Einen Gewinner und einen Verlierer präsentiert die "Bild" täglich auf ihrer Titelseite. Aktuell ließe sich die Rubrik auch mit zwei Führungskräften aus dem eigenen Medienhaus besetzen. Verlierer wäre dann "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt. Er muss seinen Posten räumen "als Folge von Presserecherchen", wie es in einem Statement von Axel Springer heißt. Gemeint ist damit wohl ein Artikel der "New York Times", der über "Allegations of Sex, Lies, and a Secret Payment" (deutsch: Anschuldigungen wegen Sex, Lügen und einer geheimen Zahlung) im Konzern berichtet hatte. Auch der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner ist in dem Artikel Thema. Er macht allerdings keine Anstalten, seine Position aufzugeben.
Reichelt ist ab sofort freigestellt
Die "New York Times" und später auch der "Spiegel" hatten berichtet, dass Reichelt Machtmissbrauch vorgeworfen werde (nachdem der Verleger Dirk Ippen sich dagegen entschieden hatte, entsprechende Recherchen seines hauseigenen Investigativ-Teams zu veröffentlichen). Bereits im März hatte es wegen ähnlicher Vorwürfe Springer-interne Untersuchungen gegeben, Reichelt war aber nach einer kurzen Auszeit auf seinen Posten zurückgekehrt.
Am Tag nach der "New York Times"-Berichterstattung teilte der Springer-Konzern nun mit, dass Reichelt "mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden" wurde und stattdessen Johannes Boie übernimmt, bisheriger Chefredakteur der Springer-Publikation "Welt am Sonntag". Döpfner wird mit lobenden Worten über Reichelt zitiert: "Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei BILD gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt", heißt es. Das sei nun nicht mehr möglich.
Döpfner wird DDR-Vergleich zugeschrieben
Dass Döpfner seinen Weg bei Springer fortsetzt, scheint dabei außer Frage zu stehen. Dabei spielt auch der Vorstandsvorsitzende in dem Text der "New York Times" eine unrühmliche Rolle. Als die Vorwürfe gegen Reichelt ans Licht kamen, soll er in einer Nachricht an einen Dritten geschrieben haben: "Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland der noch mutig gegen dan neuen DDR Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda Assistenten geworden." (Rechtschreibung im Original) So berichtet es die US-Zeitung, der Autor des Textes veröffentlichte den Wortlaut später auf Twitter - dem Deutschlandfunk liegt die Originalnachricht nicht vor.
Medienboss Döpfner stehe im Zentrum der US-Berichterstattung, Reichelt sei in der Causa eine "Randfigur", schrieb Branchenkenner Thomas Lückerath bei DWDL: "Es geht um das Bild eines Medienhauses und seines Vorstandsvorsitzenden, der so einen wie Reichelt gewähren ließ."
Ein Unternehmenssprecher von Axel Springer teilte gestern auf Anfrage mit: "Wir kommentieren grundsätzlich keine vermeintlichen Inhalte aus privaten Unterhaltungen. Soviel jedoch: Diese Zitate sind außerhalb des Kontexts überhaupt nicht sinnvoll zu würdigen. Selbstverständlich hält Mathias Döpfner die Bundesrepublik Deutschland nicht für vergleichbar mit der DDR."
BDZV will sich nicht zu seinem Präsidenten äußern
Döpfner ist nicht nur Springer-CEO, sondern hat auch einen wichtigen Verbandsposten inne: Als Präsident des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) vertritt er die Interessen der deutschen Zeitungsverlage, auch international. Zu dessen Aufgaben gehört laut Selbstbeschreibung "die Wahrung und Förderung des Ansehens der Zeitungsverlage und Digitalpublisher in der Öffentlichkeit" – ein Anspruch, dem die veröffentlichte Nachricht kaum gerecht wird.
Der BDZV teilt auf Anfrage mit, er kommentiere "grundsätzlich keine einzelnen Vorgänge unternehmerischer Tätigkeit von Mitgliedsverlagen". Döpfner habe seine Aussagen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender von Axel Springer getroffen.
Es sei interessant, ob Döpfner nun sein Amt beim BDZV aufgeben müsse, sagte Moritz Tschermak, Leiter des Medienportals Bildblog,
im Deutschlandfunk
: "Das können sich aus meiner Sicht die Verlegerinnen und Verleger im BDZV eigentlich nicht gefallen lassen, dass ihr oberster Chef sagt: Alle eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Leute, die nur nachplappern, was die Bundesregierung von sich gibt." Dass der Springer-CEO seinen Posten im Konzern verliert, erwartet er nicht.
US-Markt ist für Springer wichtig
Springer wiederum hat gerade erst massiv in den US-amerikanischen Markt investiert: Für den Nachrichtenanbieter Politico soll der deutsche Medienriese eine Milliarde Dollar gezahlt haben. Döpfner hatte den Kauf gegenüber dem Handelsblatt als "vom Volumen her die größte Akquisition" in der Geschichte seines Unternehmens bezeichnet.
Entsprechend wichtig dürfte dem CEO sein Image jenseits des Atlantiks sein. Das Sittenbild, das die "New York Times" nun von dem Konzern zeichne, wirke insbesondere auf Amerikaner ziemlich erschreckend, sagte der Medienjournalist Stefan Niggemeier
im Deutschlandfunk
. Es könne sein, "dass man, um Döpfner zu schützen, Reichelt opfern musste".
Experten erwarten keine Kursänderung bei "Bild"
Niggemeier bezweifelte, dass sich der aktuelle "Bild"-Kurs, der auf Spaltung und extremer Einseitigkeit beruhe, unter dem neuen Chefredakteur ändern werde. Johannes Boie sei nicht bekannt für Boulevard und werde bestimmt einen anderen Stil einbringen. "Aber die Schärfe in eine Debatte einbringen, kann der auch", betonte der Medienjournalist.
"Ich kann mir schwer vorstellen, dass ‚Bild‘ jetzt ein lammfrommes Blatt wird", sagte auch "Bild"-Kenner Tschermak. Beim Springer-eigenen Fernsehsender "Bild TV" sei Julian Reichelt allerdings stark prägend gewesen: "Das wird interessant, wie die Lücke dann zu füllen ist."