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Weder Weltkrieg noch Wunder

Laurence Smith hat in seinem Buch "Die Welt im Jahr 2050" nüchtern und unaufgeregt bereits existierende Hochrechnungen weitergeführt. Die Hamburger Trendforscherin Birgit Gebhardt wagt mit ihrem Buch "2037" eine Prognose dafür, welche Techniken künftig mehr überzeugen werden.

Von Stefan Maas |
    Der Blick in die Zukunft braucht klare Regeln. Zumindest wenn es nicht um Kristallkugeln oder - wie bei einem Buch - um Sciencefiction geht. Und das haben weder Laurence C. Smith noch Birgit Gebhardt geschrieben. In ihren Büchern "Die Welt im Jahr 2050" und "2037 - Unser Alltag in der Zukunft" wollen der Professor für Geografie, und Earth and Space Sciences an der University of California in Los Angeles und die Leiterin des Trendbüros - eines Beratungsbüros für gesellschaftlichen Wandel - ein möglichst realistisches Bild der zukünftigen ökologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zeichnen. Deshalb haben beide sich unabhängig voneinander in etwa dieselben Regeln gegeben: In ihren Szenarien gibt es keine Katastrophen, wie einen Weltkrieg oder Seuchen, die die Menschheit auf einen Schlag an den Rand der Existenz bringen, aber auch keine Wunder wie die Heilung aller Krankheiten oder - im Falle von Smith - keine neue saubere Energieform, die alles unsere Ressourcenprobleme löst. Marktschreierische Weltuntergangsszenarien, mit denen andere Autoren ihre Bücher verkaufen, liegen beiden nicht. Smith schreibt:

    Der Sinn der Regeln besteht darin, mit dem Gedankenexperiment vorsichtig zu verfahren. Indem wir wahrscheinlichen und absehbaren Entwicklungen vor unwahrscheinlichen aber interessanten den Vorzug geben, entgehen wir der Verlockung, ein wahrscheinliches Ereignis zugunsten einer guten Story zu verwerfen.

    Beruhigend sind ihre Szenarien dennoch nicht. Für Laurence C. Smith, der die US-Regierung in Fragen des Klimawandels beraten hat und Teile des UNO-Weltklimaberichts 2007 lieferte, ist die Welt im Jahr 2050 eine Welt bevölkert von mehr als 9 Milliarden Menschen, die zu großen Teilen in Städten leben und einen enormen Hunger haben. Nach Lebensmitteln natürlich, aber auch nach anderen Ressourcen wie Energie und vor allem nach Wasser.

    Die Welt im Jahr 2050 ist aber auch eine Welt, die klar geteilt ist in Gewinner und Verlierer des Klimawandels und der damit einhergehenden Ressourcenverteilung. Klarer Gewinner: ein neuer Norden - Skandinavien, Kanada, Teile Russlands, die Arktis: wohlhabend, ressourcen- und vor allem wasserreich. Dank des Klimawandels und der damit einhergehenden Eisschmelze.

    "Das wird Auswirkungen haben für Länder wie Kanada. Denn es führt zu einer längeren eisfreien Zeit im Sommer, in der die Schiffe fahren können - obwohl das Eis im Winter immer wieder kommen wird. Es wird eine längere Vegetationsperiode geben, das wirkt sich auf die Landwirtschaft aus. Und mildere Winter, die sich auswirken auf das gesamte biologische Leben."

    Dem gegenüber steht der Süden, zu dem auch noch Teile Europas und der USA gehören, dieser ächzt vor allem unter Wassermangel - für Smith das größte Problem der Zukunft. Für Trendforscherin Gebhardt spielen diese globalen Entwicklungen nur eine Nebenrolle, wenn auch nicht ganz ohne Einfluss. Den Rahmen, in dem sie ihr Zukunftsszenario ausbreitet, ist etwas kleiner gehalten. Es ist die überalternde deutsche Gesellschaft, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter aufklafft und die die Folgen einer massiven Überschuldung der Europäischen Staaten zu spüren bekommt. Der Alltag, den Gebhardt für das Jahr 2037 schildert, ist dominiert von technischen Entwicklungen, die für die Menschen bei Arbeit und Freizeit eine enorm wichtige Rolle spielen, ja, Grundlage für fast jegliche Aktivität sind. Alle Informationen zu allem und jedem sind jederzeit abrufbar, die Menschen arbeiten mehr projektbezogen, mit mehr Eigenengagement, sind dabei aber auch viel mehr auf sich alleine gestellt, der Wettbewerbsdruck ist enorm, die Gesellschaft wenig solidarisch, die Gesundheitsversorgung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten organisiert.

    Immer weniger Beitragszahler und immer mehr versorgungsintensive Alte - Das Gesundheitssystem wie wir es jetzt kennen, ist überholt. Laut Dr. Thomas Drabinski, Leiter des Kieler Instituts für Mikrodaten-Analyse ist die gesetzliche Krankenversicherung nicht zukunftsfähig.

    Grundlage für diese beiden Szenarien sind Ergebnisse aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, Expertenanalysen und bei Smith Klimamodelle, die gut genug sind, um recht verlässlich zu beschreiben, wie sich das Klima bis zur Hälfte des Jahrhunderts entwickeln wird, oder jahrzehntelange statistische Beobachtungen:

    "Im Durchschnitt bewegen sich Pflanzen und Tiere nach Norden und in nördlichere Breitengrade vor. Mit einer Geschwindigkeit von etwa sechseinhalb Kilometern pro Jahrzehnt. Das klingt nicht viel, aber das sind etwa 2 Meter pro Tag. Stellen sie sich mal vor, sie kommen morgens aus dem Haus und sehen, dass sich Ihr Rasen nach Norden bewegt hat."

    Immer wieder setzt gerade Smith auf solch für jeden gut nachvollziehbare Beispiele und holt damit auch Leser ab, die sich noch nie oder nicht ausführlich mit dem Thema Klimawandel beschäftigt haben. Für jene, die sich mit dem Thema bereits eingehender beschäftigt haben, bietet Smith nicht viel Überraschendes, aber dank seiner sauberen Methodik und seines Erzählstils ist das Buch auch für sie durchaus lesenswert. Denn Smith nimmt den Leser mit auf seine zahlreichen Reisen, die ihn als Forscher über die Jahre besonders in die Länder des Nordens bis hinauf zur Arktis geführt haben. Leider sind die Ausflüge in eben jenes Jahr, 2050, dem das Buch seinen Titel verdankt, vergleichsweise selten. Auch konzentriert sich Smith sehr stark auf die Zukunft der Arktis - sein Spezialgebiet. Weil Smith sich dabei an die Regel hält, bleibe bei dem, was du kannst - ist das Buch auch gut lesbar. Das gilt für 2037 - Unser Alltag in der Zukunft leider nicht. Gebhardt spinnt nämlich die Fakten in einer Dokufiction zusammen, die von den Erlebnissen von drei Protagonisten getragen wird. Eine davon ist Nana, die im Laufe des Buches zusammengeschlagen wird und im Krankenhaus landet, wo sie dank der modernen Technik sanft aus einem künstlichen Koma erwacht:

    Im Halbdunkel erwachte sie zu Vogelgezwitscher inmitten einer Blumenwiese aus ihrem komatösen Tiefschlaf. Mit anschwellender Helligkeit öffneten sich die Blütenkelche um sie herum und wandten sich den Sonnenstrahlen zu.

    So gut die Autorin sicher ihr Fach beherrscht und so viele Erkenntnisse aus verschiedensten Disziplinen sie verknüpft, eine Erzählerin ist sie nicht, die bemühte Handlung und die mal hölzerne mal schwülstige Sprache erzeugen beim Lesen zunehmend Widerwillen. Immerhin: Wer sich entscheidet, diese Teile des Buches zu überspringen - also den Großteil -, findet am Ende eines jeden Kapitels mehrere lesenswerte Faktenseiten. Wie bei Smith gilt: Nicht neu, trotzdem interessant zu lesen, auch wenn sie in diesem Fall leider nur einen Bruchteil des Buches ausmachen.

    Apropos Smith: Auch ihm ist eine ganz wichtige Regel in die Quere gekommen: Kurz nachdem sein Buch erschienen war, in dem er der Atomkraft als einer sauberen Energieform ein langes Leben bescheinigt, kam es zur Atomkatastrophe in Fukushima. Hier zeigt sich, die Zukunft ist in der Regel doch unberechenbar.


    Laurence C. Smith
    Die Welt im Jahr 2050. Die Zukunft unserer Zivilisation. DVA, 480 Seiten, 22,99 Euro
    ISBN: 978-3-421-04401-3

    Birgit Gebhardt
    2037. Unser Alltag in der Zukunft. Edition Körber Stiftung, 410 Seiten, 16 Euro
    ISBN: 978-3-896-84086-8