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Weibliche Lebensentwürfe

Siri Hustvedt stand lange im Schatten ihres Ehemannes Paul Auster. Mit "Der Sommer ohne Männer" kommt der fünfte Roman der Amerikanerin auf Deutsch heraus.

Von Maike Albath | 20.03.2011
    Lakonisch und voller Selbstironie ergreift eine Frau jenseits der fünfzig das Wort und schildert ohne jede Beschönigung ihren seelischen Zustand. Es sind die Launen ihres Mannes Boris, die sie aus ihrem Leben katapultiert und in die Psychiatrie befördert haben.

    Eine Weile nachdem er das Wort Pause ausgesprochen hatte, drehte ich durch und landete im Krankenhaus. Er sagte nicht: Ich will dich nie wieder sehen, oder: Es ist aus, doch nach dreißig Jahren Ehe reichte Pause, um aus mir eine Geisteskranke zu machen, in deren Hirn die Gedanken platzten, wild herumfuhrwerkten und voneinander abprallten wie Popcorn in einer Mikrowellentüte.

    Akute psychotische Störung lautet die Diagnose. Man verabreicht der Patientin das Medikament Haldol, ein Psychopharmakon. Nach und nach lösen sich die Wahnvorstellungen wieder auf. Es handelt sich also nicht um eine anhaltende Erkrankung, sondern um ein sogenanntes Durchgangssyndrom, ausgelöst durch das Wort "Pause".

    Die Pause war eine Französin mit schlaffem, aber glänzendem braunem Haar. Sie hatte einen signifikanten Busen, der echt, nicht künstlich war, eine schmale Rechteckbrille und einen exzellenten Verstand. Natürlich war sie jung, zwanzig Jahre jünger als ich, und ich vermute, dass Boris schon länger scharf auf seine Kollegin gewesen war, ehe er sich auf ihre signifikanten Bereiche stürzte.

    Ein Klischee wie in einem schlechten Roman, das findet auch die Heldin und Ich-Erzählerin Mia, und sie muss es wissen, denn sie ist Dichterin, durchaus mit einem gewissen Ruf, wobei sich ihr Ruhm auf eingeweihte Kreise beschränkt. Sie und ihr Mann Boris, ein international anerkannter Neurowissenschaftler, führten eine jener zufriedenen New Yorker Existenzen wie aus dem Bilderbuch, arbeitsam, urban, reich an sozialen Kontakten und intellektuellen Anregungen. Besonders perfide erscheint Mia daher die Strategie ihres Mannes, sich mit der Rede von einer "Pause" noch ein Hintertürchen offen zu halten und seine langjährige Ehefrau im Ungewissen zu lassen. Sie dreht durch. Die gemeinsame Tochter Daisy, eine junge Schauspielerin, ist entsetzt von den Altherreneskapaden ihres Vaters und steht der Mutter bei. Als Mia aus dem Krankenhaus entlassen wird und auf dem Weg der Besserung ist, entscheidet sie sich, für einige Zeit in die Gegend ihrer Kindheit überzusiedeln, nach Minnesota, wo ihre hochbetagte Mutter im Altersheim lebt und sie an der örtlichen Highschool einen Lyrikkurs anbieten kann. Es werden Monate der Einkehr, der Selbstbefragung und der Auseinandersetzung mit ihrem Rollenverständnis. Der Sommer ohne Männer nennt die amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt ihren neuen Roman folgerichtig, der wie eine Mischung aus Tagebuch, Erfahrungsbericht, Psychogramm und Ehegeschichte daher kommt. Mia Fredricksen – genau wie Hustvedt norwegischer Herkunft und auch sonst mit etlichen Eigenschaften ihrer Erfinderin ausgestattet - mietet sich ein Haus, liest Emily Dickinson, beschäftigt sich mit dem Psychoanalytiker Bion, unterrichtet eine Gruppe heranwachsender Mädchen und freundet sich mit ihrer Nachbarin an. Der Sommer ohne Männer ist auch eine Studie weiblicher Lebensentwürfe quer durch alle Generationen. Bei der Frage, wie sie selbst zu dem wurde, was sie ist, nimmt sie als Erste ihre Mutter ins Visier. Es ist ein zärtlicher, neugieriger Blick, kein richtender.

    Jetzt kam es manchmal vor, dass ihre Hände bei der Küchenarbeit zitterten und ein Teller oder Löffel auf den Boden fiel. Ihre Kleidung war nach wie vor elegant und tadellos, aber sie ärgerte sich furchtbar über Flecken, Falten und ungenügend geputzte Schuhe, etwas, woran ich mich aus meiner Jugend nicht erinnern kann, aber ich glaube, sie hat das strahlend saubere Haus verinnerlicht und durch strahlend saubere Garderobe ersetzt. Manchmal versagte ihr Gedächtnis, aber nur bei nicht lange zurückliegenden Vorfällen oder gerade geäußerten Sätzen. Die frühe Zeit ihres Lebens hatte sie mit nahezu übernatürlicher Schärfe vor Augen. Mit zunehmendem Alter machte ich mehr und sie weniger, doch die Veränderung in unserer Beziehung erschien nebensächlich. "Ich fand schon immer, dass du zu gefühlsselig bist", sagte sie, ein Familienleitmotiv wiederholend, "hypersensibel, eine Prinzessin auf der Erbse, und jetzt mit Boris ... " Das Gesicht meiner Mutter erstarrte. "Wie konnte er nur! Er ist über sechzig. Er muss verrückt sein." Sie warf mir einen Blick zu und hielt sich mit der Hand den Mund zu. Ich lachte. "Du bist immer noch schön", sagte meine Mutter.

    Die Mutter steht auf unpathetische Weise zu ihrer Tochter, muntert sie auf, bezieht sie in ihr Alltagsleben mit ein. Allein die Tatsache, dass die alte Dame weiß, wen sie vor sich hat und wie der Charakter ihrer Tochter beschaffen ist, vermittelt Mia Sicherheit. Den äußeren Rahmen des Romans bilden die Sommerwochen, die die Heldin nach ihrem Krankenhausaufenthalt in Minnesota verbringt, unterbrochen von Rückblenden, die ihre Kindheit und Jugend, die Ehe mit Boris und die Familienzeit zum Gegenstand haben. Auf der Gegenwartsebene arbeitet Siri Hustvedt mit mehreren Spiegelungen. Da gibt es einmal die alten Damen, die ihre Mutter regelmäßig um sich versammelt: ein Haufen gebrechlicher, exzentrischer, lebenserfahrener und selbstbewusster Frauen, die mit viel Sympathie geschildert werden. Besonders freundet sich Mia mit Abigail an, einer begabten Künstlerin. Als Mia ihr Vertrauen gewinnt, zeigt Abigail ihr bizarre, selbst geknüpfte Teppiche, auf denen lustvolle erotische Fantasien festgehalten sind. Die Annäherung an Abigail, die am Ende der Geschichte schließlich stirbt, so könnte man diesen Handlungsfaden deuten, ist für Mia eine Annäherung an eigene verschüttete Wünsche.

    Die Untiefen der Psyche auszuloten, treibt Hustvedt sowohl in ihren Romanen als auch in ihren Essays um. Als Migränepatientin hat sie die Hilflosigkeit der Medizin im Umgang mit bestimmten körperlichen Phänomenen am eigenen Leib erfahren. Und seit die auftrittserprobte Schriftstellerin 2004 auf einer Veranstaltung im College von Minnesota zu Ehren ihres verstorbenen Vaters, der dort 40 Jahre lang lehrte, bei einem Vortrag von einem unerklärlichen körperlichen Zittern ergriffen wurde, begann sie, sich auch auf theoretischer Ebene mit psychischen Erkrankungen zu beschäftigen. Denn für das Zittern, in der Fachterminologie ein "Konversionssymptom", gab es keine medizinische Erklärung. Auf diesem Hintergrund entstand ihr letztes Buch Die zitternde Frau, das eine Mischung aus autobiografischer Recherche und medizinhistorischer Bestandsaufnahme war. Hustvedt lieferte unzählige Fallgeschichten von Lacan, Winnicott, Steven Pinker, Oliver Sacks oder Sigmund Freud und brachte eine Fülle literarischer Figuren von Dostojewski, Dickens oder Henry James ins Spiel. "Eine Geschichte meiner Nerven" lautete der Untertitel von Die zitternde Frau. Und genau wie ihre Heldin Mia in ihrem neuen Roman kehrte Hustvedt damals nach Minnesota zurück und versuchte, die Konturen ihres Vaters schärfer zu erfassen und seinem Einfluss auf ihre eigene Person nachzugehen.

    Seit vielen Jahren gibt die Autorin außerdem Schreibkurse für psychiatrische Patienten und kennt also die Bandbreite extremer Gemütsverfassungen. In ihrem neuen Buch verarbeitet Siri Hustvedt über den Umweg der Fiktion die Beschäftigung mit psychischen Zusammenbrüchen. Die Schriftstellerin gestaltet ihre Heldin als eine Figur, die nach und nach die Koordinaten ihrer inneren und äußeren Wirklichkeit neu vermisst, aus dem psychotischen Zustand wieder herausfindet und unbequeme Einsichten über sich selbst gewinnt.

    Hustvedt führt neben den alten Damen eine zweite Figurengruppe ein: Mias Schülerinnen. Hübsche, laszive Mädchen, die abwechselnd lautstark und unsicher sind und eine unausgegorene Weiblichkeit mit sich herum schleppen. Mia erlebt ein Déjà-vu verdrängter Kränkungen ihrer Jugendjahre. Damals war sie unfähig, sich zur Wehr zu setzen und auf Verletzungen mit der angemessenen Aggression zu reagieren. Nun stellt sich ihr eine zweite Chance. Ihre Kursteilnehmerinnen wirken trotz der pubertären Nöte zunächst aufgeweckt. Sie finden Gefallen an Gedichten und der Tatsache, dass man sich selbst mit Hilfe von Sprache auf die Schliche kommen kann. Aber nach einer Weile findet Mia heraus, dass ein Mädchen geächtet und grausam gequält wird.

    Alice hatte schon seit einiger Zeit gemeine Nachrichten bekommen. "Schlampe" und "Nutte" gingen regelmäßig als SMS bei ihr ein, wie auch die hochgradig originellen Kommentare "Du hältst dich wohl für schlau", "Geh doch zurück nach Chicago, wenn's da so toll ist", "Hässliche Schnalle", "Komische Magerzicke" und "Angeberin". Alles anonym. Was meine Ränke schmiedenden Dichtermädels anging, so gab Alice zu, dass sie mal für und mal gegen sie waren, an einem Tag zutraulich und am nächsten kalt. Sie ließen sie an sich heran und stießen sie dann weg. Als sie sich ihnen nach wochenlangem Kummer mit der unverhüllten Frage "Was habe ich denn getan?" entgegen stellte, kicherten sie, verdrehten die Augen und riefen wieder und wieder im Sprechchor: "Was habe ich denn getan?" Es schmerzte mich besonders, mir Peyton unter den Quälgeistern vorzustellen. Dann waren Fotos einer nackten Alice zu Hause vor ihrem eigenen Spiegel bei Facebook eingestellt worden – verschwommene Bilder, mit dem Handy der Spionin durch einen Spalt des Rollladens aufgenommen. Die Kleine schniefte heftig, als sie mit dieser Erniedrigung herausrückte. Sie hatte die Bilder natürlich herausgenommen, aber da war der Schaden schon angerichtet.

    Mia kennt das Gefühl: Auch sie war in ihrer Jugend plötzlich zum Hassobjekt der beliebtesten Mitschülerin geworden. Ihre Eltern hatten sie damals kurzerhand ins Internat gegeben, wo sie sich von der Demütigung erholte. Als gestandene Frau hat Mia nun die Chance, ihre frühere Lähmung abzuschütteln, die Sache in die Hand zu nehmen und Alices Ausgrenzung zu überwinden. Auf diese mitunter etwas plakative Weise treibt Hustvedt die Selbstexploration ihrer Heldin voran, fügt Tagebucheinträge, Briefe, E-Mails und manchmal sogar kleine Zeichnungen in ihren Roman mit ein und zwingt Mia zur Rückschau auf ihr Leben. Über den Umweg der Beschäftigung mit Alice, den alten Damen oder der Lage ihrer Nachbarin Lola, eine von ihrem Ehemann vernachlässigte Mutter zweier kleiner Kinder, folgt Mia der alten sokratischen Formel und arbeitet an ihrer Selbsterkenntnis. Hustvedt führt vor, wie aus einem tiefen Schmerz eine produktive Erfahrung werden kann, denn Mia begreift, welche Eigenschaften zur Grundlage ihrer Ehe wurden.

    Auf einmal sieht sie auch ihre Umgebung mit schärferen Augen. So ist die Nachbarin Lola, deren Mann zu cholerischen Ausbrüchen neigt, ein Beispiel dafür, wie stark sich Frauen an die Lebensentwürfe ihrer Ehemänner anpassen und meistens nur reagieren auf Veränderungen, statt ihre Biografie selbst gestaltend in die Hand zu nehmen. Schließlich kommt eine weitere Episode ins Spiel, die Mia retrospektiv als prägend erkennt. Boris hatte einen hochbegabten Bruder namens Stefan mit depressiven Neigungen, der eines Tages dem Druck nicht mehr standhielt und sich umbrachte. Kurz vorher hatte Stefan aber Mia gezeigt, wie sehr er sie, die Frau seines Bruders liebte, und Mia hatte ihn nicht in die Schranken gewiesen. Der Verlust von Stefan löste Schuldgefühle aus, und weder Boris noch Mia konnten damit umgehen.

    An ibsenhaften Verstrickungen, unbewältigten Leidenschaften und Psychodramen herrscht also kein Mangel in Hustvedts neuem Roman. Als Vertreterin eines traditionellen Realismus versteht sie sich auf die Gestaltung von Figuren: Mia wirkt lebendig und in ihrer Verletzlichkeit sympathisch, auch die alte Mutter gewinnt Konturen. Aber Hustvedts große Expertise in Fragen der Psychopathologie, die sie auch in ihren Romanen Was ich liebte von 2003 und Die Leiden eines Amerikaners von 2008 eindrucksvoll bewies, steht ihr bei diesem Buch eher im Wege. Statt auf die Figuren zu vertrauen und einfach die Geschichte einer Entfremdung zu erzählen, versorgt sie den Leser mit einer Fülle von Deutungen und Erklärungen. Aus Woody-Allen-Filmen kennt man den obligatorischen Shrink, und auch Mia steht eine Psychoanalytikerin zur Seite, mit der sie regelmäßig ihre Befindlichkeit am Telefon erläutert.

    Dr. S. sagte: "Hört sich so an, als würden Sie sich gut unterhalten." Ich war schockiert. Wie konnte ich mich gut unterhalten? Eine Frau, die von ihrem Mann verlassen worden und dazu, wenn auch "kurzfristig", noch übergeschnappt war; wie konnte die sich gut unterhalten? "Sie scheinen bei Ihren jungen Dichterinnen eine Saite zum Klingen gebracht zu haben." (Ich hörte eine Gitarrensaite – Metaphern erzeugen das oft bei mir, sogar die aller abgedroschensten.) "Sie scheinen gern mit Ihrer Mutter zusammen zu sein. Sie haben die Nachbarn kennengelernt. Sie schreiben gut. Sie haben Boris E-Mail beantwortet." Sie machte eine Pause. "Das höre ich ihrer Stimme an." Störrisch machte ich ein ablehnendes Geräusch. Dr. S. wartete. Ich dachte: Könnte sie recht haben? Hatte ich mich an eine Vorstellung von tiefem Unglück geklammert, während ich mich insgeheim gut unterhielt? Heimliche Vergnügungen. Unbewusstes Wissen. "Vielleicht haben Sie recht." Ich hörte sie atmen. "Heute Nacht gab es ein Gewitter", sagte ich, "ein schweres. Das hat mir gefallen." Ich schweifte ab, aber das war gut, freies Assoziieren. "Es war, als lauschte ich meiner eigenen Wut, aber Wut mit echter Power, einem lauten, männlichen, gottgleichen, gebieterischen, väterlichen Poltern im Himmel, der Art donnernder Wut, nach der Lakaien tanzen müssen, einem Baritongebrüll, das den Himmel erschüttert. Fast konnte ich spüren, wie die Stadt erzittert." "Sie denken, wenn Ihre Wut Macht hätte, väterliche Macht, dann könnten Sie Ihre Angelegenheit mehr nach ihrem Geschmack gestalten, meinen Sie das?" Meinte ich das? "Ich weiß nicht." "Vielleicht fanden Sie, dass Ihr Vater in der Familie mit seinen Gefühlen Macht ausübte, Macht über ihre Mutter, Ihre Schwester und Sie, und Sie sind ihm ständig ausgewichen und haben versucht, ihn nicht aufzuregen. Und dasselbe haben Sie vielleicht in Ihrer Ehe empfunden, haben es reproduziert und sind dabei immer wütender und wütender geworden?" Meine Güte, ist die Frau scharfsinnig, dachte ich. Ich antwortete mit einem kurzen, kleinlauten "Ja".

    Was bei Woody Allen immer ins Komische gewendet wird, kommt bei Hustvedt doch eher bieder und selbsterfahrungsbesessen daher. Das ist schade, denn eigentlich hat sie Mia ja mit einer großen Begabung für Selbstironie ausgestattet. Aber Der Sommer ohne Männer gleitet allzu oft in Küchenpsychologie ab, wirkt läppisch und klischeehaft. Das größte Potenzial, der Angelegenheit eine gewisse Tiefe zu verleihen, hätte das Motiv des depressiven Bruders gehabt. Hier hätte Hustvedt die tragische Fallhöhe stärker ausreizen können. Sie tut es nicht, vielleicht auch, weil sie in Was ich liebte eine ähnliche Konstellation in Szene gesetzt hatte und sich nicht wiederholen wollte. Mit Der Sommer ohne Männer schwebte ihr vermutlich die komische Variante eines Ehe-Debakels vor Augen – ohne eine dramatische Zuspitzung mit dem Tod eines Kindes, wie sie es in Was ich liebte nachgezeichnet hatte. Gleichzeitig scheint sie sich häufig nicht richtig entscheiden zu können und pendelt zwischen den Registern hin und her – das Tragikomische gelingt ihr nicht recht. Das größte Problem von Der Sommer ohne Männer ist aber die Sprache, die viel zu flach, schlicht und ungeformt daher kommt. Nun steht Siri Hustvedt seit jeher für ein einfaches, zugängliches Erzählen. Aber ihre Romane Was ich liebte und Die Leiden eines Amerikaners waren scharfsinnige Sozialstudien gewesen, Gesellschaftsromane mit Einsichten über den Zustand der amerikanischen Mittelklasse in einer präzisen Sprache. Dieses Mal setzt sie auf das Kolloquiale, auf einen schulterklopfenden Tonfall, wodurch sie offenbar eine Nähe zur Heldin erzeugen will. Besonders quälend wird es, wenn sie Mia den Leser direkt ansprechen lässt, so als sei dieser ihr bester Kumpel.

    Und ich will Ihnen ganz im Vertrauen sagen, alte Freundin, alter Freund, denn das sind Sie inzwischen geworden, standhafte Leserin, standhafter Leser, vielfach geprüft und bewährt und mir so teuer. Ich will Ihnen sagen, dass der Göttergatte Wirkung bei mir zeigte, wie man so sagt, und immer näher an das herankam, was immer in mir zu finden war, und die Erklärung war Zeit, schlicht und einfach Zeit, die ganze miteinander verbrachte Zeit, und die Tochter, die geboren und geliebt wurde und zu dem verrückten, liebenswürdigen und begabten Schatz heranwuchs, der sie ist, und all das Reden und Streiten und auch der Sex, zwischen mir und dem großen B.

    Diese Form von Kumpanei kann auch auf einen geneigten Leser eher abstoßend wirken und Unmut erzeugen. Als dann noch, wie Mia hier schon andeutet, ein echt amerikanisches Happy End folgt – mit ein paar europäischen Schrammen, denn ihre Hirnscherben, wie sie sie nennt, vergisst Mia nicht so schnell – verdichtet sich der Unmut. Mias Narben und Blessuren sind kaum mehr als eine zaghafte Reverenz an die großen Beziehungsdiagnostiker wie Flaubert, Tolstoi oder Fontane. Man muss nicht einmal die Größen des Faches bemühen, obwohl Mia selbst alle Nase lang mit Zitaten von Emily Dickinson aufwartet und schon durch ihren Beruf als Dichterin ein gewisses Niveau erwarten lassen müsste. Gerade in der zeitgenössischen Literatur sind Liebe und Bindungen eines der am besten durchdrungenen Phänomene - und mit knallharten Analytikerinnen wie Zeruha Shalev, Experten für männliche Sehnsüchte wie Philip Roth oder Kennern von Ehepaarzerfleischungen wie Javier Marias muss sich Siri Hustvedt schon messen lassen. Der Sommer ohne Männer ist ein höchstens mittelmäßiger, arg lauwarmer Roman. Bei Ehegeschichten sollte es aber krachen. Andernfalls kann sich ja jeder mit seinen eigenen, wenig originellen Beziehungsverstrickungen befassen.

    Siri Hustvedt: "Der Sommer ohne Männer". Roman. Aus dem Englischen von Uli Aumüller. Rowohlt Verlag, 295 Seiten, 19,95 Euro