Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Keine Stunde nachdem Israels oberster Gerichtshof seine Entscheidung zur Wehrpflicht für streng religiöse Juden bekannt gegeben hatte, empörten sich bereits die ersten ihrer politischen Interessenvertreter. Israel Eichler sitzt für die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Thorajudentum in Israels Parlament, der Knesset. Im Fernsehinterview mit dem Sender Kanal 2 machte Eichler seiner Wut über das Urteil Luft:
"Wieder einmal beweist das Oberste Gericht, dass es die Macht mit Gewalt an sich reißt. Wir müssen jetzt alles tun, um den Staat zu retten und die Macht, die das Gericht mit Gewalt und auf gesetzeswidrige Art an sich gezogen hat, wieder zurückzuholen."
"Das Oberste Gericht ist dem Volk fremd"
Was war passiert? Die Richter hatten entschieden, dass eine gesetzliche Ausnahmeregelung, die Schüler von ultraorthodoxen Religionsschulen von der Wehrpflicht befreit, verfassungswidrig ist. Die Regelung verstößt aus Sicht des Gerichtes gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die beiden ultraorthodoxen Parteien in der israelischen Regierungskoalition hatten das gesetzliche Schlupfloch vor rund zwei Jahren geschaffen und so jungen streng gläubigen Juden eine Möglichkeit geboten, um den Wehrdienst herumzukommen, der für Männer in Israel drei Jahre dauert.
Das Gericht hat der Regierung nun ein Jahr Zeit für eine Neuregelung gegeben. Aus Sicht von ultraorthodoxen Politikern soll die so aussehen, dass man die Ausnahmeregelung nicht für immer abschafft, sondern künftig so absichert, dass sie nicht mehr von Gerichten aufgehoben werden kann. Israels Innenminister Aryeh Deri ist Vorsitzender der streng religiösen Schas-Partei. Auch er übte im Fernsehinterview heftige Kritik an der Entscheidung des Gerichtes.
"Bei allem Respekt, den ich dem Obersten Gericht entgegenbringe, finde ich es doch sehr bedauerlich zu sehen, dass es von unserer Tradition und unserem jüdischen Erbe völlig abgeschottet ist. Es ist dem Volk fremd. Söhne der Thora, verzweifelt nicht, fahrt fort mit eurem Studium und wir werden alles tun, um diese Situation wieder richtigzustellen."
"Jeder im Staat muss seinen Teil leisten"
Aus Sicht einer Mehrheit der Israelis war es aber der oberste Gerichtshof, der mit seinem Urteil eine Situation wieder richtiggestellt hat. Die Armee und der Wehrdienst haben in der israelischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert und für die meisten im Land ist klar, dass der Dienst an der Waffe für alle verpflichtend sein sollte - also auch für die Strenggläubigen im Land. Die Organisation für die Gleichheit beim Militärdienst war es, die den Fall vor das Oberste Gericht brachte. Sie wurde dort vertreten durch den Anwalt Itay Ben Horin.
"Das Oberste Gericht hat diesem fragwürdigen Gesetz nun eine Absage erteilt und entschieden, dass, nach 25 Jahren unseres Kampfes, die Zeit für Gleichberechtigung gekommen ist. Den Aufschiebungen und Ausreden wird jetzt ein Ende gesetzt. Jeder im Staat muss dienen und seinen Teil leisten."
Der Streit um die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe spaltet Israel seit vielen Jahren. Jahrzehntelang waren die Strenggläubigen vom Dienst an der Waffe ausgenommen. Dann wurde die Wehrpflicht auch für sie eingeführt - bis ihre Parteien die Ausnahmeregelung durchsetzten, die nun aufgehoben werden muss. Die beiden ultraorthodoxen Parteien wollen weiter für eine Befreiung ihrer Klientel kämpfen und drohten sogar mit einem Koalitionsbruch. Dass sie diese Drohung wahrmachen, darf aber bezweifelt werden, denn sie können an Neuwahlen gegenwärtig kein Interesse haben.
Möglicherweise hat der Streit für die ultraorthodoxen Juden im Land auch nicht mehr die Bedeutung wie noch vor einigen Jahren, denn viele von ihnen haben offenbar gar kein Problem mehr mit dem Wehrdienst. Obwohl sie von der Ausnahmeregelung hätten Gebrauch machen können, haben in den letzten Jahren immer mehr Strenggläubige den Wehrdienst absolviert. Die israelische Armee gründet deshalb immer neue Einheiten - ausschließlich für Ultraorthodoxe.