In Interviews mit mehreren europäischen Zeitungen buchstabiert Ursula von der Leyen ihren Politikansatz aus. Überraschend sind viele Vorschläge nicht, aber ihre grundsätzliche Haltung wird noch einmal klar.
Stichwort Migration. Bereits in ihrer Bewerbungsrede vor dem Parlament in Straßburg hatte sie einen Neustart der in Europa festgefahrenen Reform des Asylsystems versprochen. Inclusive der Dublin-Regelung, wonach die Ankunftsländer verpflichtet sind, die Asylverfahren durchzuführen.
Sie habe noch nie verstanden, bekennt von der Leyen nun, warum Dublin vorschreibt, dass ein Migrant dort bleiben müsse, wo er oder sie zuerst europäischen Boden betritt. Darüber hinaus ist es ein Mix aus Maßnahmen den auch sie im Auge hat: Die Grenzen besser schützen, Schmugglern das Handwerk legen, die Lage in den Herkunftsländern verbessern, diejenigen zurückschicken, die keinen Anspruch auf Asyl haben und - denen helfen die aufgrund ihrer geografischen Lage zunächst am stärksten mit der Migration konfrontiert sind.
Geld geben statt Flüchtlinge aufnehmen?
Auch das hatte die künftige Kommissionspräsidentin noch vor ihrer Wahl am Dienstagmorgen in Straßburg erklärt.
"Wir können nur stabile Außengrenzen haben, wenn wir den Mitgliedstaaten genügend Hilfe zukommen lassen, die dem größten Druck ausgesetzt sind, wegen ihrer Lage auf der Landkarte. Wir brauchen Solidarität. Wir müssen einander helfen. Wir brauchen eine neue Art der Lastenteilung."
Genau diese Frage ist aber auch bisher umstritten. Sollen etwa die Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, stattdessen finanziell ihren Beitrag leisten?
Es stieß im vergangenen Jahr selbst bei der deutschen Kanzlerin auf Widerstand. Am Ende wollen dann alle lieber Geld zahlen und niemand nimmt mehr Flüchtende auf, war Merkels Befürchtung.
Von der Leyen zeigt aber nun deutlich mehr Verständnis für die Staaten Osteuropas. Wenn Polen etwa argumentiert, es habe bereits 1,5 Millionen Ukrainer aufgenommen aus einem Land, in dem seit Jahren ein hybrider Krieg geführt wird, dann dürfe man das nicht ignorieren, so die designierte Kommissionspräsidentin.
"Niemand ist perfekt"
Auch an anderen Stellen wird deutlich, wie sehr sie auf die Staaten östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs zugehen und die Spaltung Europas überbrücken will. Die Trennung zwischen Ost und West habe eine sehr emotionale Komponente. In den osteuropäischen Staaten herrsche bei vielen das Gefühl vor, nicht voll akzeptiert zu sein. Es sei daher wichtig die Debatten zu versachlichen. "Volle Rechtstaatlichkeit ist immer unser Ziel", so von der Leyen, "aber niemand ist perfekt".
Den Unterstellungen, sie könnte eine in der Sache weichere Gangart einschlagen, widersprach gestern der bisherige und wohl auch künftige Vizepräsident der Kommission Frans Timmermans. Von der Leyen habe wiederholt öffentlich betont, wieviel Bedeutung sie dem Kampf für Rechtstaatlichkeit beimisst.
"Ich habe überhaupt keine Zweifel, dass die nächste Kommission unter der Führung der gewählten Präsidentin von der Leyen genauso kraftvoll und bestimmt und klar sein wird, wie die bisherige, überhaupt keinen Zweifel."
Timmermans selbst hatte - unter anderem wegen der Kritik aus Osteuropa an seiner konsequenten Haltung in Sachen Rechtstaatlichkeit - keine Chance auf den Posten den nun die CDU-Politikerin bekleiden wird.