Weihnachten im Kessel

Ihr werdet Weihnachten ohne mich feiern müssen und ich ohne Euch, weit entfernt in russischer Steppe und Einsamkeit. Mir werden keine Weihnachtsglocken läuten, aber in Gedanken werde ich dann doch bei Euch weilen, werde ich den Christbaum vor mir sehen – aber leider nur in Gedanken. Walte Gott, dass das die letzte Kriegs-Weihnachten sein wird.

Von Doris Simon |
    Der Obergefreiter Erwin Guhl, weiß schon am 11. November, zehn Tage, bevor sich der Ring um Stalingrad schließt, dass er keinen Urlaub bekommen wird. Er wird am Januar 1943 vermisst gemeldet.

    Weihnachten werdet Ihr nun wieder ohne den Papa feiern müssen. Ich hoffe, Ihr könnt das mit dankbarem und dennoch frohen Herzen, denn zum Danken ist wahrhaftig viel Grund gegeben...

    ...schreibt der Sanitätsunteroffizier Heinrich Kuck vor den Feiertagen an seine Familie.

    Die friedliche Welt hat nun ihren Krieg, da muss ich immer an mein unversehrtes Heimglück denken. Die Jungs sind in der Obhut ihrer tapferen Mutter, der Vater kann sie hier draußen vertreten. Es muss für Eltern schwer sein, den Sohn an der Front zu wissen. (...) Wohin der Krieg auch seine Bahn genommen hat, überall die gleiche Not der Frauen und Kinder. Man kann das nicht beschreiben und will es auch nicht.

    Auch der Tierarzt Franz Schmitt versucht seine Familie zu trösten, als er ihr Mitteilt, dass er Weihnachten wohl nicht nach Hause kommt.

    Denkt daran, wie viel Tausend Mütter, Kinder und vor allem Frauen um ihr verlorenes Glück heiße Tränen weinen. Wir sind noch glücklich, weil wir alle gesund sind und noch die Hoffnung in uns tragen dürfen, uns glücklich wieder zu sehen. Vielleicht kann gerade in den Weihnachtstagen der Wehrmachtsbericht verkünden, dass der Russe geschlagen und wir befreit sind.

    Franz Schmitt stirbt am 28. Januar 1943 . - Der Unteroffizier Herwig Schürl träumt sich in seinem Brief vom 13.Dezember nach Hause, nach Wien:

    Wie schön wäre es erst, wenn ich jetzt mit Hansi am Christkindlmarkt sein könnte...., doch Krieg ist auf Erden und viele Tausende Menschen stehen hier im Ringen gegen den Weltfeind, zuerst ein Ende und dann mit doppelter Freude alles genießen, was man in den Jahren der Dienstzeit alles hat versäumen müssen. Und ich und wir alle hier heraußen nehmen dieses Opfer gerne auf uns, damit unsere Jugend frohe und lichtere Tage hat und nie das Wort Krieg in den Mund nehmen muss.

    Sechs Tage später ist Herwig Schürl tot. - Nicht jeder freut sich auf Weihnachten: Der Kanonier Max Breuer fürchtet die Feiertage:

    Es wird das trostloseste Weihnachten sein, das ich je erlebt habe. Aus Marketenderwaren werden wir jeder 60 bis 70 Zigaretten und 4 Mann eine Flasche Schnaps bekommen. Das ist ein kleiner und billiger Trost. Heiligabend möchte ich mich am liebsten sinnlos besaufen, um besser über diese Stunden hinweg zu kommen. Das soll nun nicht heißen, dass Ihr Euch Weihnachten nicht schön gestalten sollt. Ich werde froh und glücklich sein, wenn Du mir mitteilst, dass Ihr eine schöne Weihnachten verlebt habt.

    Max Breuer stirbt später in russischer Kriegsgefangenschaft. - Die Soldaten klammern sich an die Traditionen daheim: Zu Weihnachten gehören Geschenke. Der Obergefreite Wolfgang Berg in einem Brief an seine Frau.

    1 Schachtel Schuhkrem, 10 Rasierklingen, 1 Tube Zahnpasta, 1 Tube Hautkrem, 1 paar Einlegesohlen, 15 Zigaretten, 3 Zigarren und 1 Riegel Schokolade und 1 Wurst (Pferd), dann hat es heute ein bisschen mehr Essen gegeben, 1 Kochgeschirr voll und ein halbes Brot, da kannst Du Dir wohl denken, dass ich mich mal richtig wieder satt gegessen habe, das war unser Weihnachten.

    Auch die Spur von Wolfgang Berg verliert sich in den folgenden Wochen im Kessel. - Und zu Weihnachten gehört ein Baum oder zumindest ein Kranz. Der Gefreite Paul Stöhr:

    Als Weihnachtsschmuck haben wir aus dürrem gelben Steppengras ein Adventskränzlein gebunden und meine letzten drei kleinen Kerzlein daran gemacht. Damit das Ding doch noch weihnachtlicher aussieht, haben wir etwas Watte darangehängt und die ganze Sache mit Vasenol Fußpuder weiß gemacht. Das war unser Weihnachtsschmuck.


    Auch der Infanterist Leo Stevens ist an Heiligabend mit den Gedanken bei seiner Familie:

    Liebe Eltern! Oh, wie gerne möchte ich an den Weihnachtstagen bei Euch sein, und mit Euch die schönen Weihnachtslieder singen, denn es ist ja das Fest des Friedens und der Versöhnung, aber wann wird es wieder das Fest des Friedens sein? Jetzt feiern wir schon die vierten Kriegsweihnachten und für mich ist es schon das zweite in Rußland, hoffentlich wird es das letzte Kriegsweihnachtsfest sein, dass wir im nächsten Jahr das Weihnachtsfest im Familienkreise feiern können.

    Leo Stevens wird im Januar 1943 vermisst gemeldet, ebenso wie der Sanitätsunteroffizier Heinrich Kuck, der die Feiertage noch unter verwundeten Soldaten erlebt.

    Am Abend riefen mich die Kameraden ins OP, wo ein Tisch weiß gedeckt war, auf dem ein richtiger Kiefernzweig mit Weihnachtsschmuck stand. Etwas Sekt war auch da. Lange hat die Herrlichkeit aber nicht gedauert, denn es kam bald so, wie wir das mit Sicherheit erwartet hatten: Es gab Beschuß, Weihnachtsgrüße von den Russen. Also rin in den Bunker zu den Verwundeten, denen wir ohnehin noch Lieder singen wollten. Ich habe dann die beschämende Erkenntnis gewonnen, dass die Verwundeten besserer Stimmung waren als wir zuvor.

    Auch der Divisionspfarrer Gustav Raab ist in Stalingrad verschollen. Nach den Feiertagen 1942 erhält seine Familie noch einen Brief, in dem Raab ausführlich über Weihnachten im Kessel von Stalingrad berichtet:

    Am hl. Abend zog ich los durch die sternhelle, christallklare Nacht. Gegen 14 Uhr, als es bereits dunkel war, begann ich in einem Omnibus mit der ersten feierlichen Handlung. (...) Immer wieder las ich den froh und dankbar wartenden Männern in ihrer Armseligkeit vor: "Siehe, ich verkünde Euch große Freude." Es bleibt unbeschreiblich und unvergesslich, wie alle Soldaten mit Tränen in den Augen der hl. Handlung folgten, als ich Ihnen in dieser hl. Nacht den Heiland reichte.