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Weihnachtsbräuche
Christmas wie bei den Lincolns

Im Weißen Haus wird auch heute noch eine weihnachtliche Tradition gelebt, die ihren Ursprung in der Familie Lincoln hat. Als Abraham Lincoln und seine Frau Mary Todd in die Machtzentrale der USA einziehen, hauchen sie dem Protokoll ihre Wurzeln im Mittleren Westen ein. Nach 150 Jahren beruft sich auch der heutige Präsident darauf.

Von Rudi Schneider |
    US-Präsident Obama begnadigt den Truthahn Abe - eine Kurzform für Abraham (Lincoln) - im Rosengarten des Weißen Hauses, neben ihm der Vorsitzende des Nationalen Truthahnverbandes, Jihad Douglas (M.), und Truthahnfarmer Joe Hedden
    US-Präsident Obama begnadigt den Truthahn Abe - eine Kurzform für Abraham (Lincoln) - im Rosengarten des Weißen Hauses, neben ihm der Vorsitzende des Nationalen Truthahnverbandes, Jihad Douglas (M.), und Truthahnfarmer Joe Hedden (Imago)
    Wasser ist der Grundstoff des Lebens. Diese Quelle gehörte vor mehr als 200 Jahren der Familie Lincoln, und der kleine Abraham, der über dieser Quelle im Jahr 1809 das Licht der Welt erblickt hat, hat das erste Wasser in seinem Leben aus dieser Quelle getrunken.
    Diese Quelle sprudelt auch heute noch und liegt im hügeligen Hodgenville in Kentucky, wo Abraham Lincolns Eltern eine kleine Farm betrieben. Als Abraham zehn Jahre alte war, wurde seine zukünftige Frau, Mary als Kind der wohlhabenden Familie Todd in Lexington, gerade mal gute 80 Meilen von der Lincoln-Farm entfernt, geboren. Das damalige Reisemittel, wenn man vom Land in die Stadt reisen wollte, war die Pferdekutsche.
    Lexington war schon im 19. Jahrhundert eine prosperierende Stadt mit einer lebhaften Geschichte. An der West Mainstreet, die damals wie heute eine der Hauptschlagadern der Stadt ist, liegt das Haus der Todds unter schattigen Bäumen und lädt zu einem Besuch ein.
    14 Kinder, 5 Sklaven
    Robert S. Todd war, als die Familie das Haus bezog, Präsident der Bank of Kentucky, Geschäftsmann mehrerer Unternehmen, und er war politisch sehr engagiert. Das Haus war ein Heim für eine wirkliche Großfamilie, in dem das Leben pulsierte. Gwen Thompson empfängt uns im Mary Todd Lincoln House an der Eingangstür und begleitet uns durchs die Räumlichkeiten.
    "Die Todds hatten fünf Sklaven, in der Regel drei Frauen und zwei Männer. Wenn Abraham Lincoln zu Besuch kam, wurde er also von Sklaven bedient. Das ist interessant, denn es war sein politisches Ziel in seiner Rolle als Präsident, unser Land von der Sklaverei zu befreien. In diesem Haus erlebte er zumindest einen Teil dessen, was Sklaverei bedeutete."
    Dining Room von Mary Todd Lincoln in Lexington
    Dining Room von Mary Todd Lincoln in Lexington (Deutschlandradio / Rudi Schneider)
    Zur Blütezeit der Todd Familie lebten 14 Kinder in diesem Haus, 6 Kinder aus der ersten und 8 Kinder aus der zweiten Ehe. Die Zimmer der Kinder erreichen wir über eine hölzerne Treppe im Obergeschoß.
    Ein großes Fenster lässt viel Licht in das kuschelige Zimmer fluten und es fällt nicht schwer, sich den quirligen Trubel vorzustellen, wenn es für die Kinder abends Zeit war, zu Bett zu gehen.
    "In diesem kleinen Bereich des Kinderzimmers wurden die Kinder gewaschen und gebadet. In diesem Bett hier vorne konnte die Sklavin, die die Kinder betreute, übernachten. Die anderen Sklaven der Todds lebten in einem Nebengebäude und nicht im Haupthaus."
    Mit scharfer Zunge im Weißen Haus
    Diese Aufteilung der Lebensbereiche und Räume war typisch bei wohlhabenden Familien in den Südstaaten. Die Stadt Lexington war zur damaligen Zeit eine der führenden Ausbildungsstätten des Landes. Es ist also nicht verwunderlich, dass Robert Todd bei seiner gesellschaftlichen Stellung, seine Kinder, und natürlich auch Mary auf die besten Schulen und Universitäten sandte. Für Mary war das für ihr zukünftiges Leben ein wichtiges Fundament.
    "Ihre Ausbildung machte sie zu einer der gebildetsten Frauen dieser Zeit in Amerika. Ihre Bildung, so wird berichtet, war bei der Konversation mit den Besuchern und Würdenträgern im Weißen Haus sehr hilfreich. Sie sprach mehrere Sprachen fließend und soll mitunter eine scharfe Zunge geführt haben. Der jungen Mary sagte man nach, dass sie einen Priester dazu bringen konnte, das Beten zu vergessen."
    Die beiden Wohnzimmer, die links und rechts neben dem Flur direkt im Eingangsbereich liegen, waren für das Familienleben und für gesellschaftliche Anlässe Dreh- und Angelpunkt. In diesem auch politischen Haus lebten, wie berichtet wird, Gegensätze und unterschiedliche Ansichten unter einem Dach.
    Wohnzimmer von Mary Todd Lincoln in Lexington
    Wohnzimmer von Mary Todd Lincoln in Lexington (Deutschlandradio / Rudi Schneider)
    "Die junge Mary Todd hatte wohl verstanden, dass es nicht einfach ein 'Man ist für Sklaverei oder man ist gegen Sklaverei' gibt. Es war ein ganzes Spektrum mit teilweise sehr unterschiedlichen Argumentationen. Ihre Großmutter Humphreys repräsentierte eine der vielen Richtungen. Sie kannte also diese kontroversen Positionen, bevor sie Abraham Lincoln kennenlernte."
    Auf die schlechteste Weise tanzen
    Abraham Lincoln lernte Mary Todd in Springfield, Illinois, kennen. Sie war im Alter von zwanzig Jahre nach Springfield gezogen, wo ihre Schwester wohnte.
    "Abraham Lincoln und Mary Todd bewegten sich in den gleichen sozialen und politischen Zirkeln, sie unterstützen auch die gleiche Partei. Man erzählt sich, dass sie sich auf einem Ball kennenlernten. Mister Lincoln, so heißt es, ging auf sie zu und fordert sie mit den Worten auf: 'Miss Todd, möchten Sie auf die schlechteste Weise mit mir tanzen?' Misses Lincoln erzählte später: 'Das war es genau, was er tat. Er tanzte mit mir auf die schlechteste Art.'"
    Die Beziehung zwischen Mary Todd und Abraham Lincoln, so wird berichtet, war zu Anfang möglicherweise wie der erste Tanz, etwas holprig, was bei den sehr unterschiedlichen Familienhintergründen auch nicht verwunderte.
    Mary interessierte sich sehr für Politik, denn sie wuchs in einem politischen Haushalt auf. Das gemeinsame Interesse an Politik war ein Teil dessen, was die Lincolns verband.
    Hochzeit ohne die Eltern
    Abraham Lincoln und Mary Todd heirateten im November 1842 im Wohnzimmer ihrer Schwester in Springfield, ohne die Anwesenheit beider Eltern. Nach der Heirat bezogen sie ein Haus in Springfield, das dem Haus der Todds in Lexington interessanterweise sehr ähnlich sieht.
    "Der wichtigste Aufenthalt aus unserer historischen Sicht war ein dreiwöchiger Besuch im Herbst 1847. Die Lincolns machten hier einen Zwischenstopp auf einer Reise von ihrem Haus in Springfield, Illinois nach Washington. Für Mary war das ein wichtiger Aufenthalt, weil viele ihrer Familienmitglieder ihren Ehemann zum ersten Mal trafen."
    Die große Familie von Mary war geradezu ein Spiegelbild der politischen Situation im Land. Die Linien zwischen den Konföderierten und der Union zogen sich quer durch das Haus der Todds.
    Die perfekte Gastgeberin
    Wir betreten den Dining Room. Der geschmackvoll gedeckte Eichentisch lässt fast die hitzigen Diskussionen von damals erahnen. Vieles, was Mary in Lexington erlebte und lernte, war für ihr späteres Leben mit Abraham Lincoln sehr prägend, erzählt Gwen Thompson.
    "In diesem Haus lernte Mary Todd Lincoln die Rolle und die Aufgaben der perfekten Gastgeberin. Für eine Dame der Gesellschaft war das sehr wichtig und wurde erwartet. Im Weißen Haus nutzen ihr diese Fähigkeiten sehr, denn dort war sie die offizielle Gastgeberin. Das Handwerkszeug dazu lernte sie in diesem Haushalt unter Anleitung ihrer Stiefmutter, und das trotz der Tatsache, dass hier die meisten Arbeiten von Sklaven verrichtet wurden."
    Der berühmte Christmas White Cake
    In einer gläsernen Vitrine des Esszimmers sind einige historische Porzellanstücke aus Marys Besitz zu sehen, beispielsweise eine Zweitanfertigung ihres offiziellen Gedecks im Weißen Haus oder auch eine Kaffeetasse ihres Sohnes Tad. Die perfekte Gastgeberin war Mary auch in ihrem Haus in Springfield. Dort gab es bei den Lincolns zur Weihnachtszeit etwas ganz besonders, das uns jetzt Gene Finke erzählt, der uns in der Küche des Hauses in Springfield empfängt.
    "Wir haben hier viele Besucher und es macht mir wirklich Spaß, ihnen die Küche der Lincolns zu zeigen. In diesem Ofen hat Misses Lincoln traditionell an Weihnachten ihren berühmten Christmas White Cake gebacken. Das Rezept hatte sie aus ihrer Lieblingsbäckerei in Lexington mitgebracht. Ihren White Cake gab es auch später im Weißen Haus in Washington. (...) Das Wohnzimmer hier im Haus war während der Weihnachtszeit im viktorianischen Stil dekoriert. Die Lincolns hatten sehr oft Gäste im Haus. Misses Lincoln liebte es, Gäste und Besucher zu empfangen und zu bewirten."
    Vorweihnachtliche Begnadigung
    Die Zeit der Lincolns im Weißen Haus war schon allein wegen des Sezessionskrieges turbulent und alles andere als einfach. Trotzdem, neben all den großen geschichtlichen Ereignissen während dieser Zeit gibt es eine Geschichte, so erzählt uns Gene Finke, für die Lincolns Sohn Tad bis zum heutigen Tag in Erinnerung bleibt.
    "Eines Tages war ein junger Mann in meiner Tour durchs Haus, der kannte die Geschichte der Rettung des Turkeys im Weißen Haus. Ein Freund hatte den Lincolns an Thanksgiving einen lebenden Truthahn für das Weihnachts-Dinner geschenkt und Sohn Tad hatte die Ehre, für ihn zu sorgen. Tad nannte ihn 'Jack', fütterte ihn, und spielte mit ihm. Oft rannte mit ihm ums ganze Weiße Haus. Am 22. Dezember 1863 platzte Tad wie eine Bombe ganz aufgeregt in eine wichtige Konferenz seines Vater, des Präsidenten, und rief heulend: 'Jack darf nicht getötet werden, das ist gemein'. Abraham Lincoln unterbrach die Konferenz und argumentierte, der Truthahn sei ein Geschenk für das Weihnachtsfestessen. 'Das ist egal', rief Tad mit tränenerstickter Stimme. 'Er ist ein guter Truthahn und verdient es, nicht getötet zu werden.' Abraham Lincoln nahm eine Karte von seinem Schreibtisch und schrieb darauf eine offizielle 'Order of Reprieve', das war die Begnadigung. Tad rannte mit Dokument nach draußen und schenkte seinem Truthahn Jack die Freiheit. Das entsprach wohl auch Abraham Lincolns Idealen."
    Die Rettung des Truthahns ist bis heute Tradition im Weißen Haus.
    Am 15. November verkündete Präsident Barak Obama den Namen des Truthahns, der in diesem Jahr von ihm begnadigt wurde.
    "Today I can announce: The American people have spoken. We have two winners. Their names are 'Honest' and 'Abe'. I confess, Honest looks like good eating. But this is a democracy, Abe is now a free bird, he is 'Totus', the Turkey of the United Staates." (Totus ist eine Persiflage auf die Abkürzung Potus, President of The United States)
    Interessanterweise war der Name des begnadigten Truthahns in diesem Jahr "Abe". Mit Abraham Lincoln, so bleibt abschließend zu berichten, verbindet Barak Obama einiges mehr. Er gab 2007 seine Bewerbung zur Präsidentschaft auf den Stufen des alten Parlamentsgebäudes von Springfield bekannt, wo Lincoln seine berühmte "House Devided" Ansprache hielt, und er schwor seinen Amtseid auf die Bibel von Abraham Lincoln.