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Weiblich, männlich, divers
Warum braucht Deutschland ein drittes Geschlecht?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es im Personenstandsregister künftig eine dritte Geschlechtskategorie geben muss. Im Dlf diskutierten Norbert Geis (CSU), die Journalistin Kim Schicklang und die Soziologin Gesa Lindemann: Braucht es diese Kategorie - oder ist die geschlechtliche Erfassung sogar gänzlich überflüssig?

Moderation: Tobias Armbrüster |
    Mann geht auf einem Drahtseil zwischen männlichem und weiblichem Geschlechtssymbol PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xGaryxWatersx Man is on a Wire rope between male and female PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright xGaryxWatersx
    Ein Mensch geht auf einem Drahtseil zwischen männlichem und weiblichem Geschlechtssymbol (imago stock&people)
    Geschlecht könne weder in zwei noch in drei Kategorien gedacht werden, sagte die Journalistin Kim Schicklang in der Sendung "Kontrovers". Die Signalwirkung dieses Urteils sei die Aufforderung, die Definition von Geschlecht zu überdenken und diese nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu fällen. Eine dritte Kategorie sei auch deshalb zu eng, weil es viele Übergänge und Geschlechterwahrnehmung gebe.
    Die Vorsitzende der Aktion Transsexualität und Menschenrecht betonte, die Diskussion um eine dritte Geschlechtsvariante betreffe im Grunde 100 Prozent der Menschen, denn "kein Mensch passt zu 100 Prozent in eine der beiden Kategorien Mann oder Frau". Diese Entscheidung könne aber der Ausgangspunkt sein, sich verstärkt einer gesellschaftlichen Diskussion zu widmen, was Geschlecht eigentlich sei.
    Wer entscheidet?
    Auf der persönlichen Ebene vertrete sie die Meinung, dass "die Wahrheit in jedem Mensch steckt". Es müsse deshalb jedem selbst überlassen werden, sich in Bezug auf seine Geschlechtszugehörigkeit zu äußern.
    Genau davor warnte der CSU-Politiker Norbert Geis. Das biologische Geschlecht dürfe "nicht in das Belieben eines Menschen gestellt werden". Das sei "Gott sei Dank von der Natur vorgegeben". Geis räumte dennoch ein, dass das eindeutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu begrüßen sei. Es sei richtig, dass Menschen, die anatomisch, genetisch oder hormonell bedingt nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen seien, nicht gezwungen werden können, einen Eintrag als Mann oder Frau haben zu müssen.
    Geschlecht - eine überflüssige Kategorie?
    "Heute mal so, morgen mal so", diese Vorstellung ist dem Juristen Norbert Geis ein Horror. Warum eigentlich nicht?, gibt die Journalistin Kim Schicklang zu bedenken. Man dürfe ja auch so oft man wolle heiraten und jeweils seinen Namen ändern. Die grundsätzliche Frage gehe aber darüber hinaus: "Vielleicht ist die geschlechtliche Erfassung überhaupt überflüssig", so Schicklang.
    Auch die Soziologin Gesa Lindemann begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Damit sei der Druck von Eltern und Medizinern genommen, deren Genitalien nicht eindeutig zuzuordnen seien. Auch für die Betroffenen selbst sei das eine "erlösende Situation".
    Das Bundesverfassungsgericht reflektiere damit auch eine Entwicklung der letzten 15 Jahre. Im Alltag werde die Geschlechterfrage häufig schon deutlich entspannter gehandhabt. Es gebe immer mehr Menschen, die nicht dauernd versuchten, eine geschlechtliche Kategorisierung vorzunehmen. Entscheidend sei, wie man das Gegenüber erlebe und ob man diesem mit Offenheit begegne.
    Und wie reagiert die Gesellschaft sprachlich? Norbert Geis, möchte auch weiterhin Menschen mit "Meine Dame" oder "Mein Herr" ansprechen dürfen. Kein Problem, meinen seine Diskussionsteilnehmer - solange man kreativ und offen bleibe, beispielsweise, wenn der/die/* Gegenüber signalisiert, dass er mit dieser Ansprache nichts anfangen kann. Die Erfahrung zeige, dass Sprache sich der gesellschaftlichen Entwicklung anpasse und ein kreatives Element sei. "Ich schreibe beispielsweise in Briefen oder Mails 'Liebe Menschen', so Kim Schicklang.
    Deutschland im Gender-Streit? Es diskutierten:
    Norbert Geis, CSU, ehem. MdB Rechtsexperte
    Kim Schicklang, Journalistin
    Gesa Lindemann, Universität Oldenburg, Soziologin, Buchautorin