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Wechsel von Martin Schulz in die Bundespolitik
"Glänzende Voraussetzungen für jede denkbare Aufgabe"

"Ein leidenschaftlicher Europäer, ein leidenschaftlicher Mann, der für Gerechtigkeit in den Gesellschaften Europas und in Deutschland eintritt": Der Ex-SPD-Vorsitzende Kurt Beck begrüßt den Wechsel seines Parteikollegen Martin Schulz von Brüssel nach Berlin. Schulz sei für jede denkbare Führungsaufgabe geeignet, sagte Beck im DLF. Über die Kanzlerkandidatur entscheide aber der Parteivorsitzende.

Kurt Beck im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Porträtfoto von Kurt Beck (SPD).
    Der Ex-SPD-Vorsitzende Kurt Beck begrüßt Martin Schulz' Wechsel in die Bundespolitik. (Fredrik von Erichsen/dpa)
    Christiane Kaess: Jetzt wissen wir es also: Martin Schulz legt das Amt des EU-Parlamentspräsidenten nieder. Der SPD-Politiker will sich künftig der Bundespolitik widmen. Das heizt die Spekulationen weiter an: Wird Schulz Außenminister als Nachfolger von Frank-Walter Steinmeier, der wiederum für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck kandidiert, und wird Schulz vielleicht sogar SPD-Kanzlerkandidat anstatt von Sigmar Gabriel?
    Wir schauen auf die bundespolitische Deutung. Am Telefon ist Kurt Beck, ehemals SPD-Parteivorsitzender und Rheinland-pfälzischer Ministerpräsident, heute Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Tag, Herr Beck.
    Kurt Beck: Schönen guten Tag.
    Kaess: Herr Beck, von Ihnen heißt es, dass Sie Martin Schulz quasi erfunden hätten. Was begeistert Sie denn an ihm?
    Beck: Erfunden habe ich ihn sicher nicht, aber wir sind freundschaftlich verbunden und mich begeistert an ihm, dass er ein leidenschaftlicher Politiker, ein leidenschaftlicher Europäer, ein leidenschaftlicher Mann ist, der für Gerechtigkeit in den Gesellschaften Europas und in Deutschland eintritt. Wer mit ihm zu tun hat, merkt dieses Feuer geradezu, es ist geradezu spürbar.
    "Sigmar Gabriel hat die Entscheidungen in der Hand"
    Kaess: Dann wäre er der ideale Kanzlerkandidat für die SPD.
    Beck: Das wird so entschieden, wie es der Parteivorsitzende vorgegeben hat. Alles andere wäre völlig unvernünftig.
    Ich selber habe als Parteivorsitzender erlebt, wenn von außen da hineingeredet wird, welches Chaos das bringt. Nein, Sigmar Gabriel hat die Entscheidung in der Hand, und wenn er entschieden hat, dann wird die K-Frage geklärt sein. Die Partei wird das natürlich diskutieren und bestätigen, aber das ist eine klare Vorgehensweise, die viel Sinn macht.
    Kaess: Aber Martin Schulz hätte Ihrer Ansicht nach die Eigenschaften dazu?
    Beck: Martin Schulz ist ein absolut geeigneter Politiker für jede denkbare Führungsfunktion in der Demokratie. Ich bedauere zunächst mal sehr, dass er auf der europäischen Ebene ausscheidet. Und man muss sagen: Was die EVP da durchführt und umsetzt, nämlich jede sozialdemokratische Stimme aus den Führungsfunktionen Europas herauszudrängen, das ist schon eine nicht sehr vernünftige politische Vorgehensweise. Denn man kann nicht dauernd die Stimme der Vernunft in Europa fordern und dann nur parteipolitische Gesichtspunkte in die Personalentscheidungen einbringen. Das ist schwierig. Das, finde ich, ist nicht in Ordnung, und Jean-Claude Juncker sieht das ja offensichtlich genauso.
    "Ein Gewinn für die deutssche Politik"
    Kaess: Gehen wir noch mal zurück nach Deutschland. Wir wissen, dass Martin Schulz in den Umfragen beliebter ist als Sigmar Gabriel. Ist das nicht das wichtigste Kriterium im Bundestagswahlkampf jetzt, wo Merkel auch tatsächlich mal schlagbar ist?
    Beck: Na ja, Umfragen und politische Beliebtheiten - Sie wissen alle, wie wetterwendig solche Dinge sind. Nein, was diese Frage angeht, kann ich nur sagen: Es bleibt bei dem, was ich auch eben gesagt habe, was die Parteiführung sagt, was das Vorgehen angeht und die Entscheidungsabläufe, und da sind wir auch in keiner Weise unter Druck. Aber es ist ein Gewinn für die deutsche Politik, wenn Martin Schulz, so sehr er in Europa fehlen wird, wenn Martin Schulz in Zukunft für die deutsche Politik, ich bin sicher, an hoher verantwortlicher Stelle tätig sein wird, und einen besseren, außenpolitisch verankerten und respektierten Mann könnten wir kaum finden, was überhaupt nicht vorweggreift, ob er Außenminister wird oder nicht, sondern die Chancen, damit eine gute Entscheidung treffen zu können, sind für die Sozialdemokratie deutlich erweitert.
    Kaess: Eine Frage hätte ich doch noch in Bezug auf die Umfragen, denn daher wissen wir auch, dass viele Martin Schulz gar nicht kennen. Wäre das ein Defizit für eine Kanzlerkandidatur?
    Beck: Ich will nicht wieder die K-Frage noch mal beleuchten, aber generell ist es kein Defizit natürlich, wenn man gut eingeschätzt wird, und die Frage, wer kennt wen, das wäre sehr schnell anders, wenn er auf der deutschen Ebene eine verantwortliche politische Position hat.
    Ich habe erlebt im letzten Europawahlkampf, wo wir ja mit ihm als Spitzenkandidaten bei den Bürgern vorstellig geworden sind, wie schnell er dort ins Bewusstsein gerückt war und wie viel Zustimmung er auch gefunden hat. Er war ja Garant dafür, dass wir ein nicht insgesamt herausragendes, aber unter den obwaltenden Bedingungen sehr gutes Wahlergebnis erreichen konnten.
    Kaess: Dann gehen wir weg von der K-Frage. Ist Schulz mit seiner internationalen Erfahrung geeignet als Außenminister?
    Beck: Dass er geeignet ist, daran, glaube ich, gibt es keinen ernsten Zweifel. Ich denke, nicht mal die politischen Gegner würden daran einen ernsten Zweifel haben. Sein politisches Einfühlungsvermögen, seine hohe Erfahrung, die Kenntnis von Personen europaweit, weltweit, aber auch seine Vielsprachigkeit, das sind glänzende Voraussetzungen für jede denkbare Aufgabe, eben auch für die eines Außenministers, ganz ohne Frage.
    "Ich bin sicher, dass Martin Schulz Diplomatie kann"
    Kaess: Aber wenn wir ihn mal vergleichen mit dem jetzigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier - Martin Schulz gilt als wesentlich emotionaler als der diplomatische Steinmeier. Diese Emotionalität, wäre das tatsächlich eine gute Eigenschaft als Außenminister, angesichts der Krisen in der Welt?
    Beck: Ich bin sicher, dass Martin Schulz Diplomatie kann. Das hat er an vielen Stellen bewiesen. Ich habe auch viele gemeinsame Erfahrungen mit ihm gemacht, auch auf der internationalen Ebene, in meiner jetzigen Funktion als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nein, da muss man keine Sorgen haben. Aber bisher ist ein Parlamentsrepräsentant international aufgetreten und es war gut so, dass er und wie er seine Stimme beispielsweise zu den Entwicklungen der Türkei erhoben hat, und an der Stelle hat ja auch Frank-Walter Steinmeier durchaus deutlich seine Stimme für die Demokratie erhoben.
    Kaess: Herr Beck, wir wissen auch, dass Außenminister bei der Bevölkerung oder zumindest in den Umfragen immer äußerst beliebt sind. Deshalb möchte ich noch einmal den Bogen schlagen. Sollte Martin Schulz Außenminister werden und in der Beliebtheit weiter steigen, kommt die SPD überhaupt darum umhin, ihn als Kanzlerkandidaten dann zu benennen?
    Beck: Es wird bei den Kriterien bleiben, da bin ich ganz sicher, die ich angesprochen habe. Aber es ist ja auch jetzt so, dass mit Frank-Walter Steinmeier der in der Beliebtheitsskala führende Politiker Außenminister ist.
    Kaess: Aber er geht ja, er wird ja Bundespräsident wohl werden.
    Beck: Ja! Aber wir hatten solche Situationen oft. Insoweit geht es jetzt nicht darum, auf Beliebtheitszahlen zu gucken und zu sagen, das ist das einzige Kriterium. Es ist kein schlechtes Kriterium, aber es ist bei Weitem nicht das dominante. Und wie gesagt: Wir haben eine Regel und die wird diesmal eingehalten und das wird gut so sein.
    "Europa muss wieder zwingend lernen, mit einer Stimme zu reden"
    Kaess: Nun wissen wir auf alle Fälle, dass Martin Schulz eine wichtige Rolle beim Bundestagswahlkampf spielen wird. Er hat heute gesagt, er werden nun von der nationalen Ebene aus für das europäische Projekt kämpfen. Kann man mit dem europäischen Projekt heute noch Wählerstimmen gewinnen?
    Beck: Ich bin sicher, ja, denn dieses europäische Projekt ist gerade nach den Präsidentschaftswahlen in den USA, gerade nach den Verwerfungen, die wir an vielen Stellen in der Welt derzeit erleben, so wichtig, vielleicht wichtiger als in den letzten Jahrzehnten, denn Europa muss wieder zwingend lernen, mit einer Stimme zu reden, damit es sich in dieser Neuorientierung der weltweiten Abläufe dann wirklich auch Gehör verschaffen kann. Deutschland ist stark, aber nicht stark genug, um in all solchen Fragen dann auch laut genug sein zu können. Wenn es beispielsweise um die Frage von Klimaentwicklungen geht, da geht es um Menschheitsfragen und da muss Europa mit einer Stimme reden. Und aus Deutschland einen überzeugten und überzeugenden Europäer dann in diese internationalen Diskussionen zu bringen, das werden auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland - da bin ich ganz sicher - goutieren.
    Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch einmal kurz auf die innenpolitische Bedeutung von Martin Schulz. Wir haben uns alle ein bisschen gefragt: Wofür steht er eigentlich? Er wäre sicherlich kein Kanzlerkandidat, sollte er das werden, für ein rot-rot-grünes Bündnis, oder?
    Beck: Das sind auch solche Einordnungen, die jetzt überhaupt nicht anstehen.
    "Schulz steht für eine tief empfundene soziale Gerechtigkeit"
    Kaess: Wofür steht er denn Ihrer Meinung nach?
    Beck: Er steht für eine tief empfundene soziale Gerechtigkeit in der Politik. Er steht nicht für nationalistische Abschottungen, sondern für den Versuch, Deutschland in dieser Welt offen, aber auch selbstbewusst zu präsentieren. Und er steht dafür, dass eine tiefe Durchdringung, demokratische Durchdringung unserer Gesellschaft eben auch wieder eine Chance erhält, dass die Demokratie neue Impulse bekommt. Insoweit glaube ich, das sind glänzende Voraussetzungen für jede herausgehobene politische Position in Deutschland.
    Kaess: Die Meinung von Kurt Beck, ehemals SPD-Parteivorsitzender und heute Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Danke für Ihre Zeit heute Mittag.
    Beck: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.