Dicke Regenwolken liegen über dem Elbdeich bei Brunsbüttel, der Wind weht frisch aus West-Nord-West – Windstärke Drei, vielleicht Vier, genug jedenfalls, um die mächtigen Rotorblätter einer der größten Windkraftanlagen des Landes anzutreiben. Das Fünf-Megawatt-Windrad steht neben dem abgeschalteten Kernkraftwerk am Deich – Zukunft und Vergangenheit der Energieproduktion in Schleswig-Holstein. Die Energiewende ist ein ganz wichtiges Thema im Wahlkampf – auch für den Spitzenkandidaten der CDU, Jost de Jager. Der 46-Jährige will hoch hinaus – nicht nur in der Landespolitik. Ganz nach oben will er, auf die Rotorgondel der Windkraftanlage in gut 120 Meter Höhe. Begleiten werden ihn dabei der EU-Kommissar für Energiefragen, Günther Oettinger und der amtierende Ministerpräsident, Peter Harry Carstensen. Für den ist das nicht der erste Ausflug in schwindelnde Höhen.
"Nein, ich bin hier schon mal oben gewesen – aber ich glaube, wenn der Kommissar, der zuständig ist für die Energiefragen in Brüssel, hier ist, dann müssen wir ihn auch etwas begreifen lassen im wahrsten Sinne des Wortes. Wer da oben mal über das Getriebe läuft, der weiß, dass das vielmehr ist als nur drei Flügelblätter und ein Turm und ein Generator, sondern das hat was mit Hightech zu tun. Und insofern ist das ein Teil der Energiewende aber auf der anderen Seite auch innovative Politik, die wir hier machen."
Eine Steilvorlage für den Mann, der am 6. Mai Carstensen als Ministerpräsident ablösen will. Im August vergangenen Jahres war Jost de Jager noch ganz einfach nur Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr im schwarz-gelben Kabinett in Kiel. Dann stolperte Carstensens Kronprinz, Christian von Boetticher, über die Affäre mit einer 16-Jährigen. Plötzlich war Jost de Jager der neue Hoffnungsträger der CDU im Norden. Vor dem Ausflug auf das Riesenwindrad gibt es noch letzte Instruktionen beim Anlegen des Sicherheitsgeschirrs. Ein bisschen blass um die Nase wirkt de Jager schon – aber, wer mit den Bürgern über Windkraft diskutieren will, der muss auch wissen, worüber er redet, meint der CDU-Spitzenkandidat.
"In den Bürgerbeteiligungsverfahren reden wir mit den Menschen ja gerade über die Frage, wie hoch diese Anlagen sein dürfen. Und mit Selbstverständlichkeit reden wir über Nabenhöhen, die
wir jetzt besteigen werden - das ist ein sehr wichtiger Aspekt, weil ich glaube, dass man sich über die Größe dieser Infrastrukturen im Klaren sein muss, wenn wir über Energiewende reden."
EU-Kommissar Oettinger hat sich auch bereit gemacht für die Klettertour. Sein Anliegen ist weniger der Ausbau der Stromproduktion durch Wind – er macht sich viel mehr Sorgen um den Netzausbau. Mehr Tempo – sonst bleibt die Energiewende stecken, mahnt Oettinger.
"Der entscheidende Punkt ist ja: Wie bekommt man den Windstrom aus dem deutschen Norden in die Metropolen im deutschen Westen und deutschen Süden, wo der Strom in der Menge gebraucht wird. Die Planungen kommen voran, aber klar ist, wir müssen in den nächsten Jahren die Geschwindigkeit steigern und schneller als bisher in der Genehmigung von Planungen und dann im Bau und Inbetriebnahme von Leitungen vorankommen."
Mehr als 2600 Windkraftanlagen drehen sich derzeit in Schleswig-Holstein – Tendenz steigend. In den nächsten Jahren soll sich die sogenannte Windeignungsfläche auf 1,6 Prozent der Landesfläche verdoppeln – nicht nur dagegen regt sich inzwischen zunehmend Widerstand. Gut 500 Kilometer Höchstspannungsleitungen sollen gebaut werden, um den künftig erzeugten Windstrom nach Süden leiten zu können. Eine dieser 380.000-Volt-Trassen ist in Quickborn bei Hamburg geplant – dort soll eine bestehende 220-KV-Leitung aufgerüstet werden. Schon jetzt steht direkt vor dem Garten von Günther Hansen ein 35 Meter hoher Hochspannungsmast – der neue Mast für die 380-KV-Leitung soll 60 bis 70 Meter hoch werden.
"Wir wohnen direkt unter der Leitung – der Garten, der Lebensraum ist direkt unter der Leitung, das Gebäude selber ist nur 19 Meter von der äußersten Leitung entfernt, also – näher geht's kaum."
Von Günther Hansens Haus verläuft die Freileitung immer dicht an der Wohnsiedlung entlang – und überquert schließlich den Sportplatz einer Schule. 1000 Kinder und Jugendliche seien in dem nur 80 Meter entfernten Schulgebäude schon jetzt täglich den elektromagnetischen Strahlen ausgesetzt. Wenn künftig über ihren Köpfen eine 380-KV-Leitung brumme, dann werde die Strahlenbelastung viermal höher sein, betont Burkhard Jäckel von der Bürgerinitiative "Quickborn gegen Riesenmasten" – das gehe gar nicht. Die Stromkabel müssen entweder unter die Erde – oder mindestens 400 Meter von den Häusern und der Schule entfernt verlaufen, fordert er.
"Wir reden hier von einer sensiblen Trassenlänge, deswegen weil sie dicht bei der Schule und dicht bei 1000 Menschen an den Häusern vorbeiführt, von zwei bis zweieinhalb Kilometern. Es gibt
mindestens sechs Trassenvarianten, die wir ausgearbeitet haben, die die Belastung um 92 Prozent bis 98 Prozent entlastet und die ganze Trasse würde dann fünf bis sieben Prozent mehr kosten."
Der Netzbetreiber TenneT aus den Niederlanden ist bisher auf keinen dieser Vorschläge eingegangen. Die Stadtverwaltung von Quickborn und etliche Anwohner erwägen inzwischen eine Klage – sie müssen sich deshalb immer wieder gegen den Vorwurf wehren, sie gehörten zu denen, die immer sagen: Energiewende und Netzausbau ja – aber nicht bei mir! - - beklagt Burkhard Jäckel.
"Wir sind nicht gegen den Ausbau, wir sind nur dafür, dass das so gemacht wird, dass nicht Menschen gefährdet werden, die in unmittelbarer Nähe wohnen – wenn es zumal andere Möglichkeiten gibt."
In den kommenden Monaten wolle man sich noch mehrmals mit Vertretern der Stadt, der Kommunalpolitik und des Netzbetreibers zu Gesprächen treffen – Ausgang ungewiss. TenneT rechnet mit dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens bis Ende des Jahres und will dann sofort mit dem Bau beginnen. Das wiederum wäre ganz im Sinne der schwarz-gelben Landesregierung, für die im August vergangenen Jahres Jost de Jager als zuständiger Wirtschaftsminister eine Vereinbarung über den beschleunigten Netzausbau mit TenneT und anderen Netzbetreibern unterzeichnet hatte.
Widerstand und lautstarker Protest begleitet auch ein anderes heißes Eisen im schleswig-holsteinischen Wahlkampf. Die dänische Minderheit im Landesteil Südschleswig fühlt sich ungerecht behandelt von der Kieler Landesregierung.
Kinder der dänischen Jørgensby-Skolen in Flensburg und ihr Protest gegen die Kürzung der Landeszuschüsse für den dänischen Schulverein. "Kämpft für 100 Prozent Zuschuss aus Kiel" heißt es im Refrain. Im Mai 2010 hatte die Landesregierung ein Sparprogramm zur Sanierung des maroden Haushalts beschlossen – seither zahlt sie dem Verein pro Kind nur noch 85 Prozent der Summe, die sie für jedes Schulkind an einer deutschen öffentlichen Schule ausgibt. Ein Schlag ins Gesicht der rund 50.000 Angehörigen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, findet der Schulvereinsvorsitzende Per Gildberg.
"Das heißt eine Nicht-Gleichstellung mit der Mehrheitsbevölkerung im Landesteil – und das ist natürlich eine finanzielle Größe, selbstverständlich, aber das ist auch eine gefühlsmäßige Größe, eine gefühlsmäßige Verletzung, die wir auch absolut wahrgenommen haben bei unseren Kindern, bei unseren Jugendlichen im Schulverein in den letzten zwei Jahren."
Frühstückspause in der dritten Klasse der Jørgensby-Skolen – die Kinder bleiben im Klassenzimmer, holen ihr Pausenbrot oder etwas Obst aus der Schultasche. Diese Kinder sind der schwarz-gelben Landesregierung offenbar weniger wert als Kinder an deutschen öffentlichen Schulen, kritisiert Anke Spoorendonk, Spitzenkandidatin des Südschleswigschen Wählerverbandes SSW. Seit 1948 vertritt die Partei die Interessen der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein – vier Abgeordnete des SSW sitzen derzeit im Landtag. Bisher habe man eigentlich immer gut mit allen anderen Fraktionen kooperiert, Gleichstellung von Minderheit und deutscher Bevölkerungsmehrheit – bisher habe das gut funktioniert, betont Anke Spoorendonk.
"Wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir gehören dazu – und von daher kann es nicht anders sein, als dass man zu dieser Gleichstellung steht. Das hat der Landtag ja auch lange getan. Minderheitenpolitik war lange Jahre überparteiliche Politik – das ist auch unserer Meinung nach der richtige Ansatz, wir wollen gar nicht daraus Parteipolitik machen. Umso größer ist eben die Enttäuschung, dass diese Landesregierung davon Abstand genommen hat."
Und diese Enttäuschung hat dazu geführt, dass der SSW sich ganz klar für eine Unterstützung von Rot-Grün ausgesprochen hat. Schwarz-Gelb ist für die dänische Minderheit einfach keine Alternative mehr – es muss sich etwas ändern im Land, gibt Anke Spoorendonk sich kämpferisch.
"Wir glauben nicht daran, dass wir mit dieser jetzigen Landesregierung weiter im Dialog sein können, wir haben alles versucht – wir müssen eine neue Regierung haben in diesem Land, neue politische Mehrheiten, um diese Minderheitenpolitik, die wir alle wollen, die wir auch lange miteinander gelebt haben, wiederzubekommen."
Nur einmal in seiner Geschichte hatte der SSW sich ähnlich weit vorgewagt: 2005, als bei der Landtagswahl sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag verpassten, bot die Partei an, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren. Dieses Modell scheiterte spektakulär, als die SPD-Kandidatin Heide Simonis bei der Ministerpräsidentenwahl in vier Wahlgängen scheiterte und schließlich Peter Harry Carstensen von der CDU mit einfacher Mehrheit gewählt wurde.
"Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieses Modell nicht als Teil der politischen Kultur in Deutschland akzeptiert wird. Und darum haben wir beschlossen, dass der SSW das jetzt nicht wiederholen kann. Sollten wir also in eine entscheidende Position kommen, dann müssen wir auch bereit sein, in eine Regierungszusammenarbeit einzutreten. Das ist nicht unser vorrangiges Wahlziel, aber wir können nicht kneifen."
Argwöhnisch beobachten Union und FDP das Verhalten des von der Fünf-Prozent-Klausel befreiten SSW. Die Partei mache sich selbst zum Steigbügelhalter für Rot-Grün, kritisierte CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager im NDR – das könne eigentlich nicht Selbstverständnis des SSW sein.
"Wir respektieren den Sonderstatus des SSW, wir respektieren auch die vollen Mandate, die der SSW hat – darum geht es überhaupt nicht. Aber bisher war der SSW die Vertretung der Anliegen der Minderheit, jetzt lässt sich der SSW vor der Wahl schon einpreisen in ein Regierungsbündnis."
Sein direkter Kontrahent, SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig dagegen, liebäugelt schon seit Beginn des Wahlkampfs mehr oder weniger offen mit der sogenannten Dänen-Ampel aus Rot-Grün und SSW. Als amtierender Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel kennt er die Zusammenarbeit der drei Fraktionen in der Ratsversammlung schon seit einiger Zeit, und ähnlich wie die Grünen sieht auch er ein solches Dreierbündnis ganz selbstverständlich als mögliche Alternative.
"Ich habe immer von dem Dreier-Bündnis gesprochen – ich habe in Kiel ein solches Dreierbündnis, das funktioniert ausgezeichnet. Der SSW ist ein verlässlicher, guter, kluger Partner, und es gäbe überhaupt keine Bedenken, mit dem SSW gemeinsam das auch auf Landesebene zu tun."
Frühmorgens ist der Wahlkämpfer Albig schon auf dem Wochenmarkt im Kieler Stadtteil Gaarden unterwegs – mit kleinen Geschenken.
"Mögen Sie einen solchen Becher haben, dann erinnern sie sich immer, dass bald Wahl ist.
- Ja, danke schön
- Sie können mir auch einen schenken, ja
- Moin, für die Pause – danke schön.
- Darf ich Ihnen fürs Frühstück einen kleinen Becher mitgeben? – Ich danke Ihnen, schönen Dank – sehr gerne – ich wünsche Ihnen viel Erfolg – danke, tschüss."
Der Mann kommt an beim Wahlvolk – höhere Beliebtheitswerte als der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, bei einer Direktwahl des Regierungschefs wäre er meilenweit vor seinem Mitbewerber Jost de Jager – sagen die Umfragen. Der good Guy eben, der die harte Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner eher meidet – da schicke Albig gerne mal den als "roten Rambo" titulierten Landesparteichef Ralf Stegner in der Rolle des bad Guy vor – sagen viele Kritiker. Den besten Start hatten die beiden nicht - nachdem der Kieler Oberbürgermeister etwas überraschend seinen Anspruch auf die Spitzenkandidatur angemeldet und in einer Urwahl auch noch deutlich gegen Stegner durchgesetzt hatte, sahen viele einen vom Dauerstreit des Führungsduos überschatteten Wahlkampf heraufziehen. Davon war bisher allerdings nichts zu sehen – es gibt auch keinen Grund dafür, betont Albig.
"Good Guy – bad Guy, das sind Zuschreibungen aus einer anderen Welt, die haben mit der Realität nichts zu tun. Wir teilen uns die Arbeit, weil es viel Arbeit ist, eine SPD zu führen, Spitzenkandidat zu sein. Oberbürgermeister zu sein, im Parlament zu wirken – all das erreichen wir an allen Stellen und wir machen das sehr abgestimmt und sehr gut miteinander. Es ist einfach schlichte, professionelle Arbeit für ein Ziel."
Das da lautet: Regierungswechsel in Schleswig-Holstein. Am liebsten – wie gesagt – mit den Grünen, notfalls auch mit der Dänen-Ampel. Und die rückt tatsächlich immer mehr in den Fokus – denn von dem komfortablen rot-grünen Vorsprung in den Umfragen Anfang des Jahres ist nichts
mehr übrig. Das hat damit zu tun, dass die FDP entgegen aller bisherigen Annahmen es vielleicht doch mit fünf bis sieben Prozent in den Landtag schaffen könnte – und es hat mit einem dramatischen
Absturz der Grünen zu tun. Noch vor gut einem halben Jahr standen die bei über 20 Prozent - der Landesparteitag feierte im November in Neumünster den gerade mit fast 100 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählten Robert Habeck. Dem war der minutenlange Applaus beinahe ein bisschen peinlich.
"An der Grenze zur Überhitzung ist es schon. Also – es ist ein Riesen-Vertrauensvorschuss, und ich hoffe, dass ich den einlösen kann und ich will, dass wir das gemeinsam kritisch immer wieder hinterfragen und jetzt nicht uns besoffen machen durch solche Ergebnisse, sondern einen selbstkritischen Wahlkampf führen."
Der Jubel hat sich längst gelegt – Ernüchterung hat sich breitgemacht bei den Grünen. Gespannt schauen sie auf ein Phänomen, das ihnen im Wahlkampfendspurt richtig zu schaffen macht – die Piraten. Im Februar kratzen die gerade so an der Fünf-Prozent-Hürde – hatten sich aber eine richtig symbolträchtige Bühne für ihren Wahlkampfauftakt ausgesucht: das 500-Seelen-Dorf Berlin mitten in Schleswig-Holstein. Bei klirrender Kälte hatten sich damals etwa 50 Anhänger der Piraten zu einem bunten Treiben versammelt, Kinder spielten mit orangefarbenen Luftballons im Schnee und die wohl prominenteste Piratin im Land, Ex-Grünen-Parteichefin Angelika Beer, sprach von großen Zielen.
"Wir sind am Aufschwung und wir sind vor einer Riesenherausforderung. Wir müssen in Schleswig-Holstein den Einzug schaffen, damit wir ihn dann auch nach Berlin schaffen, also in den Bundestag. Wir wissen, dass wir als Flächenland wirklich jetzt eine Riesen-Aufgabe vor uns haben. Das ist hier nicht so einfach, aber wir sind trotzdem ganz sicher, dass wir es schaffen."
Inzwischen sind die Piraten in Schleswig-Holstein den auf 13 Prozent abgerutschten Grünen ganz dicht auf den Fersen – das muss man erstmal verdauen. Torge Schmidt, 23, und damit jüngster Spitzenkandidat in der schleswig-holsteinischen Parteiengeschichte, kann das ganz gut wegstecken – sagt er. Mit knapp einem Dutzend Piraten trifft er sich abends in Rendsburg beim Italiener zum "Stammtisch" – bei den etablierten Parteien wäre das wohl eine Sitzung des Ortsvereins. Ein Piratenklischee wird hier gleich mal komplett bedient: Fast jeder der Anwesenden – auch Torge Schmidt - hat seinen Laptop aufgeklappt, es wird eifrig gesurft, der Spitzenkandidat checkt seine Emails.
"Ja super, Interviewanfrage, Anfrage, Anfrage, Anfrage ... . Ja, das ist die Pressegeschichte – aber auch sonst ..."
Gar nicht so leicht, plötzlich so in der Öffentlichkeit zu stehen – aber Torge Schmidt geht damit recht gelassen um, genau wie mit dem Hype um die Piraten. Zwischenzeitlich sogar zweistellige Umfragewerte – das klingt ja ganz gut, aber ...
"Also ich persönlich bin noch bei 4,9 Prozent - wir müssen realistisch sein: Wir waren bis vor Kurzem noch eine Partei, die 370 Mitglieder hatte, bei zwei Prozent stand und wir haben ein Finanzbudget von der Partei her, das ungefähr bei einer Partei von ein Prozent liegt. Sprich: Wir haben die Aufgabe, innerhalb von wenigen Monaten erstmal dieses Riesenwachstum zu verdauen und dann auch noch die Strukturen zu schaffen, um wirklich effektiv im Landtag zu arbeiten. Das wird eine Mammutaufgabe sein und natürlich eine Riesenherausforderung für uns – aber natürlich müssen wir die angehen."
Auf über 700 ist die Zahl der Piraten in Schleswig-Holstein bis Anfang April schon angestiegen – und der Hype geht weiter. Immerhin - inzwischen reagieren die anderen Parteien auf uns, stellt Torge Schmidt mit ein klein wenig Genugtuung fest. Spätestens, als die Umfragewerte zwischendurch zweistellig wurden, habe sich doch einiges verändert.
"Ich glaube, die nehmen uns auf einmal ganz anders wahr – das war irgendwi,e glaube ich schon, ein ziemlicher Schreckschuss für die anderen Parteien. Wo kommen die mit Einemmal her – und, wir haben doch eigentlich alles super gemacht – und eigentlich läuft unser Wahlkampf total gut usw. – aber ich glaube, es liegt tatsächlich an den anderen Parteien, dass wir auf einmal so schnell so groß geworden sind."
Vor allem die Grünen, die zuletzt so massiv Federn lassen mussten, schätzen die Situation offenbar noch ganz anders ein. Völlig entspannt verteilt der grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir im Straßenwahlkampf in Eckernförde das traditionelle grüne Wahlkampfgeschenk.
"- Sonnenblumenkerne von den Grünen
- Ach das ist schön, die werden wir gleich bei uns einpflanzen,
- Ja
- Genau – Sie müssen alle zur Wahl gehen
- Ja, genau
- Das ist wichtig, also ..."
Vielleicht hätte der Grünenchef in diesem Fall auch ganz konkret dazu sagen sollen, wen die Passanten aus seiner Sicht wählen sollten – es könnte sonst ziemlich eng werden mit der ersehnten rot-grünen Mehrheit am 6. Mai. Vor allem, wenn – wie zuletzt – die Piraten weiter zulegen, auf Kosten der Grünen. Darüber macht sich Cem Özdemir aber, zumindest öffentlich, nicht wirklich Sorgen – die meisten der potenziellen Piratenwähler sind seiner Ansicht nach Protestwähler. Denen müsse man einfach nur klarmachen, was sie mit ihrem Protest anrichten.
"Ich bin da recht zuversichtlich, weil – diese Wahl unterscheidet sich von anderen Wahlen dadurch, dass es hier um eine Richtungswahl geht. Das heißt: Es gibt hier zwei klare Alternativen, bei den Wahlen davor konnte man auch mit einer Wahl für die Piraten Protest ausdrücken – das ist hier anders. Hier heißt Protest: CDU an der Regierung."
Ganz ähnlich argumentiert auch die SPD-Spitze im Umgang mit dem Phänomen Piraten. Spitzenkandidat Torsten Albig gibt sich zwar gelassen, wenn das Thema auf den Tisch kommt – noch ist ja nichts verloren. Aber – er weiß auch ganz genau, dass es nicht leicht ist, so einen Trend, wie ihn die Piraten derzeit erleben, zu brechen.
"Da wird, glaube ich, für Grün und für Rot Aufgabe sein, auch im Wahlkampf deutlich zu machen: Wer Rot-Grün will, der darf nicht einfach – weil er sagt, ich hab mal Spaß dazu – Piraten wählen. Man kann ja viel darüber nachdenken und streiten, warum es Piraten gibt, aber wir haben jetzt die Chance eines Politikwechsels – und da gilt es für uns auch zu sagen: Leute, verschenkt eure Stimme nicht an eine Partei, die möglicherweise dazu führt, dass das rot-grüne Ziel nicht erreicht wird, sondern vielleicht eine große Koalition – die wollen wir alle nicht."
Die letzte große Koalition in Schleswig-Holstein war mit ziemlichem Getöse im Juli 2009 am Streit zwischen Ministerpräsident Carstensen von der CDU und dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner zerbrochen – eine Neuauflage von Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot kann derzeit wirklich keine der beiden Seiten ernsthaft anstreben, die Erinnerungen an den letzten Fehlschlag sind noch zu frisch.
"Nein, ich bin hier schon mal oben gewesen – aber ich glaube, wenn der Kommissar, der zuständig ist für die Energiefragen in Brüssel, hier ist, dann müssen wir ihn auch etwas begreifen lassen im wahrsten Sinne des Wortes. Wer da oben mal über das Getriebe läuft, der weiß, dass das vielmehr ist als nur drei Flügelblätter und ein Turm und ein Generator, sondern das hat was mit Hightech zu tun. Und insofern ist das ein Teil der Energiewende aber auf der anderen Seite auch innovative Politik, die wir hier machen."
Eine Steilvorlage für den Mann, der am 6. Mai Carstensen als Ministerpräsident ablösen will. Im August vergangenen Jahres war Jost de Jager noch ganz einfach nur Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr im schwarz-gelben Kabinett in Kiel. Dann stolperte Carstensens Kronprinz, Christian von Boetticher, über die Affäre mit einer 16-Jährigen. Plötzlich war Jost de Jager der neue Hoffnungsträger der CDU im Norden. Vor dem Ausflug auf das Riesenwindrad gibt es noch letzte Instruktionen beim Anlegen des Sicherheitsgeschirrs. Ein bisschen blass um die Nase wirkt de Jager schon – aber, wer mit den Bürgern über Windkraft diskutieren will, der muss auch wissen, worüber er redet, meint der CDU-Spitzenkandidat.
"In den Bürgerbeteiligungsverfahren reden wir mit den Menschen ja gerade über die Frage, wie hoch diese Anlagen sein dürfen. Und mit Selbstverständlichkeit reden wir über Nabenhöhen, die
wir jetzt besteigen werden - das ist ein sehr wichtiger Aspekt, weil ich glaube, dass man sich über die Größe dieser Infrastrukturen im Klaren sein muss, wenn wir über Energiewende reden."
EU-Kommissar Oettinger hat sich auch bereit gemacht für die Klettertour. Sein Anliegen ist weniger der Ausbau der Stromproduktion durch Wind – er macht sich viel mehr Sorgen um den Netzausbau. Mehr Tempo – sonst bleibt die Energiewende stecken, mahnt Oettinger.
"Der entscheidende Punkt ist ja: Wie bekommt man den Windstrom aus dem deutschen Norden in die Metropolen im deutschen Westen und deutschen Süden, wo der Strom in der Menge gebraucht wird. Die Planungen kommen voran, aber klar ist, wir müssen in den nächsten Jahren die Geschwindigkeit steigern und schneller als bisher in der Genehmigung von Planungen und dann im Bau und Inbetriebnahme von Leitungen vorankommen."
Mehr als 2600 Windkraftanlagen drehen sich derzeit in Schleswig-Holstein – Tendenz steigend. In den nächsten Jahren soll sich die sogenannte Windeignungsfläche auf 1,6 Prozent der Landesfläche verdoppeln – nicht nur dagegen regt sich inzwischen zunehmend Widerstand. Gut 500 Kilometer Höchstspannungsleitungen sollen gebaut werden, um den künftig erzeugten Windstrom nach Süden leiten zu können. Eine dieser 380.000-Volt-Trassen ist in Quickborn bei Hamburg geplant – dort soll eine bestehende 220-KV-Leitung aufgerüstet werden. Schon jetzt steht direkt vor dem Garten von Günther Hansen ein 35 Meter hoher Hochspannungsmast – der neue Mast für die 380-KV-Leitung soll 60 bis 70 Meter hoch werden.
"Wir wohnen direkt unter der Leitung – der Garten, der Lebensraum ist direkt unter der Leitung, das Gebäude selber ist nur 19 Meter von der äußersten Leitung entfernt, also – näher geht's kaum."
Von Günther Hansens Haus verläuft die Freileitung immer dicht an der Wohnsiedlung entlang – und überquert schließlich den Sportplatz einer Schule. 1000 Kinder und Jugendliche seien in dem nur 80 Meter entfernten Schulgebäude schon jetzt täglich den elektromagnetischen Strahlen ausgesetzt. Wenn künftig über ihren Köpfen eine 380-KV-Leitung brumme, dann werde die Strahlenbelastung viermal höher sein, betont Burkhard Jäckel von der Bürgerinitiative "Quickborn gegen Riesenmasten" – das gehe gar nicht. Die Stromkabel müssen entweder unter die Erde – oder mindestens 400 Meter von den Häusern und der Schule entfernt verlaufen, fordert er.
"Wir reden hier von einer sensiblen Trassenlänge, deswegen weil sie dicht bei der Schule und dicht bei 1000 Menschen an den Häusern vorbeiführt, von zwei bis zweieinhalb Kilometern. Es gibt
mindestens sechs Trassenvarianten, die wir ausgearbeitet haben, die die Belastung um 92 Prozent bis 98 Prozent entlastet und die ganze Trasse würde dann fünf bis sieben Prozent mehr kosten."
Der Netzbetreiber TenneT aus den Niederlanden ist bisher auf keinen dieser Vorschläge eingegangen. Die Stadtverwaltung von Quickborn und etliche Anwohner erwägen inzwischen eine Klage – sie müssen sich deshalb immer wieder gegen den Vorwurf wehren, sie gehörten zu denen, die immer sagen: Energiewende und Netzausbau ja – aber nicht bei mir! - - beklagt Burkhard Jäckel.
"Wir sind nicht gegen den Ausbau, wir sind nur dafür, dass das so gemacht wird, dass nicht Menschen gefährdet werden, die in unmittelbarer Nähe wohnen – wenn es zumal andere Möglichkeiten gibt."
In den kommenden Monaten wolle man sich noch mehrmals mit Vertretern der Stadt, der Kommunalpolitik und des Netzbetreibers zu Gesprächen treffen – Ausgang ungewiss. TenneT rechnet mit dem Abschluss des Planfeststellungsverfahrens bis Ende des Jahres und will dann sofort mit dem Bau beginnen. Das wiederum wäre ganz im Sinne der schwarz-gelben Landesregierung, für die im August vergangenen Jahres Jost de Jager als zuständiger Wirtschaftsminister eine Vereinbarung über den beschleunigten Netzausbau mit TenneT und anderen Netzbetreibern unterzeichnet hatte.
Widerstand und lautstarker Protest begleitet auch ein anderes heißes Eisen im schleswig-holsteinischen Wahlkampf. Die dänische Minderheit im Landesteil Südschleswig fühlt sich ungerecht behandelt von der Kieler Landesregierung.
Kinder der dänischen Jørgensby-Skolen in Flensburg und ihr Protest gegen die Kürzung der Landeszuschüsse für den dänischen Schulverein. "Kämpft für 100 Prozent Zuschuss aus Kiel" heißt es im Refrain. Im Mai 2010 hatte die Landesregierung ein Sparprogramm zur Sanierung des maroden Haushalts beschlossen – seither zahlt sie dem Verein pro Kind nur noch 85 Prozent der Summe, die sie für jedes Schulkind an einer deutschen öffentlichen Schule ausgibt. Ein Schlag ins Gesicht der rund 50.000 Angehörigen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, findet der Schulvereinsvorsitzende Per Gildberg.
"Das heißt eine Nicht-Gleichstellung mit der Mehrheitsbevölkerung im Landesteil – und das ist natürlich eine finanzielle Größe, selbstverständlich, aber das ist auch eine gefühlsmäßige Größe, eine gefühlsmäßige Verletzung, die wir auch absolut wahrgenommen haben bei unseren Kindern, bei unseren Jugendlichen im Schulverein in den letzten zwei Jahren."
Frühstückspause in der dritten Klasse der Jørgensby-Skolen – die Kinder bleiben im Klassenzimmer, holen ihr Pausenbrot oder etwas Obst aus der Schultasche. Diese Kinder sind der schwarz-gelben Landesregierung offenbar weniger wert als Kinder an deutschen öffentlichen Schulen, kritisiert Anke Spoorendonk, Spitzenkandidatin des Südschleswigschen Wählerverbandes SSW. Seit 1948 vertritt die Partei die Interessen der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein – vier Abgeordnete des SSW sitzen derzeit im Landtag. Bisher habe man eigentlich immer gut mit allen anderen Fraktionen kooperiert, Gleichstellung von Minderheit und deutscher Bevölkerungsmehrheit – bisher habe das gut funktioniert, betont Anke Spoorendonk.
"Wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir gehören dazu – und von daher kann es nicht anders sein, als dass man zu dieser Gleichstellung steht. Das hat der Landtag ja auch lange getan. Minderheitenpolitik war lange Jahre überparteiliche Politik – das ist auch unserer Meinung nach der richtige Ansatz, wir wollen gar nicht daraus Parteipolitik machen. Umso größer ist eben die Enttäuschung, dass diese Landesregierung davon Abstand genommen hat."
Und diese Enttäuschung hat dazu geführt, dass der SSW sich ganz klar für eine Unterstützung von Rot-Grün ausgesprochen hat. Schwarz-Gelb ist für die dänische Minderheit einfach keine Alternative mehr – es muss sich etwas ändern im Land, gibt Anke Spoorendonk sich kämpferisch.
"Wir glauben nicht daran, dass wir mit dieser jetzigen Landesregierung weiter im Dialog sein können, wir haben alles versucht – wir müssen eine neue Regierung haben in diesem Land, neue politische Mehrheiten, um diese Minderheitenpolitik, die wir alle wollen, die wir auch lange miteinander gelebt haben, wiederzubekommen."
Nur einmal in seiner Geschichte hatte der SSW sich ähnlich weit vorgewagt: 2005, als bei der Landtagswahl sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag verpassten, bot die Partei an, eine rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren. Dieses Modell scheiterte spektakulär, als die SPD-Kandidatin Heide Simonis bei der Ministerpräsidentenwahl in vier Wahlgängen scheiterte und schließlich Peter Harry Carstensen von der CDU mit einfacher Mehrheit gewählt wurde.
"Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieses Modell nicht als Teil der politischen Kultur in Deutschland akzeptiert wird. Und darum haben wir beschlossen, dass der SSW das jetzt nicht wiederholen kann. Sollten wir also in eine entscheidende Position kommen, dann müssen wir auch bereit sein, in eine Regierungszusammenarbeit einzutreten. Das ist nicht unser vorrangiges Wahlziel, aber wir können nicht kneifen."
Argwöhnisch beobachten Union und FDP das Verhalten des von der Fünf-Prozent-Klausel befreiten SSW. Die Partei mache sich selbst zum Steigbügelhalter für Rot-Grün, kritisierte CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager im NDR – das könne eigentlich nicht Selbstverständnis des SSW sein.
"Wir respektieren den Sonderstatus des SSW, wir respektieren auch die vollen Mandate, die der SSW hat – darum geht es überhaupt nicht. Aber bisher war der SSW die Vertretung der Anliegen der Minderheit, jetzt lässt sich der SSW vor der Wahl schon einpreisen in ein Regierungsbündnis."
Sein direkter Kontrahent, SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig dagegen, liebäugelt schon seit Beginn des Wahlkampfs mehr oder weniger offen mit der sogenannten Dänen-Ampel aus Rot-Grün und SSW. Als amtierender Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel kennt er die Zusammenarbeit der drei Fraktionen in der Ratsversammlung schon seit einiger Zeit, und ähnlich wie die Grünen sieht auch er ein solches Dreierbündnis ganz selbstverständlich als mögliche Alternative.
"Ich habe immer von dem Dreier-Bündnis gesprochen – ich habe in Kiel ein solches Dreierbündnis, das funktioniert ausgezeichnet. Der SSW ist ein verlässlicher, guter, kluger Partner, und es gäbe überhaupt keine Bedenken, mit dem SSW gemeinsam das auch auf Landesebene zu tun."
Frühmorgens ist der Wahlkämpfer Albig schon auf dem Wochenmarkt im Kieler Stadtteil Gaarden unterwegs – mit kleinen Geschenken.
"Mögen Sie einen solchen Becher haben, dann erinnern sie sich immer, dass bald Wahl ist.
- Ja, danke schön
- Sie können mir auch einen schenken, ja
- Moin, für die Pause – danke schön.
- Darf ich Ihnen fürs Frühstück einen kleinen Becher mitgeben? – Ich danke Ihnen, schönen Dank – sehr gerne – ich wünsche Ihnen viel Erfolg – danke, tschüss."
Der Mann kommt an beim Wahlvolk – höhere Beliebtheitswerte als der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, bei einer Direktwahl des Regierungschefs wäre er meilenweit vor seinem Mitbewerber Jost de Jager – sagen die Umfragen. Der good Guy eben, der die harte Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner eher meidet – da schicke Albig gerne mal den als "roten Rambo" titulierten Landesparteichef Ralf Stegner in der Rolle des bad Guy vor – sagen viele Kritiker. Den besten Start hatten die beiden nicht - nachdem der Kieler Oberbürgermeister etwas überraschend seinen Anspruch auf die Spitzenkandidatur angemeldet und in einer Urwahl auch noch deutlich gegen Stegner durchgesetzt hatte, sahen viele einen vom Dauerstreit des Führungsduos überschatteten Wahlkampf heraufziehen. Davon war bisher allerdings nichts zu sehen – es gibt auch keinen Grund dafür, betont Albig.
"Good Guy – bad Guy, das sind Zuschreibungen aus einer anderen Welt, die haben mit der Realität nichts zu tun. Wir teilen uns die Arbeit, weil es viel Arbeit ist, eine SPD zu führen, Spitzenkandidat zu sein. Oberbürgermeister zu sein, im Parlament zu wirken – all das erreichen wir an allen Stellen und wir machen das sehr abgestimmt und sehr gut miteinander. Es ist einfach schlichte, professionelle Arbeit für ein Ziel."
Das da lautet: Regierungswechsel in Schleswig-Holstein. Am liebsten – wie gesagt – mit den Grünen, notfalls auch mit der Dänen-Ampel. Und die rückt tatsächlich immer mehr in den Fokus – denn von dem komfortablen rot-grünen Vorsprung in den Umfragen Anfang des Jahres ist nichts
mehr übrig. Das hat damit zu tun, dass die FDP entgegen aller bisherigen Annahmen es vielleicht doch mit fünf bis sieben Prozent in den Landtag schaffen könnte – und es hat mit einem dramatischen
Absturz der Grünen zu tun. Noch vor gut einem halben Jahr standen die bei über 20 Prozent - der Landesparteitag feierte im November in Neumünster den gerade mit fast 100 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählten Robert Habeck. Dem war der minutenlange Applaus beinahe ein bisschen peinlich.
"An der Grenze zur Überhitzung ist es schon. Also – es ist ein Riesen-Vertrauensvorschuss, und ich hoffe, dass ich den einlösen kann und ich will, dass wir das gemeinsam kritisch immer wieder hinterfragen und jetzt nicht uns besoffen machen durch solche Ergebnisse, sondern einen selbstkritischen Wahlkampf führen."
Der Jubel hat sich längst gelegt – Ernüchterung hat sich breitgemacht bei den Grünen. Gespannt schauen sie auf ein Phänomen, das ihnen im Wahlkampfendspurt richtig zu schaffen macht – die Piraten. Im Februar kratzen die gerade so an der Fünf-Prozent-Hürde – hatten sich aber eine richtig symbolträchtige Bühne für ihren Wahlkampfauftakt ausgesucht: das 500-Seelen-Dorf Berlin mitten in Schleswig-Holstein. Bei klirrender Kälte hatten sich damals etwa 50 Anhänger der Piraten zu einem bunten Treiben versammelt, Kinder spielten mit orangefarbenen Luftballons im Schnee und die wohl prominenteste Piratin im Land, Ex-Grünen-Parteichefin Angelika Beer, sprach von großen Zielen.
"Wir sind am Aufschwung und wir sind vor einer Riesenherausforderung. Wir müssen in Schleswig-Holstein den Einzug schaffen, damit wir ihn dann auch nach Berlin schaffen, also in den Bundestag. Wir wissen, dass wir als Flächenland wirklich jetzt eine Riesen-Aufgabe vor uns haben. Das ist hier nicht so einfach, aber wir sind trotzdem ganz sicher, dass wir es schaffen."
Inzwischen sind die Piraten in Schleswig-Holstein den auf 13 Prozent abgerutschten Grünen ganz dicht auf den Fersen – das muss man erstmal verdauen. Torge Schmidt, 23, und damit jüngster Spitzenkandidat in der schleswig-holsteinischen Parteiengeschichte, kann das ganz gut wegstecken – sagt er. Mit knapp einem Dutzend Piraten trifft er sich abends in Rendsburg beim Italiener zum "Stammtisch" – bei den etablierten Parteien wäre das wohl eine Sitzung des Ortsvereins. Ein Piratenklischee wird hier gleich mal komplett bedient: Fast jeder der Anwesenden – auch Torge Schmidt - hat seinen Laptop aufgeklappt, es wird eifrig gesurft, der Spitzenkandidat checkt seine Emails.
"Ja super, Interviewanfrage, Anfrage, Anfrage, Anfrage ... . Ja, das ist die Pressegeschichte – aber auch sonst ..."
Gar nicht so leicht, plötzlich so in der Öffentlichkeit zu stehen – aber Torge Schmidt geht damit recht gelassen um, genau wie mit dem Hype um die Piraten. Zwischenzeitlich sogar zweistellige Umfragewerte – das klingt ja ganz gut, aber ...
"Also ich persönlich bin noch bei 4,9 Prozent - wir müssen realistisch sein: Wir waren bis vor Kurzem noch eine Partei, die 370 Mitglieder hatte, bei zwei Prozent stand und wir haben ein Finanzbudget von der Partei her, das ungefähr bei einer Partei von ein Prozent liegt. Sprich: Wir haben die Aufgabe, innerhalb von wenigen Monaten erstmal dieses Riesenwachstum zu verdauen und dann auch noch die Strukturen zu schaffen, um wirklich effektiv im Landtag zu arbeiten. Das wird eine Mammutaufgabe sein und natürlich eine Riesenherausforderung für uns – aber natürlich müssen wir die angehen."
Auf über 700 ist die Zahl der Piraten in Schleswig-Holstein bis Anfang April schon angestiegen – und der Hype geht weiter. Immerhin - inzwischen reagieren die anderen Parteien auf uns, stellt Torge Schmidt mit ein klein wenig Genugtuung fest. Spätestens, als die Umfragewerte zwischendurch zweistellig wurden, habe sich doch einiges verändert.
"Ich glaube, die nehmen uns auf einmal ganz anders wahr – das war irgendwi,e glaube ich schon, ein ziemlicher Schreckschuss für die anderen Parteien. Wo kommen die mit Einemmal her – und, wir haben doch eigentlich alles super gemacht – und eigentlich läuft unser Wahlkampf total gut usw. – aber ich glaube, es liegt tatsächlich an den anderen Parteien, dass wir auf einmal so schnell so groß geworden sind."
Vor allem die Grünen, die zuletzt so massiv Federn lassen mussten, schätzen die Situation offenbar noch ganz anders ein. Völlig entspannt verteilt der grüne Bundesvorsitzende Cem Özdemir im Straßenwahlkampf in Eckernförde das traditionelle grüne Wahlkampfgeschenk.
"- Sonnenblumenkerne von den Grünen
- Ach das ist schön, die werden wir gleich bei uns einpflanzen,
- Ja
- Genau – Sie müssen alle zur Wahl gehen
- Ja, genau
- Das ist wichtig, also ..."
Vielleicht hätte der Grünenchef in diesem Fall auch ganz konkret dazu sagen sollen, wen die Passanten aus seiner Sicht wählen sollten – es könnte sonst ziemlich eng werden mit der ersehnten rot-grünen Mehrheit am 6. Mai. Vor allem, wenn – wie zuletzt – die Piraten weiter zulegen, auf Kosten der Grünen. Darüber macht sich Cem Özdemir aber, zumindest öffentlich, nicht wirklich Sorgen – die meisten der potenziellen Piratenwähler sind seiner Ansicht nach Protestwähler. Denen müsse man einfach nur klarmachen, was sie mit ihrem Protest anrichten.
"Ich bin da recht zuversichtlich, weil – diese Wahl unterscheidet sich von anderen Wahlen dadurch, dass es hier um eine Richtungswahl geht. Das heißt: Es gibt hier zwei klare Alternativen, bei den Wahlen davor konnte man auch mit einer Wahl für die Piraten Protest ausdrücken – das ist hier anders. Hier heißt Protest: CDU an der Regierung."
Ganz ähnlich argumentiert auch die SPD-Spitze im Umgang mit dem Phänomen Piraten. Spitzenkandidat Torsten Albig gibt sich zwar gelassen, wenn das Thema auf den Tisch kommt – noch ist ja nichts verloren. Aber – er weiß auch ganz genau, dass es nicht leicht ist, so einen Trend, wie ihn die Piraten derzeit erleben, zu brechen.
"Da wird, glaube ich, für Grün und für Rot Aufgabe sein, auch im Wahlkampf deutlich zu machen: Wer Rot-Grün will, der darf nicht einfach – weil er sagt, ich hab mal Spaß dazu – Piraten wählen. Man kann ja viel darüber nachdenken und streiten, warum es Piraten gibt, aber wir haben jetzt die Chance eines Politikwechsels – und da gilt es für uns auch zu sagen: Leute, verschenkt eure Stimme nicht an eine Partei, die möglicherweise dazu führt, dass das rot-grüne Ziel nicht erreicht wird, sondern vielleicht eine große Koalition – die wollen wir alle nicht."
Die letzte große Koalition in Schleswig-Holstein war mit ziemlichem Getöse im Juli 2009 am Streit zwischen Ministerpräsident Carstensen von der CDU und dem SPD-Landesvorsitzenden Ralf Stegner zerbrochen – eine Neuauflage von Rot-Schwarz oder Schwarz-Rot kann derzeit wirklich keine der beiden Seiten ernsthaft anstreben, die Erinnerungen an den letzten Fehlschlag sind noch zu frisch.