Drei bis fünfjährige Kinder schauen neugierig auf eine Smarties-Packung. Ein Wissenschaftler öffnet sie vor ihren glänzenden Augen - und die Kinder sehen überrascht, dass nur Buntstifte in der Schachtel sind. Dann fragt der Wissenschaftler: "Was, denkst du, denken andere Kinder über den Inhalt der Schachtel, die noch nicht hineingeschaut haben?" Dreijährige in westlichen Kulturen antworten daraufhin: "Dass Buntstifte drin sind." Sie gehen also allein von dem aus, was sie selbst schon wissen. Erst ab dem vierten Lebensjahr versetzen sich Kinder im Westen in die Perspektive der anderen und sagen: Sie erwarten Smarties. Diese Kinder besitzen eine so genannte theory of mind, eine Vorstellung davon, wie der Geist funktioniert und dass es subjektive Perspektiven gibt. Als ein Team um die Ethnolinguistin Svenja Völkel von der Universität Mainz diesen Test jedoch bei vier und fünfjährigen Kindern im südpazifischen Inselstaat Tonga durchführen wollte, reagierten sie eher wie dreijährige westliche Kinder: sie dachten, dass andere denken, dass Buntstifte in der Smarties-Schachtel sind. Allerdings zeigten die Kinder in Tonga in ihrem Alltagsverhalten keine Defizite im Umgang mit anderen. Svenja Völkel glaubt daher, dass dieses Ergebnis kulturell bedingt ist.
"Das liegt unter anderem bestimmt daran, dass die Frageformulierung, dieses 'Was denkst du, was er denkt' - dass man diese Fähigkeit, auf so etwas zu antworten, eher hat, wenn das in der Gesellschaft üblich ist und wenn man Gefühle, Wünsche, Gedanken anderer im täglichen Leben verbalisiert und artikuliert, und wenn das weniger der Fall ist, dann bringt diese Art der Frage einfach in Tonga auch schon gewisse Schwierigkeiten mit sich."
In der Gesellschaft von Tonga ist der Einzelne sehr stark in die Gruppe integriert. Die Menschen handeln dort von vornherein schon so gemeinschaftlich, dass es eigentlich gar nicht nötig ist, intensiv über die Erwartungen der anderen zu sprechen und nachzudenken. Völkel:
"Und damit wäre zu überlegen, ob nicht eine theory of mind im Tonga auf einem ganz anderen Weg stattfindet als wie im Westen und damit das Experiment eventuell fraglich ist."
Svenja Völkels Studie stand im Zusammenhang eines größeren Projekts, das von Heidelberger Psychologen und Ethnologen initiiert wurde. Eine zweite Projektstudie erhärtete den Verdacht, dass die theory-of-mind-Fähigkeit sehr kulturabhängig ist. Ein Team um Anita von Poser vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Halle spielte mit Kindern in Neu-Guinea ein Handpuppenspiel. Die Kinder sollten den Handpuppen verraten, welches Spielzeug sie am liebsten möchten. Anschließend nahm ihnen eine "böse Puppe" beim Spielen gerade dieses Spielzeug weg. In westlichen Ländern tricksen vier bis fünfjährige Kinder die böse Puppe in einem zweiten Durchgang des Experiments aus. Sie belügen sie und geben ein falsches Spielzeug als ihr Lieblingsspielzeug aus. Von Poser:
"Bei den Bosmun in Neu-Guinea hat sich gezeigt, dass die Kinder in dieser Situation, wo sie für sich selbst spielen, nicht getrickst haben. Es gibt bei der Aufgabe aber noch eine zweite Bedingung, die so genannte other condition und da spielt das Kind gemeinsam mit einem Freund und für den Freund wurde plötzlich getrickst."
Lügen und tricksen ist bei den Bosmun in Neu-Guinea sozial geächtet. Noch wichtiger aber ist die Regel, mit vertrauten Personen und Freunden alles zu teilen. Moralische Regeln haben hier also darüber entschieden, ob Vier- oder Fünfjährige die Fähigkeit nutzen, sich in die Perspektive der Puppe hineinzuversetzen oder nicht. Offenbar ist die theory-of-Mind-Fähigkeit also keine rein geistige Kompetenz, die man entweder hat oder nicht. Vielmehr hängt es stark von sozialen Regeln und moralischen Normen ab, wann und wie jemand diese Fähigkeit praktiziert. Untersuchungen darüber, wie Kinder eine theory of mind entwickeln, sollten also in Zukunft viel stärker darauf achten, wie verschiedene Kulturen ihr soziales Verhalten organisieren.
"Das liegt unter anderem bestimmt daran, dass die Frageformulierung, dieses 'Was denkst du, was er denkt' - dass man diese Fähigkeit, auf so etwas zu antworten, eher hat, wenn das in der Gesellschaft üblich ist und wenn man Gefühle, Wünsche, Gedanken anderer im täglichen Leben verbalisiert und artikuliert, und wenn das weniger der Fall ist, dann bringt diese Art der Frage einfach in Tonga auch schon gewisse Schwierigkeiten mit sich."
In der Gesellschaft von Tonga ist der Einzelne sehr stark in die Gruppe integriert. Die Menschen handeln dort von vornherein schon so gemeinschaftlich, dass es eigentlich gar nicht nötig ist, intensiv über die Erwartungen der anderen zu sprechen und nachzudenken. Völkel:
"Und damit wäre zu überlegen, ob nicht eine theory of mind im Tonga auf einem ganz anderen Weg stattfindet als wie im Westen und damit das Experiment eventuell fraglich ist."
Svenja Völkels Studie stand im Zusammenhang eines größeren Projekts, das von Heidelberger Psychologen und Ethnologen initiiert wurde. Eine zweite Projektstudie erhärtete den Verdacht, dass die theory-of-mind-Fähigkeit sehr kulturabhängig ist. Ein Team um Anita von Poser vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung in Halle spielte mit Kindern in Neu-Guinea ein Handpuppenspiel. Die Kinder sollten den Handpuppen verraten, welches Spielzeug sie am liebsten möchten. Anschließend nahm ihnen eine "böse Puppe" beim Spielen gerade dieses Spielzeug weg. In westlichen Ländern tricksen vier bis fünfjährige Kinder die böse Puppe in einem zweiten Durchgang des Experiments aus. Sie belügen sie und geben ein falsches Spielzeug als ihr Lieblingsspielzeug aus. Von Poser:
"Bei den Bosmun in Neu-Guinea hat sich gezeigt, dass die Kinder in dieser Situation, wo sie für sich selbst spielen, nicht getrickst haben. Es gibt bei der Aufgabe aber noch eine zweite Bedingung, die so genannte other condition und da spielt das Kind gemeinsam mit einem Freund und für den Freund wurde plötzlich getrickst."
Lügen und tricksen ist bei den Bosmun in Neu-Guinea sozial geächtet. Noch wichtiger aber ist die Regel, mit vertrauten Personen und Freunden alles zu teilen. Moralische Regeln haben hier also darüber entschieden, ob Vier- oder Fünfjährige die Fähigkeit nutzen, sich in die Perspektive der Puppe hineinzuversetzen oder nicht. Offenbar ist die theory-of-Mind-Fähigkeit also keine rein geistige Kompetenz, die man entweder hat oder nicht. Vielmehr hängt es stark von sozialen Regeln und moralischen Normen ab, wann und wie jemand diese Fähigkeit praktiziert. Untersuchungen darüber, wie Kinder eine theory of mind entwickeln, sollten also in Zukunft viel stärker darauf achten, wie verschiedene Kulturen ihr soziales Verhalten organisieren.