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Weder weiblich noch männlich

Ethik. - Abschätzungen besagen, dass in Deutschland bis zu 10.000 Menschen leben, bei denen nicht feststand, zu welchem Geschlecht sie gehörten, als sie zur Welt kamen. Der Deutsche Ethikrat hat nun gestern eine Stellungnahme zur Intersexualität vorgestellt. Der Leiter der Arbeitsgruppe, Michael Wunder, erläutert sie im Gespräch mit Arndt Reuning.

Psychologe Michael Wunder im Gespräch mit Arndt Reuning |
    Reuning: Herr Wunder, was sind denn die zentralen Thesen und Forderungen des Papiers?

    Wunder: Diese Menschen haben sehr viel Leid erlebt, sehr viel Tabuisierung und Zurücksetzung. Und wir fordern dazu auf, ihnen mit sehr viel mehr Respekt zu begegnen, sie anzuerkennen, sie vor allen Dingen auch in ihrem Anderssein anzuerkennen und sie als Teil einer vielgestaltigen Gesellschaft zu respektieren. Dann machen wir natürlich konkrete Empfehlungen. Eine ganz wichtige ist, dass es möglich sein soll für Menschen mit uneindeutigem Geschlecht, eben sich nicht in die Kategorie "männlich" oder "weiblich" hinein begeben zu müssen, sondern die Kategorie "anderes" anwählen zu können. Und das, glaube ich, ist sehr wichtig. Vielleicht ist auch wichtig zu sagen, wir sagen: Das muss freiwillig erfolgen. Also nicht alle Intersexuellen müssen nun in diese Kategorie. Sie können selbstverständlich auch weiter weiblich oder männlich registriert sein und sich auch so identifizieren, das soll ihnen wirklich freigestellt sein. Aber es soll ihnen auch freigestellt sein, ihr Anderssein auch damit zu verdeutlichen und nach außen zeigen zu können.

    Reuning: Wie sieht es denn aus mit chirurgischen Eingriffen zur Festlegung des Geschlechts, zumindest äußerlich?

    Wunder: Also, das ist natürlich der zweite Entzündungspunkt der Auseinandersetzung.. Die Betroffenen berichten mit Recht sehr empört, sehr leidbesetzt von ihrer Vergangenheit, von ihren Erlebnissen mit fremdbestimmten operativen Eingriffen, die sie in die eine oder andere Rolle hineinoperiert und -gezwungen haben. Diese Schicksale haben uns auch bewegt, generell festzustellen: Diese Operationen, soweit sie geschlechtszuordnend sind - also in einer nicht entscheidbaren Situation und ohne die Einwilligung des Betroffenen einfach eine Entscheidung treffen: Du bist jetzt ein Junge oder du bist jetzt ein Mädchen - zu unterlassen. Wir halten es auch für grundrechtswidrig. Und davon natürlich auch zu trennen ist die Situation, wenn ein Erwachsener dieses für sich, nach guten Überlegungen für sich und für sein Wohl so bestimmt, dass er sagt: Ich möchte aber diese zuordnende Operation haben. Das ist etwas ganz anderes, dass ist eine höchstpersönliche Entscheidung. Aber im Kindesalter: Nein! Wir machen davon eine Ausnahme und unterscheiden diesen Grundrechtseingriff von einem Eingriff in den Körper, der aber nicht die Persönlichkeit betrifft, sondern eine Geschlechtsverdeutlichung. Wenn das Geschlecht feststeht, aber zum Beispiel durch hormonelle Fehlstellungen oder Andersartigkeit im Körper, wenn es da zu medizinischen Folgen kommt, bewerten wir die anders und sagen: Hier muss im Sinne des Kindeswohls eben natürlich sehr genau abgewogen werden, im Zweifelsfall auch in das Erwachsenenalter verlegt werden, aber es kann auch sich im Kindeswohl sozusagen ergeben, hier auch einen medizinischen Eingriff vorzunehmen.

    Reuning: Diese dritte Kategorie "Anderes", das deutet ja auch vielleicht an, dass zwischen diesen Polen männlich und weiblich ein ganzes Spektrum der Geschlechtlichkeit existiert. Wie sehen Sie das?

    Wunder: Das ist auch der Grund, warum ich persönlich auch den Begriff "Drittes Geschlecht" eigentlich ablehne. Das tut nämlich so, als ob das eine einheitliche andere Gruppe wäre. Und Tatsache ist, dass diese Gruppe der anderen ganz unterschiedlich ist. Man müsste eigentlich von einem dritten, einem vierten, einem fünften Geschlecht und so weiter reden. Diese Gesamtgruppe gliedert sich in sehr, sehr viele Untergruppen, ist sehr differenziert. Mit sehr differenziert meine ich nicht nur medizinisch-körperliche Bilder, sondern auch ganz verschiedene, psychologische und andere Fragestellungen.