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Wegen Coronapandemie
Griechenland verlegt Flüchtlinge von den Inseln aufs Festland

In der Coronakrise werden in Griechenland besonders gefährdete Flüchtlinge von den Inseln aus Lagern in Wohnungen und Hotels gebracht. Familien sollen dabei nach Angaben der EU-Kommission nicht getrennt werden. Auch in ihrer neuen Bleibe warten auf die Migranten isolierte Bereiche.

Von Paul Vorreiter |
Momentaufnahme des Alltags und der Lebensbedingungen im Empfangs- und Identifikationszentrum des Flüchtlingslagers Vial auf der griechischen Insel Chios am Dienstag, 03. März 2020.
Das Flüchtlingslager Vial auf Chios (Archiv) (www.imago-images.de)
Die Aktion soll das Schlimmste verhindern: Dass in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln die Corona-Pandemie um sich greift und außer Kontrolle gerät.
Vor wenigen Tagen hatte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im Interview mit dem Deutschlandfunk die Umsiedlung angekündigt: "Wir arbeiten eng mit den griechischen Behörden zusammen, ebenso mit den Vereinten Nationen. Mit den griechischen Behörden haben wir einen Notfallplan aufgestellt und eine Menge Geld hineingesteckt und jetzt siedeln wir diejenigen um, die am gefährdetsten sind, also jene aus den Risikogruppen, alte Leute, kranke Leute; die bringen wir aus den überfüllten Lagern heraus in Wohnungen und Hotelzimmer."
Zwei junge Flüchtlinge sitzen lachend in einem Bus und zeigen den Daumen nach oben. Auf dem Flughafen Hannover sind am Samstagvormittag 47 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelandet, die zuletzt in Lagern auf den griechischen Insel gelebt hatten.
Flüchtlingskinder - Das große Integrationsprojekt
Die Aufnahme von 47 Flüchtlingskindern ist mehr als reine Symbolpolitik, meint Alexander Budde. n der Krise fand sich in Europa eine neue "Koalition der Willigen" von Luxemburg über Finnland bis Bulgarien. Drum herum ist ein Netzwerk entstanden, das Anlass zur Hoffnung gibt.
Als besonders gefährdet gelten 2.380 Migranten. Die werden nach und nach auf das Festland oder andere griechische Inseln übergesiedelt. Familien werden nach Angaben der EU-Kommission nicht getrennt. Ob die Migranten in den neuen Unterbringungsstätten tatsächlich wirksam vor dem Virus geschützt werden, liegt in der Hand der griechischen Behörden.
Nach Informationen der Kommission gelten dort aber dieselben Schutzmaßnahmen, wie schon auf den Inseln, also es werde kontrolliert, wer rein und rausgeht, außerdem gebe es isolierte Bereiche. Die Brüsseler Behörde geht davon aus, dass die Umsiedlung möglicherweise schon diese Woche abgeschlossen sein könnte.
Prämie soll Rückreisen fördern
"Ich glaube, dass es ein guter Schritt wäre, wenn man davon ausgehen könnte, dass diese Menschen jetzt dauerhaft in Sicherheit sind", sagt der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Erik Marquardt. Es sei dennoch unklar, ob sich auf den Inseln weiterhin Menschen aufhielten, die den Hochrisikogruppen angehören. Auch bezweifelt der Grünen-Politiker, ob die Aktion tatsächlich die erwartete Entlastung bringt:
"Es ist ja nicht so, dass es erst Corona braucht, bis das Gesundheitssystem überlastet ist. Es gibt Menschen, die haben Krebs, die werden nicht behandelt. Es gibt HIV-positive Menschen in den Camps, die ohne Medikamente dort von jeder Infektion schon lebensbedrohlich erwischt werden könnten, und ich denke, man muss sich jetzt klar machen, dass es jetzt nicht darum geht, einige Menschen aus diesen Camps noch zu holen, sondern als EU einen Plan zu entwickeln, in dem man überfüllte Flüchtlingslager in solchen Zeiten nicht zulässt."
Ein solcher Plan soll ja eigentlich kommen, schon in diesem Frühjahr. Die EU-Kommission hat immer wieder angekündigt, Vorschläge für einen Neustart in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik vorzulegen. Die steckt in der Sackgasse, weil die Länder vor allem bei der Frage der Flüchtlingsverteilung auf der Stelle treten.
Unterdessen dreht die Brüsseler Behörde an mehreren Stellschrauben, um die Lage auf den griechischen Inseln zu entspannen. Eine Prämie von 2.000 Euro soll mehrere tausend Migranten zur freiwilligen Rückkehr in ihre Herkunftsländer motivieren. Darüber hinaus haben sich mehrere Mitgliedsstaaten bereit erklärt, insgesamt 1.600 unbegleitete Minderjährige und weitere besonders schutzbedürftige Migranten aus den Camps aufzunehmen. Auch hat die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten neue Leitlinien vorgelegt, wie sie Asylvorschriften im Lichte der Coronaeinschränkungen besser handhaben können.
Die Pandemie wird zur Nervenprobe
Die Leitlinien sollen beides miteinander verknüpfen: Die Gesundheit der Beteiligten schützen und dafür sorgen, dass Asylverfahren trotz Krise bearbeitet werden können. Die Kommission empfiehlt, Asylbewerber per Videokonferenz zu befragen oder auf die Interviews zu verzichten. Griechenland hatte mehrere Wochen lang die Bearbeitung von Asylverfahren ausgesetzt. Inzwischen ist diese Maßnahme nach Angaben der Kommission ausgelaufen.
Den Sicherheitsvorkehrungen und Hilfsmaßnahmen zum Trotz wird die Coronapandemie auf den Inseln zur Nervenprobe: Auf Chios brachen am Wochenende gewaltsame Proteste aus, nachdem eine Migrantin nach einer tagelangen Erkrankung mit Fieber gestorben war. Die Demonstranten wurden wütend, nachdem sich das Gerücht verbreitet hatte, die Frau habe unter einer Coronainfektion gelitten.