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Weich wie Stahl

Die Arbeit des Schmieds ist wieder im Trend: Messer für Küchen-Profis, behauptet die Werbung, sind aus handgeschmiedetem Stahl und kommen aus Solingen. Liegt die Zukunft des Werkstoffs in der Tradition? Wissenschaftler versuchen gerade das Gegenteil: Sie machen Stahl nicht härter, sondern weicher - in den Versuchshallen der Forschungsinstitute werden Stahlklumpen zerdrückt, als wären sie aus Butter, gedehnt, als wären sie aus Gummi, gebogen und geknickt. Das Geheimnis liegt in der Mischung: Fremde Elemente, fein hinzudosiert, verleihen dem alten Material neue Eigenschaften. Stahl lässt sich manipulieren, um daraus nicht Messer zu schmieden, sondern Autos zu bauen, die leichter und sicherer sind.

Von Matthias Hennies |
    Der Schmied trägt eine Spezialbrille und gelbe Ohrenschützer. Er nimmt den glühenden Rohling mit einer langen Zange aus dem Ofen und legt ihn vor sich ins Gesenk, die Schmiedeform, die in den Amboss eingearbeitet ist. Und schon saust der Hammer herunter. Eigentlich ist es kein Hammer, ein Metallzylinder, ein Stempel kracht tonnenschwer auf den Rohling und presst ihn in die Form. Elektrisch angetrieben, fährt der Stempel wieder hoch, der Schmied wendet das halbfertige Messer, legt es in die Form, und erneut kracht es.

    Wer die traditionelle Herstellung eines Messers sehen will, vom grauen Stahlband bis zur blitzenden Klinge, muss lange suchen: Selbst in der alten Messer-Stadt Solingen existiert nur noch ein Betrieb, in dem von Hand gearbeitet wird. Die Schmiede Julius Kirschner erzeugt die berühmte Solinger Qualität speziell für Händler, die mit traditioneller Fertigung werben - etwa für die Firma Güde, ebenfalls aus Solingen. Karl-Peter Born, Geschäftsführer bei Güde, erzählt gern von der Familientradition:

    " Mein Urgroßvater, der Karl Güde, hat die Firma gegründet und mein Opa, der Franz, das war so ein richtiger bergischer Tüftler, der war immer sehr gern im Betrieb und hat sich sehr viel mit Wellenschliff und Schliffarten befasst, um eben die Messer noch schärfer und noch haltbarer zu machen, und irgendwo im Rahmen dieser Tüftelei ist also mein Opa auf diesen Wellenschliff gekommen, der heute bei Brotmessern üblich ist. "

    Viermal saust der Hammer herunter auf das Gesenk, dann packt der Schmied den Rohling mit der Zange auf ein Förderband. Ohrenbetäubender Lärm, Gluthitze und immer dieselben Handgriffe, hundertfach, wie am Fließband: Für Nostalgie gibt es keinen Grund, das Schmieden von Hand ist Knochenarbeit.

    Dass ein Messer komplett geschmiedet wird, ist auch längst eine Ausnahme. Billigprodukte aus Fernost werden meist aus Blech hergestellt und gar nicht gehämmert, sagt Dr. Born. Bei der einheimischen Konkurrenz wird oft nur die Klinge geschmiedet und der Griff angeschweißt. Die Schweißnaht bildet aber eine Schwachstelle - deshalb lässt Born den ganzen Rohling erwärmen und hämmern: So wird der Stahl durchgehend verdichtet und gefestigt.

    Er will eben höchste Ansprüche erfüllen. Seine Firma bietet sogar Messer aus Damaszener Stahl an: Mit dieser Schmiedetechnik versuchte man vor etwa 2000 Jahren, ein Problem zu lösen, mit dem die Materialforschung heute noch kämpft: Stahl ist entweder hart oder elastisch. Die Schmiede konnten entweder Schwerter herstellen, die härter als Schilde und Rüstungen waren, aber leicht brachen. Oder sie schmiedeten biegsame, aber weiche Klingen. Bis man, vermutlich in Damaskus, eine Lösung fand, die beide Eigenschaften vereint.

    " Früher konnte man eben nicht legieren und war gezwungen, sich auf andere Art aus dem Dilemma zu helfen, dass der Stahl eben hart und spröde oder weich und sehr elastisch war. Und dann kam einer auf die Idee, einen harten spröden Stahl und weichen elastischen Stahl miteinander zu verbinden. Der erste Schritt war, dass man eben zwei Schichten hatte, eine harte und eine weiche, und dann wurde das eben vervielfacht, so dass man heute üblicherweise Damaststähle hat, die mehrere hundert Schichten haben, jeweils abwechselnd hart-weich-hart-weich, und deswegen sind diese Klingen aus Damaszener-Stahl praktisch nicht klein zu kriegen, weil diese elastischen Stahl-Anteile diesen harten Stahl sehr gut abstützen. "

    Heute verändern Stahlproduzenten und Materialforscher die Chemie des Grundstoffs, des Eisens, um die Eigenschaften zu steuern. Zuerst entziehen sie dem Eisen den Kohlenstoff, denn Kohlenstoff macht das Metall spröde und brüchig. Wenn das Eisen nicht mehr als rund 2 Prozent Kohlenstoff enthält, spricht man von Stahl. Dann setzen sie dem Stahl andere Elemente zu, um ihm besondere Qualitäten zu verleihen: In einer Legierung mit gut 10 Prozent Chrom zum Beispiel bleibt er rostfrei. Setzt man Wolfram zu, wird er härter. Auf diese Weise sind mittlerweile mehr als 2000 Sorten Stahl entwickelt worden, maßgeschneidert für Chirurgenbestecke oder Autobleche. Doch das Dilemma ist geblieben:

    " Es gibt natürlich eine große Zahl verschiedener Qualitäten, die man gezielt seit Mitte der siebziger Jahre entwickelt hat. Es gibt Sorten, die sich dadurch auszeichnen, dass sie hohe Festigkeiten aufweisen, die sind dann nicht so gut verformbar - und es gibt eben sehr weiche Tiefziehstähle wie fast reines Eisen, die dann höchste Dehnung zeigen. "

    Das ganze Universum des Stahls dreht sich um diese beiden Pole: Härte und Biegsamkeit, anders gesagt, um Festigkeit und Formbarkeit. Wer wüsste das besser als Georg Frommeyer? Professor Frommeyer, Abteilungsleiter im Max-Planck-Institut für Eisenforschung, hat den "Twip-Stahl" erfunden - und beide widersprüchlichen Eigenschaften gleichzeitig verbessert.

    In der Konkurrenz mit anderen Materialien hat der Werkstoff Stahl damit Boden gut gemacht. Vor allem in den Autobau, den entscheidenden Massenmarkt für Werkstoffe, drängen Leichtmetalle wie Aluminium oder Magnesium und Faserverstärkte Kunststoffe. Daher versuchen die Wissenschaftler des Forschungsinstituts, die Grenzen des Werkstoffs ständig zu erweitern: Sie arbeiten an festeren Stahlsorten, damit die Karosseriebleche dünner, die Autos folglich leichter werden und der Kraftstoff-Verbrauch sinkt. Und sie entwickeln Stähle, die man besser zu Kotflügeln oder Türen formen kann, um bei der Produktion Energie zu sparen. In der Werkshalle des Instituts müssen die neuen Sorten dann zeigen, was in ihnen steckt.

    Udo Brüx erprobt im Tiefziehversuch, wie gut sich der "Twip-Stahl" seines Chefs verformen lässt. Das Tiefziehen ist ein Standard-Verfahren, um Bleche zum Beispiel zu Kotflügeln oder Türen zu formen. Brüx erzeugt nur einen kleinen Napf, aber das Prinzip ist dasselbe: Ein schwerer Stempel fährt auf das flache Blech herunter und drückt eine dreidimensionale Form hinein.

    Der Napf fällt aus der Maschine. Brüx inspiziert Seiten und Rand des simplen "Aschenbechers": Der Stahl hat sich gleichmäßig gedehnt und ist nirgendwo gerissen. Der praktische Test beweist, dass das Material hält, was es versprach: die Qualitäten, die die Forscher durch Manipulation seiner atomaren Struktur erreichen wollten.

    Der Schlüssel liegt in der Kunst des Legierens. Mit jedem Element, das man dem Eisen zusetzt, ändert sich der atomare Aufbau des Werkstoffs: Unter dem Raster-Elektronen-Mikroskop erkennen Wissenschaftler, ob sich die Atome in der Grundstruktur etwa zu einem Würfel ordnen oder zu einem sechseckigen Körper. Das Kristallgitter des Materials besteht dann aus Würfeln oder Hexagonen, die in mehreren Ebenen übereinander gestapelt sind.

    Doch entscheidend ist nicht das regelmäßige, wohlgeordnete Muster, sondern die Fehler im System. Manchmal fehlt ein einzelnes Atom, manchmal eine ganze Ebene im Stapel. Von diesen Fehlern hängt es ab, wie fest das Material ist und wie gut es sich verformen lässt. Das heißt: Man muss die Fehler im atomaren Aufbau beeinflussen, um die Eigenschaften des Stahls zu steuern.

    Frommeyer hatte Erfolg, als er Eisen mit 25 Prozent Mangan sowie kleinen Anteilen Silizium und Aluminium legierte. Diese Mischung ordnet sich zu einem Kristallgitter mit einem ausgesprochen nützlichen Baufehler:

    " Die speziellen Gitterbaufehler, um die es sich hier handelt, das sind Stapelfehler, das sind also Änderungen in der Stapelfolge des Kristallgitters. Die Stapelfolge ist dreifach, es gibt Atome in der A-Ebene, in der B-Ebene und in der C-Ebene, die leicht gegeneinander verschoben sind. Wenn man jetzt diese Stapelfolge ändert, in dem man zum Beispiel eine Ebene rausnimmt, dann gibt es eine Folge A-B, A-B, A-B und dann erst wieder das reguläre Gitter A-B-C, A-B-C. Und diese eingeschobenen Stapelfehler sind Keime für die so genannte Zwillingsbildung. "

    Die Defekte bewirken, dass man den Stahl gut verformen kann: Schon wenn niedrige Kräfte auf das Blech wirken, entwickelt sich aus den Stapelfehlern eine neue Anordnung der Atome. Mehrere Atom-Reihen klappen an einer Spiegelachse schräg aus dem regelmäßigen Kristallgitter heraus. Rechts und links der Achse bilden sie ein symmetrisches Muster - "Zwillinge", wie die Wissenschaftler sagen. Und dabei verändert das Werkstück drastisch seine Form.

    Nach diesem Mechanismus ist die neue Sorte "TWIP-Stahl" genannt worden, "Twinning induced plasticitiy", das heißt "durch Zwillingsbildung ausgelöste Formbarkeit".

    Klaus Brockmeier, Mitarbeiter im selben Team, erprobt ebenfalls, was der "TWIP"-Stahl leistet. In der Werkshalle des Instituts hat er ein Stahlstäbchen in eine Prüfmaschine eingehakt. Nun beobachtet er, wie die Maschine es auseinander zieht: Der Stab dehnt sich und dehnt sich - er hat schon die doppelte Länge - und reißt!

    " Normaler Stahl kann so um 5-10 Prozent verformt werden, das heißt 10 Prozent länger als seine Ausgangslänge, und wir erreichen hier Stähle, die weit über 100 Prozent erreichen können. Bei entsprechend hoher Festigkeit. "

    Mit dem neuen Mangan-Stahl ist den Forschern eine erstaunliche Kombination der widersprüchlichen Qualitäten gelungen - ein vielversprechender Fortschritt für den Autobau. Da hoch dehnbar, lässt sich dieser Stahl durch Tiefziehen gut in gewölbte Karosserieteile umformen. Und vor allem kann TWIP-Stahl in Seitenaufprallblechen und Stoßfängern einen wirksamen Crash-Schutz bieten: Weil sich das Material so stark verformt, erklärt Georg Frommeyer, nimmt es bei einem Unfall viel Aufprallenergie auf.

    " Das Energie-Absorptionsvermögen solcher Stähle ist untersucht worden, und es hat sich gezeigt, dass diese Stähle eine sehr hohe Energieaufnahme aufweisen, das ist etwa das 2,5-Fache hochfester konventioneller Tiefziehstähle. "

    Und weil die Legierung 25 Prozent des Leichtmetalls Mangan enthält, kann man damit obendrein auch noch Gewicht einsparen.

    In Solingen, in der Firma Kirschner, wandern die Messer aus der Schmiede in die Härterei. Drei Arbeiter in grüner Schutzkleidung erhitzen den geschmiedeten Rohling noch einmal in einem Gasofen, dann greifen sie ihn mit einer Spezialzange und tauchen ihn behutsam in ein offenes Becken mit Öl.

    " Also hier wird gehärtet. Im Gasofen erhitzt auf cirka 1050 Grad, was die richtige Temperatur ist für diesen rostfreien Stahl, um dann abgeschreckt zu werden im Härte-Öl."

    Man muss den Stahl erhitzen, bis er rotglühend ist, und dann wieder abschrecken, sagt Norbert Grobosch, Geschäftsführer der Schmiede: So wird das Messer hart und die Kohlenstoff-Atome im Kristallgitter wandern nach außen. Aber das reicht noch nicht: Ein Arbeiter verstaut die Kisten mit den Rohlingen danach in einer Kühltruhe. Erst durch die "Eishärtung", so Grobosch, bekommt das Material-Gefüge endgültig eine einheitliche Mikro-Struktur.

    Das langwierige Verfahren ist typisch für die Stahl-Verarbeitung: Auch Bleche oder Drähte müssen in den Walzstraßen der Großindustrie mehrfach erhitzt und abgekühlt werden, bis sie genau die richtige Form und zugleich die gewünschte Härte haben. Eine der wichtigsten Fragen der Forschung lautet daher: Wie kann man den hohen, energie-intensiven Verarbeitungs-Aufwand reduzieren?

    Die Versuche an der Technischen Hochschule Aachen beginnen mit einem durchdringenden Piepen. In der Maschinenhalle der Werkstoffforschung erhitzen Wissenschaftler einen Stahlbolzen. Das unangenehme Geräusch erzeugt der Induktionsofen, der die Proben in einem elektromagnetischen Feld schnell aufheizt. Nach zwei Minuten verstummt das Piepen. Der faustgroße graue Bolzen hat jetzt die entscheidende Temperatur, sagt Projektleiter Gerhard Hirt, und zugleich eine ungewöhnliche Konsistenz:

    " Wir sind bei etwa über 1300 Grad Celsius, das heißt, bei sehr hoher Temperatur, und in dieser Temperatur sind Teile des Werkstoffs schon flüssig, während andere noch fest sind. Das heißt, wir haben dann eine Konsistenz, die nicht ganz wie Butter ist, aber eine ähnlich weiche Konsistenz, Sie können also mit einem Messer hingehen und mit normaler Kraft diesen Bolzen durchschneiden. "

    Äußerlich wirkt der Bolzen unverändert, denn er hat immer noch eine feste Außenhaut. Aber man kann den butterweichen Stahl jetzt nicht nur durchschneiden, sondern auch mit geringem Kraft-Aufwand verformen. Ein Mitarbeiter startet die große Presse, um die Probe in eine Form zu pressen, und Professor Hirt erläutert:

    " Die feste Phase ist nicht nur die Außenhaut. Stellen Sie es sich vor wie ein Mosaik aus unterschiedlichen farbigen Kügelchen und die eine Sorte schmilzt schon auf, während die andere noch fest ist. Und die feste Phase bildet wie ein Schwamm ein Gerüst, und in diesem Schwamm wird die flüssige Phase gehalten. Und wenn wir das auf eine Presse geben und eine Formgebung machen, dann bricht dieses Gerüst auf und auf einmal haben wir eine Mischung aus vielen festen kleinen Partikelchen in flüssiger Phase, die Sie ganz prima in komplizierte Formen pressen können - und die dann relativ schnell zuende erstarren, weil ja schon so viel fest ist. "

    "Thixotrop" wird der Zustand zwischen fest und flüssig genannt, das Verfahren heißt danach "Thixo-Forming". Der Trick liegt wieder in der richtigen Legierung - und in der passenden Temperatur. Die Aachener haben jetzt einen Werkzeugstahl benutzt, der rund 10 Prozent Chrom und geringe Mengen anderer Elemente enthält. Diese Legierung geht bei rund 1300 Grad Celsius in den thixotropen Zustand über: Einige Anteile der Mischung beginnen bereits zu schmelzen, während andere noch fest sind.

    Ein Roboter greift behutsam die heiße, weiche Probe und schwenkt sie in die Form unter der Presse hinüber, in das "Gesenk": Wie in der Schmiede wird gleich der schwere Stempel herunterfahren und den Stahl in die Form pressen - aber ohne lautes Krachen, denn für thixotropen Stahl reicht sanfter Druck aus.

    Der Stempel fährt wieder hoch, der Greifer nimmt das fertige Bauteil aus dem Gesenk: Der schlanke kleine Zylinder mit dem dünnen, tellerartigen Fuß zeigt die Vorteile des Thixo-Formings: Man kann so feine Strukturen herstellen, wie sie in einer herkömmlichen Gesenkschmiede niemals möglich sind.

    " Dieses Bauteil ist ein Versuchskörper, den wir bewusst so gewählt haben, dass er lange dünnwandige Strukturen hat, damit zeigen wir das Potential des Verfahrens auf, gleichzeitig ist es eine Herausforderung, weil wir lange Fließwege haben und an den langen Fließwegen besteht immer das Risiko, dass sich die festen Partikel und die flüssige Phase von einander trennen und dass zum Beispiel die flüssige Phase den festen Partikeln vor-eilt und wir dann im oberen Bereich des kleinen Zylinders eine andere chemische Zusammensetzung finden als im Kern. "

    Die einheitliche Qualität stellt die Forscher vor eine doppelte Herausforderung: Zuerst müssen sich feste und flüssige Bestandteile beim Anschmelzen gleichmäßig verteilen. Dann muss das thixotrope Material genau so schnell in die Form gepresst werden, dass das Bauteil durchgehend die gleichen Eigenschaften bekommt. Vor allem mit dieser Geschwindigkeit experimentiert das Team noch.

    Das "Thixo-Forming" wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, denn es verbindet zwei bewährte Techniken der Stahlproduktion zu einem einzigen Arbeitsschritt: das Gießen der flüssigen Schmelze und das Schmieden des festen Stahls. Wie beim Gießen verteilt sich der Stahl in komplizierten Formen, zugleich wird er zu hoher Festigkeit verdichtet wie beim Schmieden. Und der entscheidende Vorteil: Man braucht das Material nicht zwischendurch abzukühlen und wieder zu erhitzen wie in der herkömmlichen Verarbeitung. Mit der "Thixo"-Technik lassen sich komplizierte, dreidimensionale Formen viel schneller herstellen als bisher:

    " Wir können im Fahrzeugbereich an Querlenker, an Achsträger, an solche Komponenten denken, die als Sicherheitsteile besonders hohe Anforderungen stellen. "

    Gerhard Hirt hofft, mit der neuen Technik eines Tages ein spezielles, anspruchsvolles Markt-Segment erschließen zu können. Für Massenwaren wie Karosseriebleche wird sich "Thixo-Forming" nicht lohnen - und für die Produktion von Messern schon gar nicht.

    Die einfache Grundform der Messer ändert sich selten. Wenn die Mode etwas Neues verlangt, werden Klingen auch mal nach chinesischem Vorbild gefertigt, erzählt Karl-Peter Born in Solingen. Aber was er nie variiert, ist die Legierung des Stahls.

    " Das ist ein Stahl, der entwickelt wurde speziell für Schneidwerkzeuge, nicht nur für Messer, sondern auch im Bereich der chirurgischen Instrumente, es ist ein Chrom-Molybdän-Vanadium-Stahl, der eben rostfrei sein soll, er ist aber nur rostfrei, wenn er gut wärmebehandelt ist und wenn die Oberfläche fein geschliffen ist. Es ist nämlich so, dass der Chrom-Anteil, der für die Rostbeständigkeit zuständig ist, die Schneid-Eigenschaften verschlechtert. Deshalb ist in dieser Legierung gerade so viel Chrom wie nötig, im Gegensatz zu Besteckmessern müssen unsere Messer auch noch entsprechend gepflegt werden. "

    Und dann schwört Born eben auf die Handarbeit in der Schmiede. Er kann sich auf Erfahrungen berufen, die Schmiede rund um die halbe Welt gesammelt haben. Im alten China zum Beispiel wurden die berühmten Schwerter aus einzelnen dünnen Stahl-Bändern hergestellt: Der Schmied hämmerte jedes einzelne Band und verschweißte dann mehrere Lagen miteinander. Dadurch bekam die Waffe im gesamten Querschnitt eine hohe Festigkeit - hämmert man dagegen eine Klinge, die nur aus einem dicken Stahlband besteht, wird sie bloß außen verfestigt.

    Inzwischen ist das Geheimnis der chinesischen Schwerter aufgeklärt: Sie erhalten die hohe FEstigkeit, weil die Mikrostruktur des Werkstoffs durch das Hämmern sehr feinkörnig wird. Diese Eigenschaft kann sich auch in der modernen Massenproduktion auszahlen. Deshalb versuchen Wissenschaftler nun, "ultra-feinkörnigen" Stahl herzustellen - aber ohne Hämmern.

    Das Verfahren wirkt auf den ersten Blick unglaublich simpel. In einem Labor der Technischen Hochschule Clausthal stehen die Wissenschaftler um einen massiven Metallklotz herum, einen silbrig glänzenden Zauberwürfel, groß wie ein Schuhkarton. Er hat zwei viereckige Öffnungen: eine obenauf, die andere an der Vorderseite. Im Inneren sind sie durch einen Kanal verbunden. Professor Juri Estrin steckt einen eckigen Stahl-Stab in die obere Öffnung - und an der Vorderseite soll er wieder herauskommen.

    " Die Probe ist in den senkrechten Kanal reingeschoben, wird aber waagerecht wieder rauskommen. Also quasi um die Ecke gepresst. "

    Ein mechanischer Stempel wird die Probe gleich von oben in die Öffnung hineinpressen. Sie passt millimetergenau in den Kanal. Damit der Stab überhaupt hindurchrutscht, ist er mit Schmiermittel eingerieben worden. Außerdem haben die Forscher den Stahl etwas erwärmt, damit er sich besser verformt - denn in der Mitte des Kanals, im Würfelinneren, muss er einen scharfen rechtwinkligen Knick passieren. Wenn er dann vorn aus dem Metallklotz herauskommt, sieht er aus wie zuvor - aber seine innere Struktur hat sich drastisch verändert.

    " In der Ecke, da wo sich die beiden Teile des Kanals treffen, wird eine Scherspannung von nahezu 100 Prozent erzeugt, das ist eine wahnsinnige Verformung, und gerade diese Scherverformung führt zu Kornfeinung. "

    Je feiner die Körner werden, desto besser sind die Eigenschaften des Materials - nicht bloß die Härte von Stahl. Viele Forscher versuchen zur Zeit Werkstoffe zu erzeugen, die aus Körnern im Nano-Maßstab, also von weniger als einem Mikrometer Durchmesser aufgebaut sind. Die meisten entwickeln Pulver in der hochfeinen Körnung und kompaktieren sie dann, um massive Bauteile daraus herzustellen. Juri Estrin gibt aber zu bedenken, dass dabei selten eine einheitliche, reine Qualität entsteht. Außerdem kann man so keine großen Mengen von Konstruktionsmaterialien herstellen.

    Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, verfolgt Estrin deshalb den umgekehrten Weg: das so genannte "E-C-A-P"-Verfahren, das "Equal Channel Angular Pressing", zu deutsch etwa "das Pressen durch den Winkel in einem Kanal".

    " So die Probe ist jetzt durchgepresst - und wir müssen den Stempel jetzt rausziehen"

    Fast als wäre es Zauberei, guckt der Stahlstab jetzt aus der vorderen Öffnung des Metallklotzes. Ein Mitarbeiter des Teams zieht ihn heraus, dreht ihn 90 Grad um seine Längsachse und schiebt ihn wieder in die obere Öffnung hinein. Die Probe wird mindestens viermal durch den Klotz getrieben, so dass sie von jeder Seite her gleichmäßig verformt wird.

    Damit lässt sich der Effekt der Kornfeinung verstärken, denn bei jedem Durchgang ändert der Stahl radikal seine Struktur. In dem rechtwinkligen Knick teilen sich die Körner, aus denen er aufgebaut ist, in mehrere kleine Zellen - und daraus bildet sich eine neue, feinere Mikrostruktur.

    " Die Zellen werden zu neuen Körnern. Was ein Korn war, hat mehrere Zellen produziert, in seinem Inneren entwickelt, und diese Zellen, die viel kleiner sind, sind dann eben neue Körner. "

    Folge: Der Werkstoff wird erheblich fester. Die Wissenschaftler um Juri Estrin konnten die Festigkeit von Stählen auf mehr als das Doppelte steigern - das würde für die praktische Anwendung eine große Gewichtseinsparung bedeuten, denn die Konstrukteure könnten künftig viel dünnere Bleche verwenden.

    Doch die Technik mit dem "Zauberklotz" ist noch nicht ausgereift: Wie fast immer beim Stahl löst die höhere Festigkeit oft einen Verlust an Formbarkeit aus. Estrin ist aber überzeugt: Wenn man die richtige Legierung auswählt und die Temperatur präzise steuert, kann man die Plastizität erhalten.

    Die Zukunft des Verfahrens, sagt er, liegt in neuen Dimensionen: Um sehr feinkörnigen Stahl für dünne Bleche zu erzeugen, müsste der Klotz mit dem Kanal noch erheblich größer werden.

    " Wir gehen aber auch in die andere Richtung, in Richtung Miniaturisierung, so dass wir ganz dünne Kanäle haben, im Millimeter- oder Sub-Millimeter-Bereich und manchmal sogar noch feiner, um dieses Material in Form von Drähten oder Fasern zu bekommen, die dann sehr fein strukturiert sind. Und das ist wichtig für die Mikroprozesstechnik und viele Anwendungen, wo es darauf ankommt, dass im Querschnitt eines Mikro-Bauteils viele Körner enthalten sind. "

    Neben Halbleiterbahnen für die Mikroelektronik haben die Forscher auch Implantate für die Medizintechnik im Blick: Wenn man etwa die Stents für die Stabilisierung von Blutgefäßen kleiner herstellte, könnte auch der medizinische Eingriff zurückhaltender ausfallen. Schließlich weist die Technik auch über den Stahl hinaus: Die Forscher haben bereits erprobt, dass auch andere Werkstoffe deutlich feinkörniger werden, wenn man sie durch den abgeknickten Kanal presst.

    Solide Messer werden weiterhin nach bewährtem Muster produziert werden: Aus Chrom-Stahl, durch Hämmern, Erhitzen und Abschrecken. Wer die Knochenarbeit in der Solinger Schmiede gesehen hat, fragt sich allerdings, ob ein Messer tatsächlich von Hand am Stück geschmiedet werden muss - und Klaus-Peter Born räumt ein:

    " Also als normaler Mensch in der Küche ist es ein bisschen schwierig, da den Unterschied zu merken, man merkt es wahrscheinlich erst dann, wenn man stundenlang schneiden muss. "

    Wie lange es das traditionelle Schmiedehandwerk noch geben wird, scheint fraglich. Aber der alte Werkstoff, aus dem Schwerter für Könige und Kalifen geschmiedet wurden, bekommt immer neue Qualitäten. Dank "TWIP"-Stahl, Thixo-Forming und "Zauberklotz" kann man die Redewendung "Hart wie Stahl" längst variieren: Sollte es nicht mal heißen "Leicht wie Stahl", "Biegsam wie Stahl" oder gar "Butterweich wie Stahl"?