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Weg von der totalen Abhängigkeit

Noch immer ist nicht klar, wann wieder russisches Gas über die Ukraine nach Europa fließt und mit dieser Unsicherheit wächst der Unmut - vor allem in den südosteuropäischen Ländern. Auf den Ummut folgt nun ein Umdenken, denn auf russische Gaslieferungen will in Zukunft keiner mehr vertrauen. So auch in Bulgarien, dem Land, das so stark am Gashahn der russischen Gazprom hängt wie kein zweites in Europa.

Von Gunnar Köhne | 12.01.2009
    Milkaner Dehler dreht wieder hoffnungsfroh am Regler der Heizkörper, wenn sie mit ihrer Tochter Megan im Wohnzimmer ihrer zwei Zimmerwohnung spielt. Noch sind die Radiatoren so lauwarm wie in den vergangenen sechs Tagen. 17 Grad Zimmertemperatur, mehr gibt die gasbetriebene Zentralheizung ihres Sofioter Wohnkomplexes nicht her. Doch das Gas aus Russland soll in Kürze wieder bis nach Sofia fließen, verspricht die Regierung. Bis dahin wird bei den Dehlers neben dem Sofa weiter ein kleiner Elektroofen röhren. Der Regierung macht die deutschstämmige Journalistin heftige Vorwürfe:

    "Der Regierung insofern, dass sie blind den Russen vertraut hat. Dass wir 100 Prozent von Russland in der Energie abhängig sind, weil mal wieder irgendjemand Geschäfte gemacht hat. Einer hat Geschäfte gemacht und darum leidet jetzt ein ganzes Land - aber wen kümmert das, wenn es dieser Eine warm hat?"

    Das Ende des Embargos kam gerade noch rechtzeitig. Bulgarische Zeitungen berichteten, das staatliche Gaswerk hätte in spätestens einer Woche den nationalen Tagesbedarfs nicht mehr decken können - und das bei täglich fallenden Temperaturen. Über 70 Schulen des Landes mussten vergangene Woche wegen Kälteferien schließen. Bis die russischen Gaslieferungen Bulgarien endgültig wieder erreichen, hat die Ukraine dem Nachbarn Lieferungen aus ihren eigenen Gasreserven in Aussicht gestellt. Bulgarien scheint mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein - doch die meisten Bulgaren glauben nicht, dass dies die letzte Energiekrise war:

    "Ich bin Jahrgang 48, ich bin an Krisen gewohnt. Ich werde auch die nächste überstehen."
    "Die Regierung hätte uns das ersparen können, wenn sie rechtzeitig Reserven angelegt hätte, oder?"

    Innenpolitisch gerät die bulgarische Regierung jetzt erst richtig unter Druck: Nicht allein wegen des schlechten Krisenmanagements. Schon Mitte Dezember soll Sofia von russischer Seite gewarnt worden sein, dass die Gaszufuhr wegen Streitigkeiten mit der Ukraine abgedreht werden könnte. Und doch gab sich die Regierung völlig überrascht. Zu lange hätte man Russland blind vertraut, kritisiert die parlamentarische Opposition und warnt, Bulgarien werde aufgrund seiner Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu "Russlands Trojanischem Pferd in der EU". Die Wirtschaftsexpertin Betty Ganeva fühlt sich beim Thema Russland gelegentlich an Ostblockzeiten erinnert:

    "Das Jahr 2008 haben wir in Bulgarien als das 'Russische Jahr' begangen, überall hingen russische Fahnen, mit leuchtenden Augen empfing unser Staatspräsident im Januar seinen damaligen russischen Amtskollegen Putin. Damals wurden mit Russland Verträge für drei weitere große Energieprojekte unterzeichnet, darunter das Kernkraftwerk Belene und eine Öl-Pipeline. Aber was soll eigentlich noch passieren, damit der Regierung klar wird, das Russland kein zuverlässiger Partner ist? Und warum ist der Vertrag mit Gasprom so geheim, dass ihn nur zwei, drei Leute kennen?"

    Ministerpräsident Stanischew kündigte nun an, Bulgarien wolle seinen einzigen Gasspeicher bei Tschiren, 70 Kilometer nördlich von Sofia, ausbauen und modernisieren, um künftig eine bessere Notversorgung zu ermöglichen. Dafür brauche das Land 250 Millionen Euro und werde die Europäische Union um finanzielle Unterstützung bitten. Die Idee einen abgeschalteten Atomreaktor russischer Bauart wieder anzufahren, hat die Regierung nach Protesten dagegen wieder fallen gelassen. Atanas Sarkov, stellvertretender Energieminister, gibt sich nach der Krise zerknirscht:

    "Wir brauchen mehr Gasreservedepots, wir brauchen aber auch neue Gaszuleitungen aus anderen Ländern als Russland - Alternativen wären geplante Pipelines vom Kaspischen Meer in die Türkei. Und wir müssen uns in Zukunft mehr um die Entwicklung alternativer Energien kümmern. Derzeit versuchen wir den durch den Gaslieferstopp entstandenen Schaden festzustellen. Dann werden wir Gasprom auf Schadensersatz verklagen."

    Auf Milkaner Dehler wirken solche Ankündigungen wenig beruhigend. Gestern Abend wartete sie mit ihrer kleinen Tochter wieder vergeblich auf warmes Wasser.