, lässt Loy den glänzenden Arnold-Schoenberg-Chor nur dann auftreten, wenn er singen muss. Von den vier ProtagonistInnen sind hingegen oft auch jene präsent, über die bloß nachgedacht oder geredet wird: als Projektionen geheimer Wünsche und Ängste.
Diese intime Quartett-Situation unterstützt auch Johannes Leiackers nüchtern weiß getünchte Einheitsbühne, die jede Assoziation mit Romantik verbannt: Sein bürgerlicher Salon, an dem ein Bett neben dem Klavier irritiert, dient sogar als Schauplatz der Szene im Wald, in den Euryanthe verbannt wird, weil Lysiart glauben macht, sie habe Adolar betrogen.
Dass auch das Intrigantenpaar, Eglantine und Lysiart, unter Seelenqualen leidet, geht nicht nur musikalisch aus einem Duett hervor, sondern auch aus Loys Inszenierung. In einer langen Szene lässt er Lysiart sogar völlig nackt auftreten. Aller schützender Hüllen entkleidet, entpuppt sich dieser als verletzlicher, Euyrianthe vergebens liebender Mann, der menschliche Nähe und Wärme sucht.
Prächtig aufspielendes RSO Wien
Dank Constantin Trinks am Pult des prächtig aufspielenden RSO Wien gelingt auch die musikalische Wiedergabe vorbildlich. Schon in der Ouvertüre schlägt er sehr straffe Tempi, lässt die Zügel hingegen in den lyrischen Passagen locker, die dennoch nie falsch verzärtelt wirken. Das Klangbild bleibt stets transparent, und vor allem gelingt es Trinks, die zahlreichen Accompagnato-Rezitative, von denen die rund dreistündige Oper durchzogen wird, präzise mit dem Geschehen auf der Bühne zu koordinieren. Die Nähe zu Wagners "Lohengrin", die schon inhaltlich durch Lysiarts verlogene Anklage Euryanthes erkennbar ist, schimmert auch musikalisch durch die Verwendung von Leitmotiven und die durchkomponierte Form immer wieder durch.
Herausragend gestaltet die junge Sopranistin Jacquelyn Wagner darstellerisch wie stimmlich das Entsetzen Euryanthes über die Verleumdung und deren Folgen. Ihr zur Seite singt mit Norman Reinhardt als Adolar ein weicher, lyrischer Tenor, der auch die Kraft für Wutausbrüche besitzt. Beim dunklen, an Ortrud und Telramund gemahnenden Paar punktet die Mezzosopranistin Theresa Kronthaler mit ihrer energischen Deutung der intriganten Eglantine; und der Bassbariton Andrew Foster-Williams als Lysiart macht einige stimmliche Defizite darstellerisch wett.
Mit diesen szenisch wie musikalisch präzisen Seelenstudien gelingt am Theater an der Wien eine viel bejubelte Wiederentdeckung von Webers selten gespielter Oper.