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Wehrhafte Keime

Städtisches Klinikum Braunschweig, Abteilung Hämatologie und internistische Onkologie. Hinter der Tür zu Zimmer 11 liegt Rosemarie G, eine Krebspatientin, die sich irgendwann auf ihrem Leidensweg ein Bakterium eingefangen hat, das Krankenhausmediziner nicht in ihren Wänden haben wollen: MRSA. Das ist die Abkürzung für multiresistenter Staphylokokkus aureus - Bakterien, gegen die kaum noch ein Mittel aus dem Arzneimittelschrank hilft. Multiresistent bedeutet, dass diese Bakterien gelernt haben, sich gegen viele Antibiotika zu wehren. Je nachdem welchen Stamm von MRSA sich ein Patient einfängt, sind es mal die einen, mal die anderen Antibiotika. Sie unterscheiden sich nur in ihren genetischen Fingerabdrücken. Und es gibt besonders wehrhafte multiresistente Staphylokokken-Stämme, die inzwischen 14 Antibiotika ignorieren. Die Gefahr: Wenn Bakterien nicht mehr auf die Waffen der Pharmaindustrie reagieren, fällt die Medizin in das Zeitalter vor der Entdeckung des Penicillins zurück.

Von Jo Schilling | 29.02.2004
    Noch sind die multiresistenten Staphylokokken in unseren Krankenhäusern nicht vollständig resistent gegen alle Antibiotika und viele Ärzte haben den Ernst der Lage noch gar nicht erkannt. Ihre Argumente: Es sind doch nur die Standartantibiotika, die nicht mehr wirken. Die Apotheken sind voll mit Alternativen.

    Städtisches Klinikum Braunschweig, Abteilung Hämatologie und internistische Onkologie. Ein typischer Krankenhausflur, helle Wände, pflegeleichter Kunststoffbelag auf dem Boden und geschäftiges Treiben auf den Gängen. Hinter der Tür zu Zimmer 11 liegt Rosemarie G, eine Krebspatientin, die sich irgendwann auf ihrem Leidensweg ein Bakterium eingefangen hat, das Krankenhausmediziner nicht in ihren Wänden haben wollen: MRSA. Das ist die Abkürzung für multiresistenter Staphylokokkus aureus – Bakterien, gegen die kaum noch ein Mittel aus den Arzneischränken hilft. Vor der Tür von Rosemarie G. steht ein kleiner Rollwagen mit Kitteln, Tüchern, Desinfektionsmittel, einem Handschuhspender und einem Stapel Mundschützer. Wer das Zimmer betreten möchte, muss einen grünen Kittel überstreifen, die Hände desinfizieren, einen Mundschutz umbinden und Einmal-Latexhandschuhe anziehen. Rosemarie G.s Zimmer ist trostlos. Die schweren braunen Vorhänge sind vor die Fenster gezogen.

    Weil das heute schon so warm war, haben wir sie zugezogen.

    Südseite, aber der Raum liegt im Dämmerlicht. Auf etwa 10 Quadratmetern steht ihr Bett, daneben ist gerade noch Platz für den typischen Krankenhaus-Schubladenwagen. Direkt hinter der Tür neben dem Waschbecken türmen sich Müllsäcke.
    Die Patientin liegt isoliert. Seit mehreren Wochen ist sie schon allein in der Kammer. Sie sieht nur vermummte Gestalten.

    Allmählich verzweifle ich. Weil das jetzt schon so lange dauert. Mein Mann kommt, meine Tochter, Schwiegertochter.

    Aber selbst ihre Verwandten bekommt sie nur in Schutzkleidung zu sehen.

    Ja, da habe ich mich dran gewöhnt.

    Multiresistent bedeutet, dass diese Bakterien gelernt haben, sich gegen viele Antibiotika zu wehren. Antibiotika, also gegen Bakterien wirksame Stoffe. Der erste wirksame Stoff gegen Bakterien war vor etwa 80 Jahren das Penicillin. Aber Bakterien wollen überleben, also haben sie Strategien entwickelt, mit denen sie überleben können. Mit Penicillin braucht ein Arzt einem Staphylokokkus aureus heute kaum noch zu kommen.

    Die Resistenz nimmt zu. Die nimmt bei verschiedenen Mikroorganismen gegenüber zahlreichen Antibiotika zu und diesen Trend beobachten wir schon seit Anfang der 90er Jahre.

    Professor Michael Kresken ist Leiter der Arbeitsgruppe Empfindlichkeitsprüfung und Resistenz der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie in Bonn. Die Gesellschaft beobachtet die Resistenzentwicklung in deutschen Krankenhäusern.
    Multiresistenter Staphylokokkus aureus ist ein Sammelbegriff für verschiedene resistente Formen dieser Bakterien, die sich gegen viele Antibiotika zur Wehr setzen können. Je nachdem welchen Stamm von MRSA sich ein Patient einfängt, sind es mal die einen, mal die anderen Antibiotika. Sie unterscheiden sich nur in ihren genetischen Fingerabdrücken. Und es gibt besonders wehrhafte multiresistente Staphylokokken-Stämme, die inzwischen 14 Antibiotika ignorieren. Die Gefahr: Wenn Bakterien nicht mehr auf die Waffen der Pharmaindustrie reagieren, fällt die Medizin in das Zeitalter vor der Entdeckung des Penicillins zurück.

    Zunächst einmal müssen wir sagen, dass wir diesen Trend auch in anderen Ländern beobachten, dass Resistenzen an der Grenze nicht halt machen, dass dadurch sicherlich zum Teil Resistenzen auch importiert werden. Zum anderen müssen wir den Blick lenken auf den Antibiotikaverbrauch, denn Antibiotika selektieren Resistenz. Und dieser Antibiotikaverbrauch ist sicherlich auch in den letzten Jahren gestiegen, bedingt dadurch, dass sich die Patientenbilder in den letzten Jahren erheblich geändert haben.

    Die Medizin wird immer leistungsfähiger. Heutzutage behandeln Ärzte Krankheiten erfolgreich, die noch vor ein paar Jahren den sicheren Tod ihrer Patienten bedeutet hätten. Transplantationen, aggressive Chemotherapien, Blasenkatheter, maschinelle Beatmung, Zugänge für Infusionen – das alles rettet Leben, ebnet aber auch den Weg für Bakterien in den Körper. Nicht nur der Patient liegt flach, sondern sein gesamtes Immunsystem. Menschen mit einer normalen Abwehr können die resistenten Keime nicht viel anhaben. Deshalb auch der Beiname Krankenhaus-Keime.

    Es sind die gleichen Keime, die sich bei jedem Menschen finden lassen: Auf der Haut, in der Nase, im Hals und im Darm. MRSA ist kein Exot aus den Tropen, betont Professor Wilfried Bautsch, Chefarzt des Institutes für Mikrobiologie, Immunologie und Krankenhaushygiene des Städtischen Krankenhauses Braunschweig.

    Es handelt sich um einen ganz normalen Staphylococcus aureus, wie ihn ein Drittel der Bevölkerung sowieso in der Nase hat. Also wenn sie Abstriche von der Straße von normalen Leuten machen, dann finden sie in einem Drittel der Fälle den Staphylokokkus aureus. Ein normaler Besiedler der Nase. Der MRSA ist genauso pathogen oder wenig pathogen, wie der dieser andere aureus. Das heißt also in Wunden oder bei Kathetern, da kann er eine Infektion machen, aber er hat keine zusätzliche Pathogenität er ist auch nicht pathogener. Was ihn problematisch macht, ist das er sehr schlecht therapierbar ist und er macht eben Wundinfektionen.

    Multirestistente Keime sind nicht angriffslustiger, sind nicht gefährlicher, sie lösen die gleichen Krankheiten aus, wie die Keime ohne Abwehrtrick. Nur wenn sie erst einmal eine Wunde infiziert haben, sind sie schlechter wieder loszuwerden.

    Aber das betrifft durchaus auch andere Erreger zum Beispiel Pneumokokken zeigen eine Penizillin G Resistenz, die hat sich in Spanien entwickelt und schwappt jetzt ganz langsam rüber nach Deutschland. Zur Zeit ist es noch wenig, aber wir haben importierte Fälle.

    Das Gleiche sehen sie aber bei einer ganzen Reihe anderer Erreger. Im Krankenhaus hat auch immer eine gewisse Bedeutung Pseudomonas erokinosa. Das ist so ein typischer Wasserkeim, der sich auf Intensivstationen gut halten kann. Für den gesunden Menschen wenig problematisch, aber für Immunsuprimierte oder Patienten mit offenen Wunden, Kathetern durchaus gefährlich und der Keim zeigt eine extreme oder sehr auffällige Fähigkeit Resistenzen zu entwickeln und Desinfektionsmittelresistenzen zu entwickeln.

    Professor Jan Buer ist Infektionsforscher an der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover. Er sucht nach alternativen Strategien, mit den Multiresistenzen umzugehen. Sein Antrieb sind weniger unsere Krankenhauskeime, sondern Bakterien, die ganze Bevölkerungsgruppen gefährden.

    Der MRSA ist unser Luxuskeim. Das ist für ein deutsches Krankenhaus für eine deutsche Universitätsklinik, spielt der eine ganz entscheidende Rolle. Global gesehen, ist das kein Problem. Global gesehen sind sicher Resistenzsituationen bei Malaria oder bei Mykobakterien viel viel wichtiger.

    Und wenn sich jetzt die europäischen Grenzen zum Ostblock hin weiter öffnen, dann werden wir sicher auch weiter damit zu tun haben, dass ganz neue resistente Erreger in unsere Gesellschaft eindringen. Die Mykobakterien, da ist es, also die Tuberkuloseerreger, da ist das schon passiert und da werden andere kommen, da werden andere Probleme auftreten.

    Besonders um das Mykobakterium tuberkulosis sorgen sich die Infektionsfachleute. Tuberkulose galt bis vor kurzem in unseren Breiten als ausgerottet. Aber in den Staaten jenseits des Ural erlebt sie eine Renaissance. Üblicherweise wird sie mit einer Kombination aus drei Antibiotika gleichzeitig behandelt um Resistenzen auf jeden Fall zu vermeiden. Wird dieses Prinzip durchbrochen, nutzen die Erreger ihre Chance und entwickeln in Windeseile Resistenzen. Oder die Erreger stammen aus so genannten Risikokollektiven. Aidspatienten mit chronischer TBC – einer typischen Begleiterscheinung – nehmen ihre Medikamente nicht regelmäßig und schon haben Mutationen Raum für Entwicklung. Aus ähnlichen Gründen verbreitet sich die von Mücken übertragene Malaria. Gerade in armen Ländern mit hoher Bevölkerungsdichte in den Ballungszentren können sich resistente Keime prächtig entwickeln und dort besteht keine Möglichkeit Patienten mit resistenten Keimen zu isolieren.

    Rosemarie G. hat viel Zeit zum Grübeln in ihrem Krankenzimmer. Sie sucht immer wieder nach der Antwort auf die eine Frage: Weshalb hat ausgerechnet sie sich diesen Keim eingefangen.

    Ja, das weiß ich nun auch nicht, wo der nun herkommt. Ich hab ja nun in letzter zeit sehr viel Antibiotika bekommen. Bei jedem bisschen wurde ich mit Antibiotika behandelt um das gleich zu verhindern, aber wahrscheinlich war es zuviel. Dass ich diesen Keim jetzt in mir habe.

    Ablenkung hat sie kaum und das Zimmer darf sie nur in Ausnahmefällen verlassen. Und diese Ausflüge zu anderen Stationen haben auch keinen Trostwert.

    Zum Untersuchen und zum Röntgen, dann werde ich raus gefahren. Kommt noch ein Bettbezug drüber, ein Bettlaken und dann werde ich rüber gefahren.

    Nur mit einem Bettlaken ist es leider nicht getan. Der Aufwand für einen resistenten Patienten auf der Station ist groß, erzählt Schwester Susanne

    Die Patientin selber, wenn die zu Untersuchungen oder dergleichen muss, fährt sie in ihrem Bett, was vorher desinfiziert wird, das heißt, wir müssen alles einmal mit einer Desinfektionslösung abreiben, es wird ein sauberes Laken übergelegt, es müssen alle Kontaktpersonen informiert werden, die Patientin selber bekommt auch einen Mundschutz um und die Leute, die Kontakt mit ihr haben müssen sich halt auch wieder mit Schutzhandschuhen und einem Mundschutz bekleiden.

    Die Krankenschwester versteht nur zu gut den Frust der isolierten Patientin, denn der zwischenmenschliche Kontakt beschränkt sich auf das allernötigste.

    Man kann ihnen ja wenig bieten. Wir haben jetzt den Vorteil, dass wir ein bisschen zum Park sind, dass wir einfach zu den Patienten sagen: wir drehen ihnen mal das Bett um, dann können sie wenigstens mal nach draußen gucken, dass sie einfach mal etwas anderes sehen, außer ihre vier Wände um sich drum herum und irgendwelche Vermummten, die reinkommen, wo man kein Lächeln sehen kann, mit Mund und Nasenschutz ein Lächeln zu sehen ist ja schwierig.

    Professor Bernhard Wörmann leitet die Krebsstation auf der Rosemarie G. liegt. Jeder seiner Patienten hat ein schwaches Immunsystem, jeder neue Patient ist in seinen Augen ein potentielles Risiko. Resistente Bakterien bereiten ihm zwar noch keine schlaflosen Nächte, aber sie sind ein ernstes Problem. Entzündet sich ein Zugang für den Tropf und lässt sich diese Entzündung nicht mit dem ersten besten Antibiotikum zurückdrängen, läuten die Alarmglocken auf der Station. Dann verordnen die Ärzte nicht einfach das nächste Antibiotikum, sondern schicken Proben in die Mikrobiologische Abteilung. Gesucht: das wirksame Medikament.

    Wir wissen, dass in dem Moment wo wir die Augen davor verschließen, wir in kürzester Zeit eine ganze Station verseucht haben, wenn wir Pech haben. Insofern bleibt uns praktisch nichts anderen übrig. Der andere Punkt ist, dass ich überzeugt bin, dass wir längerfristig mit einer gezielten Auswahl von Antibiotika auch hygienisch sauberer arbeiten. Wenn wir blind Antibiotika zu breit einsetzen, selektionieren wir zunehmend für resistente Bakterien. Wenn wir gezielt Antibiotika einsetzen, habe ich grundsätzlich die Chance die Resistenzsituation besser zu kontrollieren.

    Eine Resistenz am Patienten zu erkennen ist letztlich das kleinste Problem. Die gängigen Antibiotika wirken nicht und Mikrobiologen finden den Code für die Abwehr gegen ein bestimmtes Medikament in den Genen der Bakterien. Nur fallen Resistenzen nicht vom Himmel. Sie müssen auf ganz irdischem Weg in die Bakterien gelangt sein.

    Dr. Wolfgang Witte ist Spezialist für Infektionen am Robert-Koch-Institut in Wernigerode.

    Ein Reservoir für diese Resistenzgene liegt natürlich in den antibiotikaproduzierenden Bakterien. Das sind ja andere Bakteriengruppen, als unsere Infektionserreger, aber das so ein horizontaler Gentransfer möglich ist, das ist einmal aus der Sequenzierung dieser Resistenzgene abgeleitet worden auch aus anderen Charakterisierungen. Das ist eine Möglichkeit. Oder sie bekommen sie auch aus anderen Bakteriengruppen, die bis Dato eine natürliche Resistenz hatten.

    Nicht wirklich erfinderisch, aber extrem effektiv. Resistenzinformationen waren schon immer da. Das muss auch so sein. Immerhin stammen etliche Antibiotika aus Bakterien. In der Natur wehren sie sich damit gegen Konkurrenten wie eh und je. Aber damit sie ihre eigenen Abwehrmechanismen überleben, müssen sie selbst natürlich resistent gegen ihre Waffen sein.

    Das Unangenehme ist, dass solche Gene dann auch mobilisiert werden können. Dass sie eingebaut werden können, in Genkassetten, die ausgetauscht werden können, die auch in Plasmide eingebaut werden können, Plasmide sind ja ringförmige DNA-Moleküle, die durch Konjugation häufig übertragen werden können zwischen Bakterien.

    Im Prinzip funktionieren Bakteriengene nach dem Baukastenprinzip. Die Informationen sind portionsweise verpackt und können Klötzchen für Klötzchen weitergereicht werden. Das ist so simpel, da Stränge mit dem Erb-Code ohne schützenden Zellkern frei in der Zelle herum schwimmen. Informationen, die die Zellen nicht unbedingt zum Leben braucht sind in ausgelagerten Codesträngen untergebracht – wie ein Ergänzungspaket zu der Software für den Computer. Diese biologischen Ergänzungspakete heißen Plasmide und können von einem Bakterium zum anderen weitergereicht werden. Escherichia coli scheint diese Zusatzinformationen zu sammeln. Bis zu sieben Stück können in einer Zelle schwimmen.

    Escherichia coli und einige seiner Verwandten haben immer ein Gen, das allerdings verschlossen ist, bei Escherichia coli im Chromosom drin, das für ein Penicillin-abbauendes Enzym kodiert. Diese Gene haben die mal irgendwo aus der Urverwandtschaft, als sie vielleicht selber noch in der Rhizophäre lebten, haben die da mit aufgenommen und tragen es mit sich rum.

    Schon nach sieben Jahren waren die ersten Bakterien gegen das klassische Penicillin resistent. Es ist vor 60 Jahren in die medizinische Therapie aufgenommen worden und wurde vor allem im zweiten Weltkrieg bei den Alliierten massenhaft eingesetzt.

    Bakterien leben im Darm, können da sehr eng miteinander zusammen hausen und tauschen dann auch Resistenzgene aus und diese Vorgänge passieren ständig und wenn der Selektionsdruck dann darauf einwirkt, dann können wir ein Resistenzgen selektieren an einem Bakterium, das es bis dahin noch nicht hatte.

    Sie werden von einer Art zur anderen weitergereicht und niemand bekommt es mit – wie ein illegales Spielprogramm in der Schule. Aber nicht alle scheinen den Gentausch mit zu machen. Streptokokken, die Halsentzündungen und Scharlach auslösen, haben sich bis heute nicht in den Resistenzreigen eingereiht. Weshalb sie die Resistenzgene nicht übernehmen? Die Frage ist unbeantwortet.

    Die meisten Bakterien reagieren flink und haben bisher jedes Antibiotikum geknackt. Gegen Sulfonamide, kurz nach dem Penicillin als Antibiotika entdeckt, haben sie sich schnell zur Wehr gesetzt – sie verringern einfach die Durchlässigkeit ihrer Außenhülle und sperren das Antibiotikum aus.

    Bei anderen Wirkstoffen brauchen sie etwas länger. Der als Wunderwaffe gepriesene Wirkstoff Vancomycin ist seit den 50er Jahren bekannt und wird – eben wegen des Resistenzdrucks – seit den 80er Jahren immer häufiger eingesetzt. Bis 1986 gab es noch keine Abwehrmechanismen, aber die Jubelrufe über den Sieg der Medizin kamen zu früh.

    1986 trat erstmals bei Enterokokkus fecium diese Vancomycinresistenz auf, ein relativ komplizierter Resistenzmechanismus in einem sehr sinnvoll arrangierten Gencluster. Wir wissen nicht wo das herkommt. Bis heute nicht bekannt.

    In Amerika haben die überall präsenten Krankenhaus-Keime diesen komplizierten Mechanismus übernommen. Damit hält nicht einmal mehr der Notanker Vancomycin auf der Schussfahrt in die Vor-Penicillin-Ära. Noch lassen die Bakterien meistens irgendwo eine Lücke in der Abwehr, aber wer weiß wie lange noch.

    Das ein Super-MRSA einmal entsteht, der gegen alles resistent ist, kann man nicht ausschließen, denn auch die beiden richtig vancomycinresistenten Stämme, die ihr Vancomycinresistenzgen von Enterokokken erworben hatten in den USA, das waren schon multiresistente MRSA. Und dieses Resistenzgen gegen Vancomycin ist eben dann noch unglücklicherweise integriert in ein Plasmid, es ist austauschbar.

    Schwester Susanne hat einen Abstrich von Rosemarie G.’s Rachen genommen. Heute war die Routine-Kontrolle fällig, ob ihr noch immer resistente Keime an den Schleimhäuten haften. Sie hat den Rachen mit einem übergroßen Wattestäbchen abgestrichen und es mitsamt der Schleimhautprobe in ein dichtes Glasröhrchen verpackt. Ihr Kittel landet in dem einen Müllsack, Mundschutz und Handschuhe in dem anderen.
    Das Röhrchen mit der Schleimhautprobe schickt sie in die Mikrobiologische Abteilung der Braunschweiger Klinik. Dort werden nicht nur Proben aus dem Krankenhaus, sondern auch aus Arztpraxen bearbeitet. Bevor der Wattebausch von Rosemarie G. an der Reihe ist, muss die Mitarbeiterin von Wilfried Bautsch erst noch ein paar Bakterienkulturen aus einer Arztpraxis verarbeiten.

    Also im Moment lege ich Urikulte an. Und zwar es werden eingescannt von den Arztpraxen und Kliniken Urikulte, das sind Nährböden, die in Urin des Patienten eingetaucht sind und meistens schon bebrütet worden sind und die sind, wie sie sehen, bewachsen mit Keimen. Es geht jetzt darum, dass wir die Keime differenzieren und erkennen um welche Keime es sich hier handelt und deshalb stellen wir eine Aufschwemmung in NaCl her und die Aufschwemmung wird anschließend auf Blutplatte ausgestrichen. Anschließend werden die Blutplatten bebrütet über Nacht und am nächsten Tag werden sie abgelesen und untersucht auf Keime.

    Es kommt darauf an, möglichst schnell heraus zu bekommen, mit welchen Keimen sich die Patienten infiziert haben. Und auch wenn viel über MRSA geredet wird, dem Mikrobiologen Wilfried Bautsch bereiten ganz andere Keime Sorgen. Multiresistente Tuberkulose beispielsweise. Lungenentzündung in Krankenhäusern. Oder Hirnhautentzündung bei Kleinkindern. Malaria.

    Ein Hauptgrund, warum MRSA so beliebt ist, sage ich ihnen ehrlich, liegt daran, dass die Definition der Frage, was ist Multiresistenz nur in wenigen Fällen klar definiert ist. Bei MRSA ist das ganz klar. Bei anderen Erregergruppen ist die Definition noch nicht so klar vorangeschritten. Man streitet sich darüber, welche Antibiotika müssen denn resistent sein, damit man ihn multiresistent nennt.

    Obwohl es in Krankenhäuser eigentlich ganz klare Hygienevorschriften gibt, steigen die Zahlen der infizierten Patienten Jahr für Jahr an. Ein Teil der Ursachen liegt in den Krankenhäusern selbst, wie zu wenig und überlastetes Pflegepersonal. Aber nicht alle Gründe sind wirklich in den Krankenhäusern zu suchen.

    Professor Winfried Kern vom Universitätsklinikum Freiburg.

    Wenn man jetzt 100 Patienten betrachtet, im Krankenhaus und im Niedergelassenen Bereich, dass im Krankenhaus die Patienten sehr viel intensiver mit Antibiotika behandelt werden. Also relativ ist der Krankenhauspatient mehr mit Antibiotika beschossen und entwickelt auch relativ mehr Resistenzen. Aber es ist natürlich nicht richtig zu sagen, Antibiotikaresistenzen entstehen nur im Krankenhaus. Sondern man muss schon berücksichtigen, dass fast 90 Prozent aller Antibiotika im ambulanten Bereich verordnet werden und die nicht epidemischen Resistenzen, sondern die sich langsam entwickelnden Resistenzen, die hängen ganz sicher mit dem ambulanten Antibiotikaverbrauch zusammen, mehr als mit dem Klinik-Antibiotikaverbrauch.

    Wenn ich eine Resistenzmutation habe, dann überlebe ich zwar den Selektionsdruck, aber in Abwesenheit des Selektionsdruckes, kann ich bei einem veränderten Enzymmechanismus, langsameres Wachstum haben, lange Teilungszeiten und dann sind die empfindlichen, wenn kein Antibiotikum da ist, schneller und dann werde ich aussegerigiert, wie man so schön sagt, aber Bakterien können kompensatorische Mechanismen entwickeln, mit denen sie das ausgleichen. Und das ist offenbar der Chinolonresistenz nach einer gewissen Zeit erfolgt und dann ist sie aufgetreten. Oder denken wir an Trinitoprim-sulfonamidresistenz bei Escherichia coli, auch im Zusammenhang mit Harnweginfektionen. Als das eingeführt wurde im Jahre 1976/77, vielleicht bei zwei, drei Prozent gewesen, jetzt sind wir bei 35 Prozent. Das sind also Antibiotika, die außerhalb der Krankenhäuser eingesetzt werden. Und hier ist es auch wieder der Selektionsdruck und wir müssen wissen, dass der Resistenzgenpool, das Reservoir für Resistenzgene eigentlich unteilbar ist.

    Man weiß zum Beispiel, dass wahrscheinlich, diese genetische Information für so ein Bakterium erst einmal belastend ist. Das ist eine zusätzliche genetische Information was es hat, das erfordert zusätzliche Stoffwechselleistungen, man spricht da auch von cost of fitness.

    Dieses cost of fitnes ist nur dann sinnvoll, wenn ein Antibiotikadruck da ist. Also wenn so ein Bakterium in einem Umfeld ist, wo es viel mit einem entsprechendem Antibiotikum zusammenhängt, dann ist diese genetische Information hilfreich für das Bakterium und dann überwiegt der Nutzen die Kosten.


    Die demographische Entwicklung spielt sicherlich im ambulanten Bereich eine Rolle, zunehmend ältere Patienten mit respiratorischen und Harnwegsinfektionen, die dann auch antibiotisch behandelt werden müssen, zumindest zum Teil.

    Gucken sie sich den gesamteuropäischen Vergleich an, insbesondere unser Nachbar Frankreich. Dort werden fünf mal so viel Antibiotika verordnet und es werden auch breitere Substanzen verordnet, als in Deutschland. Das hat zur Folge gehabt, dass die Resistenzentwicklung viel viel kritischer dort ist, als in Deutschland. Das heißt, man muss eigentlich den deutschen Ärzten ein Kompliment machen.

    Der Resistenzmechanismus umfasst oft verschiedene Präparate der gleichen Gruppe und wenn ich dann, wie das in der Tiermast der Fall war, es ist ja gottseidank seit 2000 eine entspanntere Situation, wenn ich dann ein Antibiotikum als Masthilfe einsetze, das verwandt ist, mit einem therapeutischen Antibiotikum, dann kann ich durch den ständigen Einsatz, als Tierfuttermittelzusatz zum Beispiel Enterokokkus mit Glykopeptidresistenz selektieren und über Fleischprodukte gelangt er in den Darm des Verbrauchers, des Konsumenten und kann diese Resistenzgene weitergeben an Enterokokken des Menschen und dann können die dazu beitragen, dass sich ein Resistenzgenpotential aufbaut bei Enterokokken, die für Krankenhausinfektionen verantwortlich sind.

    Mediziner, Mikrobiologen und Hygienefachleute sind sich einig: In Sachen Resistenz ist es kurz vor zwölf und niemand weiß, wie die Uhr angehalten werden kann. Resistenzen lassen sich zwar langsam zurückfahren, aber das ist ein teurer und vor allem sehr langwieriger Vorgang. Wie zäh er ist, haben Ärzte in Dänischen Krankenhäusern erfahren. Dort wurde Anfang der 70er Jahre jede zehnte Staphylokokkeninfektion von einem multiresistenten aureus ausgelöst. Durch ganz strenge hygienische Maßnahmen, viel – und damit nicht chronisch überlastetes – Pflegepersonal und gut durchdachte und zentral gesteuerte Antibiotika-Verordnungen liegt der Anteil inzwischen bei unter einem Prozent. In Ländern mit guten Resistenzwerten ist auch der Antibiotikaverbrauch auffallend niedrig. Das gleiche Prinzip hat in Belgien gegriffen. In den Niederlanden wird jeder ausländische Patient erst auf resistente Staphylokokken untersucht, bevor er im Krankenhaus aufgenommen wird. Und im Zweifelsfall wird er strikt isoliert. Eine Studie in Genf hat die Hauptübeltäter identifiziert: die Hände. Gestresstes Pflegepersonal läuft nicht nach jedem Handgriff am Patienten zum nächsten Desinfektionsspender. So verteilen sie Keime von Patient zu Patient – auch die resistenten Keime. Ein kleines Fläschchen mit Desinfektionsmittel in der Kitteltasche kann da schon Wunder wirken.

    Noch sind die multiresistenten Staphylokokken in unseren Krankenhäusern nicht vollständig resistent gegen alle Antibiotika und viele Ärzte haben den Ernst der Lage noch gar nicht erkannt. Ihre Argumente: Es sind doch nur die Standartantibiotika, die nicht mehr wirken. Die Apotheken sind voll mit Alternativen.
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    Standartantibiotika heißen deshalb Standartantibiotika, weil man mit diesen Substanzen sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Beispielsweise bei Staphylokokkeninfektionen sind Cephalosporine oder auch Penicilline Mittel der Wahl, weil sie sehr schnell wirken und die Bakterien abtöten. Besteht dann eine Resistenz, muss man auf andere Antibiotikaklassen ausweichen und die Effektivität dieser Antibiotikaklassen ist nicht so gut wie die der primär eingesetzten Substanzen. Hinzu kommt, dass die Alternativen häufig toxischer sind, dass man sie miteinander kombinieren muss, weil sonst zu schnell eine Resistenz entsteht, oder auch bei so genannten Reserveantibiotika, spielen die Kosten eine nicht unerhebliche Rolle, so dass durch Resistenz die Therapie bei vielen Patienten deutlich schwieriger wird.

    Alle anderen Antibiotika sind deutlich teurer oder haben mehr Nebenwirkungen oder haben andere pharmakokinetische Nachteile, sie erreichen zum Beispiel Wundgebiete nicht so gut, wie mit Penicillinderivaten. All das führt dazu, dass er ziemlich gefürchtet ist.

    Wir wissen zum Beispiel, dass ein Antibiotikum so funktioniert, dass die meisten Antibiotika, zum Beispiel unser Penicillin, das greift in die Zellwandsynthese von einem Bakterium ein, das heißt, das Bakterium kann nicht mehr seine Zellwand aufrechterhalten und geht dann zu Grunde und stirbt. Viele dieser Antibiotika haben irgendwelche solcher Ansatzpunkte in der Bakterienzelle aber die Möglichkeiten, die Evolution in der Antibiotikaentwicklung ist sehr langsam. Es gibt sehr wenig Antibiotika, die in den letzten Jahren wirklich als neue Waffen dazugekommen sind und die uns helfen die multiresistenten Erreger zu bekämpfen. Das heißt, wir müssen eigentlich umdenken, wir müssen ganz andere Konzepte entwickeln, wir dürfen nicht sagen, wir entwickeln nur noch ein Antibiotikum nach dem anderen, indem wir das einfach chemisch modifizieren, sondern wir müssen verstehen, was ist wirklich notwendig für so ein Bakterium, damit es im Körper überlebt.

    Wir dürfen aber eines nicht vergessen: Im Falle einer wirklich schweren Staphylokokken Infektion sind diese noch wirksamen Antibiotika gegenüber dem klassischen Behandlungsregime weniger effektiv und wir haben dann einen Anstieg der Mortalität. Und darum mögen wir die MRSA nicht.

    Ich glaube, dass wir mittelfristig den – oder vielleicht haben wir ihn schon verloren – den Wettlauf Resistenz gegen die Entwicklung neue Antibiotika. Mittlerweile ist es so, dass der Staphylokokkus aureus oder der Escherichia coli, also die beiden vielleicht wichtigsten Keime, die man sich in einem Krankenhaus eben zuziehen kann, eben so weit gewonnen hat, dass wir eigentlich mit unseren Antibiotikamöglichkeiten relativ am Ende sind.

    Die Proben von Rosemarie G.’s Rachenschleimhäuten sind inzwischen ausgewertet. Das Team von Wilfried Bautsch hat noch ein paar resistente Keime in ihrem Hals gefunden. Das bedeutet weitere zwei Wochen Isolation mit Blick auf den Park. Während Rosemarie G. ihren einsamen Kampf gegen ihre ganz persönlichen resistenten Keime führt, suchen Wissenschaftler wie Jan Buer nach neuen Wegen Infektionen zu begegnen.

    Antibiotika sind 80 Jahre nach der Entdeckung des Penicillins fast am Ende ihrer Möglichkeiten. An Infektionen sterben immer noch die meisten Menschen. Sie liegen vielleicht mit einer Krebserkrankung, einem Herzinfarkt oder schweren Verletzungen im Krankenhaus, aber die eigentliche Todesursache ist eben doch häufig die Infektionskrankheit.

    Wir haben in den letzten 100 Jahren sehr viel über Bakterien gelernt, wir wissen wie Bakterien wachsen, wir wissen, was biochemisch in so einem Bakterium abläuft, aber was wirklich in dem Wirt passiert, auf genetischer Ebene, oder welches genetische Programm so ein Bakterium braucht, um eine Wechselwirkung mit dem Patienten zu überleben, das fangen wir überhaupt jetzt erst an zu verstehen. Wir haben auch erst seit einigen Jahren überhaupt die Möglichkeiten solche Sachen zu untersuchen.

    Bislang waren solche Forschungen nicht nötig: Antibiotika werden es schon richten. Die Wissenschaftler stehen jetzt vor einem Neuanfang. Sie wissen noch gar nicht genau, nach welchen Alternativen sie eigentlich suchen. Der Weg entwickelt sich, während sie ihn beschreiten. Die Lösung kann in der Antwort des Körpers liegen. Gelingt es, das Immunsystem an den richtigen Stellen zu aktivieren, haben Bakterien – resistent oder nicht – gar keine Chance Fuß zu fassen. Oder vielleicht liegt die Lösung auf dem Weg der Keime in den Körper. Gelingt es, die Schleusen und Andockstellen zu finden, die sie bei einer Infektion nutzen, ist das schon der erste Schritt ihnen den Weg zu versperren. Mit genetischen Methoden durchleuchten sie die gesamte Infektionsbiologie auf der Suche nach Ansatzpunkten für Therapien. Die Zeit läuft.

    Und unsere Gesellschaft kriegt das ja zur Zeit immer wieder vor Augen geführt, weil ja immer wieder irgendwelche infektiologischen Katastrophen passieren. Ob es die Milzbrand-Attacke ist, oder ob es BSE ist, oder ob es SARS ist, die Schweinepest, also es gibt reihenweise von globalen Infektionskrankheiten, die uns noch vor ganz ungeahnte Probleme in Zukunft stellen werden.