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"Wehe, Frau Merkel ist einmal nicht mehr"

Mit dem letzten Rededuell der Spitzenkandidaten vor der Bundestagswahl ist für den Politologen Wichard Woyke die Aufholjagd der SPD eingeläutet. Ohne ein Ereignis wie Fukushima wird es seiner Ansicht nach allerdings schwierig für Rot-Grün. Sollte bis 2017 kein Nachfolger für Merkel aufgebaut sein, dürfe es auch für die CDU große Schwierigkeiten geben.

Professor Wichard Woyke im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Unaufhaltsam rückt die Bundestagswahl näher, heute die letzte Gelegenheit der beiden Spitzenkandidaten, der Öffentlichkeit einen Vergleich anzubieten. Regierungserklärung der Bundeskanzlerin Angela Merkel und in direkter Gegenrede der SPD-Kandidat Peer Steinbrück. Es ging um den G8- und den EU-Gipfel und damit auch um den Euro und die Krise.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Wichard Woyke, Politikwissenschaftler in Münster. Guten Tag, Herr Woyke.

    Wichard Woyke: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Wahlkampf im Bundestag, ein Rededuell – war das ein enttäuschendes Rededuell? Sie haben es für uns verfolgt.

    Woyke: Nein, ich habe es nicht als enttäuschend empfunden. Wir befinden uns im Wahlkampf, aber erst am Anfang des Wahlkampfes. Aber sowohl die Kanzlerin als auch der Kandidat kamen ja durchaus auf Touren und haben auch deutlich gemacht, dass sie in bestimmte Breschen des Gegners jeweils reingesprungen sind und das auch mit wunderbaren Aussagen wie "wenn Sie regieren, wird in der Wüste der Sand knapp". Das ist mal etwas Originelles. Aber man hat das so erwartet.

    Breker: Hat es denn, Herr Woyke, Sieger gegeben in diesem Duell?

    Woyke: Ja das kommt natürlich immer darauf an, wie Sie was bewerten wollen. Die Kanzlerin hatte es ja schwer, wie in diesem Bericht eben auch hervorging, weil sie vieles miteinander verknüpfen musste und nicht rein europäisch argumentieren konnte. Der Kanzlerkandidat konnte das besser und auch vom Kabarettistischen ist er ganz sicherlich der Sieger gewesen und die Art und Weise, wie die Rede herübergekommen ist, da hat Steinbrück Vorteile für sich geltend gemacht. Aber ob nun inhaltlich die Kanzlerin gewonnen hat oder Herr Steinbrück gewonnen hat, das wage ich mal zu bezweifeln. Dann müsste ich mir die beiden Reden noch mal inhaltlich genau angucken. Es war vieles von dem, was bekannt war, gerade was die Kanzlerin aufgeführt hatte, aber auch von dem, was Steinbrück getan hatte, und da müsste man dann noch mal genauer hinschauen.

    Breker: Kann man denn sagen, Herr Woyke - in den Umfragen liegt Peer Steinbrück ja weit hinter der Kanzlerin -, heute hat die Aufholjagd begonnen?

    Woyke: Ganz sicherlich. Sie hat eigentlich auch schon früher begonnen. Aber mit dieser Rede dürfte Steinbrück durchaus einige Punkte gut machen und auch gezeigt haben, dass er ein Kämpfer ist, der in bestimmten Politikbereichen auch sehr gute Kenntnisse hat und der auch bereit ist, in den Angriff überzugehen, und der auch Führung zeigen kann, also viel von dem vielleicht auch vergessen machen kann, wofür er in den letzten drei, vier Monaten gescholten worden ist.

    Breker: Man hat bei der Union, bei CDU/CSU ja gemerkt, sie setzen bei der Bundestagswahl am 22. September voll und ganz auf die Kanzlerin, also auf ihre Kandidatin. Das kann die SPD nicht?

    Woyke: Nein! Das ist ja auch vollkommen klar, denn die Kanzlerin ist amtierende Regierungschefin und sie ist quasi auch das Programm der CDU, wie das schon Adenauer in den 50er- und 60er-Jahren auch für die CDU gewesen ist. Und das bedeutet, dass sie, die CDU, gegenüber der SPD dort einen deutlichen Vorteil hat. Aber wehe, wehe, Frau Merkel ist einmal nicht mehr – und da denke ich schon an 2017 – und sollte bis dahin kein Nachfolger aufgebaut worden sein, auch die Programmatik nicht deutlich klar herauskommen, wofür die CDU nun eigentlich steht, dann dürfte es für die Volkspartei CDU ganz große Schwierigkeiten geben.

    Breker: Herr Woyke, Sie denken schon an 2017. Heißt das, diese Wahl ist für die SPD schon verloren?

    Woyke: Herr Steinbrück hat das ja indirekt einmal mit einer ganz kleinen Bemerkung gesagt, als er sagte, "Sie behaupten das jetzt hier so und so, und dann stehen Sie am 22. September hier nach der Wahl und dann behaupten Sie das ganz anders." Das heißt, dass in einem Lapsus ihm das so passiert ist, dass er sie auch als weitere schwarz-gelbe Regierung sah. Und wenn ich die Entwicklungen der letzten Wahlkämpfe vergleiche – und wir haben noch gut drei Monate -, dann wird das ausgesprochen schwierig, von den jetzigen Zahlen für die SPD dazu überzugehen, dass sie tatsächlich mit den Grünen zusammen, nur diese beiden Parteien zusammen, eine alternative Regierung bilden können. Es sei denn – und das können wir nicht ausschließen -, es gibt ja immer sogenannte Imponderabilien, also Unwägbarkeiten, wie damals Fukushima. Sollte so etwas noch eintreten in den letzten drei Monaten vor dem Wahltag, könnte es auch durchaus noch zu einer Veränderung zwischen den Parteien kommen.

    Breker: …, wenngleich die Kanzlerin ja immer wieder bewiesen hat, wie wendig sie sein kann.

    Woyke: Ja, das ist richtig. Aber ob sie dann so wendig in so kurzer Zeit sein wird, das will ich mal dahingestellt sein lassen. Und wer weiß – lassen wir lieber die Imponderabilien außen vor.

    Breker: Die Opposition könnte wenn überhaupt, dann nur mit Programm überzeugen. Aber hat sie da die richtigen Themen?

    Woyke: Die SPD hat ja das große Thema Gerechtigkeit, was ja eigentlich überall steht, und dann hat sie auch auf werbewirksame andere Inhalte abgehoben, zum Beispiel auf die Frage der Mieten, auch die Frage der Bildung. Die neueste Hochschulstudie über das Leben der Studenten zeigt ja auch wieder recht deutlich, dass wir uns in Deutschland da sehr unterscheiden von anderen Ländern, und hier hätte die SPD auch durchaus eine Klientel, auf die sie setzt. Von daher meine ich schon, dass in den Bereichen, die die SPD hat, unter dem großen Bereich soziale Gerechtigkeit dann noch einzelne Themenbereiche stärker anzusprechen und in den letzten Wochen herauszugehen, ihr durchaus noch Unterstützung bringen kann. Ob es reichen wird, das ist eine ganz andere Frage.

    Breker: …, wobei ja inzwischen auch die Union die Mieten bremsen will.

    Woyke: Ja natürlich! Frau Merkel hat ja auch gesagt in ihrer flapsigen Art, wenn die SPD mal eine richtige Entwicklung macht, warum sollen wir das nicht übernehmen. Das kann man als Plagiat sehen, das kann man aber auch sehen, dass die Notwendigkeit erkannt worden ist seitens der Union, wie wichtig gerade dieses Thema wird, denn wohnen muss jeder und bezahlbarer Mietraum muss bleiben, und von daher macht die CDU auch einen Wettbewerb gegen die SPD in diesem Bereich.

    Breker: Im Deutschen Bundestag das letzte Duell der beiden Spitzenkandidaten vor der Bundestagswahl – Einschätzungen waren das von Wichard Woyke, Politikwissenschaftler in Münster. Herr Woyke, vielen Dank!

    Woyke: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.