Gestern Abend ging noch die Fernsehdebatte der Kandidaten über die Bühne, danach erst kam der Paukenschlag: Jaroslaw Kaczynski lenkte ein. Der Vorsitzende der rechtskonservativen Regierungspartei PiS stimmte, entgegen seiner wochenlang beteuerten Absicht, zu, dass die Wahl verschoben wird.
Kaczynski hatte sich mit dem ehemaligen Wissenschaftsminister Jaroslaw Gowin geeinigt, hieß es. Gowin hatte sich im rechten Lager in den vergangenen Wochen zum Gegenspieler von Kaczynski entwickelt. Er hatte sich gegen eine ad hoc organisierte reine Briefwahl gestellt. Viele der 18 Abgeordneten von Gowins Partei "Einigung", die zur PiS-Fraktion gehören, wollten heute deshalb gegen das Gesetz stimmen, das wegen Corona eine reine Briefwahl ermöglicht.
Gesetz ja, Wahl später
Nun steht offenbar ein Kompromiss: Das Gesetz geht heute durch, aber die Briefwahl werde später stattfinden, so ein anderer führender Politiker von "Einigung", Michal Wypij, gestern Abend:
"Der Kompromiss besteht darin, dass die Wahl auf einen Termin verschobenen wird, sodass sich alle ausreichend darauf vorbereiten können. Alle Beteiligten sollten sich trotz der Pandemie sicher fühlen können. Das könnte dann zum Beispiel im August sein."
Gegen eine reine Briefwahl im Mai hatten auch alle Kandidaten der Opposition protestiert. Mit zwei Argumenten: Zum einen konnten sie wegen der Corona-Beschränkungen praktisch keinen Wahlkampf machen. Zum anderen drohte die Organisation in einem nicht mehr kontrollierbaren Chaos zu versinken.
Geringe Chance für Opposition
Malgorzata Kidawa-Bonska, die Kandidatin der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform", hatte deshalb erklärt:
"Es darf am 10. Mai keine Wahlen geben. Deshalb sollten die Polen die Wahl, wenn sie stattfindet, boykottieren. Wir müssen dafür sorgen, dass der Lebensstandard in Polen nicht sinkt, dass die Schüler wenigstens ihre Abschlussprüfungen machen können. Wahlen sollten jetzt weit in den Hintergrund treten."
Umfragen hatten den Oppositionskandidaten bei der Wahl nur geringe Chancen eingeräumt. Das lag auch daran, dass sich der amtierende Präsident Andrzej Duda in den vergangenen Wochen als einziger profilieren konnte. Als Staatsoberhaupt konnte er sich als Kämpfer gegen das Coronavirus an vorderster Front in Szene setzen.
Regierung will Katastrophenzustand nicht ausrufen
Die Verschiebung der Wahl sei deshalb vor allem für Duda unangenehm, meinen Experten.
Doch auch bei den Oppositionskandidaten herrscht Unmut, so beim Politneuling Szymon Holownia, einem Fernsehmoderator, der in Umfragen zuletzt auf dem zweiten Platz gelegen hatte:
"Unsere Regierenden sind völlig unberechenbar, sie scheren sich nicht um die Demokratie. Über den wichtigsten Vorgang für einen Bürger, über die Organisation einer Wahl, wird nicht in einer breiten Diskussion mit der Opposition befunden, darüber wird nicht im Parlament diskutiert. Das beschließen zwei Herren am Abend bei einer Tasse starken Tee in der PiS-Parteizentrale in der Nowogrodzka-Straße."
Unklar ist bisher, auf welche Weise die Wahl verschoben werden soll. Denn die Regierung will, entgegen der Forderung der Opposition, nach wie vor nicht den Katastrophenzustand ausrufen. Der würde die Wahl automatisch um mindestens 90 Tage verschieben. Deshalb ist auch nach wie vor offen, ob Kandidaten sich neu registrieren müssen.